Bankrott der Identitätspolitik

Die Mehrheit der weißen Frauen wählte bei den letzten Präsidentschaftswahlen Donald Trump anstatt der weiblichen Kandidatin Kamala Harris. Die zweite große Verschiebung fand bei Schwarzen und Latino-Wählern statt, von denen viele ins republikanische Lager wechselten, anstatt ihre Identität zur Grundlage ihrer Wahlentscheidung zu machen. Von Laura Höllhumer
Der Grund dafür geht aus jeder Meinungsumfrage hervor: Die US-Amerikaner sind wütend. Sie sehen, wie das Leben seit Jahren immer schwieriger wird und wie es sich selbst mit zwei Jobs am Ende des Monats nicht mehr ausgeht. Und sie hassen alle Politiker, die diese Entwicklungen zu verantworten haben und die sich gleichzeitig vor die Menschen stellen und behaupten, es gäbe keine Probleme. Die Folge beschreibt das Wall Street Journal: „Immer mehr Amerikaner identifizieren sich weniger über Ethnie und Geschlecht als vielmehr über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse.“ Für viele liberale Medien bricht damit eine Welt zusammen.
In kleinerem Maßstab sehen wir die gleiche Entwicklung auch in Österreich. Bei der Nationalratswahl Ende September wurde die FPÖ erstmals von gleich vielen Frauen wie Männern gewählt.
Die massenhafte Zurückweisung der Identitätspolitik (im Volksmund bekannt als „Wokeness“) bereitet sich schon länger vor, aber nun wird ihr Bankrott für alle sichtbar.
In den letzten Jahren versuchte sich die herrschende Klasse international den Anschein von Fortschrittlichkeit zu geben, indem sie sich als Kämpfer für Gleichberechtigung, Frauenrechte und Minderheiten inszenierten. Banken und multinationale Konzerne implementierten Programme zur Förderung von Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion. Bürgerliche Politiker rechtfertigten Sparprogramme mit dem Kampf gegen den Klimawandel.
Heute nimmt ihnen das niemand mehr ab. Die letzten Jahre haben diese Politik in den Augen der Massen als das entblößt, was sie ist: Der zynische Versuch, der Arbeiterklasse Sand in die Augen zu streuen, um die Kosten der Krise auf sie abzuwälzen. In den USA hatte die „diverseste Regierung der Geschichte“, das Kabinett Biden, zu verantworten, dass die Inflation den Lebensstandard erodierte. In Österreich brüstete sich die Schwarz-Grüne Regierung mit dem historisch höchsten Frauenanteil, aber während Unternehmen Milliardenförderungen erhielten, wurden Frauen der Arbeiterklasse mit den Coronafolgen allein gelassen.
Trotz aller politischen Korrektheit, der Quoten und der weiblichen Spitzenpolitiker wurde das Leben für alle, und insbesondere für Frauen der Arbeiterklasse und Minderheiten, schlechter. Denn die Bürgerlichen haben ihre Bekenntnisse zur „Wokeness“ nie ernstgenommen, es war von Anfang an ein billiger Trick. Das zeigt sich jetzt, wo alle netten Worte von gestern vergessen sind. Mit dem Wahlsieg von Donald Trump legt die herrschende Klasse ihr „wokes“ Mäntelchen ab. Alle DEI (diversity, equality, inclusivity) Programme wurden von heute auf morgen gestrichen, die Regenbogenfahne von der Website entfernt und selbst die liberalen Champions im Silicon Valley bekennen sich plötzlich zur „männlichen Energie“, die bisher „kulturell kastriert“ worden sei (Zitat: Facebook-Milliardär Zuckerberg) .
Wir müssen ganz ernsthaft die Frage stellen, wodurch es den Herrschenden möglich war, dieses zynische Spiel zu spielen? Der Grund liegt in der Identitätspolitik selbst, denn sie vertritt keinen Klassenstandpunkt. Sie ist völlig kompatibel mit kapitalistischer Politik und wurde daher von einem Teil der Bürgerlichen auch aufgegriffen. Anstatt die Wurzel der Unterdrückung in den tiefen Widersprüchen des kapitalistischen Systems und der Klassengesellschaft zu suchen, sucht die Identitätspolitik in sexistischer Ideologie, „white supremacy“ oder „heteronormativem“ Denken – also in Ideen, statt in der materiellen Wirklichkeit.
Anstatt den gemeinsamen Klassenkampf aller Unterdrückten und Ausgebeuteten für den Sturz des Kapitalismus und ein Ende der Herrschaft der Banker und Kapitalisten zu propagieren, zerteilt sie die Menschen in immer kleinere Gruppen, die machtlos sind, sich gegen die wirkliche Quelle der Ausbeutung und Unterdrückung zu wehren.
Anstelle eines echten Kampfes um die Gleichheit bietet man uns Quoten an. Statt des Kampfes um Befreiung durch den revolutionären Umbau der Gesellschaft werden uns „politische Korrektheit“ und Sprachreformen verscherbelt. Das läuft auf ein endloses, kleinliches Geplänkel über Wörter und Semantik hinaus.
Wenn Klasse erwähnt wird, dann nur als eine weitere Unterdrückungsform neben anderen („Klassismus“) und nicht als wirtschaftliche Grundlage der gesamten kapitalistischen Ausbeutung und als Schlüssel für dessen Überwindung.
Die Identitätspolitik hat ihren Zenit überschritten und ist im Niedergang. Dabei scheitern genau diese kleinbürgerlichen Methoden. Marxisten haben von Anfang an gewarnt, dass sich diese Ideen als schädlich für den Kampf gegen Unterdrückung erweisen werden und nicht als „Schritt in die richtige Richtung“, wie von vielen Aktivisten erhofft. Und genau das sehen wir heute: Durch die Assoziation vom Kampf für Gleichberechtigung mit dem kapitalistischen Establishment wird ebendieser in den Augen breiter Teile der Arbeiterklasse diskreditiert. Davon profitieren aktuell nur die Rechten.
Die klassenfremden Ideen der Idenitätspolitik schwächen die Arbeiterbewegung und helfen den Rechten gegen „Wokeness“ und „Genderwahnsinn“ die gleichen Einsparungen mit einem „Anti-Establishment“ Anstrich durchzuführen. Aus Ermangelung einer linken Alternative war es Donald Trump möglich, der angesammelten Wut auf die Heuchelei der Herrschenden einen Ausdruck zu verleihen. Er wird extrem reaktionäre Maßnahmen umsetzen und wird es zu einem Anstieg von Hetze und Angriffen auf Minderheiten, offen rassistischen und sexistischen Inhalte im Internet, usw. kommen.
Die fortgeschrittensten Arbeiter und Jugendliche brauchen sinnvolle Ideen für den Kampf gegen Unterdrückung und nicht diesen liberalen Blödsinn. Diese findet man nur in den revolutionären Ideen des Marxismus. Wenn der Kampf um Gleichberechtigung nicht mehr als Ausrede für Angriffe auf die Arbeiterklasse genutzt werden wird, wird es möglich sein, auch jene Teile der Arbeiterklasse dafür zu gewinnen, die heute Rechts wählen. Beispielhaft sah man dies bereits in jenen amerikanischen Bundesstaaten, die zwar Trump wählten, aber gleichzeitig mehrheitlich für das Recht auf Abtreibung stimmten.
Wir schlagen zur Bekämpfung der Unterdrückung Klassenkampfmethoden vor. Wir sind für eine Taktik der Massenaktion gegen jede Ungerechtigkeit. Nur die allumfassende Einheit der Ausgebeuteten und Unterdrückten kann gegen die Unterdrückung kämpfen und den Weg zum Sturz des kapitalistischen Systems freimachen.