Bei dieser KV-Runde folgten der Handel und der öffentliche Dienst dem Vorbild der Sozialwirtschaft 2020 und der Metaller 2023. Die Verhandlungspartner einigten sich auf einen Gehaltsabschluss, der sich über mehrere Jahre erstreckt. Von Martin Zuba.
In beiden Wirtschaftsbereichen gehen damit (temporäre) Reallohnverluste einher. Wurde der Abschluss im öffentlichen Dienst noch zynisch als Erfolg gewertet, muss sich die GPA schon mehr bemühen, um den Abschluss im Handel zu verkaufen: Ohne anstehende Lohnverhandlungen wollen sich die Verhandler nächstes Jahr Zeit für nicht näher spezifizierte Reformen des Kollektivvertrags nehmen. Dafür lässt sich die Gewerkschaft mit dem Abschluss auf eine Wette auf die Inflation ein, bei der die Beschäftigten nur verlieren können. Die Differenz auf die maßgebliche Inflation holen sie nächstes Jahr nämlich nur dann wieder auf, wenn die Inflation niedrig ist.
Schließlich wird das Argument der Sicherheit bemüht, um den Mehrjahresabschluss schönzureden. Die Spatzen pfeifen es von allen Dächern: Um die Staatsfinanzen steht es noch schlechter, als die Politik zugibt, und die wirtschaftlichen Aussichten sind dank Sanktionen, Handelskriegen und Austerität auch langfristig düster. Mit dem Mehrjahresabschluss wendet die Gewerkschaft zwar den „worst case“ von Nulllohnrunden oder schmerzlichen Niederlagen mit noch größeren Reallohnverlusten für dieses und nächstes Jahr ab.
Das passiert aber zum Preis zweier empfindlicher Nachteile. Erstens ist nicht davon auszugehen, dass sich die Ausgangsbedingungen für Kollektivvertragsverhandlungen in den nächsten zwei Jahren verbessern. Niemand kann ernsthaft davon ausgehen, dass wie durch ein Wunder in zwei Jahren ein Wirtschaftaufschwung anbricht oder der zukünftige Finanzminister doch Geld in den leeren Staatskassen findet. Es wird sich also herausstellen, dass die notwendigen Konflikte bestenfalls aufgeschoben werden.
Und zweitens begibt sich die Gewerkschaft mit der Taktik, Reallohnverluste für (temporäre) Sicherheit in Kauf zu nehmen, in die Rolle der Erfüllungsgehilfin „notwendiger“ Einschnitte, die sie lediglich abfedern oder herauszögern, nicht aber stoppen kann. Sie setzt die Annahme, dass heutzutage keine besseren Abschlüsse erzielt werden können, zum Ausgangspunkt ihrer Verhandlungspolitik und führt die Arbeiterbewegung in eine Niederlage, ohne durch eine Mobilisierung der Belegschaften überhaupt zu versuchen, ein besseres Ergebnis zu erzielen. Das hat zur Folge, dass die Gewerkschaft von vielen Arbeitern aber auch von Mitgliedern nicht als taugliches Instrument im Kampf für angemessene Entlohnung und Arbeitsbedingungen gesehen wird, und führt zu Frustration.
Mehrjahresabschlüsse passivieren die Belegschaften und erschweren verallgemeinerte Streikbewegungen. Historisch gesehen konnte die Arbeiterbewegung immer dann ihre Stärke ausspielen, wenn mehrere Sektoren gemeinsam mobilisierten, und in der Auseinandersetzung zweckdienliche Methoden wie öffentliche Betriebsversammlungen, eskalierende Streikpläne, Urabstimmungen etc. voneinander lernen. Mit mehrjährigen Abschlüssen wird das erschwert.
Wir Kommunisten wissen: In der Zukunft werden die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um gute Löhne zunehmen. Die Gewerkschaften sind unsere beste Waffe, um unseren Lebensstandard zu verteidigen. Je früher sich in der Gewerkschaftsbewegung eine Führung etabliert, die diese Waffe auch zu schärfen und zu schwingen bereit ist, desto besser werden die Ausgangsbedingungen für die anstehenden Konflikte sein.
(Funke Nr. 229/12.12.2025)