Billa, die österreichische Lebensmittelkette, die seit 1997 zum multinationalen Rewe- Großkonzern gehört, hat in Österreich fast 1000 Filialen und 13.300 MitarbeiterInnen. Als VerkäuferInnen in den Filialen arbeiten hauptsächlich Frauen in dieser generell schlecht bezahlten Berufssparte. Wie sieht der Alltag dieser Menschen mit dem „schönsten und wichtigsten Beruf der Welt“ (so ein Personalleiter bei der Einschulung für künftige Billa-VerkäuferInnen) wirklich aus?
Zeit ist Geld …
VerkäuferInnen in der Feinkost beginnen mit ihrer Arbeit am Morgen schon einige Zeit bevor die Filiale aufsperrt (in den meisten Fällen zwischen 5.30 und 6.30). Bis mensch dann am Abend das Geschäft wieder verlässt sind manchmal bis zu 14 Stunden vergangen. Moment! 14-Stunden-Arbeitstag? Laut den Eintragungen im Dienstplan arbeitet niemand länger als 10 Stunden pro Tag. Wer aber beispielsweise bereits um 6.00 Uhr mit der Arbeit beginnt und bis Ladenschluss (meist 19.00 Uhr) Dienst hat, verbringt eindeutig mehr als 10 Stunden am Arbeitsplatz. Daher sind Pausen vorgesehen, die eben insgesamt so lange dauern, dass die restliche Zeit – also die Arbeitszeit – 10 Stunden beträgt. Die Realität sieht anders aus: Pausen können meist nicht eingehalten werden. Wenn meine Kollegin und ich zu zweit in der Feinkost KundInnen bedienen, frisches Gebäck backen, neue Ware bestellen, Vitrinen putzen, neue Ware einschlichten, abgelaufene Ware aussortieren usw., können wir uns dabei gegenseitig unter die Arme greifen. Macht eine gerade Pause, muss die andere einstweilen alles allein bewerkstelligen. Wenn dann 10 KundInnen auf einmal bedient werden wollen, kommt mensch ganz schön ins schwitzen – unangenehme Situation, aber Gott sei dank „ist ja meine Kollegin (die, die gerade Pause hat) nicht so“ und springt ein.
Anderes Beispiel: Anruf von einer anderen Billa-Filiale ganz in der Nähe. Ich werde gebeten, den Bus zu nehmen, in die andere Filiale zu fahren und dort für einige Stunden auszuhelfen. Okay, kein Problem, doch als ich wieder in meine Filiale zurückkomme, erfahre ich, dass ich eine Stunde weniger Pause habe, da ich während der Zeit, die ich für Hin- und Rückweg benötigt habe, ja schließlich nicht gearbeitet hätte. Frechheit, denk ich mir, will schon den Mund aufmachen, lass es aber bleiben, als ich sehe wie viel noch zu tun ist. Ich weiß, dass meine Kollegin nicht die ganze Arbeit allein schaffen kann. Gemacht werden muss es aber schließlich. Wieder eine unbezahlte Arbeitsstunde, denn Überstunden werden nur bezahlt wenn diese vorher angeordnet werden und davon war schließlich keine Rede.
… aber Geld für wen?
Wie geht das Unternehmen mit der Realität um, nämlich damit, dass die Arbeit, die gemacht werden muss, teilweise einfach nicht schaffbar ist, wenn jedeR nur soviel hackelt, wie im Dienstplan steht? Um nicht neue Arbeitskräfte einstellen zu müssen bzw. MitarbeiterInnen Überstunden anordnen und auszahlen zu müssen (teuer für das Unternehmen), gibt´s einen Kniff: Einige wenige MitarbeiterInnen (meist der/die FilialleiterIn und ein paar andere) erhalten eine monatliche Überstundenpauschale, mit der sämtliche Überstunden eines Monats abgegolten werden. Alle anderen MitarbeiterInnen ‚dürfen‘ keine Überstunden leisten. Somit fällt alles, was die anderen nicht schaffen, an die MitarbeiterInnen mit der Überstundenpauschale. Nicht schlecht, oder? So werden alle motiviert, fleißig zu sein, weil jedeR weiß, an wem sonst die Arbeit hängen bleibt.
Natürlich geht sich oft trotzdem einiges nicht aus. Filialleiter Herr K. weiß ein Lied davon zu singen.
4 Tage arbeiten, 3 Tage leben
Herr K. arbeitet seit einem halben Jahr durchschnittlich etwa 70 Stunden in der Woche. „Normalerweise, sagt man, kann es nur besser werden, aber bei uns wird’s immer nur noch schlechter“ meint Herr K. Das aus seinem Mund zu hören verwundert wenig: Der Mann, der immer Ringe unter den Augen hat, sieht seine Frau und seinen Sohn nur am Wochenende. Die Familie wohnt in der Steiermark, doch seit Herr K. so viel arbeitet, hat er ein Pendlerzimmer in der Nähe von Wien. Da gibt´s aber auch die, die pendeln: In meiner Filiale sind das einige Frauen, junge Steirerinnen und Burgenländerinnen, die nach ihrer Lehre keinen Arbeitsplatz gefunden haben und seitdem nach Wien fahren um zu arbeiten. An 4 Tagen in der Woche fahren sie mit dem Billa-Bus in die Arbeit und wieder heim. Um 5 Uhr von zu Hause weg, von 7 bis 19 Uhr wird gearbeitet, um 20 Uhr fährt der Bus von Wien weg, um 22 Uhr wieder daheim, dann schlafen gehen. Weniger zu arbeiten ist für viele nicht drin, angesichts dessen, was mensch im Einzelhandel verdient. Zusätzlich müssen gelegentliche Abzüge vom Gehalt miteinkalkuliert werden:
Da ist was faul
Meine Kollegin Rita ist fürs Obst zuständig. Sie ist besonders betroffen von den vielen Kontrollen, die Billa-intern, aber auch von den Behörden (Marktamt) oder Lieferanten in den Filialen durchgeführt werden. „60 Euro, einfach weg! Ich glaub das nicht!“ Im letzten Monat wurde die Obstabteilung 3 Mal kontrolliert und jedes Mal wurden einzelne Obststücke gefunden, die verfault waren. Rita ist dafür zuständig, dass so was nicht vorkommt. Passiert es dennoch, muss sie aus eigener Kassa pro Beanstandung 20 Euro zahlen. Dass sie zusätzlich zu ihrer Arbeit in der Obstabteilung vom Filialleiter gebeten wurde, den Boden aufzuwaschen und sie daher einer Stresssituation ausgeliefert war, interessiert die Kontrolleure wenig und so ist ein Teil vom schwer erarbeiteten Geld in kurzer Zeit wieder weg. Auch FeinkostverkäuferInnen müssen für Beanstandungen vom Marktamt zahlen.
Der Betriebsrat
Bei diesen Arbeitsbedingung taucht natürlich die Frage nach einem Betriebsrat auf. Ja, natürlich! Es gibt einen solchen, was dieser aber tatsächlich am Arbeitsalltag der Billa- MitarbeiterInnen verändert, ist fraglich. Im Gespräch mit Frau Heinze, der Stellvertreterin des Betriebsratsvorsitzenden, erfahre ich, dass die Hauptaufgabe der BetriebsrätInnen darin besteht, bei Schwierigkeiten zwischen Unternehmensleitung und MitarbeiterInnen zu vermitteln. In der Regel funktioniere dies auch sehr gut. Ansonsten kann sie mir nicht sehr viel über die Arbeit des Betriebsrates erzählen: Alle BetreibsrätInnen treten bei Wahlen mit einem gemeinsamen Programm an, Filialenbesuche würden absolviert und Schulungen. Und bei einem Dienstjubiläum gibt´s eine Uhr geschenkt.
In meiner Filiale konnte mir niemand den Namen des für meine Filiale zuständigen Betriebsrates nennen (ich könnte in einer Mappe im Büro nachsehen) und MitarbeiterInnen, die schon Jahre im Unternehmen sind, haben noch nie eine/n BetriebsrätIn zu Gesicht bekommen. Als „Sklaven der Firmenleitung“ bezeichnet ein ehemaliger Mitarbeiter den Betriebsrat. Nachdem er jahrelang bei Billa beschäftigt war wurde er gekündigt — und dabei völlig vom Betriebsrat im Stich gelassen, der in dieser Situation die Möglichkeit gehabt hätte, gegen die Kündigung Einspruch zu erheben, bzw. die Abfertigung zu regeln. Nichts dergleichen. Gemobbt vom Chef und ohne Abfertigung hat dieser Mitarbeiter dann schließlich Billa verlassen. Dass auf guten zwischenmenschlichen Umgang in dieser Firma kein großer Wert gelegt wird, störte ihn vorher schon, dass der Betriebsrat anscheinend nicht bereit ist, gegen diese Unternehmenskultur vorzugehen, enttäuscht ihn umso mehr.
Perspektiven?
Im Fall Billa zeigt sich der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit sehr deutlich: Während die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung für die Angestellten miserabel sind, ist der Rewe Austria auf Platz 2 bei einem Ranking der profitabelsten Unternehmen in Österreich vom November 2002. Besonders in der Lebensmittelbranche ist die Konkurrenz hart und nur die stärksten können sich durchsetzen (dies war auch Grund dafür, warum Billa an Rewe verkauft wurde) und die Beschäftigten müssen mitziehen.
Müssen? JedeR von uns sieht im täglichen Leben welche Auswüchse die kapitalistische Logik annimmt und was das für unser Leben bedeutet! Kämpfen wir dagegen! Nur in einer Wirtschaftsordnung, wo nicht alles dem freien Spiel der Kräfte ausgesetzt wird, ist der Mensch frei! Darum ist es Zeit sich am Arbeitsplatz zu organisieren und gemeinsam gegen dieses System zu kämpfen!