Eine Million Menschen demonstrieren in Florenz gegen den drohenden Irak-Krieg, Streikwellen in halb Europa, Linksruck bei den Wahlen in Lateinamerika. Wirtschaftliche Rezession und Instabilität in den internationalen Beziehungen führen zu explosiven sozialen Bewegungen und werden zu Vorboten künftiger revolutionärer Erschütterungen. Vor diesem Hintergrund hält die Sozialistische Jugend Österreich im Jänner ihren Verbandstag ab und muss sie ihre zukünftige politische Linie bestimmen.
Als größtes Hindernis für eine revolutionäre Umgestaltung der herrschenden Verhältnisse erweisen sich einmal mehr die sogenannten Führer dieser Bewegungen. Zögerliche und utopische Slogans von einem „menschlichen Kapitalismus, und einer „Sozialpartnerschaft neu, beherrschen von den Sozialforen bis zu den Gewerkschaften eine Bewegung, die nach Alternativen sucht und bereit ist, eine andere Welt zu bauen. Besonders in Österreich erweist sich die jahrzehntelang propagierte und scheinbar alles beherrschende Ideologie der Sozialpartnerschaft als der größte Hemmschuh für soziale Bewegungen aller Art.
Die Krise des Reformismus
Mit dem Ende des wirtschaftlichen Nachkriegsaufschwungs gerieten auch alle reformistischen Konzepte in die Krise. Die Idee einer Reformierbarkeit des Kapitalismus, die in der österreichischen Arbeiterbewegung bis heute mit der Ära Kreisky verbunden ist, entpuppte sich als reine Illusion.
Aber Illusionen und Träume entfalten zuweilen eine eigentümliche Ausdauer. Verzweifelt klammert sich die SPÖ unter Gusenbauer an eine Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen. Die ÖGB-Spitzen, allen voran Verzetnitsch, hängen sich an den Rockzipfel der Bosse und hoffen mit dieser Unterwürfigkeit doch den Platz am sozialpartnerschaftlichen grünen Tisch behalten zu dürfen. Die linkeren Teil in der Gewerkschaft hoffen mit den vernünftigen Teilen der „globalisierungskritischen, Bewegung (z.B. ATTAC) einen neuen Verbündeten gefunden zu haben, der ihre Bestrebungen bezüglich einer Neuauflage der Sozialpartnerschaft unterstützen soll. Dies erklärt auch das wachsende Interesse von einigen Einzelgewerkschaften (GdE, GPA“…) an einer Mitarbeit bei der Gründung eines Social Forums in Österreich.
Unter dem Pflaster liegt der Strand…
Auch in Österreich beginnt sich die Stimmung zu ändern. Österreich hat in den letzten 20 Jahren aufgehört, eine Insel der Seligen zu sein. Massenarbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Privatisierungen und Sozialabbau bestimmen den Alltag genauso wie in den meisten anderen europäischen Ländern. So hat sich die frustrierte Stimmung gerade in Spanien und Italien in Form von Generalstreiks und der antikapitalistischen Bewegung entladen.
Unter der dicken Kruste sozialpartnerschaftlicher Ideologie hat sich in Europa ein gewaltiger Frust aufgestaut. Doch Stimmung alleine ist zuwenig. Irgendwo in der Kruste muss ein Riss entstehen, ein Ventil geöffnet werden. Der Frust braucht einen Katalysator, der ihm Aktionsformen gibt und ihm als Sprachrohr dient. Hier hinkt Österreich hinter dem europäischen Durchschnitt weit hinterher. Die jahrzehntelange Sozialpartnerschaft lastet wie eine riesige Gedächtnislücke auf dem kollektiven Bewusstsein der österreichischen Arbeitnehmerschaft. Dieses Missverhältnis zwischen dem aufgestauten Frust und der Unfähigkeit sich zu artikulieren wird immer unerträglicher.
In der Jugend, die einen Kreisky nur aus Erzählungen kennt, gibt es vorerst am ehesten das Potential für soziale Protestbewegungen. Eine nicht unwesentliche Schicht von Jugendlichen beginnt sich zu politisieren und zeigt in regelmäßigen Abständen bei Demonstrationen die Bereitschaft, für eine andere Welt zu kämpfen, gegen Faschisten aufzutreten oder gegen den Kapitalismus als solchen zu demonstrieren.
Hier beginnt die Verantwortung der Sozialistischen Jugend. Beweist sie Weitsicht? Erkennt sie unter dem Pflaster den Strand, oder lässt sie sich von der dunklen Oberfläche österreichischer Realität beirren? Sie ist nicht nur eine linke Jugendorganisation sondern ein Teil der Arbeiterbewegung und dadurch befähigt, ein Ventil zu öffnen, das nicht nur SchülerInnen sondern auch jungen ArbeiterInnen bzw. prekär Beschäftigten die Möglichkeit geben würde, organisierten Widerstand zu leisten.
Will die SJÖ dieser Rolle gerecht werden, muss sie überall, wo es Ansätze von sozialen Bewegungen gibt, intervenieren, eigene Initiativen setzen und den Unmut mit einer revolutionären Perspektive verbinden.
…reiß auch du ein paar Steine aus dem Sand!
In der gegenwärtigen Periode sehen wir folgende Prioritäten für die SJÖ.
a) Antikriegsbewegung
Die großen Antikriegsdemos in London, Paris und Florenz haben gezeigt, dass Hunderttausende Menschen bereit sind, gegen die imperialistische Aggression gegen den Irak zu demonstrieren. In Österreich gab es bis jetzt 2 Initiativen: In Wien bildete sich ein breites Bündnis von rund 30 Organisationen (unter anderem der SJÖ), die zusammen nicht mehr als 300 Linke für eine Demo mobilisieren konnten. In Linz hingegen organisierte die SJ Römerberg an einer Reihe von Schulen Antikriegskomitees und brachte während der Schulzeit und trotz Androhung von Repressionen durch die Direktoren doppelt so viele SchülerInnen auf die Straße. Spätestens wenn der Krieg ausbricht, sollte die SJÖ dem Linzer Beispiel folgend in den Schulen, Universitäten und Betrieben zur Gründung von Antikriegskomitees aufrufen und eine kämpferische antiimperialistische Bewegung aufbauen.
b) Antifaschismus
In mehreren Bundesländern gab es in den letzten Monaten ein verstärktes Auftreten von Skinheads und Nazi-Schlägertrupps. In Vorarlberg und Wien richtete sich dieser braune Terror auch gegen die SJ. Die Antifa-Demos am 13. April und 8. Mai zeigten die Bereitschaft Tausender Jugendlicher gegen die Provokationen der rechtsextremen Szene zu kämpfen. Mehrere SJ-Gruppen haben nun mit antifaschistischen Kampagnen begonnen. Diese Ansätze muss die SJÖ miteinander vernetzen. Wo die Nazis Lokale der SJ angreifen oder SJ-lerInnen attackieren, müssen wir rasch handeln, eine Gegenwehr organisieren.
c) Lehrlingskampagne
Zentral erachten wir auch die Frage, welche Rolle die SJÖ in der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsbewegung einnimmt. Ausgangspunkt kann nur eine schonungslose Kritik an der im ÖGB allgegenwärtigen Ideologie der Sozialpartnerschaft und des Standortdenkens sein. Anhand aktueller und historischer Beispiele müssen wir in der Gewerkschaft die Alternative des Klassenkampfes aufzeigen. Die derzeitige Lehrlingskampagne wird sich daran messen, ob es gelingt, Lehrlinge und junge ArbeiterInnen zu organisieren und sie dabei zu unterstützen, im Betrieb eine kämpferische Gewerkschaftspolitik zu machen. Die Gründung einer Lehrlingszeitung kann in diesem Zusammenhang als ein erster Schritt gesehen werden, dem weitere folgen müssen!
only solution – revolution!
Die SJÖ ist beim letzten Verbandstag aus einem zehnjährigen Dornröschenschlaf erwacht und geht, wenn auch etwas langsam, in die richtige Richtung. Seitdem versucht die SJÖ durchaus mit Erfolg, ihre Strukturen wieder zu beleben, zu politisieren und eine führende Rolle in der österreichischen Linken einzunehmen. Die reformistischen Traditionen in der österreichischen Arbeiterbewegung sind jedoch in der SJ allgegenwärtig. Die meisten Kampagnen, Aktionen und Stellungnahmen der SJÖ bewegen sich ganz klar in den Grenzen des kapitalistischen Systems und warten bis heute auf eine Verbindung mit einer revolutionären Perspektive.
Die für reformistische Strömungen typische Trennung in ein Minimal (einzelne Reformen im Rahmen des Systems)- und ein Maximalprogramm (Sozialismus) beschreibt sehr gut die politische Linie der SJÖ. Solange man jedoch den Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Bildungsabbau, Krieg und Nazis nicht mit einer sozialistischen Perspektive verbindet und Aktionsformen entwickelt, welche die Selbstorganisierung von Jugendlichen ermöglichen, ist das ein Zeichen, dass sich die SJ aber ihrer tatsächlichen Rolle, die sie spielen könnte, noch nicht bewusst ist. Die SJÖ kann durch kühne Interventionen, ein marxistisches Programm und eine revolutionäre Perspektive die Speerspitze für eine starke antikapitalistische Bewegung werden.