Nach den schlechten KV-Abschlüssen der letzten Jahre im privaten Gesundheits- und Sozialbereich analysiert Jodok Schwarzmann (Krankenpfleger, organisiert beim Funke), welche Schritte und Methoden im Kampf notwendig sind.
Im privaten Gesundheits- und Sozialbereich Vorarlbergs brach Anfang 2023 offene Empörung unter den Beschäftigten aus, nachdem die zuständige GPA mit dem dreisten Etikettenschwindel einer „Arbeitszeitverkürzung“ für Lohnverluste sorgte:
Bereits beim Kollektivvertrag Ende 2021 war der angebliche Verhandlungserfolg einer „Arbeitszeitverkürzung“ von 40 auf 39 Wochenstunden bekannt gegeben worden. Ein Jahr später, Ende 2022, wurde eine Lohnerhöhung von 7,9% verhandelt. Pikantes Detail: ausbezahlt wurden nur 5,4% davon – die fehlenden 2,5%, so die Sichtweise der GPA bzw. der Arbeitgeber, sei uns Beschäftigten schließlich bereits in Form der reduzierten Arbeitsstunde „ausbezahlt“ worden. Was uns die GPA-Spitze also als „Arbeitszeitverkürzung“ angepriesen hatte, durften wir uns ein Jahr später durch Abzug vom (mickrigen) Inflationsausgleich selbst bezahlen.
Dieser niveaulose Schwindel der Gewerkschaftsspitze wurde durchschaut und die Wut der Beschäftigten mündete in einem offenen Brief, dem sich in relativ kurzer Zeit über 240 (von ca. 8000) Beschäftigte anschlossen. Gefordert wurde eine Stellungnahme der GPA-Führung zu diesem angeblichen „Erfolg“, und es wurde richtiggestellt, dass eine „Arbeitszeitverkürzung“ den vollen Lohnausgleich beinhalten muss. Darüber hinaus wurden aber Forderungen formuliert, die diese beschämenden Einzel-Verhandlungen in den Kontext viel tiefer liegender Probleme stellten: Forderungen nach einem Ende der völlig undemokratischen Gewerkschaftspolitik, nach Einbeziehung der Basis bei allen Verhandlungsentscheidungen und nach einem Ende der lähmenden gewerkschaftlichen Zersplitterung unserer Branche.
Petitionen und ihre Grenzen: keine Appelle an eine gescheiterte Führung
Der Erfolg dieser Initiative liegt im Aufzeigen des schon lange vorhandenen Unmuts in der Vorarlberger Daseinsfürsorge und darin, dass sie von unten entstanden ist und durch die kreative Eigeninitiative von KollegInnen über zahlreiche Betriebe hinweg verbreitet wurde. Doch Petitionen können lediglich etwas aufzeigen, einen Weg weisen, aber sie verpuffen, wenn sie als reine „Appelle“ an die Gewerkschaftsführung (oder gar an die bürgerliche Politik) verstanden werden. Die GPA-Spitze kam keiner der Forderungen nach, nicht einmal einer Stellungnahme (Mit Ausnahme einiger Einzeltelefonate, wo zumindest über eine gewisse Nervosität der GPA-Spitze berichtet werden konnte). Sie saß bei den Verhandlungen 2023/24 wieder fest im Sattel und verhandelte 9,2% Lohnerhöhung, mit Hinblick auf den kleinen Warenkorb zweifellos ein Reallohnverlust. Es wurden davor zwar vereinzelt Betriebsversammlungen abgehalten, von diesen jedoch erst im Nachhinein öffentlich berichtet. Die einfachen Gewerkschaftsmitglieder erhielten wie gewohnt keinen Zugang zu irgendwelchen Details der Verhandlungen (geschweige denn alle Beschäftigten oder auch nur die Aktivisten der Brief-Initiative).
Gegen die „realistischen“ Forderungen eines kaputten Systems
Gespalten sind die Reaktionen innerhalb der KollegInnen auf diesen letzten Abschluss. Während die Unehrlichkeit der GPA-Führung um die „Arbeitszeitverkürzung“ zu breiter Wut und einer schnellen Aktion mit großer Beteiligung geführt hatte, werden die aktuellen 9,2% Lohnerhöhung völlig unterschiedlich betrachtet. Im Kontext allgemeiner Reallohnverluste, insbesondere z.B. bei den Metallern, reden viele von einem „guten Abschluss“ oder sehen jede Erhöhung über der rollierenden Inflation zumindest als „unrealistisch“ an. Andere fühlen sich erneut betrogen, und an sie anknüpfend möchte ich als Kommunist einige Lehren aus unserer Initiative ziehen.
Wie in unserem Brief angesprochen, vollzieht sich im österreichischen Gesundheits- und Sozialsystem ein dauerhafter Niedergang. Manche KollegInnen mögen eine Lohnerhöhung von 9,2% als „Halten“ eines erträglichen Lebensstandards empfinden – für jene mit weniger Kaufkraft oder steigenden Kosten (Mieten, Kredite usw.) bedeutet sie weiteren Druck auf eine sichere Existenz. Mit einem „Abschluss as usual“ zementiert die GPA die nicht vorhandene Gewerkschaftsdemokratie weiter ein: Wieder gab es keine nennenswerte Beteiligung der Basis, und wieder keine Führung, die offen und ehrlich für eine breite Streikbewegung als einzig nachhaltigem Mittel gegen den anhaltenden, drastischen Personalmangel unseres Sektors argumentiert. Es ist inakzeptabel, dass das Bewusstsein unserer KollegInnen von der „realistischen“ Perspektive von Reallohnverlusten geprägt ist, während 2023 allein die 20 Unternehmen des ATX beinahe sechs Milliarden an Dividenden ausschütteten (55% mehr als 2022, ca. 1000€ für jeden Lohnabhängigen und Pensionisten) und auch in Österreich aufgrund der „neuen Realität“ (Verteidigungsministerin Tanner) die Militärausgaben bis 2028 von 0,8 auf 1,5% des BIP erhöht werden sollen – mehr Geld für Militäroperationen der Herrschenden anstatt für Schulen, Heime oder Löhne der schöpferischen Klasse.
Aus den Erfahrungen lernen
Die Erfahrungen aus unserer Initiative können ein erster Ansatzpunkt für Vorarlberger Sozialberufler sein, an die fortgeschrittenere Klassenkampfdynamik in anderen Landesteilen (insbesondere Sozialbereich Wien) Anschluss zu finden. Bei unserem letzten Aktivistentreffen fand eine tiefe Diskussion zum Thema „Demokratie der Arbeiterbewegung“ statt: um zu reflektieren, wie wir auch als verstreuter Kreis weniger Aktivisten in verschiedensten Betrieben kollektive Entscheidungen treffen und effektive Schritte setzen können. Was wir außerdem brauchen ist eine revolutionäre Perspektive, um den Bruch mit der Logik dieses lähmenden Systems zu wagen. Schließ dich uns an!
(Funke Nr. 221/27.02.2024)