Der Generalstreik, der im Mai 2021 durch Palästina fegte, stellte einen Durchbruch im Kampf dar. Die grausame Bombenkampagne im Gazastreifen – „Rasenmähen“, wie sie euphemistisch genannt wurde –, die Benjamin Netanjahu aus eigennützigen zynischen Gründen durchgeführt hat, ging spektakulär nach hinten los. Von Khaled Malachi.
In der Vergangenheit war es der israelischen herrschenden Klasse gelungen, den Widerstand im Gazastreifen oder im besetzten Westjordanland abzuschotten und ein Übergreifen der Unruhen auf die israelische „Grüne Linie“ zu verhindern. Als die Israelischen „Verteidigungs“-Streitkräfte (IDF) in den Jahren 2009, 2012 und 2014 eine Terrorkampagne gegen die Massen im Gazastreifen führten, waren die Palästinenser im Westjordanland meist nur passive Zuschauer.
Der Kampf gegen die Zwangsräumungen in Scheich Dscharrah (Ostjerusalem) war einer von unzähligen einsamen und lokalen Kämpfen gegen die fanatischen Siedler. In ähnlicher Weise sah die israelische herrschende Klasse die innerhalb der Grünen Linie lebenden Palästinenser, die ständig von der Polizei schikaniert wurden und Angst vor Anschlägen hatten, als ruhig gestellt an. Sie dachten, dass die Fragmentierung der Palästinenser jeden echten Versuch, Widerstand zu leisten, zunichte machen würde.
Mit einem Wort, die israelische herrschende Klasse und ihre politischen Lakaien glaubten, die dunkle Kunst des Teilens und Herrschens, mit dem sie die Grundlage für einen geeinten Kampf der Massen zu untergraben versuchen, gemeistert zu haben.
Doch das war nicht der Fall, wie der palästinensische Generalstreik vom 18. Mai 2021 zeigte. Der Streik in Israel umfasste das Transport-, Lieferungs-, Reinigungs- und Gesundheitswesen und war in allen Sektoren zu spüren, in denen palästinensische Arbeitskräfte in größerem Umfang tätig sind. Wie der israelische Bauunternehmerverband berichtete, erschienen nur 150 von 65.000 palästinensischen Bauarbeitern zur Arbeit und legten damit die Bauindustrie lahm. Die Methoden des Klassenkampfes standen wieder einmal im Mittelpunkt der Auseinandersetzung.
Ganz gleich, welche Probleme die palästinensischen Massen plagen – ob es um Gleichberechtigung und Wohnraum, Löhne und Arbeitsplätze oder den grundlegenden Zugang zu Strom und Wasser geht – der 18. Mai war ein bewusstes Zeichen dafür, dass sie alle auf unterschiedliche Weise durch den israelischen Staat unterdrückt werden. Und was am wichtigsten ist: Er wurde von der Jugend angeführt, die mit ihrer eigenen, verkommenen Führung nichts am Hut hat.
Die wichtigste Triebkraft für die Organisation des Streiks waren vernetzte, selbstorganisierte Komitees und Jugendgruppen. Diese Komitees entstanden trotz der Passivität der bestehenden “Führung” und stellten diese in vielen Fällen offen in Frage. Trotz gegenteiliger Behauptungen waren Hamas, Fatah und die Palästinensische Autonomiebehörde nicht die treibende Kraft der Bewegung, sondern sie wurden von ihr getrieben.
Verrat
Dreißig Jahre nach den Abkommen von Oslo und Madrid, die zur Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde im Gazastreifen und im Westjordanland führten, blickt die palästinensische Jugend auf die Vergangenheit zurück, um daraus neue Lehren zu ziehen: Dabei zeigt sich ein Halbstaat ohne territoriale Kontinuität, der völlig abhängig und den Launen Israels unterworfen ist, genau wie die Marxisten es damals vorhergesagt hatten. Dreißig Jahre später ist nun völlig klar, dass das, was damals noch als Sieg dargestellt wurde, nur eine erbärmliche Verschleierung der andauernden israelischen Besetzung des Westjordanlandes und der Belagerung des Gazastreifens ist.
Die Bedeutung der Ersten Intifada (arabisch für „Abschütteln“ oder „Aufstand“) bleibt aus diesen offensichtlichen Gründen im allgemeinen Bewusstsein: Im Dezember 1987, nach 20 Jahren direkter israelischer Besatzung, erhoben sich die palästinensischen Massen mit einer jahrelang anhaltenden Welle von Demonstrationen, Streiks und Unruhen im Westjordanland, im Gazastreifen und in Ostjerusalem.
Die Jugend übernahm die Kontrolle über die Stadtviertel, Ladenbesitzer schlossen ihre Geschäfte, und die palästinensische Arbeiterklasse weigerte sich, in Israel zu arbeiten. Die Intifada war eine revolutionäre Bewegung, die alle – die israelische herrschende Klasse, aber auch die Führung der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) – überraschte.
Der palästinensische Aufstand führte zur Bildung von Zehntausenden von Massenkomitees, die alle Aspekte des Kampfes der Massen gegen die Besatzung organisierten. Die Mobilisierung umfasste Hunderttausende, die sich offen gegen die Macht des israelischen Staates auflehnten, Widerstand leisteten und das Regime schwer erschütterten. Die Lage war so instabil, dass der US-Imperialismus Druck auf die zionistische herrschende Klasse ausübte, eine „Zwei-Staaten-Lösung“ zumindest in Worten in den Raum zu stellen. Es musste alles getan werden, um eine umfassende Revolution zu verhindern.
Die Bewegung war der Kontrolle der Führung entglitten, die verzweifelt versuchte, auf die Bremsen zu steigen. Wie immer im Fall von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führern betrachtete die PLO (und im Wesentlichen die Fatah unter der Führung von Jassir Arafat) den palästinensischen Kampf aus einem rein nationalen Blickwinkel, und hatte keine Perspektive für eine sozialistische Revolution im Nahen Osten. Sie hatten kein Vertrauen in die Macht der Massen. Vielmehr fühlten sie sich von der Bewegung in ihrer Autorität untergraben und sahen in dem vom US-Imperialismus eingefädelten Schein-“Friedensprozess“ eine Gelegenheit, ihre Führungsrolle wiederzuerlangen. Das Ergebnis war, die revolutionäre Kraft der Massenbewegung in die Sackgasse der so genannten Zwei-Staaten-Lösung zu lenken.
Dies gipfelte im Oslo-Abkommen von 1993, das zur Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) führte. Anstatt die Besatzung herauszufordern, nutzte die PA ihren neu gewonnenen Status und ihre Verbindungen zur israelischen Militärführung. Unter der Fatah-Elite, die das Führungspersonal der Palästinensischen Autonomiebehörde ausmachte, verbreitete sich Korruption. Und die Lage der meisten Palästinenser verbesserte sich dennoch nicht. Die Besatzung zeigte keine Anzeichen einer Lockerung. Damit war die Grundlage für die zweite Intifada gelegt.
Weder das Oslo-Abkommen noch die darauf folgenden Abkommen sind das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind. Heute werden die PA und die Fatah von der Jugend verachtet. Ihre Beteiligung an der Blockade des Gazastreifens ist ein klarer Hinweis darauf, wo ihre wahre Loyalität liegt.
Ein einzelner Akt des Verrats könnte als individuelle Schuld dieses oder jenes Führers erscheinen. Es wäre jedoch naiv, dies im Falle der PA anzunehmen. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist wirtschaftlich völlig von Israel abhängig, ebenso wie die marode palästinensische Bourgeoisie. Mit der Gründung der PA wurde der palästinensische Nationalismus auf eine harte Probe gestellt, die er schlussendlich nicht bestand. Arafat nutzte seine persönliche Autorität, indem er sich auf die Militanz der palästinensischen Massen stützte und sie als Druckmittel gegenüber Israel einsetzte, während er gleichzeitig die interne Opposition unterdrückte.
Nach Arafats Tod führte der kontinuierliche Niedergang der Palästinensischen Autonomiebehörde bei den Wahlen im Januar 2006 mit dem Sieg der Hamas in Gaza zu einer weiteren Spaltung. Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, geht nun in das 19. Jahr seiner vierjährigen Amtszeit (die Präsidentschaftswahlen 2009 wurden abgesagt, um eine Niederlage zu vermeiden, und seitdem immer wieder verschoben) und überwacht die vollständige Kapitulation der Palästinensischen Autonomiebehörde, die nun mehr und mehr einer dysfunktionalen lokalen Behörde ähnelt, die unter der israelischen Besatzung ständig am Rande des Bankrotts steht.
Abbas und seine Clique palästinensischer Kapitalisten haben dank dieses Systems ein beträchtliches persönliches Vermögen angehäuft, während sie den palästinensischen Kampf um nationale Selbstbestimmung verraten haben. Diese Gauner können den Kampf nicht über einen bestimmten Punkt hinausführen, weil er ihren eigenen Interessen schaden würde. Das sollten wir auch nicht von ihnen erwarten. Letztlich werden nationale Befreiungskämpfe immer an den Klassengrenzen scheitern. Die Reichen werden die Armen immer verraten.
Eine Bilanz
Die Demütigung nach Oslo verhalf der Hamas zu einem Popularitätsschub. In der Tat profitierte die Hamas von der Ablehnung von Oslo und gab sich eine Zeit lang als antiimperialistische Kraft aus. Dies wurde dadurch verstärkt, dass die „internationale Gemeinschaft“ die Hamas seit 2007 zu einer „feindlichen Vereinigung“ erklärte, nachdem sie die Wahlen im Gazastreifen aufgrund der Ablehnung der Folgen des Oslo-Abkommens durch die Massen gewonnen hatte – etwas, das die überheblichen USA nie für möglich gehalten hätten.
In Ermangelung einer revolutionären Alternative hat sich die Hamas als die einzige Kraft positioniert, die den israelischen Imperialismus herausfordern kann. Aber sie tut nichts dergleichen. Die Hamas ist eine reaktionäre religiöse Bewegung, die darauf abzielt, den Kampf als einen zwischen Juden und Muslimen zu führen. Auf diese Weise stützen sich die politischen Reaktionäre auf beiden Seiten gegenseitig aufeinander. Der zionistischen herrschenden Klasse hätte kein besseres Geschenk gemacht werden können als die Hamas, die den Kampf der Palästinenser in die Sprache des religiösen Fundamentalismus kleidet. Das ist ein Spiel, das sie nur zu gut beherrscht.
Mit jeder abgefeuerten Rakete oder jedem Selbstmordattentat wird der Zionismus gestärkt. Die israelische herrschende Klasse kann die Luftangriffssirenen ertönen lassen, eine Belagerungsmentalität schaffen, zu Hause eine nationalistische Begeisterung entfachen und die israelischen Arbeiter davon überzeugen, dass die Palästinenser eine tödliche Bedrohung darstellen.
Die Illusionen der Hamas, Israel militärisch besiegen zu können, ist für die reaktionäre israelische herrschende Klasse ein Ass im Ärmel. Die Strategie des individuellen Terrorismus, der Bombenanschläge, Entführungen usw. hat sich als sicheres Mittel erwiesen, um die besten Elemente der palästinensischen Jugend zu verheizen. Vor allem aber stellt sie keine echte Bedrohung für die israelische Besatzung dar – und war es auch nie.
Es sollte nicht überraschen, dass die Al-Mudschama Al-Islami, die Muslimbruderschaft in Gaza, aus der die Hamas hervorging, jahrzehntelang dank des israelischen Geheimdienstes gedeihen konnte. Sie wurde auch von reaktionären islamisch-fundamentalistischen Strömungen in der gesamten Region als Mittel zur Bekämpfung der linken Strömungen im nationalen Befreiungskampf gefördert. Bis zum heutigen Tag wird sie von reaktionären Kräften in der Region, wie dem Iran, unterstützt und gefördert. Sie ist daher mit den Interessen dieser Regimes verkettet, die alle mitverantwortlich für das Elend der Palästinenser sind.
Diese Methoden sind bereits in zahllosen nationalen Befreiungskämpfen erprobt worden, wo sie immer wieder scheiterten. Sie spiegeln im Grunde eine kleinbürgerliche Herangehensweise an den Kampf wider, aus der sich konspirative Methoden ergeben.
Warum sollte die Arbeiterklasse streiken oder sich überhaupt organisieren, wenn alles, was notwendig ist, um den zionistischen Staat zu bezwingen, eine Brandbombe oder eine Rakete ist? Solche Methoden dienen nur dazu, das Bewusstsein der Arbeiterklasse in der gesamten Region zu schwächen, anstatt den Arbeitern ein Gefühl für ihre kollektive Stärke zu vermitteln, und festigen so die Macht reaktionärer Formationen wie der Hamas. Die Verherrlichung des militärischen Aspekts des Kampfes und die damit verbundenen Nachrangigkeit der Notwendigkeit eines politischen Programms, das all diejenigen hinter sich versammeln kann, die mit eiserner Faust von der israelischen herrschenden Klasse unterdrückt werden, hat tragische Folgen nach sich gezogen.
Die von der Hamas verfolgte Taktik spiegelt das absichtliche Bestreben wider, den Klassenkampf zu unterbinden; die Furcht vor der organisierten Macht der Arbeiterklasse, die sich nicht damit begnügen würde, den korrupten israelischen Staat zu stürzen, sondern als Voraussetzung dafür ihrer eigenen korrupten „Führer“ loswerden müsste.
Fatah und Hamas scheinen so unterschiedlich zu sein wie Schwarz und Weiß. Sie unterscheiden sich jedoch nur in der Form und nicht im Inhalt. Egal ob mit dem Aushandeln geschickter Deals innerhalb der vom israelischen Staat vorgegebenen Rahmenbedingungen, oder mit dem Guerillakampf gegen den Staat, um die eigenen Ziele zu erreichen, spielt die einzige Kraft, die allein in der Lage ist, den revolutionären Kampf zum Sieg zu führen, keine Rolle: die organisierte Arbeiterklasse, die sowohl von der Fatah als auch von der Hamas massiv unterdrückt wird.
Wie die Fatah vor ihr, hat auch die Hamas in den letzten Jahren versucht, mit den imperialistischen Mächten zu paktieren. Dies wurde von Israel aus politischen Gründen blockiert. Die israelische herrschende Klasse nutzt den zahnlosen Widerstand (in Form von Raketen, die von dem Raketenabwehrsystem Iron Dome blockiert werden) routinemäßig, um von den Problemen abzulenken, die sich im eigenen Land zusammenbrauen. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass die Hamas Schritte in diese Richtung unternimmt, wenn sich die Gelegenheit bietet, so wie die verkommenen PLO-Führer ihre Militäruniformen durch Anzüge ersetzt haben.
Millionen von Menschen erkennen, dass die Hamas nur in Worten an der Befreiung Palästinas interessiert ist. Der Schleier ist gelüftet. Die radikalsten palästinensischen Jugendlichen sehen das erbärmliche Versagen von gestern.
Der palästinensische Unabhängigkeitskampf hat seine größte Wirkung entfaltet, als er in die revolutionäre Bewegung der arabischen und palästinensischen Massen gegen die israelische Besatzung, die arabischen kapitalistischen Regime und den Imperialismus eingebettet war. Diese Bewegung wurde mit dem Schwarzen September in Jordanien 1970 und mit den libanesischen Bürgerkriegen in den 1970er Jahren sowie der israelischen und syrischen Invasion des Libanon in Blut ertränkt. Die revolutionäre Kraft der Massen brach trotz der israelischen Besatzung mit der ersten Intifada erneut durch. In all diesen Fällen wurden jedoch die revolutionären Möglichkeiten durch die palästinensische Führung vergeudet. Das liegt daran, dass kein wirklich revolutionäres Programm vertraten und sich nicht auf die einzige fortschrittliche Klasse in der Gesellschaft stützten: die Arbeiterklasse. Das ist aber der Schlüssel zur Befreiung der Palästinenser und zum Sturz des israelischen Staates.
Freunde von Palästina?
Die sogenannten „demokratischen“ Regimes im Westen wissen, auf welcher Seite sie stehen. In den meisten Fällen geben sie nicht einmal vor, die Palästinenser zu unterstützen. Stattdessen suchen sie die Schuld gleichermaßen bei den Unterdrückten und den Unterdrückern. Sie haben auch keine Probleme mit dem Freiluftgefängnis in Gaza, in dem zwei Millionen Menschen gefangen gehalten werden. All ihr Gerede von einer Zwei-Staaten-“Lösung“ ist eine zynische Maskerade, mehr nicht.
Wir sollten auch keine Illusionen in die selbsternannten „Freunde Palästinas“ haben. Wann immer der Konflikt aufflammt, bemühen sich die arabischen Regierungen und andere regionale Mächte, eine Rolle bei der Vermittlung des „Friedens“ zu spielen. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens geht es darum, den Schein zu wahren und diesen Regimes, die ihre eigene Arbeiterklasse rücksichtslos ausbeuten, einen fortschrittlichen Anstrich zu geben.
Dies zeigt sich deutlich in Algerien, wo das korrupte Regime die Pandemie nutzte, um gegen die große Hirak-Bewegung vorzugehen, die 2019 den Präsidenten stürzte. Unter dem Vorwand, das Virus zu bekämpfen, sperrte die Regierung Tebboune diejenigen ein, die eine Bedrohung für den Status quo darstellten. Doch als später die Bombardierung des Gazastreifens begann, ließ der algerische Staat Proteste nicht nur zu, sondern billigte sie sogar. Dies war lediglich ein Sicherheitsventil, um der algerischen Jugend und den Arbeitern die Möglichkeit zu geben, etwas Dampf abzulassen.
Dies führt zum zweiten Grund. Diese brüchigen Regimes können die Entstehung einer einheitlichen Massenbewegung in Palästina nicht dulden. Eine solche Bewegung würde unweigerlich auf die Region übergreifen und den Kampf der Massen gegen dieselben Regimes im eigenen Land anheizen. Dieses zynische Kalkül lässt sich am besten am Beispiel der herrschenden Klasse Ägyptens und Jordaniens veranschaulichen.
Um sich nicht gegen die Solidarität der Bevölkerung mit den Palästinensern zu positionieren, gibt sich Sisis Regime in Ägypten als Friedensstifter. Dabei handelt es sich um dasselbe reaktionäre Regime, das aktiv an der Blockade des Gazastreifens beteiligt ist, bei der Tausende durch vermeidbare Krankheiten und Hungersnöte ums Leben gekommen sind. Auch das jordanische Königshaus verurteilt häufig die übermäßige Gewalt der israelischen Streitkräfte. Es handelt sich um dieselbe Dynastie, die im Schwarzen September 1970 eines der größten Massaker an Palästinensern verübte und die nach wie vor als israelischer Grenzschutz im Westjordanland fungiert. Wer braucht Feinde, wenn er solche Freunde hat?
Auch wenn beide Regimes die Sache der Palästinenser in Worten unterstützen, dürfen wir ihre engstirnigen Eigeninteressen beim Aushandeln von Deals nicht mit der echten Solidarität der Massen verwechseln. Der Versuch der jordanischen Arbeiter und Jugendlichen, die Grenze während des Bombardements im Jahr 2021 zu stürmen, wurde vom jordanischen König unterbunden. Die Botschaft war klar: Runter von der Straße, überlasst das Verhandeln den Berufspolitikern!
Tatsächlich nutzen alle imperialistischen Nationen – in der Region und darüber hinaus – die Notlage der Armen und Unterdrückten in der Region als politischen Spielball, mit dem sie ihre Partikularinteressen befördern können.
Der inspirierende Kampf der Kurden für die nationale Befreiung ist ein trauriges Beispiel für diese Tatsache. Nachdem die USA die Kurden bei ihren Intrigen gegen Assad als nützliches Werkzeug benutzt hatten, wurden sie im Stich gelassen, als die westlichen Imperialisten sich mit Erdoğan verbünden mussten. Die USA und die EU haben für das türkische Entgegenkommen mit kurdischem Blut bezahlt. So sieht die wahre Solidarität der „internationalen Gemeinschaft“ aus! In Wahrheit werden die Kurden und Palästinenser immer nur eine kleine Rolle in den Machenschaften der großen imperialistischen Mächte spielen, solange sich die Massen nicht auf ihre eigene Kraft verlassen und an alle unterdrückten Schichten in der Region appellieren, den Kapitalismus zu stürzen.
Die einzigen Freunde der palästinensischen Bewegung sind die revolutionäre Jugend und die Arbeiter der Welt. Keine Lösung, die in den Korridoren der Macht ausgehandelt wird, wird die Befreiung auch nur einen Zentimeter näher bringen. Diese Frage kann nur auf der Straße und nur mit revolutionären Mitteln gelöst werden.
Revolutionäre Gärung
Die revolutionären Bewegungen, die 2011 alle arabischen Regimes erschütterten, der so genannte Arabische Frühling, waren ein Vorgeschmack auf das, was uns in der Region bevorsteht. Er war der endgültige Beweis dafür, dass keine Macht der Welt in der Lage ist, die Massen aufzuhalten, wenn sie sich gegen die herrschenden Verhältnisse wenden. Keine Überwachung durch Sicherheitskräfte oder geheimpolizeiliche Unterwanderung konnte den revolutionären Sturm aufhalten.
In einem Land nach dem anderen haben wir gesehen, wie die Massen alle Hindernisse überwanden. Ohne Plan, ohne Vorbereitung, ja sogar ohne Organisation im Rücken überwanden die Arbeiter und Jugendlichen ihr Gefühl der Hilflosigkeit und nahmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Die arabischen Massen stürmten den Himmel, um einen Ausdruck von Marx zu verwenden.
Doch ohne revolutionäre Führung blieb die Macht auf der Straße liegen. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Elemente, die sich in den Vordergrund drängten, hinterließen eine Spur des bitteren Verrats. Sie manövrierten von oben, als den Massen schließlich die Luft ausging. Der Aufstand in Ägypten endete in einer brutalen Konterrevolution; der „demokratische Übergang“ in Tunesien änderte kaum etwas; und die blutigen Zermürbungskriege im Jemen und in Syrien versetzten diese Länder in einen Zustand der Barbarei.
Obwohl seit dem Arabischen Frühling ein Jahrzehnt vergangen ist, wurde keine der brennenden Klassenfragen, die durch die Revolutionen aufgeworfen wurden, gelöst. Diese Kämpfe waren ein Spiegelbild der globalen Krise des Kapitalismus, die sich in den letzten zehn Jahren nur verschärft und vertieft hat.
Zuletzt hat die Pandemie die Welt auf den Kopf gestellt und die Spaltung der Gesellschaft in Klassen sehr deutlich werden lassen. Das Leben, das die Jugend von heute erben wird, ist nach einem Jahrzehnt der Sparmaßnahmen und der Privatisierung wesentlich schlechter geworden.
Der Kampf um die Umgestaltung der Region ist noch lange nicht beendet. Alle Bewegungen, die durch die Pandemie zurückgedrängt wurden, kehren mit voller Wucht zurück. In den letzten Jahren hat die Jugend in Algerien, Tunesien, Libanon, Jordanien, Iran, Irak und der Türkei revoltiert. Im gesamten Nahen Osten und in Nordafrika sind die Voraussetzungen für revolutionäre Kämpfe gegeben.
Dies ist den despotischen Herrschern in der Region nicht entgangen. Sie fürchten sich vor den Konsequenzen, die sich ergeben, wenn die Situation außer Kontrolle gerät.
Einen Keil treiben
Diese revolutionäre Welle, insbesondere die ägyptische Revolution gegen Mubarak, war auch in Israel selbst zu spüren und löste dort eine Massenbewegung aus, die die hohe Jugendarbeitslosigkeit und den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in den Mittelpunkt stellte. An dieser Bewegung beteiligte sich ein großer Teil der palästinensischen Minderheit zusammen mit israelischen Juden, die Schilder mit der Aufschrift „Kämpft wie die Ägypter“ trugen. Das war bedeutend genug, um bei der herrschenden zionistischen Klasse die Alarmglocken läuten zu lassen.
In der Tat hat sich die wirtschaftliche und politische Krise in Israel seit 2008 zugespitzt. Jede einzelne reaktionäre Koalition in der Knesset war gezwungen, sich immer mehr auf die Strategie des Teilens und Herrschens zu verlassen. Wann immer sich die Probleme im eigenen Land verschärfen – und wir dürfen nicht vergessen, dass Israel eines der ungleichsten Länder in der fortgeschrittenen kapitalistischen Welt ist – wird die rassistische Rhetorik gesteigert, werden gewalttätige Provokationen gegen die Palästinenser angeheizt und die Kriegstrommel gerührt.
Doch die wiederholten Massaker in Gaza erfolgen – neben all den Manövern – zunehmend aus einer Position der Schwäche, nicht der Stärke heraus. Es wäre naiv anzunehmen, dass die israelische Gesellschaft nicht von den gleichen Problemen geplagt wird wie andere in der Region – Wohnraum, Bildung, Arbeitsplätze, Gesundheitsversorgung. Aus diesem Grund hat die arabische Revolution auch in Israel selbst ein Echo gefunden.
Es ist die Aufgabe aller Revolutionäre in der Region, die Teile-und-Herrsche-Taktik der israelischen herrschenden Klasse zu entlarven und einen Keil zwischen den zionistischen Staat und die gewöhnlichen israelischen Juden zu treiben, die letztlich unter demselben unterdrückerischen System zu leiden haben.
Engels schrieb einmal: “Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren. Die Macht, deren es zur Unterdrückung der andern bedarf, wendet sich schließlich immer gegen es selbst.” Das trifft auf den vorliegenden Konflikt voll und ganz zu. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Jahr 2020 gingen israelische Juden und Palästinenser gemeinsam gegen Netanjahu und die Korruption des israelischen Staates auf die Straße. Dieselben Grenzpolizisten, die gegen die Bewegung eingesetzt wurden, um „Recht und Ordnung“ durchzusetzen, waren es auch, die im Jahr 2021 palästinensische Gläubige in der Al-Aqsa-Moschee brutal zusammenschlugen.
Die anhaltende Besatzung ist ein Instrument der israelischen herrschenden Klasse, um die Arbeiterklasse der Region zu spalten und gegeneinander auszuspielen. Der Zionismus und die Angstmacherei gegenüber den Palästinensern müssen bekämpft werden, denn sie werden von den israelischen Kapitalisten benutzt, um die Unterschiede zwischen jüdischen Arbeitern und Kapitalisten zu verwischen und zu suggerieren, dass sie gemeinsame Interessen hätten.
Die Führung des zionistischen Gewerkschaftsbundes Histadrut in Israel spielt eine schändliche Rolle, indem sie sich in diesen Fragen dem israelischen Staat unterordnet, anstatt auf die Solidarität hinzuweisen, die zwischen den Arbeitern – israelischen Juden und Palästinensern – aufgebaut werden sollte. Die erste Voraussetzung für jede Art von Solidarität wäre, diese Führer, ihre Politik der Klassenzusammenarbeit und auch alle ihre anderen Vorurteile auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen.
Das Gift des Nationalismus und des Sektierertums ist eine starke Kraft in diesem Konflikt. Aber der einzige Weg, diese Feindseligkeit zu überwinden, ist es einen Keil zwischen alle unterdrückten Schichten der Gesellschaft und dem Unterdrücker zu treiben – das hat sich immer wieder gezeigt. Das bedeutet, die israelische Gesellschaft entlang der Klassengrenzen zu spalten.
Manche gehen davon aus, dass der Hass zwischen den jüdischen Israelis und den Palästinensern zu hartnäckig oder zu tief verwurzelt ist, um jemals überwunden zu werden. Diese Pessimisten sagten das Gleiche über das Sektierertum zwischen Katholiken und Protestanten in Irland. Aber die Führung von James Connolly und Jim Larkin, zwei Giganten der irischen Bewegung, liefern uns zahlreiche Beispiele dafür, wie genau dieser Zustand überwunden werden kann.
Sowohl Connolly als auch Larkin verstanden, dass ein erfolgreicher Kampf für ein sozialistisches Irland die Arbeiter in Klassenfragen vereinen muss, indem sie sich auf ihre eigene Stärke verlassen: ihre eigenen Methoden, Ideen und Taktiken. Und so wie damals, ist das auch heute noch der einzige Weg vorwärts.
Die Hauptwaffe, auf die sich England stützte, um die irische Revolution zu zerstören, war das Schüren von Spaltungen zwischen Katholiken und Protestanten. Die Hauptwaffe dieser irischen Revolutionäre bestand darin, die engen Grenzen des irischen Nationalismus und die reformistischen Lakaien des britischen Imperialismus zu entlarven. Vor allem Connolly stellte den Internationalismus in den Mittelpunkt seiner Politik.
Indem sie sich nicht auf die tief sitzende Spaltung einließen, die selbst ein Produkt des Imperialismus war, konnten sie die unantastbare Einheit der Arbeiterklasse propagieren. Dies, und nur dies, konnte die Gefahr des Sektierertums untergraben.
Und das ist auch eine Voraussetzung, um den Zionismus aus der israelischen Arbeiterbewegung zu entwurzeln und die herrschende Klasse in Israel zu stürzen. In Wahrheit hat die bisherige Führung des palästinensischen Kampfes dieser sektiererischen Spaltung in die Karten gespielt. Diese gescheiterten Strategien müssen aufgegeben werden, damit neue linke Strömungen in Palästina entstehen können, die frei vom religiösen Fundamentalismus der selbsternannten Führer sind.
Intifada bis zum Sieg!
Die Existenz des zionistischen Staates, der auf der Unterdrückung der Palästinenser beruht, kann nur eine „blutige Falle“ sein, die sowohl den unterdrückten Palästinensern als auch den israelischen Juden nur ein unwürdiges Leben bietet. Dieses Problem kann nicht auf der Grundlage des Kapitalismus gelöst werden.
Die gesamte Geschichte der Region beweist jedoch, dass revolutionäre Kämpfe die fragilen Grundfesten, auf denen der Imperialismus und die Diktatoren herrschen, ernsthaft erschüttern können und werden. Die Spirale der Reaktion wird durch neue revolutionäre Umwälzungen aufgebrochen werden. Palästina wird weiterhin ein Bezugspunkt für den Kampf in der Region sein, aber der endgültige Anstoß zum Sturz des zionistischen Staates könnte auch von revolutionären Entwicklungen anderswo kommen.
Es ist nicht die Frage, ob es revolutionäre Bewegungen geben wird oder nicht. Die Arbeiter und Jugendlichen werden ihre Ausbeutung und Unterdrückung nicht einfach hinnehmen, wie sich immer wieder gezeigt hat. Wenn sich die Arbeiterklasse bewegt, wird der Internationalismus schnell zum Herzstück des Kampfes werden, wie wir bei den arabischen Revolutionen im Jahr 2011 gesehen haben. Aber für jeden revolutionären Arbeiter oder Jugendlichen, der nicht nur rumsitzen und „auf die Revolution warten“ will, gibt es eine klare Aufgabe.
Der Schlüssel zum erfolgreichen Kampf liegt im Aufbau einer revolutionären Führung, die in der Lage ist, jede Ungerechtigkeit des israelischen Staates und die heuchlerische Haltung der arabischen Nationen zu nutzen, um die Solidarität der Arbeiterklasse aufzubauen. Der Kampf muss sich auf Klassenmethoden stützen und damit die Vernebelung durch Nationalismus und Sektierertum durchbrechen. Nur so können wir die Arbeitermassen davor bewahren, von reformistischen oder gar reaktionären Führern in die Sackgasse der Niederlage geführt zu werden.
Der palästinensische Generalstreik vom 18. Mai 2021 hat das Potenzial des vereinten Klassenkampfes der palästinensischen Massen gezeigt. In ähnlicher Weise hat sich der Kampf in Scheich Dscharrah und den Gemeinden in den Innenstädten Ostjerusalems durch direkte, kämpferische Aktionen als effektiver im Kampf gegen die Siedlungsprojekte erwiesen, als es jede Hamas-Rakete je könnte. Dies war ein Schritt in Richtung Massenbewegung, und darauf muss aufgebaut werden.
Die Jugend erhebt sich gegen das marode Gebilde des Kapitalismus. Im Grunde genommen sind diese Kämpfe – gegen Korruption, für Arbeitsplätze, Wohnraum, Bildung, demokratische Rechte – alle derselbe Kampf. Wir sind Zeugen der ersten Erschütterungen eines viel größeren Bebens, das die Konfliktlinien in der gesamten Region aufbrechen wird.
Jeder Arbeiter oder radikale Jugendliche muss seinen Kampf auf Basis der Perspektive einer sozialistischen Umwälzung der gesamten blutgetränkten Region führen. Aus dieser Perspektive heraus stellen wir die Losung eines föderalen sozialistischen Staates Israel-Palästina als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens auf.
Dies ist die einzige Möglichkeit, eine Autonomie der Juden und Palästinenser zu garantieren, die nicht auf Unterdrückung beruht. Das schwelende Problem des Rechts auf Rückkehr für alle Vertriebenen und Enteigneten kann nur durch die Zerstörung der Bedrohung durch den Zionismus beseitigt werden. Die Voraussetzung dafür, dass die Flüchtlinge aus ihren Elendslagern entlassen werden und in menschenwürdige Verhältnisse zurückkehren können, ist der Sturz des israelischen Regimes und seine Ablöse durch einen sozialistischen Staat. Die Bündelung der Ressourcen im Rahmen eines Wirtschaftsplans – unter der demokratischen Kontrolle und Leitung der Arbeiterklasse – würde die Grundlage für eine rasante wirtschaftliche Entwicklung schaffen.
Einige werden sich natürlich über diese Idee lustig machen. Sie werden sagen, dass sie nicht „praxistauglich“ ist und wir „realistisch“ sein müssen. Aber es ist gerade die „realistische“ Politik, die uns in eine „praktische“ Sackgasse geführt hat. Das erinnert an die Worte von James Connolly: „Sei nicht “praktisch” in der Politik. Auf diese Weise praktisch zu sein, bedeutet, dass man sich angewöhnt hat in den Mustern und auf jenen Pfaden zu denken, die diejenigen, die dich berauben, für dich vorgesehen haben.“
Nur mit einer deutlichen Abkehr von den Fehlern der Vergangenheit können wir uns über die Aufgaben der Zukunft klar werden. Nur auf einer sozialistischen Grundlage könnten die Probleme der Arbeitsplätze, des Wohnraums und der Gesundheitsversorgung gelöst werden. Nur auf dieser Grundlage kann die nationale Frage gelöst werden, was eine harmonische Gemeinschaft aller Völker und Nationalitäten des Nahen Ostens ermöglicht. Die Losung muss lauten:
★ Nieder mit der israelischen Besatzung!
★ Nieder mit Kapitalismus und Imperialismus!
★ Intifada bis zum Sieg!
★ Für die Einheit des Kampfes der Arbeiter und der Jugend der Region!
★ Für eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens!