Gaza „Friedensplan“: No Justice, no Peace!
Während auf dem Papier aktuell ein Waffenstillstand herrscht, schafft Israel weiterhin Fakten an allen Fronten. Von Michael Scherr
Seit dem 10. Oktober hat Israel 500 Mal den Waffenstillstand gebrochen und über 340 Palästinenser getötet, davon 67 Kinder – zwei Kinder jeden Tag. Israel hält Gaza weiterhin im Würgegriff: Es kontrolliert immer noch 58% des Gebietes und blockiert weiterhin drei Viertel aller Hilfslieferungen. Die sogenannte „Gelbe Linie“ trennt das israelische Besatzungsgebiet vom palästinensischen Gaza und schneidet es von seiner Grenze mit Ägypten ab. Die Linie wird aber konstant von Israel verschoben und ihre Überquerung zum Vorwand genommen, die Bevölkerung weiter zu bombardieren. Israel baut bereits auf dem besetzten Land, um die Grundlage für eine dauerhafte Annexion zu legen. Im Westjordanland eskaliert derweil der Siedlerterror: Im Oktober allein gab es 264 Angriffe auf palästinensische Bewohner – der höchste Wert seit Aufzeichnungsbeginn!
Die Kapitalisten sehen in der Vertreibung der Palästinenser ein Geschäftsmodell: Kürzlich wurde aufgedeckt, dass ein dubioser israelisch-estnischer Geschäftsmann hinter einer Firma zum Ausflug hunderter verzweifelter Palästinenser nach Südafrika über Facebook-Anzeigen steckt. Der Preis: 2000 US-Dollar pro Person.
Im Libanon gibt es ebenfalls einen „Waffenstillstand“ zwischen der Hisbollah und Israel seit letztem November. Israel besetzt weiterhin Gebiete im Südlibanon und das Land steht unter konstanter Bombardierung – speziell im November mit fast täglich neuen Angriffen. Bis jetzt wurden dabei 127 Zivilisten getötet. Nach einem Luftschlag auf die Hauptstadt Beirut appellierte der libanesische Präsident Aoun an die „internationale Gemeinschaft“ hier zu intervenieren. Was stattdessen geschieht: Deutschland hebt sein Rüstungsembargo gegen Israel wieder auf und liefert jetzt u.a. wieder Getriebe für israelische Merkava-Panzer.
In Syrien hält Israel weiter Gebiete im Süden besetzt. Mit dem Zusammenbruch des Assad Regimes 2024 drang Israel bis zum Berg Hermon vor, der die syrische Hauptstadt Damaskus überblickt, und etablierte ihn als „Pufferzone“. Zurzeit hält die IDF großangelegte Truppenübungen auf den Golanhöhen, um sich auf „verschiedene Szenarien“ entlang der syrischen Grenze vorzubereiten.
Israel hat also weiterhin völlig freie Hand für Kriegstreiberei und Unterdrückung. Einerseits braucht Netanjahu ein konstantes Bedrohungsszenario, um die innenpolitische Lage in seinem Sinne zu stabilisieren. Jetzt sind zwar die Geiseln zurück, aber die Bewegung gegen Netanjahu ist damit nicht vorüber. Die Illusion der „Festung Israel“ und das Vertrauen in Staat und Regierung wurden mit dem 7. Oktober empfindlich beschädigt – und die nächsten Knesset-Wahlen stehen im Oktober 2026 an.
Doch es geht auch um die Gesamtinteressen der israelischen Kapitalistenklasse, die gut am Landraub und der Unterdrückung der Palästinenser verdient. Vor allem aber kann sie die bevorzugten Beziehungen zum US-Imperialismus nur dann halten, wenn Israel seine militärische Dominanz in der Region bewahrt und zeigt. Dem gegenüber stehen die Interessen anderer regionaler Mächte. In einem hochrangigen Besuch des Saudi-Arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman bei Präsident Trump im Weißen Haus etwa wurde eine weitreichende Zusammenarbeit beschlossen. Saudi-Arabien wird der erste arabische Staat, der eine Kaufberechtigung für F-35 Kampfjets neben Israel bekommt. Zusammenarbeit im Nuklearbereich, seltene Erden für die USA und 70.000 Nvidia KI-Chips für die Saudis stehen unter anderem auf der Liste. Trump versucht die US-Beziehungen zu Saudi-Arabien zu stärken. Unter US-Dominanz sollen Israel und Saudi-Arabien die Beziehungen normalisieren, um das prekäre Kräftegleichgewicht im Nahen Osten aufrechtzuerhalten und den Iran und vor allem den chinesischen Einfluss zurückzudrängen.
Um den „Friedensplan“ vor Ort zu überwachen und die Hamas zu entwaffnen (was diese bisher kategorisch ablehnt), soll eine „Internationale Stabilisierungstruppe“ (ISF) eingesetzt werden. Das Problem: Niemand will Truppen bereitstellen! Bis jetzt haben sich nur Indonesien und Aserbaidschan dazu bereit erklärt. Die Wut der Massen gegen die Genozid-Komplizenschaft des westlichen Imperialismus hindert die USA, Frankreich und Co an der Teilnahme. Trump hofft auf die benachbarten arabischen Staaten – sie wollen aber nicht von ihrem Volk als Gefängniswärter der Palästinenser angesehen werden. Eine so offensichtliche Kollaboration mit Israel würde das Ende dieser bereits verhassten Regimes bedeuten. Israel lehnte währenddessen klar die Beteiligung von Katar und der Türkei ab, da besonders letztere ihr regionaler Rivale mit eigenen imperialistischen Ambitionen ist.
Auch die EU will hier mitmischen und eine Führungsrolle beim Aufbau einer neuen Polizeitruppe im Gazastreifen spielen. Das passiert über die bereits im Westjordanland etablierte „EU Police Mission in the Palestinian Territories“ (EUPOL COPPS). Mittelfristig wollen sie etwa 3.000 Polizisten ausbilden. Auch Österreich wird hier wahrscheinlich Polizeibeamte stellen, wie in der Vergangenheit schon zweimal passiert.
Am 18. November wurde Trumps Gaza-Plan letztendlich vom UN-Sicherheitsrat abgesegnet. Unter den 15 Mitgliedern sprachen sich 13 für den Plan aus – Russland und China enthielten sich, wofür sich Trump ausdrücklich bei ihnen bedankte. Dass sie ihr Veto-Recht nicht genutzt haben, um die geplante Kolonialverwaltung Gazas unter Trump zu verhindern, zeigt ihr wahres Gesicht: Sie sind kein „progressives Gegengewicht“ zum westlichen Imperialismus, wie es die Anhänger der Theorie der „Multipolarität“ in der Linken gerne behaupten, sondern verraten in ihren Taten die Sache des palästinensischen Volkes zugunsten ihrer eigenen imperialistischen Interessen, welche in stabilen (Geschäfts-)Beziehungen zu Israel und den arabischen Regimes im Nahen Osten liegen.
Die Palästinenser selbst haben in all dem nichts zu sagen. Sie sind nur Kleingeld im grausamen Spiel der imperialistischen Mächte. Doch der Nahe Osten ist ein Pulverfass. Das Schicksal der Palästinenser bewegt Millionen Menschen auf der ganzen Welt – insbesondere im arabischen Raum. Waffenstillstand, „Friedensplan“ und Normalisierungsbestrebungen drohen mit der nächsten sozialen Explosion hinweggefegt zu werden und der nächste Aufschwung der Palästinabewegung wird keine reine Wiederholung des Bisherigen. Der einzige Weg zur Befreiung ist der Kampf gegen den Kapitalismus und Imperialismus: Aus den Generalstreikbewegungen in Italien und Spanien und besonders der Blockade der Hafenarbeiter haben die Massen gelernt, dass sich das Kämpfen wirklich lohnt, wenn es sich gegen die eigenen Herrschenden richtet, die in der ein oder anderen Art und Weise Komplizen in der Unterdrückung und im Völkermord sind. Diese Lektionen gilt es zu verinnerlichen, um uns für die kommenden Kämpfe vorzubereiten.