Ohne Demokratie kein Sozialismus, ohne Sozialismus keine Demokratie. Dieses Prinzip wird in der JUSO kaum bestritten. Dass die Begriffe Demokratie und Sozialismus aber mit unterschiedlichem Inhalt gefüllt werden können, wurde an der JUSO-Jahresversammlung vom 17. und 18. März 2012 offensichtlich. Über 300 JungsozialistInnen hatten sich in Bern zusammengefunden und nach einer langen und kontroversen Diskussion ein Diskussionspapier zur Frage der Demokratie verabschiedet.
Die Geschäftsleitung (nachfolgend GL) der Juso Schweiz lancierte mit ihrem Positionspapier „Für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – Entwurf einer neuen, radikalen Demokratie“ bereits im Dezember 2011 das Hauptdiskussionsthema der Jahresversammlung. Ziel des Papiers und der Diskussion sollte sein, innerhalb der Jungpartei „einen demokratischen Prozess einzuläuten, der darauf zielt, eine lebhafte Diskussion über Demokratie zu lancieren sowie ein Demokratieverständnis in der Partei zu verankern, das als Fundament für künftige Projekte dienen kann.“ (Alles zu finden auf www.radikaledemokratie.ch)
Zur lebhaften Diskussion und reger Beteiligung am demokratischen Prozess im Vorfeld kam es dann auch. So wurden zwei Gegenpapiere, eines von der marxistischen Funke-Strömung (Link zum PDF), sowie ganze 76 Seiten Anträge eingereicht. Das zweite Gegenpapier war eine Reaktion auf den Gegenentwurf des Funkes und stellte offen den Versuch dar, die Positionen der verschiedenen Strömungen unter einen Hut zu bringen. Dabei bestand das Papier je nach Berechnungen zwischen 60% und 80% aus Abschnitten des Funke Papiers. Der „Entwurf einer sozialistischen Demokratie“ erhielt daher rasch die Bezeichnung als Gutenberg-Papier.
Diese Antragsflut zeugt zum einen von der Aktualität des Themas in der Partei muss aber wohl zu weiten Teilen auf den fehlerhaften Entwurf der GL zurückgeführt werden. So wies dieser neben inhaltlichen, viele strukturelle Mängel auf und machte einen ziemlich zusammengeschusterten Eindruck (Beispielsweise ging der ganze Teil über die Demokratisierung des Finanzsektors vergessen).
An der Versammlung selber wurde dann auch über eine modifizierte Fassung der GL diskutiert, welche aufgrund des Druckes der zwei linken Gegenpapiere bereits klar nach links tendierte. Aufgrund des enormen Volumens der Anträge und des gewählten Vorgehens, wurden erst rund 4 Stunden lang die Anträge ans GL Papier diskutiert. Die Tatsache das rund 300 Personen über einzelne Sätze und Wörter diskutierten verlangte von den Delegierten ein hohes Mass an Ausdauer. Die folgende, ungefähr einstündige Debatte über die Gegenpapiere und die Schlussvoten wurden daher zu einer ziemlich nervenaufreibenden Angelegenheit.
Schlussendlich setzte sich das modifizierte und angepasste Dokument der GL mit 94 gegen 65 Stimmen, bei 8 Enthaltungen gegen den Kompromissvorschlag durch. Zuvor wurden die bereinigten Papiere „Für eine sozialistische Demokratie“ und „Entwurf einer sozialistischen Demokratie“ einander gegenübergestellt. Der Vorschlag des Funke unterlag dabei mit 63 zu 92, bei 19 Enthaltungen.
Fehlende ideologische Klarheit
Verglichen mit der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz und ihren Schwesterparteien in Europa steht die Juso Schweiz sehr weit links. Das modifizierte Papier der Geschäftsleitung rund um den Präsidenten David Roth zeichnet sich durch eine kämpferische und konfrontative Rhetorik aus. Diese Haltung entspricht auch klar der gegenwärtigen Mehrheit in der Juso Basis. So waren Anträge welche zu einer Rechtsverschiebung geführt hätten ziemlich chancenlos. Punkte wie der EU-Beitritt oder die Verwendung von „unvollendeter, bürgerlicher Demokratie“ anstatt „Scheindemokratie“ wurden durchs Band abgeschmettert. Eindrücklich wurde dieser Linkstrend auch bei der Frage des Titels bewiesen. Der schwammige Begriff der radikalen Demokratie wurde von einer grossen Mehrheit durch sozialistische Demokratie ersetzt.
Mit dem Dokument „Für eine sozialistische Demokratie“ versuchte die Funke-Strömung einen klaren Gegenentwurf zu den dennoch verbreiteten Illusionen und Hoffnungen in die bürgerliche Demokratie zu präsentieren. Das Papier kritisierte die Widersprüche des bürgerlich-demokratischen Systems der Schweiz scharf und stellte die Frage der Demokratisierung der Gesellschaft in einen wirtschaftlichen und internationalen Zusammenhang. Es stellte die Frage des Privateigentums an Produktionsmitteln und die klare Orientierung auf die lohnabhängige Klasse ins Zentrum im Kampf für eine sozialistische Demokratie. Dazu wurden Beispiele aus der aktuellen Krise zur Frage der Rätedemokratie und zu den Aufgaben von SozialistInnen in den sozialen Bewegungen weltweit verwendet.
In diesen Bereichen liegen die grössten Mängel der GL Position. So werden Politik und Wirtschaft immer noch als scheinbar unabhängige, sich gegenüberstehende Felder betrachtet. In der Politik gelte es die Deutungshoheit gegenüber der neoliberalen Ideologie zu erreichen. Dass die Vorherrschaft der sozialistischen Ideen nur durch einen konsequenten Kampf gegen die herrschende Klasse und das Privateigentum erreicht werden kann, wird nicht zu Ende gedacht. Dieser Kampf um die Befreiung der Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung kann nicht nur auf der ideellen Ebene geführt werden sondern sprengt zwangsweise an einem bestimmten Punkt den Rahmen der bürgerlichen Demokratie. Die Vergesellschaftung der Banken und der Ressourcen ist richtig und korrekt. Dass die herrschende Klasse sich diese aber nicht durch schöne Worte oder eine Volksinitiative wegnehmen lassen werden, ist offensichtlich.
Diese Mutlosigkeit und fehlende Klarheit zog sich durch die ganze Debatte: Orientierung auf die 99% Unterdrückten, partizipative Demokratie am Arbeitsplatz durch Abschaffung der Aktiengesellschaften und Stärkung der Genossenschaften, Einführung einer Stimmpflicht (wurde von einer klaren Mehrheit rausgestrichen), Forderung nach 11 Kantonen, Internationalismus als Stärkung und Demokratisierung der internationalen Institutionen.
Als Fazit lässt sich sagen, dass sich die Mehrheit der Delegierten hinter eine Position gestellt hat, die zwar in Worten radikal den Kapitalismus angreift, die Schlüsse daraus aber ungenügend zieht. Demokratie wird eher als formelles System von Rechten und Pflichten gesehen, als ein lebendiger, emanzipatorischer Prozess.
Erfolgreiche Intervention der marxistischen Strömung
Obwohl die Diskussion mit zunehmender Dauer immer mühsamer wurde und der Lärmpegel zunahm, war es eine gute und bis am Schluss politische Debatte. Die marxistische Strömung nahm aktiv daran teil. Zahlreiche GenossInnen intervenierten zu den Papieren und verteidigten das Funke-Dokument gegen die teilweise harten Angriffe besonders von der GL. Die GenossInnen der marxistischen Strömung wurden dabei als „orthodoxe, marxistische Dogmatiker“ bezeichnet. Der Versuch der GL den Funke in die Ecke der Sektierer zu drängen fand seinen Höhepunkt im Schlusspladoyer gegen das Funke-Papier. Die GL war sich nicht zu schade, mit Rosa Luxemburg gegen das Funkepapier ins Felde zu ziehen und es als historisch starr und verstaubt zu denunzieren.
Das zweite Gegenpapier, die abgeschwächte Funkeversion, wurde von der GL noch härter attackiert. Auffallend war, dass die GL oftmals nicht wirklich politisch inhaltlich argumentierte, sondern gerade die Gutenbergdebatte gespickt war von persönlichen Nadelstichen, wobei der Vorwurf des Ideenklaus und des Opportunismus extrem ausgeschlachtet wurde. Nach der Niederlage des eigenen Papiers erklärte die marxistische Strömung ihre kritische Unterstützung für den Kompromissvorschlag.
Am Ende der Diskussion zu den Papieren unterstrich der Funke in einer Intervention die Wichtigkeit einer demokratischen und politischen Auseinandersetzung. Gerade der ehrliche und offene Kampf der unterschiedlichen Ideen und der Respekt vor Positionen der Minderheiten sei die Essenz einer sozialistischen Demokratie. Dieser Beitrag wurde mit von den Delegierten mit grossem Applaus entgegen genommen.
Fazit
Die Intervention der marxistischen Strömung war ein Erfolg, auch wenn es nicht zu einer Mehrheit gereicht hat. Die GL korrigierte ihr Dokument stark nach links. In der modifizierten Fassung waren ganze Abschnitte, wie beispielsweise zum bürgerlichen Staat aus dem Funkedokument eingefügt worden. Auch die Verfassung eines zweiten Gegenpapiers aufgrund des Funke Entwurfes ist ein klarer Erfolg. So nahm es die Funkeströmung diesen GenossInnen nicht übel, dass sie ihr Papier mehrheitlich kopierten, kritisierten sie aber für die fehlenden Teile.
Ein Drittel der Jusos sucht eine klare revolutionäre Alternative und ist offen für marxistische Ideen. Die Juso Schweiz hat an der JV eine Möglichkeit verpasst die Idee des demokratischen Sozialismus auf ein stabiles marxistisches Fundament zu bauen. Aber nur mit einem solchen Fundament lässt sich das Ideal einer demokratischen Gesellschaft, „in der Menschen nicht wegen ihrer Meinung, ihres Geschlechts oder ihrer sozialen Herkunft weniger Freiheiten haben als andere, sondern alle frei, gleichberechtigt und selbstbestimmt sind“, gegen die herrschende Klasse durchsetzen. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Diskussionen innerhalb der Juso weiterentwickelt.
Die Funke-Redaktion (Schweiz)