Das krisengeschüttelte Griechenland befindet sich in einer vorrevolutionären Situation. Am 12. Februar demonstrierten Hunderttausende in ganz Griechenland gegen die reaktionäre Sparpolitik, die dem Land von der Troika (EU, EZB, IWF) aufgezwungen wird. Von Alan Woods
Griechenland konnte eine Staatspleite und den Rausschmiss aus dem Euro nur abwenden, indem es im Gegenzug zu einer Finanzspritze im Umfang von 130 Mrd. € ein massives Sparpaket akzeptierte. Diese Maßnahmen ließen den Zorn in der Bevölkerung hoch kochen: Lohnkürzungen, Arbeitsplatzvernichtung im öffentlichen Dienst, Kürzungen bei den Pensionen werden den Lebensstandard weiter nach unten drücken. Dabei sind 4 Jahre Rezession in der griechischen Gesellschaft in Form von steigender Arbeitslosigkeit, niedrigen Löhnen und einer explodierenden Armut schon schmerzhaft spürbar. Viele Beschäftigte warten noch dazu seit Wochen wenn nicht Monaten auf einen Lohn. Der Mindestlohn wurde um 22% gekürzt, jener für unter 25-jährige sogar um 32%. 150.000 Jobs im öffentlichen Dienst werden bis 2015 abgebaut. Davon wird nahezu jeder griechische Haushalt betroffen sein. Die Last der Steuererhöhungen trifft voll und ganz die Lohnabhängigen und das Kleinbürgertum. Die Superreichen haben längst große Teile ihres Vermögens außer Landes gebracht. Die Stimmung in der Bevölkerung schwankt zwischen Verzweiflung und Zorn. Die Geduld der Menschen ist am Ende.
Am 12. Februar, als das Parlament dieses letzte soziale Kettensägenmassaker verabschieden sollte, war der Siedepunkt erreicht. Eine riesige Demonstration belagerte das Parlamentsgebäude.
Staatliche Repression
Die Proteste begannen in Athen, breiteten sich aber schnell auf Thessaloniki, Patras, Rhodos und Heraklion aus. Auf Kreta wurde die TV-Station besetzt. In vielen Städten wurden Rathäuser und lokale Regierungsgebäude besetzt.
Der bürgerliche Staatsapparat reagierte mit unvorstellbarer Gewalt. Neben Tränengas- und Schlagstockeinsatz fuhren Polizisten sogar mit Motorrädern in die Menge. Die DemonstrantInnen kämpften entschlossen zurück und bewarfen die Polizei mit Steinen und Molotow-Cocktails. Das waren bei weitem nicht nur “gewaltbereite Anarchisten”, wie es die Medien darstellen. Viele von ihnen waren gewöhnliche Jugendliche, die sich gegen die Provokationen der Polizei verteidigten. Die Innenstadt von Athen glich einem Schlachtfeld.
Am Tag darauf wurden Büros mehrerer Parlamentsabgeordneter, die für das Sparpaket stimmten, sowie ein Parteilokal der rechtsextremen LAOS verwüstet. Die Regierung versucht dies auszuschlachten und stellt sich als einzige Alternative zum “Chaos” dar.
Premierminister Lucas Papademos, der sich selbst noch keiner Wahl gestellt hat, erklärte, dass “Vandalismus und Zerstörung in einer Demokratie keinen Platz haben dürfen.” Diese Feststellung strotzt nur so vor Heuchelei, denn die Gewalt ging gezielt vom Staatsapparat aus.
Das Sparpaket wurde letztlich durch das Parlament gepeitscht. Das wird aber die Krise nicht beenden, sondern weiter vertiefen. Der Prozess ist nicht mehr zu stoppen.
Politische Krise
Die Regierung warnte davor, dass bei Nichtannahme des Sparpakets “das Land in ein desaströses Abenteuer stürzen” würde. Das Ergebnis wäre “unkontrollierbares wirtschaftliches Chaos”.
Das stimmt wahrscheinlich auch. Trotzdem lehnt die Bevölkerung diese Politik in ihrer überwältigenden Mehrheit (90% laut Umfragen) ab. Diese Stimmung findet ihren Ausdruck in einer schweren politischen Krise. Sechs Regierungsmitglieder sind bereits zurückgetreten. Die rechtsextreme LAOS entzog der Regierung “der nationalen Einheit” ihre Unterstützung. Alle Regierungsparteien sind tief gespalten. Die PASOK schloss 22 Abgeordnete aus der Partei aus, weitere 9 Abgeordnete bekommen ein Disziplinarverfahren, weil sie sich enthalten haben. Die konservative ND musste 21 Abgeordnete ausschließen. Insgesamt gibt es bereits 64 “wilde” Abgeordnete, die von ihren Parteien ausgeschlossen wurden.
All das zeigt, dass das Parlament nicht den Willen der Bevölkerung repräsentiert. Sowohl die PASOK als auch die ND verlieren laut Umfragen immer mehr an Unterstützung. Die PASOK liegt demnach nur noch bei 8-9%.
Doch selbst dieses Sparpaket löst die Probleme Griechenlands nicht. Selbst wenn alle Maßnahmen umgesetzt werden, dann wird dadurch das Schuldenniveau nur auf 136% des BIP gesenkt (von vormals 160%). Deutschland scheinen diese Maßnahmen weiterhin zu wenig. Berlin fordert ein von allen Parteien unterzeichnetes Abkommen, das garantieren soll, dass die Sparpolitik auch nach den für April geplanten Wahlen weitergeführt wird. Außerdem sollen die griechischen Staatsfinanzen unter die Kontrolle der EU gestellt werden, damit die Gläubiger zuerst bezahlt werden und dann erst Geld für Pensionen, Spitäler usw. ausgegeben werden kann. Früher oder später wird das Land gezwungen sein die Eurozone zu verlassen, darin sind sich alle ernsthaften Kommentatoren einig. Längst sind die Notfallspläne für eine Rückkehr zur Drachme fertig.
Die Troika wollte, dass die Regierung der “nationalen Einheit” bis Ende des Jahres die Regierungsgeschäfte führt. Doch schon jetzt bröselt diese auseinander. Neuwahlen sind nun für April vorgesehen. Der Wahlausgang ist derzeit unmöglich vorauszusehen, aber das Ergebnis wird eine weitere instabile Koalitionsregierung unter Führung der ND sein, die sich wohl oder übel den Sparvorgaben verschreiben wird. Diese Situation wird den Klassenkampf erst recht anheizen.
Eine vorrevolutionäre Situation
Die klassischen Bedingungen für eine revolutionäre Situation sind heute in Griechenland gegeben, mit Ausnahme, dass keine revolutionären Partei existiert, die bereit ist die Arbeiterklasse zur Macht zu führen.
Die herrschende Klasse ist eindeutig in der Krise und hat keinen Ausweg aus der Sackgasse anzubieten. Ihre führenden Persönlichkeiten zeigen sich unentschlossen und ohnmächtig. Sie sehen sich eingezwängt zwischen dem gnadenlosen Druck des internationalen Kapitals auf der einen Seite und dem Widerstand der Massen auf der anderen Seite.
Der Hass auf die Banker und die Reichen ist allgegenwärtig. Selbst die Mittelschichten (Beamte, Taxifahrer, Kleingewerbetreibende), die ebenfalls vom sinkenden Lebensstandard massiv betroffen sind, sind längst erfasst von dieser Stimmung, die immer wieder in Rebellion umschlägt. Das Kleinbürgertum schwankt in dieser Situation nicht zwischen Bourgeoisie und Proletariat, sondern sieht sich unter dem Druck der Krise gezwungen den Weg der Revolution einzuschlagen.
Wie steht es um die Arbeiterklasse? In den letzten beiden Jahren legte sie eine enorme Kampfbereitschaft und Entschlossenheit an den Tag. 17 Generalstreiks, Massendemos, Besetzungen, usw. – Was soll man von den ArbeiterInnen noch verlangen?
Es stimmt allerdings auch, dass die letzten beiden Generalstreiks kein großer Erfolg waren. Bedeutet das, dass die ArbeiterInnen nicht mehr bereit sind zu kämpfen? Bedeutet es, dass sich die ArbeiterInnen mit dem „Unvermeidlichen“ abgefunden haben, und dass die Bourgeoisie ein notwendiges soziales Gleichgewicht herstellen könnten wird? Das Gegenteil ist der Fall: In Griechenland wurde das alte soziale und politische Gleichgewicht völlig zerstört und es wird auch nicht so schnell wieder hergestellt werden.
Wie erklärt sich dann die schwache Beteiligung am letzten 48-stündigen Generalstreik? Die Antwort ist sehr einfach: Die griechischen ArbeiterInnen haben verstanden, dass ein- oder zweitägige Generalstreiks nichts bringen. Es kann schon Situationen geben, in denen Massenstreiks und Großdemos die Regierung zu einer Kursänderung zwingen können, aber in Griechenland existieren derzeit sicher nicht die Bedingungen dafür. Die Krise ist zu tief. Die Bürgerlichen haben keinen Spielraum für Manöver. Außerdem wird ihnen die Linie ohnedies von Berlin und Brüssel vorgegeben.
Die Gewerkschaftsführung versteht den Ernst der Lage nicht. Auch wenn sie sich ständig als Realpolitiker ausgeben, sind sie doch völlig blind für das tatsächliche Ausmaß der Krise. Sie leben in einer Vergangenheit, die nicht mehr wiederkehren wird. Mittels der Generalstreiks wollten sie ihre Stärke demonstrieren und den Bürgerlichen einige Kompromisse abringen. Doch die Bürgerlichen ließen sie einfach anrennen.
Die Taktik der eintägigen Generalstreiks hatte auch die Funktion Dampf abzulassen. Diese Form des Generalstreiks ist in Wirklichkeit eine Demonstration. Der Sinn in dieser Protestform liegt darin, dass die Klasse mobilisiert wird, und in diesem gemeinsamen Auftreten erkennt sie ihre kollektive Stärke, was ihr Selbstbewusstsein stärkt. Das ist die positive Seite eines eintägigen Generalstreiks. Wiederholt man diese Taktik aber immer wieder, ohne dass sie Erfolge liefert, werden die ArbeiterInnen dadurch ermüdet. In jedem Streik verlieren sie Lohn, ihr politisches Ziel erreichen sie aber nicht. Sie kommen zu dem Schluss, dass es andere Kampfformen braucht.
An diesem Punkt kommt der Frage der Führung eine ganz entscheidende Rolle zu. Eine rein gewerkschaftliche Kampfperspektive reicht nun nicht mehr aus, weil das Problem kein gewerkschaftliches sondern ein zutiefst politisches ist. Es handelt sich um eine Frage, die im Kampf Klasse gegen Klasse, ArbeiterInnen gegen KapitalistInnen, Arm gegen Reich gelöst werden muss: Letztendlich steht damit die Frage der Staatsmacht auf der Tagesordnung.
Die einzige Möglichkeit den Kampf weiterzuführen, liegt in einem unbefristeten Generalstreik zum Sturz der Regierung. Damit würde die Arbeiterklasse die Machtfrage stellen. Die Linksparteien und ihre Führungen sind aber nicht bereit diese Frage zu stellen.
Es ist unmöglich eine Krebserkrankung mit Aspirin zu heilen. Die einzige Medizin, die in Griechenland heute das Los der lohnabhängigen Bevölkerung verbessern kann, ist eine Linksregierung, die bereit ist die Banken und die Schlüsselsektoren der Wirtschaft in gesellschaftliches Eigentum zu überführen und die Basis für eine geplante Wirtschaft, die von der Arbeiterklasse demokratisch kontrolliert und verwaltet wird, zu legen.
Diese Linksregierung muss sich weigern die Staatsschulden zu zahlen, denn nur so kann die griechische Wirtschaft aus dem Würgegriff durch das Kapital befreit werden. Dieser Schritt muss Hand in Hand gehen mit der Einführung eines staatlichen Monopols auf den Außenhandel. Drastische Maßnahmen müssen gegen die SpekulantInnen und all jene getroffen werden, die ihr Vermögen ins Ausland transferiert haben.
Das sind die Grundvoraussetzungen für eine Lösung der Krise in Griechenland. Die historische Erfahrung zeigt aber, dass ein einziges Land sich nicht isoliert vom Weltmarkt entwickeln kann. Ein sozialistisches Griechenland müsste sich vom ersten Tag an an die europäische Arbeiterklasse wenden, damit auch diese das Joch der kapitalistischen Herrschaft abschüttelt und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa, die auf den Prinzipien der Gleichheit und der Solidarität basieren, kämpft.
Die Tatsache, dass die Arbeiterklasse heute noch nicht die Machtfrage stellt, ist einzig und allein auf das Fehlen einer politischen Führung zurückzuführen, die eine sozialistische Perspektive verfolgt. Die Parteien links von der PASOK (Synaspismos, KKE und die Demokratische Linke) haben laut Umfragen zusammen über 40%. Das zeigt, dass die ArbeiterInnen von den Linksparteien am ehesten eine Antwort auf ihre Probleme erwarten, doch die sektiererische Taktik (vor allem der KKE) verhindert bislang eine Einheitsfront der linken Parteien. Selbst am 12. Februar riefen die KKE und ihre Gewerkschaftsorganisation PAME zu einer eigenen, getrennten Demonstration auf. In der gegenwärtigen Situation braucht es eine Aktionseinheit gegen die Politik der herrschenden Klasse und eine genuine sozialistische Alternative! Nur so können die Regierung der nationalen Einheit und die bürgerlichen Parteien besiegt werden. Das ist der einzige Weg vorwärts für die ArbeiterInnen in Griechenland und in ganz Europa.