Mehr als 100.000 Arbeiter in annähernd 150 Betrieben nahmen an den bis zu 24 h dauernden Warnstreiks teil. Die Bewegung der Metallarbeiter war bei weitem noch nicht erschöpft, trotzdem wurde am 1.12. ein neuer Kollektivvertrag unterzeichnet, der deutlich unter dem genannten Minimum blieb. Emanuel Tomaselli über die Lehren der Streikbewegung.
Um 5% sind die Aktien des Metallkonzerns voestalpine nach der Beendigung des Metallerarbeitskampfes in der 8. Verhandlungsrunde am 1.12. in die Höhe geschnellt. Die Finanzspekulanten wissen: Sie werden profitieren.
Gleichzeitig sind die von uns befragten Betriebsräte und auch viele Arbeiter mit dem Abschluss zufrieden. Angesichts der eingangs gebotenen 2,5% wird der erreichte Lohnausgleich von 10% bis zu einer Bruttolohnsumme von 4.000€ als gewerkschaftlicher Erfolg gewertet. In den höheren Lohnkategorien der Arbeiter und insbesondere der Angestellten wird jedoch mit der Deckelung des Lohnausgleiches auf 400€ ein deutlicher Reallohnverlust festgeschrieben. 4.000 € brutto (ca. 2.700 netto) und darüber sind keine Luxusbezüge. Generell wehren wir uns gegen die sich einschleichende Ansicht, dass Löhne so etwas wie Sozialleistungen seien, um die besonders Einkommensschwachen zu unterstützen. Damit sind jedoch noch längst nicht alle Haken und Ösen benannt.
Die Gewerkschaft PRO-GE hat in diesem Abschluss einer so genannten Öffnungsklausel zugestimmt, was den Unternehmern unter bestimmten Bedingungen erlauben soll, Löhne 3% unter dem KV-Abschluss zu bezahlen. Noch im Oktober erklärte die PRO-GE, warum Öffnungsklauseln ein No-Go sind:„Öffnungsklauseln würden genau das löchrig machen, was in Österreich die flächendeckend gute Situation der Beschäftigten ausmacht: branchenweit gültige Kollektivverträge. (…) Eines der Grundprinzipien der branchenweiten Kollektivverträge in Österreich ist, dass die wirtschaftliche Konkurrenz von Unternehmen nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer:innen ausgetragen wird. Jede Verschiebung in Richtung Betriebsebene würde dazu beitragen, kollektivvertragliche Mindeststandards in Frage zu stellen und den Druck auf Betriebsrat und Belegschaft, z.B. schlechtere Löhne zu akzeptieren, um die wirtschaftliche Position des Betriebes zu verbessern, massiv erhöhen.“
Jetzt hat sie genau einem solchen Konstrukt zugestimmt. Die Rahmenbedingungen dafür stehen noch nicht einmal fest, diese werden jetzt „von den Wirtschaftsforschern“ festgelegt.
Der Kollektivvertrag soll außerdem für 2 Jahre gelten, es gibt also nächstes Jahr keine Verhandlungen (und somit planmäßig auch keine Streiks). Das schwächt die Kampfdynamik, lockert den Kollektivvertrag und es herrscht „Ruhe“ für die kommende Regierungsbildung im Wahljahr 2024.
Zusätzlich bekamen die Unternehmer seitens der Regierung Zusagen, dass diese etwas „bei den Lohnnebenkosten“ tun werde. Metaller-Boss Knill:
„Die Bundesregierung ist nun aufgerufen, rasch Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes umzusetzen. Wir erwarten uns konkret eine deutliche Senkung der Lohnnebenkosten und eine stärkere Inflationsbekämpfung, denn nur so ist dieser Abschluss für die Branche auf Sicht zu finanzieren.“
Insgesamt ergibt sich folgendes Bild: den (teilweisen) Inflationsausgleich an die Arbeiter holen sich die Unternehmen gleichzeitig durch die Aushöhlung des Kollektivvertrages und durch zugesagte Kürzungen bei den Sozialbeiträgen gleich wieder mit der anderen Hand zurück. Dieser Abschluss ist eine Mogelpackung. Es ist beschämend, dass die Chefverhandler dieses Papier unterschrieben, statt den rollenden Arbeitskampf angeheizt haben.
Die Ausgangslage
In den Lohnverhandlungen geht es im Kern immer um das eine: ob die Werte, die die Arbeiter erschaffen, als höhere Profite in die Taschen der Unternehmer fließen, oder ob die Arbeiter einen höheren Anteil davon als Lohn ausgezahlt bekommen.
Höhere Löhne bedeuten niedrigeren Profit und umgekehrt. Die 1.200 Metallbetriebe verdienten im abgelaufenen Jahr hervorragend, sie erzielten Rekordgewinne und schütteten viel Geld an ihre Eigentümer aus. Warum? Die Produktion lief auf Hochtouren, die erhöhten Preise der Vorprodukte konnten leicht auf die eigenen Erzeugnisse abgewälzt werden, der Staat subventioniert ständig die Unternehmen (Energiepreise, Coronahilfen, Förderungen im Namen des „Klimaschutzes“), und Löhne hinken zeitlich hinter der Inflation her. So kam es, dass die explodierenden Gewinnspannen bis in die erste Jahreshälfte 2023 sogar ein Hauptfaktor der Inflationsentwicklung in Österreich waren (Studie Österr. Nationalbank).
Die Gewerkschaften PROGE und GPA setzten sich als bescheidenes Ziel, die letztjährige Teuerung („rollierende Inflation“) nachhaltig, also ohne Einmalzahlungen, auszugleichen – dies gelang mit einer durchschnittlichen Steigerung von 8,6% nicht. Bei einer Inflation von 9,6% forderten sie eingangs 11,6%.
Dabei wurden folgende Faktoren von vornherein gar nicht berücksichtigt: die historisch hohen Profite der Unternehmen, der „Facharbeitermangel“, die ständig steigende Ausbeutung der Arbeiter. Die moderate Forderung wurde als „kaufkraftsichernd und damit stabilisierend für die Volkswirtschaft“ argumentiert.
Seit dem Frühjahr bricht die Konjunktur ein und die wirtschaftlichen Unsicherheiten für die Unternehmer nehmen zu. Die Unternehmer wollen also keineswegs ihre Riesenprofite der letzten Jahre schmälern, sondern im Gegenteil die Krise auf die Arbeiter abladen. Statt dieses faule Spiel offen auszusprechen und sich dem zu widersetzen, thematisierte die Gewerkschaft dies gar nicht.
Stattdessen führt der ÖGB (im Einklang mit der SPÖ, die man sich in die Regierung zurückwünscht) die hohe Inflation auf die falsche Politik der österreichischen Bundesregierung zurück. Ihre Schlussfolgerung ist: Wir kämpfen nicht mit Streiks um höhere Löhne, sondern hoffen, dass eine neue Regierung (mit SPÖ-Beteiligung) unsere Probleme durch „Politik von oben“ lösen wird.
Wir teilen weder diese Analyse noch die Schlussfolgerung, dass der Klassenkonflikt durch die Integration der Gewerkschaften in die kommende Regierung gemildert werden kann.
Wir Kommunisten sagen: Es ist nicht „falsche Politik“, sondern der Kapitalismus, der Krisen wie die Teuerung hervorbringt, und eine kampffähige Arbeiterschaft ist das einzige Schutzschild dagegen. Und genau eine solche Kampffähigkeit versuchen die Unternehmer zu untergraben.
Die Streikbewegung
Nach 12 Jahren ohne Streiks wollten die Unternehmer es heuer wieder wissen. Die einbrechende Konjunktur ist ein guter Zeitpunkt, die Kampffähigkeit der Arbeiterbewegung auf die Probe zu stellen. Betriebsversammlungen in bis zu 400 Betrieben und zwei Warnstreiks in bis zu 150 Betrieben zeigen, dass die Kampfkraft der Gewerkschaft nominell tatsächlich etwas gefallen ist (2012 streikten zwischen 160 und 200 Betriebe).
Dafür sind zwei Gründe festzumachen: Im Vergleich zu 2012 versuchte die PRO-GE, die Streikbewegung in einem noch engeren Rahmen zu halten. Sie verzichtete etwa auf jede mobilisierende Rhetorik und führte im Vorfeld keine breitere Strategiedebatte. Selbst das Forderungsprogramm war dem Verhandlungsteam nicht bekannt, bevor es in der ersten Verhandlungsrunde vom Vorsitzenden in der Wirtschaftskammer gelüftet wurde.
Die Streiktage waren nicht gebündelt, sondern über mehrere Tage gestreckt, sodass die einzelnen Betriebsstreiks eng vom Gewerkschaftsapparat geleitet werden konnten und die Arbeiter in ihrer Gesamtheit nicht wussten, an welchem Tag sie loslegen sollten. Damit wurde verhindert, dass die Streiks spontan von einem Betrieb zum anderen springen konnten, wie es 2011 etwa in der Obersteiermark und Kärnten der Fall war. Auch auf eine zentrale von den Gewerkschaften koordinierte Demonstration wurde verzichtet, man hielt die Streiks voneinander isoliert.
Ein zweiter Grund liegt im aggressiven Verhalten der Unternehmer, die seit geraumer Zeit gegen Betriebsräte und Arbeiter einschüchternd vorgehen (wir berichteten im Funke 218). In einigen Betrieben wurden Betriebsräte rausgeekelt, in anderen sind sie unter dem ständigen Druck eingeknickt, haben es aufgegeben eine Gegenmacht zu sein und schwimmen wie tote Fische den Bach runter. Dies wurde auch in der Streikbewegung schlagend.
Beim Autozulieferer ZKW in Wieselburg organisierte das Management eine einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts, um den Arbeitskampf für illegal zu erklären. Anstatt diesen Angriff auf die Streikfreiheit mit doppelter Gewalt zurückzuschlagen (welches Gericht soll 2.600 streikende Arbeiter aufhalten können?) akzeptierte der Betriebsrat unter Anleitung der PRO-GE das Verbot und sagte den Arbeitskampf ab, um stattdessen in einen Gerichtsprozess zu ziehen. Um den Streik bei EVVA in Wien zu unterbinden, gab der Eigentümer der Belegschaft einen Tag Sonderurlaub und sprach heftige Drohungen aus. Die Kundgebung vor dem Betrieb blieb eine blutleere Medienshow für die Topführung der Gewerkschaft (und Andreas Babler).
Der Bremsenhersteller Knorr sperrte die streikende Belegschaft aus, sie organisierte stattdessen eine Spontandemo durch Mödling. Hier ist ein kämpferischer Betriebsrat am Werk, der sich auf ein eingespieltes Team von klassenbewussten Arbeitern stützt. Weitere Demos wurden von den Belegschaften von Bosch in Hallein und Engel in Steyr organisiert und durchgeführt.
Funke-Unterstützer nahmen solidarisch an den Aktionen teil und nutzten die politisierte Stimmung in den Betrieben für Zeitungsverkaufsaktionen. Wir nahmen dabei wahr, dass die Kampfbereitschaft in den Belegschaften mit jedem Tag gestiegen ist.
„Politische Lösung“ ist Sackgasse
Schon auf den Betriebsrätekonferenzen wurde deutlich, dass die Gewerkschaft auf eine „politische Lösung“ des Arbeitskonfliktes abzielt, sprich eine Lösung „von oben“, statt durch einen direkten Arbeitskampf gegen die Unternehmer.
Die Involvierung der Politik folgte den Verhandlungen auf Schritt und Tritt. Es waren regierungsnahe Wirtschaftsforscher (etwa Gabriel Felbermayr vom WIFO), die hinter den Kulissen den Unternehmern abrangen, den Gewerkschaften ein „gesichtswahrendes“ Abkommen zu unterbreiten. Dies ließen sie sich teuer abkaufen, wie der oben beschriebene Abschluss bezeugt.
Was wir im September geschrieben haben, wird unter den neuen Bedingungen noch wichtiger: „Der einzige Weg nach vorne ist die Solidarität, die Überwindung jeder Spaltung. (…) [Die Arbeiter] müssen mutig sein, und zwar auch in den Betrieben, wo es die Betriebsräte nicht sind. Sie müssen vertrauensvolle Beziehungen unter den Kollegen in ihrer Schicht und Abteilung herstellen, um eine starke Streikfront aufzubauen.“
Wir müssen die Lehren aus diesem Streikherbst ziehen: Angesichts der kapitalistischen Krise tun die Unternehmer alles, um ihre Profite zu retten und die Arbeiter zahlen zu lassen. Die gewerkschaftliche Strategie „politische Lösungen“ anzuschieben, ist eine Sackgasse. Mit diesem KV-Abschluss wurde die Ausgangslage für alle Branchen und Betriebe verschlechtert.
Es braucht eine kampffähige Gewerkschaft, die nicht davor zurückschreckt, die Profite direkt anzugreifen und die volle Solidarität der Arbeiter auch organisiert.
Dazu ist es notwendig, dass Arbeiter eine Gegenmacht in den Betrieben aufbauen, als Basis für eine klassenkämpferische Strömung in den Gewerkschaften. Wir laden alle Metallarbeiter, die dieser Analyse zustimmen, ein, sich der kommunistischen Organisation „Der Funke“ anzuschließen.
(Funke Nr. 219/06.12.2023)
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