Privater Gesundheits- & Sozialbereich. In der 3. Verhandlungsrunde wurde am 27.11. der SWÖ-Kollektivvertrag ohne wirkliche Arbeitskampfmaßnahmen abgeschlossen. Mit 9,2% liegt er zwar leicht über der rollierenden Inflation, von einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten kann aber keine Rede sein. Eine Analyse von Sarah Ott.
Der Abschluss hinkt den viel weitreichenderen Forderungen deutlich hinterher und ist in letzter Konsequenz nur eine weitere vertane Chance auf echte Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Sozial- und Gesundheitsbereich. Nach dem 3-Jahresabschluss 2020, der für 2022 keine Lohnerhöhung, sondern nur eine einstündige Arbeitszeitverkürzung vorsah und dem miserablen Abschluss im letzten Jahr, ist dieser Abschluss nur ein weiteres billiges Abspeisen der Beschäftigten.
Dabei hatten unzählige Betriebe bereits Streikbeschlüsse gefällt und waren dabei Streiks zu organisieren. In Tirol war eine gemeinsame Aktion mit den Beschäftigten im Handel und im Metallbereich geplant. Diese Dynamik wurde durch den voreiligen und unzureichenden Abschluss durchbrochen. Es bedeutet ein weiteres einzementieren der ohnehin schon 22% unter dem Schnitt liegenden Löhne und Gehälter. Dass es auch keinen Mindestbetrag für Lohnerhöhungen gibt (die Forderung war 400€), ist ein weiterer Schlag ins Gesicht für die Beschäftigten der unteren Verwendungsgruppen, für die die Teuerung besonders schlagend ist. Der Mikrowarenkorb, der die Güter des täglichen Bedarfs umfasst liegt 2023 bisher bei 12%!
Somit ist der Abschluss wieder ein Reallohnverlust, der die Lebensbedingungen weiter verschärft und die mickrigen Verbesserungen im Rahmenrecht können nicht darüber hinwegtäuschen. Mit weiteren öffentlichen Aktionen und Streiks wäre jedenfalls deutlich mehr erreichbar gewesen.
Rede von Funke-Unterstützerin und Betriebsrätin Sarah bei der österreichweiten SWÖ-Betriebsrätekonferenz im November 2023.
Dass den 27. Stimmen für den Abschluss im Verhandlungsteam auch 16 Gegenstimmen gegenüberstehen zeigt, dass auch hier durchaus Zweifel an der Richtigkeit des Abschlusses bestehen. Generell scheint es aber Gewerkschaftsstrategie gewesen zu sein, möglichst wenig Dynamik aufkommen zu lassen. Der im Sommer vom Bundesausschuss beschlossene Aktionsplan konnte in regionalen BR-Konferenzen nur abgesegnet, aber nicht substantiell geändert werden. Es gelang lediglich in Wien eine zusätzliche öffentliche Aktion unter Einbeziehung der Beschäftigten noch vor der 3. Verhandlungsrunde durchzusetzten. Der Aktionsplan bot von Anfang an viel zu wenig Mobilisierungsmöglichkeiten, die lange Pause zwischen den Verhandlungen trägt zu einer passiven Haltung bei, wenn sie nicht aktiv für Aktionen genutzt wird. Es geht nur darum möglichst hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, anstatt die KollegInnen von Anfang an einzubinden und selbstbestimmt zu kämpfen.
Leider hatten es einige Betriebsräte im Verhandlungsteam auch verabsäumt, selbst diesen zögerlichen Aktionsplan umzusetzen und in ihren Betrieben Streikbeschlüsse zu organisieren. Sie waren dann der Ansicht, die Streikbereitschaft der Beschäftigten wäre nicht ausreichend. Eine solche Vorgehensweise ist inakzeptabel.
Das Verhandlungsteam griff auch nicht die langjährige Forderung nach einer Urabstimmung über das Verhandlungsergebnis auf, durch die Beschäftigte selbst entscheiden könnten, ob sie mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden sind oder weiterkämpfen wollen.
Der diesjährige SWÖ-Abschluss hat abermals gezeigt, dass die bisherige Gewerkschaftspolitik der Stellvertreterlogik, der Verhandlungen und Abschlüssen hinter verschlossenen Türen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten nicht verbessern, ja nicht einmal aufrechterhalten kann.
Die Lehren ziehen
Wir müssen die vollen Lehren aus diesen Erfahrungen ziehen: Was es braucht, ist ein mutiger Kampfplan, der bei einer österreichweiten Betriebsrats- und Aktivistenkonferenz noch vor den Verhandlungen breit diskutiert und dann entschlossen in den Betrieben vorbereitet wird. Solche Kampfmaßnahmen müssen mit anderen verhandelnden Branchen koordiniert werden. Und bevor ein Abschluss unterzeichnet wird, braucht es eine Urabstimmung.
Das heißt nichts anderes als eine völlig neue Gewerkschaftspolitik. Denn es ist klar, dass eine solche Vorgehensweise nicht von der derzeitigen Gewerkschaftsführung organisiert werden wird.
Es braucht eine Gewerkschaftsopposition, die sich systematisch echte Kampfmaßnahmen und die Demokratisierung der Entscheidungsprozesse innerhalb der Gewerkschaft auf die Fahnen schreibt und sich bereits im Frühjahr in Vorbereitung auf das kommende Jahr organisiert.
Eine solche Gewerkschaftsopposition ist bei den vielen kritischen Betriebsräten im Bereich bereits angelegt. Es gibt Basisorganisationen und Aktionsgruppen, in denen kämpferische BetriebsrätInnen und Beschäftigte bei Konferenzen gemeinsame Anträge einbringen und das Wort ergreifen, oder auch eigene öffentliche Aktionen und sogar (teilweise wilde) Streiks organisieren. Diese Ansätze gilt es auf systematische Beine zu stellen. Und zwar als schlagkräftige Opposition gegen die Art, wie Gewerkschaftspolitik im Moment gehandhabt wird, um der Gewerkschaftsbürokratie reale Kampfmaßnahmen unter der Kontrolle der Beschäftigten entgegensetzen zu können.
(Funke Nr. 219/06.12.2023)