Was Liberale als Sexarbeit schönreden, ist und bleibt ein unreformierbares Unterdrückungsverhältnis.
Wien. Seit Monaten gehen beim Problemdreieck Anrainer-Politik-Polizei die Wogen hoch, wenn in der öffentlichen Diskussion das Reizwort Prostitution fällt. Dabei geht es in der aktuellen Debatte weniger um Prostitution an sich als vielmehr um den Ort, an dem sie angeboten wird. Es ist der Stadtregierung zunehmend lästig, dass Frauen und Männer ihre Körper des nächtens auch in Wohngebieten feilbieten, und darum soll die Straßenprostitution aus diesen öffentlichen Räumen verbannt werden. Im Idealfall sollte sich ohnehin alles im Bordell abspielen. So erklärte etwa SPÖ-Landesrätin Frauenberger im vergangenen Winter noch, dass man schnell handeln müsse, noch „bevor es wärmer wird“ und die Prostitution sich wieder vermehrt draußen abspielt, um Maßnahmen zur Verschiebung oder gar Verhinderung der Straßenprostitution zu ergreifen. Diese Diskussion erinnert an das „Sandler-Verbot“, das in einigen Städten Österreichs Gegenstand wilder Debatten in den entsprechenden politischen Gremien ist. Gemeinsam haben beide Forderungen, dass sie gar nicht die Absicht verfolgen, das Phänomen Prostitution zu hinterfragen, sondern es schlicht aus dem Bewusstsein der Bevölkerung – quasi „aus den Augen, aus dem Sinn“ – bringen wollen.
Vorarlberg. Im westlichsten Bundesland ticken die Uhren anders. Prostitution gibt es hier offiziell nicht und spielt sich hauptsächlich in geschätzten 75 Geheimbordellen ab. Nicht, dass käuflicher Geschlechtsverkehr hier prinzipiell verboten wäre: Die Landesverfassung gibt es den jeweiligen Gemeinden frei, ein Bordell auf ihrem Gebiet zu genehmigen; nur scheiterte dies bislang am Widerstand der jeweiligen GemeindevertreterInnen. Aus diesem Grund fordern die Grünen, die Kompetenz über die Bordellbewilligung in Landeshand zu übergeben, um eine Neubewertung der Prostitution zu erreichen. „Sexdienstleistungen sind Bestandteil unserer Gesellschaft, die betroffenen Frauen gehören endlich entkriminalisiert, auch in Vorarlberg“, meint die Frauensprecherin der Grünen. Ähnlich wie in Wien wird auch hier Prostitution als gegeben akzeptiert; die Grünen sehen es als ihre Aufgabe, einem Ist-Zustand – eben der „Sexdienstleistung“ als Bestandteil unserer Gesellschaft – den notwendigen gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Rahmen zu geben. Die öffentliche Hand soll der Rotlichtbranche geregelte Bedingungen schaffen.
Realität und „Realität“
Pro Nacht suchen allein in Wien 16.000 Freier die Dienste von 5.000 bis 9.000 Prostituierten auf. Nur 2.000 davon sind registriert. Die typische Prostituierte in Österreich ist weiblich, arbeitet illegal, hat keine österreichische Staatsbürgerschaft und übt ihre Tätigkeit unter persönlichem oder ökonomischem Zwang aus. Man geht davon aus, dass alleine in Europa 140.000 Frauen zur Prostitution gezwungen werden. Den meisten wird, wie eine betroffene Frau in einem Artikel der „Presse“ gegenüber berichtet, in ihrer Heimat eine „irre gute Geschichte“ erzählt. Sie, die in ihrem Geburtsland kaum eine Perspektive haben, werden mit Versprechungen wie gut bezahlte Jobs als Kindermädchen oder Friseurin nach Westeuropa gelockt. Doch dort wartet auf sie nicht das erträumte bessere Leben. Elend und Erniedrigung sind noch harmlose Ausdrücke für das, was sie in der neuen „Heimat“ tagtäglich erleiden. Viel besser geht es ihren Kolleginnen mit österreichischer Staatsbürgerschaft allerdings auch nicht. Der Schritt zur Prostitution ist auch für sie in den meisten Fällen keine Entscheidung aus freien Stücken sondern ein Resultat ökonomischer Zwänge.
Wie ist Prostitution daher zu charakterisieren? Ist Sex wirklich eine normale Arbeit angesichts der Realität, mit der Prostituierte konfrontiert sind? In der umfassendsten weltweiten Studie zur Prostitution unter der Führung der Forscherin Melissa Farley gaben 89% der Betroffenen auf die Frage „Was brauchst du?“ eine klare Antwort: „Ausstieg aus der Prostitution“. Sie gaben gleichzeitig an, dass sie keine andere Überlebensmöglichkeit hätten.
Wie ist nun also eine Politik zu bewerten, die diese Realität vollkommen übersieht – genau mit dem Argument, auf die „Realität“ eingehen zu wollen? Prostitution ist kein abstraktes Thema, sondern für tausende Menschen ein konkretes, alltägliches, existenzielles Problem. Der Terminus „Sexarbeit“ verschleiert dies, weil er vorgibt, Sex sei eine normale Arbeit wie jede andere. Angesichts des Zwangscharakters, den diese „Arbeit“ für die meisten hat, entspricht das aber offensichtlich nicht der Realität.
Auch einer wissenschaftlichen Analyse hält die Gleichsetzung von Prostitution mit Lohnarbeit nicht stand: In der Lohnarbeit wird die Arbeitskraft verkauft, nicht der Körper. Das markiert in der historischen Entwicklung der Produktionsweisen den elementaren Unterschied zwischen Sklaverei und Lohnarbeit. Man müsste schon im Einklang mit einer der monotheistischen Lehren für einen Dualismus – also die absolute Unabhängigkeit von Geist und Körper – plädieren, um auf dem Standpunkt der Gleichsetzung von Lohnarbeit und Prostitution zu bestehen. Ab diesem Moment würde man allerdings die Frage an sich wieder ins Absurde führen, da man aus dem Bereich der Wissenschaftlichkeit austritt und die Tür zur Mystik öffnet. Die Prostitution hatte niemals Eigenschaften der Lohnarbeit, sie ist vielmehr ein Überbleibsel überkommener Gesellschaftsstufen, das die Geschichte den Schwächsten der Gesellschaft aufbürdet.
Relikte des Elends
Für eine sozialdemokratisch dominierte Stadtregierung wie in Wien sowie die Grünen in Vorarlberg ist der Standpunkt zu dieser Realität daher nicht unbedeutend, stellt sich doch die Folgefrage des Menschen- und Gesellschaftsbildes der entsprechenden Partei. Wer das Phänomen Prostitution als gegeben akzeptiert und sich mit deren Verwaltung begnügt, paktiert – ob gewollt oder nicht – mit dem Menschenhandel und nimmt das Elend von tausenden Menschen, überwiegend Frauen, in Kauf. Aus marxistischer Sicht ist Prostitution qualitativ nicht anders zu bewerten als etwa Kinderarbeit oder Sklaverei. Alles sind Relikte alter Gesellschaftsformen, die die Zeit überdauert haben und nach wie vor das Elend jener, die ihnen unterworfen sind, manifestieren. Vernünftige SozialdemokratInnen und Grüne würden niemals einen gesetzlichen Rahmen für Kinderarbeit oder Sklaverei „als Bestandteil“ der Gesellschaft fordern. Ebenso widersinnig ist der Versuch, der Prostitution ein menschliches Antlitz zu geben. Untermauert wird dies durch ein weiteres Ergebnis der oben genannten Studie, wonach 71% der Befragten während der Prostitution körperlich bedroht – davon 64 mit Waffe – und 63% vergewaltigt wurden. Elend und Prostitution sind zwei Seiten derselben Münze. In welchem „normalen“ Beruf gehört die Gefahr, vergewaltigt zu werden, zu den tagtäglichen Ängsten? Prostitution schließt Elend, Gewalt und Perspektivlosigkeit mit ein. Darum gehört sie beseitigt, nicht geregelt.
Es mag eingewandt werden, dass im Kapitalismus Prostitution als Begleiterscheinung der bürgerlichen Kleinfamilie immer einen gewissen Faktor darstellen wird, und das ist korrekt. Entscheidend ist aber, ob sich die ArbeiterInnenbewegung damit abfindet oder bewusst für die Befreiung der – in diesem konkreten Fall meist weiblichen – Prostituierten kämpft.
Lukas Riepler
Organisationssekretär der SPÖ Vorarlberg
Lesetipp: „Ihr seid der moralische Rammbock“ (Broschüre)
Anlässlich des 100. Internationalen Frauentags erschien unsere Broschüre zu aktuellen Debatten zum Thema Frauenbefreiung. Sie beinhaltet die beiden Texte „Die Stärksten der Partei – Frauen in linken Organisationen“ und „Wider die Neubewertung gesellschaftlicher Barbarei – Marxismus und Prostitution“.