Mit seiner Zustimmung zum Sparpaket im steirischen Landtag hat Max Lercher den Klubzwang über die Grundsätze und Beschlüsse der Sozialistischen Jugend gestellt. Welche Lehren sollten wir aus diesem politischen Fehler ziehen? Eine Stellungnahme der Funke-Redaktion.
Max Lercher hat das Verdienst in den letzten Jahren als Landesvorsitzender die SJ Steiermark aufgebaut zu haben. Die steirische Landesorganisation gehört zweifelsohne zu den Teilen der SJ, die ein beachtliches Strukturwachstum verzeichnen konnten. Durch diese Aufbauarbeit wurde die SJ Steiermark auch für die Landespartei interessant, und Max Lercher wurde von Voves & Co. zum jungen Gesicht der SPÖ auserkoren. Die Art und Weise, wie die SJ in einem Ort nach dem anderen neue Gruppen aufbaute, passte zudem gut zu den Vorstellungen der SPÖ-Spitze, wie sozialdemokratische Jugendarbeit aussehen sollte. Bandcontests und jugendkulturpolitische Themen standen nämlich im Zentrum der Aktivitäten der SJ Steiermark.
Mit dem Einzug in den Landtag Ende September 2010 wurde diese Arbeit gekrönt. Da der rote Landeshauptmann kurz danach aber schon ein Sparpaket ankündigte, das das Land noch nie gesehen hat, musste klar sein, dass die SJ bald schon vor einer sehr schwierigen Entscheidung stehen wird. Das Grundsatzprogramm der SJ ist recht eindeutig in der Frage, wie sich die SJ in so einer Situation zu verhalten hätte: „Die durch neoliberale Politik erzeugten Finanzierungsschwierigkeiten werden von bürgerlicher Seite regelmäßig benutzt, die Finanzierbarkeit des Sozialstaats an sich in Frage zu stellen und Sozialkürzungen zu legitimieren. Die Lösung der vielzitierten „Finanzprobleme“ der Sozialsysteme erfordert allerdings in erster Linie eine Abkehr vom Neoliberalismus und nicht einen weltweiten Kürzungswettlauf.“
Die SPÖ-Spitze argumentierte natürlich ganz im Sinne der neoliberalen Doktrin: „Wenn wir jetzt nicht sparen, dann fahren wir das steirische Sozialsystem in 5 Jahren an die Wand.“ Voves, der an der Spitze einer Koalition mit der ÖVP steht, die von den Parteispitzen beschönigend als „Reformpartnerschaft“ bezeichnet wird, ließ keinen Zweifel daran, dass es im Zuge dieses Landesbudgets zu schweren Einschnitten im Sozialsystem kommen werde.
Soviel zur Ausgangslage. Was wäre also die Aufgabe der SJ in solch einer Situation, deren Folgen weit über die steirischen Landesgrenzen von Bedeutung reichen? Ein erster Schritt hätte angesichts dieser Perspektive sein müssen, dass die Gesamtorganisation dieses Thema in den Mittelpunkt ihres Interesses rückt. Der Verbandstag der SJÖ im Dezember wäre eine gute Gelegenheit dazu gewesen. Dort hätte die Verbandsführung eine Debatte starten müssen, über die Perspektiven des österreichischen Kapitalismus und die Frage der Budgetsanierung. Dort hätte auch eine ernsthafte Diskussion über die Aufgaben des Genossen Lercher im steirischen Landtag geführt werden müssen. All das blieb jedoch aus. Lediglich ein Initiativantrag der SJ Vorarlberg thematisierte diese Fragen. Es war einzig und allein die Funke-Strömung, die zum damaligen Zeitpunkt die Tragweite des drohenden Sparpakets in der Steiermark für die Arbeit der SJ erkannte. Dieser Initiativantrag wurde zwar mit leichten Abänderungen beschlossen, doch es folgten leider nicht die daraus nötigen Konsequenzen.
Auf der Grundlage des Beschlusses am Verbandstag hätte der Verbandsvorstand in Abstimmung mit der steirischen Landesorganisation eine Kampagne gegen das Sparpaket und für Vermögenssteuern organisieren müssen. Da es sich hier nicht nur um eine steirische Angelegenheit handelt, sondern das Problem der Finanzlöcher in den Bundesländern über den Finanzausgleich und den Stabilitätspaket auch eine bundespolitische Dimension hat, hätten auch die restlichen Landesorganisationen in diese Kampagne eingebunden werden müssen. Zu diesem Zeitpunkt hätten vor allem die Orts- und Bezirksgruppen der SJ Steiermark inhaltlich auf diese Auseinandersetzung vorbereitet werden müssen. In speziellen Gruppenabenden und Seminaren hätten die Ursachen der Krise, der Staatsverschuldung und eine sozialistische Alternative diskutiert werden sollen.
In der Realität verhielt man sich aber wie jemand, der auf ein Bahngleis gestellt wurde und zusieht, wie ein Schnellzug auf ihn zurast, und dabei in einem Schockzustand verharrt und sich nicht bewegt.
Was es bedeutet, gegen den Klubzwang zu verstoßen, musste Max Lercher dann schon bei der Abstimmung zur Einführung des Bettelverbots erleben. Im Standard-Interview ließ er damals schon durchblicken, dass es alles andere als leicht war gegen die Parteilinie zu stimmen: „Das war irgendwie total heavy und man hofft, dass es bald vorbei ist. Das Gefühl kann man gar nicht beschreiben.“ Auf die Frage, ob er wieder dagegen stimmen würde, wenn er etwas nicht mittragen könne, meinte er nur: „Daran möchte ich gar nicht denken, denn ich bin gestern um drei Jahre gealtert. Ich wünsche mir eine solche Situation überhaupt nicht mehr. Ich habe Vertrauen, dass wir einen guten sozialdemokratischen Weg gehen.“
Der letzte Satz in diesem Zitat zeigt auch sehr schön, wie Genosse Lercher die Sozialdemokratie sieht. Untermauert wird dies durch die Aussage in einem weiteren Standard-Interview, als er im März kurz vor der Präsentation des Sparpakets meinte: „Ich kenne den Sigi (Soziallandesrat Schrittwieser, Anm.), er wird das schon gut gemacht haben.“ In solchen Sagern drückt sich ganz offensichtlich eine gewisse Illusion in die SPÖ aus. Bei aller Freude über den Strukturaufbau der letzten Jahre muss man einfach sehen, dass dies offenbar nicht einher gegangen ist mit der Verankerung der Ideen des Grundsatzprogramms. Öffentliche Mandate oder wichtigere Funktionen im Parteiapparat sollten aber nur GenossInnen übernehmen, die in diesen marxistischen Ideen und Methoden gefestigt sind. Denn der Druck seitens der SP-Bürokratie ist zu stark.
In den letzten Jahren gab es viele Debatten über die Frage des Verhältnisses der SJ zur Partei und die Notwendigkeit eines organisierten, linken Flügels. In diesen Debatten kamen zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen an die Sozialdemokratie zum Vorschein. Zitieren wir noch einmal das Grundsatzprogramm: „Als Teil der ArbeiterInnenbewegung haben wir ein Naheverhältnis zu Gewerkschaft und Sozialdemokratie. Wir wissen, dass wir im Moment bei diesen beiden Organisationen eine seit Jahrzehnten stattfindende Verbürgerlichung und FunktionärInnen, die mit dem System Frieden geschlossen haben, feststellen können. Wir wissen, dass ohne die Kraft der ArbeiterInnenbewegung eine Umwälzung nicht stattfinden wird. (…) Die Kraft der organisierten ArbeiterInnen kann sich jedoch nur entfalten, wenn der politische Einfluss der KlassenversöhnerInnen in der ArbeiterInnenbewegung gebrochen wird. Die SJ sieht ihre Aufgabe darin, gemeinsam mit kämpferischen Teilen der ArbeiterInnenbewegung dafür zu kämpfen, dass Sozialdemokratie und Gewerkschaften wieder der Klasse gehören, von der sie in jahrzehntelangen, bitteren Kämpfen aufgebaut worden sind.“ Den sozialen und politischen Charakter der (rechts-)reformistischen SP-Bürokratie will die derzeitige SJ-Führung nicht wahrhaben. Daraus resultiert aber aus unserer Sicht eine Reihe von politischen Fehlern, verzichtet man an öffentlicher Kritik an der SPÖ usw. Will die SJ ihrem Anspruch gerecht werden, muss sie auf der Basis einer marxistischen Analyse ein Verständnis von den Phänomenen „Bürokratie“ und „Reformismus“ entwickeln. Ohne dem reduziert sie sich selbst auf die Rolle eines linken Feigenblattes für die bürgerliche Politik der Parteiführung.
Diese scheinbar so abstrakte Diskussion hat unter bestimmten Bedingungen aber enorme Auswirkungen in der politischen Praxis. Und das erlebten wir in den letzten Wochen in der Steiermark schmerzlich. Max Lercher ging dabei so weit, dass er die Argumentationslinie der SPÖ öffentlich vertrat und meinte, es gäbe keine Alternative zu diesem Sparpaket. Und das zu einer Zeit als sich längst breiter Widerstand gegen die Kürzungen formierte. Die Plattform 25 mobilisierte am 25. März 10.000 Menschen (großteils Beschäftigte aus dem Sozialbereich und deren KlientInnen sowie Jugendliche), die SJ war dort nicht präsent. Zu diesem Zeitpunkt fand es die SJ Steiermark nicht der Mühe wert auf ihrer Homepage auch nur ein Sterbenswörtchen über dieses Sparpaket zu verschwenden. So ging die soziale Bewegung völlig an der SJ vorbei. Erst als die ÖGB-Spitze zu einer Demo aufrief, war die SJ bereit ein wenig aus dem Versteck zu kommen. Doch selbst in dieser Situation wagte sie es nicht die Dinge beim Namen zu nennen und kritisierte das Sparpaket nicht. Es wurde lediglich an den Bund die Forderung nach einer Vermögenssteuer erhoben und die Forderung nach einnahmenseitigen Maßnahmen in der Steiermark (Glückspielabgabe usw.) unterstützt. Diese Politik wurde nicht nur von Max Lercher sondern auch von der Verbandsorganisation mitgetragen. Die damit verbundene Kurskorrektur stellte zwar einen kleinen Fortschritt zur vorherigen Position dar, war aber weit davon entfernt den politischen Notwendigkeiten zu entsprechen. In Wirklichkeit hätte die SJ von Anfang an in der Plattform 25 aktiv sein müssen und im Jugendbereich für die Demos gegen das Sparpaket und für eine sozialistische Alternative mobilisieren müssen. In der Plattform 25 hätte die SJ eine vorwärtstreibende Rolle spielen müssen, indem sie die Ideen und Methoden v.a. der Grünen aber auch der KPÖ-Spitze, die über den Tellerrand der bürgerlichen Demokratie nicht hinauszudenken vermag, kritisiert. Das hätte auch die Möglichkeit einer Einheitsfront mit der in der Steiermark nicht so irrelevanten KJÖ möglich gemacht. Das wichtigste wäre aber gewesen, dass sie gemeinsam mit der FSG den Kampf für eine politische Mehrheit in der Sozialdemokratie gegen das Sparpaket geführt hätte. Der Sparlogik von Voves und Schrittwieser hätte es eine politische Alternative entgegenzuhalten gegeben. Eine Alternative, die sich z.B. am Kampf der von einer linken Labour geführten Stadtregierung in Liverpool Mitte der 1980er Jahre orientieren hätte können.
Die Landeskonferenz der SJ Steiermark am 17. April hätte man genau dafür nutzen müssen. In einem Leitantrag des Landesvorstandes hätte man sich klar positionieren müssen. Auf der Konferenz hätte man betroffene BetriebsrätInnen und FSG-VertreterInnen sprechen lassen können und die Organisation auf die Großdemo am 26. April und vor allem auf die vorprogrammierten Konflikte rund um die Abstimmung im Landtag vorbereiten können. Dazu hätte der Verband bundesweit eine Kampagne in der SJ, der SPÖ und den Gewerkschaften organisieren können, um Max Lercher den Rücken zu stärken.
So blieb Max Lercher aber auf sich allein gestützt. Und das unter dem gewaltigen Druck der SPÖ-Bürokratie. Das Abstimmungsverhalten von Max Lercher widerspricht den Grundsätzen der SJ und schädigte gewaltig die Glaubwürdigkeit der SJ in der Öffentlichkeit. Dafür muss es auch politische Konsequenzen geben. Wer in einer so zentralen Auseinandersetzung den Klubzwang über die Grundsätze der SJ stellt, kann nicht hochrangiger SJ-Funktionär sein. Dieser fatale Fehler ist aber nicht nur das Versagen des Genossen Lercher sondern das Ergebnis einer verfehlten Politik der Gesamtorganisation, wie sie mit dieser Situation umgegangen ist. Es geht hier um eine Reihe von grundsätzlichen Fragen (Wie bauen wir eine starke Sozialistische Jugend Österreich auf? Wie organisieren wir die politische Schulung in unserer Organisation? Wie definiert die SJ ihr Verhältnis zur SPÖ? usw.). Dies sollte zum Anlass genommen werden eine breite, demokratische Debatte in der Gesamtorganisation zu diesen Fragen zu beginnen, in die alle Strukturen und Gremien eingebunden sind. Höhepunkt dieser Debatte sollte ein Sonderverbandstag, dem höchsten Gremium der SJÖ, sein. Durch eine kollektive Diskussion sollten wir versuchen die Lehren aus dieser Situation zu ziehen, um das politische Niveau der Gesamtorganisation zu heben und um uns auf zukünftige Bewegungen gegen Sozialabbau bzw. Konflikte mit der SPÖ-Spitze vorzubereiten.
2. Mai 2011