Vor 10 Jahren gewann in der Sozialistischen Jugend ein linkes Bündnis die Mehrheit und begann mit dem Wiederaufbau der SJ auf der Grundlage eines marxistischen Selbstverständnisses. Angesichts des bevorstehenden Verbandstages der SJÖ am 4./5. Dezember wollen wir das Projekt einer linken SJ bilanzieren und zeigen, vor welchen Aufgaben eine marxistische SJ im Jahr 2010 steht.
Werfen wir einen kurzen Blick zurück ins Jahr 2000. Die Bildung der schwarz-blauen Regierung hat damals ganz Österreich erschüttert und unzählige Menschen, vor allem Jugendliche, politisiert. Die von rechtssozialdemokratischen KarrieristInnen geführte SJÖ stand in dieser Bewegung völlig abseits und konnte dieser neuen Generation politisch nichts bieten. Das Modell einer braven Parteijugend, die in Wirklichkeit nicht viel mehr als eine sich um ein Büro gruppierende Clique darstellte, hatte ausgedient.
Durch ein breites Bündnis verschiedener linker Landesorganisationen (allen voran der SJ NÖ), die sich in einer austromarxistischen Tradition sahen, sowie der Funke- und der Stamokap-Strömung gelang es eine Mehrheit für einen politischen Kurswechsel zu bekommen und die SJÖ vor dem völligen Ruin zu retten.
Was alle Strömungen in diesem Bündnis vereinte, war der Anspruch die SJ als Massenorganisation mit Verankerung in Schulen, Betrieben, Unis und Gemeinden auf Basis der besten und kämpferischsten Traditionen der ArbeiterInnenjugendbewegung und auf der Grundlage eines marxistischen Grundsatzprogramms wieder aufzubauen. Dieses Programm ging bei allen Unschärfen und Kompromissformeln in der Tat weit über das bisherige Marxismus-Verständnis der SJ hinaus, was nicht zuletzt auch ein Ergebnis der Arbeit der Funke-Strömung war (siehe die Broschüre „Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück – Analysen und Anträge der Marxistischen Tendenz zur Grundsatzprogrammdiskussion der SJÖ“). Die historisch gewachsene Vielfalt in Theorie und Praxis stellte in diesen Jahren keinen Hemmschuh für die politische Organisationsentwicklung dar sondern befruchtete vielmehr im Sinne eines Wettbewerbs der Ideen den Aufbau der SJ. Ein offenes Klima, wie es Andreas Kollross als Verbandsvorsitzender förderte, erlaubte demokratische Debatten zwischen den verschiedenen Strömungen, und auf dieser Grundlage gelang es allen Meinungsdifferenzen und Konflikten zum Trotz in wichtigen Fragen die Einheit in der politischen Praxis herzustellen (z.B. Anti-WEF-Proteste, Antifa). Der solidarische Umgang mit den Strömungen zeigte sich nicht zuletzt in der finanziellen Unterstützung für die SJ Vorarlberg, die Pfingstseminare der Funke-Strömung oder die Herausgabe des Buches „Aufstand der Vernunft – Marxistische Philosophie und moderne Naturwissenschaften“. Und das obwohl die SJÖ damals die Schuldenberge der Vergangenheit abbauen musste.
Opposition gegen Schwarz-Blau
Erleichtert wurde diese Aufbauarbeit natürlich durch die Tatsache, dass die SJ seitens der SPÖ, die sich in diesen Jahren in der Opposition befand, relativ viel Spielraum hatte. Die strukturelle Einbindung in die Sozialdemokratie, die seit jeher der Radikalität der SJ Grenzen gesetzt hat, war unter diesen Bedingungen nicht so sehr als Hemmnis spürbar. Dazu kam, dass die handelnden Personen an der Spitze der SJ dem damit verbundenen Druck auch standzuhalten vermochten.
Diese Mischung machte die SJ für Tausende Jugendliche in ganz Österreich wieder attraktiv. Dies zeigte sich in steigenden Mitgliedszahlen, im Aufbau vieler neuer Strukturen und in beachtlichen TeilnehmerInnenzahlen bei großen Veranstaltungen. Die Nachfolger von Andreas Kollross schafften es aber nicht diese Dynamik im Organisationsaufbau beizubehalten. Der wachsende Einfluss der Funke-Strömung v.a. in Wien wurde Mitte des Jahrzehnts von Teilen der SJ-Führung auch zusehends als Bedrohung wahrgenommen. Das solidarische Miteinander der Strömungen ging trotz allen Lippenbekenntnissen zum „linken Bündnis“ weitgehend verloren. Die Verwaltung der bisherigen Aufbauarbeit ersetzte zusehends den Anspruch eine Kampforganisation aufzubauen, die in sozialen Bewegungen und Klassenauseinandersetzungen eine vorwärtstreibende Rolle spielt. Initiativen wie antifaschistische Demos oder die Veranstaltung mit Hugo Chávez in der Arena mussten gegen den anfänglichen Widerstand der Verbandsführung durchgesetzt werden.
Wendepunkt Große Koalition
Wie schon im Jahr 2000 sollte nach der Nationalratswahl 2007 aber einmal mehr ein Wendepunkt in der objektiven Situation der SJÖ politische Dynamik geben. Die Funke-Strömung stellte schon Monate vor den Wahlen die Perspektive einer SPÖ-Minderheitsregierung auf der Grundlage eines sozialistischen Programms und unter der Kontrolle der mobilisierten ArbeiterInnen- und Jugendbewegung zur Diskussion. Unmittelbar nach den Wahlen machte die neu gewählte Verbandsführung die Losung nach einer Minderheitsregierung zur offiziellen Linie der SJÖ. Die Kampagne rund um diese Perspektive erhielt in den Reihen der ArbeiterInnenbewegung ein beachtliches Echo. Als die SPÖ dann doch eine Koalition mit der ÖVP bildete und ihre wichtigsten Wahlversprechen aus reinem Machtkalkül über Bord warf, stand die SJ plötzlich an der Spitze des Protests. In dieser Situation bestand erstmals die Möglichkeit einen organisierten linken Flügel in der Sozialdemokratie zu schaffen. Der massive Zuspruch für die Initiative „Wir sind SPÖ“ zeigte welches Potential es dafür geben würde.
Doch an diesem kritischen Punkt, an dem die linke SJ Geschichte schreiben hätte können, wurden die unzähligen Fäden der (auch materiellen) Abhängigkeit der SJ von der SPÖ spürbar. Eine SPÖ in der Regierung musste sich die rebellische Jugendorganisation, die ihr in Zeiten von Schwarz-Blau gute Dienste geleistet hat, wieder genauer zur Brust fassen. Eine wesentliche Voraussetzung, um die SJ wieder unter Kontrolle zu bekommen, war, dass sie von ihrem radikalsten Teil gesäubert wurde. Es ist wohl kein Zufall, dass genau in diese Phase der Putsch in der SJ Floridsdorf und die offenen Angriffe gegen die Funke-UnterstützerInnen in der SJ Wien fallen.
Die veränderten politischen Rahmenbedingungen wurden, wie von uns immer vorhergesagt, in der Folge Schritt für Schritt in der täglichen Praxis der SJÖ spürbarer. Zu bemerken ist seither ein schleichender politischer Rechtsruck. Zwar wurde nicht das marxistische Grundsatzprogramm revidiert, doch in der täglichen Praxis stand nicht mehr das Ringen um eine Positionsentwicklung eben auf der Grundlage dieses Programms sondern der Versuch einer „Realpolitik“, die eine offene Konfrontation mit der SPÖ-Spitze tunlichst meidet. Dies zeigte sich ganz offen in der passiven Haltung der SJ gegenüber der SchülerInnenbewegung gegen die Angriffe der roten Bildungsministerin auf die LehrerInnen oder in der Positionierung gegenüber der Asylpolitik der Bundesregierung, wo die SJ die Forderung für ein allgemeines Bleiberecht als „unrealistisch“ ablehnt. Auch lehnte die SJÖ-Führung bisher alle Angebote ab, am Aufbau einer organisierten SPÖ-Linken mitzuwirken, und startete lieber die „Denkfabrik“, deren Ziel es sein soll, die SPÖ-Spitzen davon zu überzeugen, dass linke Ideen doch viel vernünftiger sind. Wobei beim Antragskongress der „Denkfabrik“ sogenannten ExpertInnen teilweise das Feld überlassen wurde, die in diesem Rahmen – von der SJ-Spitze unwidersprochen – bürgerliche Politikkonzepte präsentieren konnten. Zu begrüßen ist jedoch die derzeitige Kritik der SJ an der SPÖ-Führung aufgrund ihres Umfallers bei den Verhandlungen zum Sparpaket. Zu recht wird auf den Bruch der Bundesparteitagsbeschlüsse hingewiesen und weiterhin die Vermögenssteuer gefordert. Es bleibt zu hoffen, dass die SJ in dieser Frage konsequent alle kritischen Stimmen in der Partei zum Protest gegen die Parteiführung bündelt.
Widersprüche zwischen Theorie und Praxis
Das „linke Bündnis“ stellte zweifelsohne einen großen Schritt vorwärts dar und rettete die SJ als Kampfinstrument für die Jugend vor der Liquidierung durch vom Postmodernismus infizierte JungbürokratInnen. Auch wenn wir diese Aufbruchphase in der „Ära Kollross“ positiv bilanzieren, so muss uns doch bewusst sein, dass eine Reihe von politischen Schwächen auch in diesen Jahren reproduziert wurde.
Die Auseinandersetzung mit marxistischer Theorie war eine nur sehr oberflächliche und beschränkte sich in der Regel auf EinsteigerInnenseminare und die Wiedergabe der Schulungskonzepte von Josef Hindels. Eine eigenständige Theoriearbeit wurde in der SJ weitgehend vernachlässigt. Die Ausbildung eines politischen Kaders in der besten Tradition der ArbeiterInnenbewegung und im Sinne von GenossInnen, die über das politische Niveau verfügen, um selbständig Initiativen setzen, eine führende Rolle in Bewegungen spielen und auch ein demokratisches Regulativ in der Organisation bilden zu können, wurde abgelehnt und künstlich dem Konzept einer Massenorganisation gegenüber gestellt. Der marxistische Ansatz hingegen bestünde in der dialektischen Auflösung der beiden, wonach das eine ohne das andere letztlich nicht möglich ist.
Eine genauere Analyse der Organisationsentwicklung der SJ auch in ihren stärksten Bundesländern, wo über jugendkulturelle Aktivitäten (Skate-Contests, Bandwettbewerbe,…) zwar viele Jugendliche organisiert und Ortsgruppen gegründet werden, diese aber mangels politischer Kader auch bald wieder zusammenbrechen, zeigt diese Schwäche sehr offen auf. MarxistInnen haben diese Formen der Jugendarbeit nie abgelehnt, sie stellen natürlich wichtige Mittel bei der Organisierung von Jugendlichen dar, doch sollten sie nicht zum Selbstzweck verkommen. Außerdem steigerte sich durch die Konzentration auf diese Jugendkulturschiene die materielle Abhängigkeit von der SPÖ, die diese Arbeit aus eigenen Überlegungen durchaus gerne sieht. Die Landesparteien und viele Ortsparteien haben natürlich – gerade in Wahlkämpfen – ein Interesse am Aufbau der SJ, deckt diese doch ein Segment ab, das die Partei in ihrer staatstragenden Rolle nicht übernehmen kann. Für die materiellen Zuwendungen seitens der SPÖ macht die gegenwärtige SJ-Führung politische Zugeständnisse, indem sie die Themen, wo sie auch die eigene Partei offen kritisieren müsste, ausspart. In vielen Fällen erfolgt der Organisationsaufbau daher auf Sand und gerät nicht selten in Widerspruch zum Anspruch eine marxistische Jugendorganisation sein zu wollen.
Diese instabile Organisationsentwicklung wird verstärkt durch die Art und Weise wie Kampagnen und Medienaktionen organisiert werden. Die Hauptamtlichen touren mit vorgefertigten Kampagnenkonzepten, die nicht gerade wenig Geld verschlingen, durch die Lande und verstehen sich als Service für die Ortsgruppen. Ein nachhaltiges Aufbaukonzept ist mit diesen Kampagnen aber meist nicht verbunden. Was vor 10 Jahren mangels lebendiger Strukturen als Starthilfe im Aufbau der Organisation fast schon eine Notwendigkeit war, hat mit den Jahren ein komisches Eigenleben entwickelt, das an den tatsächlichen Bedürfnissen einer marxistischen SJ vorbei geht.
Eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle in der Sozialdemokratie unterblieb in all den Jahren ebenfalls weitgehend. Ein politisches Verständnis für die Phänomene Bürokratie und Reformismus, das Voraussetzung für eine wissenschaftlich korrekte Verortung der Sozialdemokratie wäre, wurde bestenfalls ansatzweise geleistet und gehört mit Sicherheit zu den Punkten im Grundsatzprogramm, die nie in Herz und Blut übergegangen sind. Die in weiten Teilen der SJ ziemlich unkritische Aufarbeitung des Austromarxismus, des Roten Wien und in jüngster Zeit sogar die Idealisierung der Ära Kreisky verstärkt dies noch.
Die SJ und die Krise
In den letzten Jahren wurden die inhaltlichen und methodischen Schwächen des „linken Bündnisses“, die von den UnterstützerInnen der Funke-Strömung auch immer in Form solidarischer Kritik vorgebracht wurden, mehr und mehr zur Richtschnur in der Arbeit der SJ. Die relative Klassenkampfruhe in Österreich in den letzten Jahren hat diese Tendenz natürlich noch verstärkt. Wo es aber zu größeren sozialen Bewegungen kam, spielten SJlerInnen dann doch immer eine wichtige Rolle. Das war so in der SchülerInnenbewegung, bei den Uniprotesten, bei den Protesten gegen Abschiebungen und die rassistische Asylpolitik sowie bei der Demonstration gegen das derzeitige Sparpaket der Regierung.
Dies zeigt, dass noch längst nicht entschieden ist, welchen Weg die SJ in der kommenden Periode gehen wird. Zu stark ist noch immer die Idee einer linken, marxistischen SJ verankert, als dass es zu einem Rechtsruck ähnlich wie Anfang der 1990er Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer kommen könnte.
Die Krise des Kapitalismus, die bereits in einer Reihe von Ländern gewaltige Klassenkämpfe ausgelöst hat und auch den „sozialen Frieden“ in Österreich nachhaltig erschüttern wird, wird ihr Übriges dazu tun, dass die SJ nicht so ohne weiteres wieder zu einem braven Nachwuchsverein der SPÖ verkommen kann. Dass dies aber nicht konfliktfrei ablaufen wird, scheint vorprogrammiert. Die jetzige Führung, die ein gewisses Naheverhältnis zur SPÖ-Führung pflegt, wird den Bestrebungen, die SJ wieder in konsequenter Opposition zur bürgerlichen Politik der SPÖ-Führung zu positionieren, Widerstand entgegensetzen. Weitere bürokratische Repressionen werden da nicht ausbleiben. Doch eins ist klar: Angesichts der Krise sind die Methoden, mit denen die SJ in den letzten Jahren aufgebaut wurde, unzureichend, wenn es darum geht die sozialen und politischen Interessen der Jugend zu verteidigen, geschweige denn, wenn das Ziel es ist, den Kapitalismus auf dem Misthaufen der Geschichte zu entsorgen. Der Widerspruch zwischen marxistischem Anspruch und reformistischer Praxis wird unter diesen Bedingungen immer offensichtlicher werden.
Der bevorstehende Verbandstag hat die Aufgabe die gesamte Organisation gerade vor diesem Hintergrund politisch vorzubereiten, damit die SJ geschlossen in den bevorstehenden Kämpfen und Bewegungen eine führende Rolle einnehmen kann. Die Erarbeitung einer marxistischen Perspektive, auf der die SJ zu einer kämpferischen Massenorganisation der arbeitenden und der sich in Ausbildung befindlichen Jugend werden kann, ist dabei von vorrangiger Bedeutung.
Die Funke-Strömung wird sich in den kommenden Wochen genau dafür in der SJ stark machen. Wir rufen alle marxistischen SJlerInnen aber auch alle linken Jugendlichen, die heute noch nicht in der SJ organisiert sind, gemeinsam mit uns für den Aufbau einer klassenkämpferischen, revolutionären SJ einzutreten.
Die „Funke“-Redaktion