Alfred Gusenbauer ist nicht länger Bundesparteivorsitzender der SPÖ, darf aber seinen Sandkastentraum weiterleben und (noch ein wenig) Kanzler bleiben. Neuer SPÖ-Vorsitzender soll Verkehrsminister Werner Faymann werden, Gusis Intimvertraute Doris Bures muss wieder die Bundesparteigeschäftsführung übernehmen. Was als Lösung der Probleme und als „Neuaufstellung der Partei“ gepriesen wird, ist in Wahrheit nur ein Zeichen für die ausgeprägte Realitätsverweigerung der sozialdemokratischen Parteispitze.
Die Argumentation für diese Rochade an der Parteispitze ist altbekannt: „Wir müssen die Ergebnisse unserer Regierungspolitik besser kommunizieren.“ Mit anderen Worten: Wir bleiben auf Kurs, werden uns aber überlegen müssen, wie wir der eigenen Basis und den WählerInnen diese bittere Pille doch schmackhaft machen können. Ende der 1990er Jahre gehörten solche Äußerungen zum Standardrepertoire von Viktor Klima und seinem Spin-Doktor Herrn Rudas, die mittlerweile beide für ihr Verdienste bei der schleichenden Zerstörung der Sozialdemokratie mit fetten Managerposten in namhaften Konzernen (VW, Magna) belohnt wurden.
Alfred Gusenbauer wurde nach der schwarz-blauen Wende von den Parteigranden ins Rennen geschickt, damit er eine Abkehr von diesem an Blair und Schröder orientierten „Dritten Weg“ einleite. In der Opposition gegen den aggressiven Kurs des von Schüssel geführten Bürgerblocks war diese Aufgabe leicht zu erfüllen. Doch wieder in Regierungsverantwortung (wie unter Kanzler Klima in einer Koalition mit der ÖVP) bröckelte der rote Lack schnell wieder ab und zum Vorschein kam ganz ungeschminkt der wahre Charakter der Politik der sozialdemokratischen Parteiführung. Diese ist in Wahrheit durch und durch bürgerlich. Die Sozialdemokratie steht heute für einen Reformismus ohne Reformen bzw. der aktiven Mitwirkung an Konterreformen.
Die wahre Ursache für die Krise der Sozialdemokratie, die ja nicht nur ein österreichisches Phänomen ist, liegt genau darin, dass es eine unüberwindbare Kluft zwischen der bürgerlichen Politik der Parteiführung und den sozialen Interessen der sozialdemokratischen Basis in den Betrieben und Arbeitervierteln gibt. Hierin liegt die Erklärung für den derzeitigen Niedergang von „New Labour“, der SPD und eben auch der SPÖ. Die Wahlergebnisse und Umfragetiefs dieser so traditionsreichen sozialdemokratischen Massenparteien lassen keinen Zweifel über die Folgen des Scheiterns des rechtssozialdemokratischen Kurses aufkommen.
Die Clique um Alfred Gusenbauer will das aber genauso wenig wahrhaben wie ihre deutschen und britischen „GenossInnen“. Sie zeichnen sich durch eine Form der Realitätsverweigerung aus, die fast schon an die einer Marie Antoinette heranreicht, welche den hungernden, nach Brot verlangenden Massen im Frankreich des Jahres 1789 den guten Ratschlag gab doch Kuchen zu essen.
Gusenbauer, Faymann oder die neue alte Bundesparteigeschäftsführerin Doris Bures stehen zwar im Gegensatz zu den aus der Wirtschaft kommenden Quereinsteigern Vranitzky und Klima für den Typus des sozialdemokratischen Politprofis, der sich von der SJ langsam in der Partei hochgedient hat, doch ihre Abgehobenheit ist deshalb nicht viel weniger ausgeprägt. Seit frühen Jugendjahren haben diese Sprösslinge aus Arbeiterfamilien alle Karten auf eine Karriere in der „Bewegung“ gesetzt. Die Lebensrealität solcher Cliquen, die in ihren Organisationsbüro ihre eigene Welt leben, ist in Wahrheit grundverschieden von jener eines Fabrikarbeiters oder einer Supermarktkassiererin, die trotz alledem noch der SPÖ ihr Kreuzerl geben.
Werner Faymann will nach der gestrigen Präsidiumssitzung aber genau im Sinne dieser Schichten „Positionen einschärfen“ und nennt dabei die klassischen roten Themen (Pensionen, Teuerung, Beschäftigung, Gesundheit). Es fällt einem doch ein wenig schwer, sich Faymann in der Rolle als linke Spitze in der neuen Aufstellung vorzustellen. Gilt er doch als der ideologiefreie Technokrat und Pragmatiker schlechthin, als letztes glaubwürdiges Angebot an die ÖVP, dass man es mit der Zusammenarbeit in der Regierung doch ernst meine. Selbst wenn es nach der verqueren Logik ginge, dass Gusenbauer in der Regierung weiterhin die Politik der Schwarzen machen soll, und der Parteivorsitzende die sozialdemokratischen Grundwerte hochhält, hätte kein schlechterer Kandidat als Faymann gefunden werden können. Doch dieses Problem sei nicht unseres…
In Wahrheit gibt es nun zwei mögliche Szenarien. Entweder die ÖVP setzt nach ihrer angekündigten „Neubewertung“ die Koalition fort, weil die SPÖ inhaltlich auf Kurs bleibt und es ihr nicht schaden kann, wenn sich die Sozialdemokratie noch weiter diskreditiert. Oder sie spürt, dass nebst den Personalrochaden tatsächlich aus der Löwelstraße ein neuer Wind weht, was die Umsetzung zentraler Reformen (Pensionsautomatik,…) unmöglich macht, was ihr endlich den Vorwand für einen Ausstieg aus der Großen Koalition liefern würde.
Die ersten Aussagen deuten nicht wirklich darauf hin, dass sich an der Regierungspolitik der SPÖ irgendetwas ändern würde. Die Selbstzufriedenheit der Clique rund um Gusenbauer scheint grenzenlos. Sie will es lieber damit versuchen, der eigenen Basis ihre besondere Sicht der Dinge einzutrichtern. Dieses Vorhaben wird aber keinen Erfolg zeitigen. Die schmerzhafte Höhe der Rechnung im Supermarkt oder an der Tankstelle wiegt nämlich schwerer für das Bewusstsein der Lohnabhängigen als die zu erwartenden Schönfärbereien von Faymann und Bures, die uns weismachen wollen, dass das Glas nicht halbleer sondern halbvoll ist.
Mit dieser „Veränderung“ könnte die ÖVP sicher leben. Doch nach dem Sommer wird die SPÖ wieder an ihren Taten gemessen werden. Und dann stehen die wahren Brocken an (Pensionsreform, Steuerreform, Teuerung,…). Jedes einzelne dieser Themen stellt eine Hürde dar, die diese Regierung kaum zu nehmen imstande sein wird. Außer die Sozialdemokratie geht den Weg der Selbstzerstörung sehenden Auges weiter.
Die SPÖ geht derzeit in Siebenmeilenstiefeln den Weg der britischen Labour Party und der SPD. Die Wahlschlappen in Niederösterreich und Tirol schon nach einem Jahr Großer Koalition zeigen, dass die Sozialdemokratie Gefahr läuft zur 20-Prozent-Partei zu verkommen. Was Gordon Brown und Kurt Beck derzeit nach zehn Jahren der Abnützungserscheinungen durch Regierungsarbeit ihrer Parteien zu verwalten haben, macht die SPÖ scheinbar im Eilzugsverfahren durch.
Der gestern vom SPÖ-Präsidum beschrittene Kurs soll am Bundesparteitag spätestens Anfang Oktober abgesegnet werden. Dieser Parteitag darf keine Jubelshow werden. Das formal höchste Gremium der Partei muss Ort gelebter demokratischer Debatten über die Zukunft der Sozialdemokratie werden. Ab sofort müssen in allen Sektionen, Ortsparteien und sonstigen Parteistrukturen die Diskussionen über die Linie der Parteispitze und die Politik der Regierung geführt und Anträge an den Bundesparteitag für einen linken Kurswechsel gestellt werden. Die Basis muss sich endlich zu Wort melden und ihre Interessen zum Ausdruck bringen.
Wer die österreichische ArbeiterInnenbewegung heute vor dieser Todeskrise bewahren will, wer ihre besten Traditionen vor ihren selbstgefälligen Masseverwaltern retten will, dem bleibt heute nur ein Weg, auch wenn dieser steinig erscheint: Aufbau einer starken Linken in SJ, SPÖ und Gewerkschaft, die konsequent die Interessen der Lohnabhängigen und der Jugend verteidigt und für ein rasches Ende der Großen Koalition und der Sozialpartnerschaft eintritt.
Überlassen wir die ArbeiterInnenbewegung nicht den Gusenbauers, Faymanns und Häupls! Holen wir uns die Partei zurück! Geben wir den Lohnabhängigen wieder eine Stimme und ein Kampfinstrument!