Die aktuell herrschende Inflation ermöglicht einen beispiellosen Angriff der Bürgerlichen auf unseren Lebensstandard. Eine marxistische Analyse der Inflation von Norbert Stern und Theresa Kerschbaum.
Das Thema der Inflation jagt seit einigen Monaten wie ein Schreckgespenst durch die kapitalistische Wirtschaft. Auf der ganzen Welt destabilisieren die hohen Teuerungsraten das politische System. Die Regierungen in Kasachstan und Sri Lanka waren die jüngsten Opfer der Inflation, aber sicher nicht ihr letztes. Auch in Österreich haben die Preissteigerungen mit Stand Juli mit 9,3% ihren höchsten Wert seit 1975 erreicht. Wenn wir einen beispiellosen Reallohnverlust erfolgreich bekämpfen wollen, ist es zuerst notwendig, die Ursachen der Inflation zu verstehen.
Bild: Eigene Grafik.
Wert und Profit
Unter Inflation versteht man einen allgemeinen Anstieg der Preise von Waren. Dabei ändert sich das Verhältnis von Waren und Geld und es ist mehr Geld notwendig, um dieselben Waren zu kaufen. Aber diese Feststellung alleine ist noch keine Erklärung dafür, warum das passiert und zeigt uns auch noch keine Lösung für das Problem. Wir müssen diese beiden Seiten, Waren und Geld, näher betrachten.
Zunächst: Was sind Waren, woher bekommen sie ihre Werte und wie ergeben sich ihre Preise? Die Warenwerte sind nämlich nichts Zufälliges.
Der Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, in dem Arbeitsprodukte ausschließlich für den Handel, also für den Austausch gegen andere Waren, hergestellt werden. Karl Marx ist es in seinen zahlreichen ökonomischen Schriften gelungen, die wesentlichen Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise genau herauszuarbeiten. Für die Analyse der Inflation sind zwei dieser Erkenntnisse besonders relevant, deren Gedanken wir kurz zusammenfassen wollen:
1) Wie bestimmt sich der Wert bzw. der Preis von Waren und
2) wodurch ergibt sich der Profit der Kapitalisten.
Damit ein Produkt im Kapitalismus zur Ware werden kann, muss es zuerst irgendeine Art von Bedürfnis befriedigen. Wenn wir Hunger haben, können wir beispielsweise Brot essen, um diesen zu stillen. Diese Art von Nützlichkeit bezeichnet Marx als Gebrauchswert. Der für den Austausch relevante Wert einer Ware andererseits, der Tauschwert, ergibt sich durch die gesellschaftlich notwendige durchschnittliche Arbeitszeit, die benötigt wird, um eine Ware herzustellen. Der Tauschwert wird also nicht durch die spezifische Eigenschaft einer Ware bestimmt – ob sie hart oder weich, glänzend oder matt ist –, sondern eben nur durch die für ihre Herstellung notwendige Arbeitszeit. Nur die menschliche Arbeit kann neue Werte schaffen.
Der Tauschwert einer Ware drückt sich in ihrem Preis aus. Der Preis ist aber nicht das gleiche wie der Wert: Die ständigen Schwankungen in Angebot oder Nachfrage führen dazu, dass sich der Preis mal über, mal unter dem Wert der Ware befindet – oder wie Marx es ausdrückt: Der Preis oszilliert um den Wert der Ware. Der Wert setzt sich notwendigerweise als Durchschnitt, im Auf und Ab der Preise auf dem Markt, durch. Wie weit sich der Preis vom Wert entfernen kann und wie lange es dauert, bis sich der Preis dem Wert wieder annähert, hängt hierbei vom konkreten Ausmaß des ökonomischen Ungleichgewichts ab.
Die zweite zentrale Erkenntnis, die wir an dieser Stelle kurz ausführen wollen, behandelt die Frage: Wie entsteht Profit – oder: was ist Ausbeutung?
Dies hängt mit dem besonderen Charakter der Ware Arbeitskraft zusammen. Der Tauschwert der Arbeitskraft drückt sich im Lohn aus. Er wird wie der Wert von jeder Ware bestimmt durch die durchschnittlich notwendige Arbeitszeit, die es braucht, um die Ware (in diesem Fall die Arbeitsfähigkeit der Arbeiter) zu reproduzieren.
Anders gesagt: Der Kapitalist zahlt den Lohnabhängigen so viel wie diese brauchen, um ihre eigene Arbeitskraft zu reproduzieren, d.h. Essen, Miete, Versorgung von Kindern, etc. Im Gegensatz kann sich der Kapitalist die Arbeitskraft der Lohnabhängigen aneignen, d.h. sie müssen für diesen arbeiten (zu arbeiten ist ihr Gebrauchswert).
Der Arbeiter kann jedoch mehr Wert produzieren, als er selbst braucht, um seine Arbeitskraft zu reproduzieren. In der Zeit, die der Arbeiter mehr arbeitet, als für die Reproduktion seines Lebens notwendig ist, produziert er den Mehrwert. Dieser Mehrwert wird vom Kapitalisten, angeeignet und das ist die Basis für seinen Profit. Das ist eben genau Ausbeutung: der Arbeiter produziert Mehrwert und der Kapitalist eignet sich diesen an.
Oder ganz einfach formuliert: der Profit des Kapitalisten besteht aus unbezahlter Arbeit seiner ArbeiterInnen.
Diese Gedanken lassen sich auch folgendermaßen zusammenfassen: Der gesamte gesellschaftlich produzierte Wert wird durch die Arbeitskraft der Arbeiterklasse hergestellt. Die entscheidende Frage ist wie viel dieses Wertes können sich die Kapitalisten aneignen und wie viel entfällt auf die Arbeiterklasse? Jedes Quantum Wert um das die Kapitalisten ihren Reichtum erhöhen bzw. jeder Euro um den sie ihren Profit steigern können, geht auf Kosten der Arbeiterklasse. Und genau aus diesem Grund werden die Kapitalisten einen Angriff auf die Reallöhne der Arbeiterklasse starten.
Denn die Inflation kann sehr leicht zu einer Neuverteilung des Mehrwerts zwischen Kapital und Arbeit führen: eine Steigerung der Verbraucherpreise ohne eine entsprechende Anpassung der Reallöhne reduziert die Werte (Waren), die die Arbeiterklasse für ihre Arbeit bekommt und erhöht stattdessen die Profite des Kapitals.
Geld und Fiatgeld
Da es sich bei der Inflation um die Entwertung von Geld handelt, muss zuerst die Funktionsweise von Geld und sein Verhältnis zu den Warenwerten näher betrachtet werden. Der Handel mit Waren machte es notwendig, dass sich eine Ware als allgemeines Äquivalent herausbildet. Also eine Ware, die gegen alle anderen Waren getauscht werden kann und mit der es möglich ist, Handel über größere Zeiträume und längere Distanzen zu betreiben – die also die Funktion von Geld übernimmt.
Aufgrund ihrer Eigenschaften wurden vor allem Edelmetalle lange als Geld verwendet. Zunehmend entwickelte sich jedoch Papiergeld, das zunächst noch gegen Edelmetalle eingetauscht werden konnte und somit indirekt Wert repräsentierte.
Spätestens mit dem Ende des Bretton-Woods Systems 1971 ist das globale Geldsystem nicht mehr an den Wert einer konkreten Ware – Gold – gebunden. (Das Bretton-Woods-Abkommen hatte das Verhältnis auf 35 US$ per 0,88g Gold fixiert.)
Geld in solch einem Geldsystem wird als Fiatgeld bezeichnet. In so einem Regime ist es den Notenbanken leichter möglich, die Menge des Geldes durch politische Entscheidungen zu erhöhen oder zu reduzieren, da es nicht davon abhängt, wie viele Goldreserven sie haben.
Obwohl Fiatgeld, wie etwa der Euro oder Dollar, selbst keinen inhärenten Wert besitzt (es handelt sich ja nur um bedrucktes Papier oder Zahlen im Computer), wird es von den Menschen dazu verwendet, Waren auszutauschen. Wir setzen also Waren über Fiatgeld miteinander gleich und lassen somit auch Geld ohne inneren Wert, trotzdem Wert repräsentieren. Dieser Wert des Geldes (z. B. wieviel Arbeitszeit kann ich für 10 Euro kaufen?) ergibt sich dadurch, dass es weiterhin eine gesellschaftliche Beziehung ausdrückt.
Die Möglichkeit der Zentralbanken, Geld zu schaffen, beinhaltet jedoch den Widerspruch, dass eine größere Menge Geld keiner größeren Menge an realen Werten gegenübersteht. Dies zeigt, dass Geld nicht beliebig ist, sondern eng mit der gesellschaftlichen (Waren-)Produktion zusammenhängt. Geld muss immer realen Wert repräsentieren. Gibt es im Verhältnis zu den produzierten Werten (Waren) viel Geld, kann die gleiche Menge Geld nicht so viel Wert repräsentieren und muss deswegen weniger wert sein (Inflation). Umgekehrt: gibt es zu viele Waren (Werte) bei der gleichen Menge Geld, muss die gleiche Menge Geld mehr Wert sein (Deflation).
Die aktuelle Inflation ist Ausdruck eines solchen Missverhältnisses. Um sie zu verstehen, ist es deswegen notwendig, den Zustand des Kapitalismus und des Geldsystems genau zu betrachten.
Krise des Kapitalismus
Der Kapitalismus führt regelmäßig zu Überproduktionskrisen: Aufgrund der Ausbeutung können die ganzen Werte, die in der Gesellschaft produziert werden, von den begrenzten Märkten nicht absorbiert werden.
Mit dem Ende des Nachkriegsbooms wurde vermehrt versucht diesen Widerspruch mittels Liberalisierung der Finanzmärkte und Ausweitung der Kreditvergabe hinauszuzögern, während gleichzeitig Sparmaßnahmen und Reallohnsenkungen durchgesetzt wurden. Dies ermöglichte es die engen Grenzen des Marktes auszudehnen und gleichzeitig die Profite der Kapitalisten zu retten. Die Krise konnte damit zwar immer wieder hinausgezögert, aber nicht verhindert werden.
Mit der Finanzkrise 2008 traten die im Kapitalismus angehäuften Widersprüche aufgrund von globaler Überproduktion und Überkapazitäten mit unglaublicher Wucht und auf der gesamten Erdkugel offen hervor.
Um sowohl Banken als auch Profite zu retten und das System vor dem Kollaps zu bewahren, schnürten Regierungen auf der ganzen Welt Rettungspakete in bisher noch nie dagewesener Größe. Dadurch wuchsen Staatsschulden in einem Ausmaß, das bisher nur während der beiden Weltkriege bekannt war.
Indes wurde der Arbeiterklasse nach 2008 riesige Sparpakete aufgebürdet, wodurch den ArbeiterInnen ein Teil des gesellschaftlich produzierten Mehrwerts entrissen.
Erneut wurde versucht die Grenzen des Marktes auszudehnen. Die Hoffnung war, dass billiges Geld die Kapitalisten dazu bewegen würde, in die Produktion zu investieren.
Gleichzeitig sicherten die Zentralbanken zu, das Finanzsystem unter allen Umständen liquide zu halten. Da aber aufgrund der immer noch bestehenden Überkapazitäten und der daraus folgenden niedrigen Profitabilität Unternehmen nicht einmal bei Null-Zinsen investierten, führten Zentralbanken auf der ganzen Welt eine Reihe neuer Programme ein, die auf „kreative” Art und Weise riesige Mengen an frischem Geld in das Finanzsystem pumpten und den Kapitalisten auf diesen Finanzmärkten Profite bescherten.
Das geläufigste wird Quantitative Easing (QE) genannt, bei dem Zentralbanken am Markt Staats- und Unternehmensanleihen kaufen, um so neues Geld zu schaffen und die Zinsen auch auf den Anleihemärkten niedrig zu halten. Die EZB hielt 2021 in diesem Zusammenhang 4.713 Milliarden Euro an Wertpapieren, das entspricht 38% der Wirtschaftsleistung des gesamten Euroraums.
Vorerst nur niedrige Inflation
Wieso führten jedoch Niedrigzinspolitik und die enorme Ausweitung der Geldmenge nicht bereits viel früher zu Preissteigerungen? Ohne eine Klassenperspektive ist es nicht möglich, diese Frage vollständig zu beantworten.
Zusätzlich ist es notwendig, einen Blick auf die Funktionsweise der Ankaufprogramme zu werfen: Die Zentralbank – nehmen wir an, die EZB – kauft am Markt ein Wertpapier. Dieses wird üblicherweise von einem Kapitalisten abgekauft, denn die Arbeiterklasse besitzt selbst (so gut wie) kein Kapital. Die EZB besitzt nun dieses Wertpapier und schreibt dem Kapitalisten stattdessen Geld auf seinem Konto gut, die EZB „druckt” damit neues Geld.
Im Gegensatz zur Arbeiterklasse verwenden Kapitalisten nur den geringsten Teil ihres Vermögens dazu, ihren (obszön luxuriösen) Lebensunterhalt zu bestreiten.
Stattdessen ist für Kapitalisten Geld nur ein Mittel, um es als Kapital zu verwenden und sich auf diese Weise die unbezahlte Arbeit der Arbeiterklasse einzuverleiben und sie somit auszubeuten. Mit dem von der Zentralbank gutgeschriebenen neuen Geld muss der Kapitalist nun also nach einer neuen Kapitalanlage suchen.
Die organische Krise des Kapitalismus wurde dadurch aber nicht gelöst und besteht weiterhin: Es herrscht niedrige Profitabilität, Überkapazitäten in vielen Produktionsbereichen und allgemein gibt es wenige Möglichkeiten für profitable Investitionen. Auch riesige Mengen an neuem Geldkapital änderten an dieser Situation nichts und deswegen kam es statt produktiver Investitionen primär zu Investitionen in Aktienmärkten, Immobilien und Kryptowährungen. Statt eines Anstiegs der Verbraucherpreise kam es zu einem allgemeinen Anstieg von Vermögenstiteln („asset price inflation”).
Das heißt, dass das Kapital zu einem wesentlichen Teil in Aktien und Spekulationsobjekten angelegt wurde und das Geld – abseits eines künstlichen Booms in der Bauwirtschaft – somit kaum in der Zirkulation der „Realwirtschaft“ landete, wodurch es zu keinem Anstieg der Verbraucherpreise kam.
Die Inflation kam doch
Während die EZB von 2008 bis 2020 aus diesem Grund selbst mit ihrer Nullzins- bzw. Negativzinspolitik und massiven Anleihenkaufprogrammen (QE) kaum dazu in der Lage war, ihr Inflationsziel der Verbraucherpreise von 2% zu erreichen und stattdessen einige Euroländer sogar knapp an einer Deflation (also sinkender Warenpreise) vorbei schrammten, änderte sich die Situation mit den Hilfsmaßnahmen im Rahmen der COVID-Pandemie grundlegend.
Produktionseinbruch
Die Pandemie schränkte die Produktion von Waren und Dienstleistungen im Zuge der Lockdowns massiv ein. Dies zeigt sich besonders eklatant in den Statistiken zu den gearbeiteten Stunden, die im Euroraum im Jahr 2020 um ganze 7,9 % und 2021 weiterhin um 3 % unter dem Wert von 2019 lagen. Es wurden also weniger Werte produziert.
Erhöhung der Geldmenge
Indessen wurde die Geldmenge aber nicht verringert, sondern sogar massiv erhöht. Insbesondere Unternehmer (durch großzügige COVID-Hilfen) als auch ArbeiterInnen (z.B. durch Kurzarbeit) mussten in Summe nicht im gleichen Ausmaß Einkommensverluste hinnehmen, wie dies dem tatsächlichen Produktionsrückgang entsprochen hätte.
Die Regierungen mussten diese Maßnahmen setzen, um einen kompletten Zusammenbruch zu verhindern. Die unzähligen Hilfsprogramme führten dazu, dass die monetären Einkommen stabilisiert wurden, also weiter Geld und zwar in kolossalem Ausmaß floss. Bisher wurden weltweit etwa 16 Bio. US-Dollar an Covid-Hilfen ausgeschüttet. Der Funke berichtete und inzwischen erkannte sogar der Rechnungshof, dass manche Unternehmen aufgrund des Selbstbedienungsladens der österreichischen Hilfsmaßnahmen sogar in der Lage waren, ihre Profite zu erhöhen.
Bild: pixabay/Geralt
Während das neu geschaffene Geld vor der Pandemie primär dazu verwendet wurde Vermögenstitel zu kaufen, floss das Geld nun in den „realen” Warenhandel.
Die Finanzierung der Covid-Maßnahmen erfolgte durch die Aufnahme von Staatsschulden. Da jedoch die EZB auch gleichzeitig Staatsschulden (in der Form von Staatsanleihen) aufkaufte und damit neues Geld ausgab, wurden diese effektiv durch die (Geld-)Druckerpresse finanziert. Eine deutlich vergrößerte Menge an Geld stand einer reduzierten Menge an Werten gegenüber.
Vorerst zeigte sich dies jedoch noch nicht in einem allgemeinen Anstieg der Preise, denn zu Beginn der Pandemie gab es bedingt durch Lockdowns und gesellschaftliche Einschränkungen deutlich weniger Möglichkeiten, zu konsumieren (insb. bei Dienstleistungen). Das führte besonders bei Kapitalisten und ArbeiterInnen in höheren Einkommensschichten dazu, dass stattdessen die Ersparnisse stark stiegen.
Anarchische Produktionsweise
Doch nicht nur das: Im Kapitalismus gibt es keine globale Planung und Koordination, was zu enormer Ineffizienz führt. So hatte der Kapitalismus in seinem Bestreben, mit möglichst wenig Kapitaleinsatz möglichst viel Profit zu erwirtschaften, alle Sicherheitsreserven in den international angelegten Produktionsketten kontinuierlich abgebaut. Dies führte in der Pandemie dazu, dass jede kurzfristige Produktionseinschränkung oder Stockung im Güterverkehr sich in den nachgelagerten Produktionsketten noch weiter verstärkte. Zusätzlich wurden viele UnternehmerInnen von einer wiederauflebenden Nachfrage, die spätestens 2022 einsetzte, überrascht. Der Anstieg der Preise, der sich aus diesem Ungleichgewicht ergab, zeigte sich deswegen besonders stark in jenen Produktgruppen, die von einem Nachholeffekt betroffen sind – wie beispielsweise Restaurants, Bewirtung und Reisen.
Explodierende Energiepreise
Die wesentliche Komponente der derzeitigen Inflation sind jedoch die massiv angestiegenen Energiepreise. Bereits 2021 kam es zu einem markanten Anstieg der Preise für Energie – dies war sowohl auf eine höhere Nachfrage aufgrund des langen Winters, als auch die wieder anlaufende Produktion zurückzuführen. Demgegenüber konnte die Energieproduktion aufgrund von Wartungsarbeiten, die von 2020 auf 2021 verschoben werden mussten, sowie der anhaltenden Pandemie nicht mithalten.
Indes befinden sich die imperialistischen Nationalstaaten in einer Krise in einem ständigen Kampf mit ihren imperialistischen Gegenspielern darum, wer mehr Märkte beherrscht. Daher sehen wir seit Jahren zunehmende Handelskriege: Jeder Nationalstaat will seine eigene Produktion, Lieferketten und Einflusssphären beschützen und vergrößern. Dadurch wird das globale Wirtschaftssystem gestört und die Produktion verteuert sich. Diese Konflikte werden immer provokativer und gewaltvoller, wie wir derzeit z.B. im Taiwan-Konflikt sehen, aber insbesondere am Ukraine Krieg. Spätestens mit der Invasion der Ukraine und der damit verbundenen Verknappung von Gas und Öl begannen die Energiepreise zu explodieren. Da Energie in allen Produkten und Dienstleistungen enthalten ist, führte dieser Preisanstieg bald auch zu einem Preisanstieg bei allen anderen Produkten.
Während immer mehr Menschen nicht sicher sein können, ob sie das Heizen im kommenden Winter in den finanziellen Ruin treiben wird, reiben sich die Energiekonzerne stattdessen die Hände. Denn diese können ohne nennenswerte Mehrkosten ihre Produkte um ein Vielfaches verkaufen. So verwundert es nicht, dass Energiekonzerne auf der ganzen Welt Rekordgewinne erzielen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung schätzt allein den Extraprofit aller Mineralölkonzerne für 2022 auf 1.160 Milliarden US-Dollar. Auch der Energiekonzern Verbund steigerte seinen Profit im ersten Halbjahr 2022 um ganze 152%. Eine staatlich subventionierte Deckelung der Preise oder eine Besteuerung dieser Extraprofite alleine ist nicht ausreichend und wird in Großbritannien selbst durch eine konservative Tory-Regierung umgesetzt.
Um sicherzustellen, dass im Winter nicht die Profite der Industrie dem Heizen der Haushalte vorgezogen werden, benötigt es die demokratische Kontrolle über die Produktion und Verteilung von Gas, Öl und Strom.
Wir sehen, dass die Arbeiterklasse bei keinem der bisherigen inflationstreibenden Faktoren die Schuld an der Krise des Kapitalismus trägt. Es ist das marode System selbst, dass in seinen eigenen Widersprüchen gefangen ist. Die Inflation ist dabei nur Symptom, nicht Ursache der kapitalistischen Krise. Umso dreister ist das Geschrei der Kapitalisten, die nun die Inflation dazu nützen wollen, die Reallöhne der ArbeiterInnen zu drücken, um ihre eigenen Profite zu erhalten und sogar zu erhöhen. Doch die hohe Inflation hat explosives Potenzial – zahlreiche bürgerliche Kommentatoren schreiben in letzter Zeit über die Gefahr vor sozialen Unruhen und Aufständen.
Pest und Cholera
Die bürgerlichen Regierungen haben mittlerweile erkannt, dass die hohe Inflation eine ernsthafte Bedrohung für den Kapitalismus und die politische Stabilität darstellt und so versuchen sie nun, diese zu bekämpfen. Die Notenbanken der USA, Großbritanniens und die EZB haben aus diesem Grund beschlossen, die Leitzinsen zu erhöhen.
Diese Versuche der Bürgerlichen werden damit die grassierende Inflation nicht einmal ansatzweise in den Griff bekommen. Tatsächlich werden sie mit dieser Politik nichts anderes erreichen, als die Weltwirtschaft in eine weitere Rezession zu stürzen – denn genau um diese zu vermeiden, wurden die Leitzinsen ursprünglich gesenkt!
In den letzten 20 Jahren wurden die Leitzinsen jedes Mal weiter gesenkt, um einen Absturz der Wirtschaft zu vermeiden: Und jedes Mal führte ein Anheben der Leitzinsen zu einer neuen Rezession. Und all das war noch vor der Covid-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine. Es besteht also kein Zweifel daran, dass Erhöhungen der Leitzinsen und ein Ausstieg aus den Anleihen-Ankaufprogramme, wie das Amen im Gebet, erneut einen Wirtschaftseinbruch hervorrufen werden.
Die Inflation wird in den nächsten Jahren weiterhin eines der zentralen ökonomischen und politischen Themen bleiben, denn mit 9,3% im Juli dieses Jahres hat die Inflation mit Sicherheit noch nicht ihren Höchststand erreicht, sondern wird noch weiter steigen. In den kommenden Jahren werden Unternehmer versuchen, die gestiegenen Preise, die sie selbst in Form von Materialkosten für ihre Produktion bezahlen müssen, an die Arbeiterklasse, aber auch an andere Unternehmen weiterzugeben. So wird die Inflation auch die nächsten Jahre hoch bleiben.
Um gleichzeitig in den kommenden Kollektivvertragsverhandlungen hohe Lohnabschlüsse zu bekämpfen, wird das ideologische Argument der Lohn-Preis-Spirale ins Feld geführt werden. Das Argument der Bürgerlichen lautet in etwa so: Wenn Gewerkschaften hohe Lohnabschlüsse erkämpfen, werden Unternehmer die Preise erhöhen und die Inflation wird immer weiter ansteigen. Wir müssen dieses Argument als Begründung für Lohnverzicht aufs Schärfste zurückweisen. Die Preise sind zu einem Zeitpunkt gestiegen, als Lohnabschlüsse noch äußerst moderat ausfielen. Alles andere als moderat fallen hingegen die Rekordgewinne der Konzerne aus. So stiegen beispielsweise die weltweit ausgeschütteten Dividenden im zweiten Quartal 2022 um fast 20% auf ein absolutes Rekordhoch von 545 Mrd. US-Dollar. Von der Arbeiterklasse nun Lohnzurückhaltung zu fordern, ist an Unverschämtheit nicht mehr zu überbieten!
Für die Verteidigung des Lebensstandards!
Die Bürgerlichen befinden sich also in einer Sackgasse. Denn der wahre Grund für die seit Jahrzehnten immer größer werdende wirtschaftliche Instabilität, die nun auch das Geldsystem erfasst hat, liegt nicht an einzelnen Entscheidungen bürgerlicher Politiker oder der Notenbanken, sondern an der zugrundeliegenden Fäulnis des Systems. Der Kapitalismus ist nicht mehr in der Lage, die Produktivkräfte weiterzuentwickeln und der Arbeiterklasse ein menschenwürdiges Leben zuzugestehen.
Die Bürgerlichen werden versuchen, die hohe Inflation und die wirtschaftliche Unsicherheit zu nutzen, um der Arbeiterklasse einen beispiellosen Reallohnverlust zu verpassen, um ihre eigenen Profite zu steigern. Marx hat dies bereits vor über 150 Jahren sehr treffend formuliert: „Alle bisherige Geschichte beweist, daß, wann immer eine solche Entwertung des Geldes vor sich geht, die Kapitalisten sich diese Gelegenheit, den Arbeiter übers Ohr zu hauen, nicht entgehen lassen.”
Foto: socialist.net
Einerseits wird versucht werden, durch statistische Taschenspielertricks (Durchrechnungszeiträume) die Inflation für die kommenden Kollektivvertragsverhandlungen kleinzurechnen. Andererseits wird mit dem Schreckgespenst einer Rezession versucht werden, Ängste in der Arbeiterklasse vor einem Jobverlust und einem drohenden wirtschaftlichen Kollaps zu schüren. Beide Argumente müssen wir als das benennen, was sie sind: Versuche, die Last der Krise auf den Schultern der Arbeiterklasse abzuladen.
Um den Kampf für die zur Verteidigung unseres Lebensstandards erfolgreich zu führen, müssen wir schon jetzt beginnen den Widerstand sowohl auf Betriebsebene als auch in Gewerkschaftsstrukturen zu organisieren.
Dafür kämpfen wir:
- Keinen Abschluss unter der aktuellen monatlichen Inflationsrate bei KV-Verhandlungen!
- Durchsetzung einer allgemeinen, automatischen Lohnanpassung an die Inflation durch einen General-Kollektivvertrag für alle Beschäftigten!
- Für Preiskontrollen und die Kontrolle über die Produktion und Verteilung von Gas, Öl und Strom durch die Arbeiterklasse!
- Für die entschädigungslose Enteignung der großen Energiekonzerne und Krisengewinner!
(Funke Nr. 206/30.8.2022)
Lesetipps:
- Was ist marxistische Ökonomie – von Rob Sewell
- Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus – von Lenin
- Marxistische Ökonomie – Grundlagen und Krisentheorie [Publikation]
- Löhne rauf, Profite runter: Wir zahlen eure Krisen nicht!
- Marxismus, Geld und Inflation – von Adam Booth, in: „In Verteidigung des Marxismus“ Nr. 5