Fußballfan und Funke-Unterstützer Max Brym schreibt einen politischen – und sportlichen – Nachruf auf die „Nummer 10“ und was wir von dessen Leben mitnehmen können.
Tiefe Trauer empfinde ich über den Tod der Fußball-Legende Diego Armando Maradona – nach meinem Dafürhalten der beste Fußballer aller Zeiten. Diego starb viel zu früh mit 60 Jahren. Ein jüngerer Freund von mir, der sich nur bedingt für Fußball interessiert, konnte dieser Tage meine Trauer überhaupt nicht nachvollziehen. Das ist mir unverständlich. Ich muss aber auch nicht alles verstehen. Dem jungen Freund antwortete ich wie folgt: „Der ehemalige deutsche Kanzler Kohl hat in einem anderen, völlig verkehrten, Zusammenhang von der Gnade der späten Geburt gesprochen. Du hast das Pech der späten Geburt. Du hast Maradona nie live Fußball spielen sehen können.“
Der 1960 in einem argentinischen Arbeiter- und Armenviertel geborene Maradona hat nie einfach nur Fußball gespielt. Seine Technik und Spielübersicht waren umwerfend. Der Ball war ihm seit seiner frühesten Jugend hörig. Maradonas Ballbehandlung war ein Kunstgenuss in einer Zeit, als Treter ohne wirkliche Technik sich auf dem Spielfeld tummelten. Darunter der „Schlächter von Bilbao“ im spanischen Nationalteam, oder ein Claudio Gentile in der Squadra Azzurra. In den 1980er und 1990er Jahren war Maradona die klassische „Nummer 10″. Er hatte keine Deckungsaufgaben. Gleichzeitig wurde er normalerweise von einem Manndecker und oft zusätzlich von zwei bis drei Spielern gedeckt. Mit dem Fußball hat Maradona die Herzen speziell der Armen und Beleidigten erfreut.
Die Karriere
Maradona machte sich zu Beginn seiner Karriere bereits im Alter von 15 Jahren einen Namen bei den Argentinos Juniors. Er wechselte dann als sehr junger Mann zu den Boca Juniors. 1981 wurde er mit den Boca Juniors argentinischer Meister. Bereits damals verzauberte er großteils proletarischen Fans mit seinem Spielwitz, den Körpertäuschungen und seiner Ballbehandlung. Anschließend zog es den „Goldjungen“ (El Pibe de Oro) für eine Rekord-Ablösesumme nach Europa zum FC Barcelona. Dort hatte er allerdings wenig Glück. Die spanische Liga duldete damals massive Foulspiele. Das wirkliche Fußballglück wurde ihm beim SSC Napoli hold. Maradona verkörperte im Bewusstsein der Massen im Mezzogiorno die Auflehnung gegen den inneritalienischen Rassismus sowie den Kampf gegen die reichen Vereine aus dem Norden, Mailand und Turin. Zu seiner Vorstellung in Neapel – ohne Spiel – kamen mehr als 60.000 ZuschauerInnen. Natürlich gab der „Fußballgott“ gleich einige Proben als Ballartist. Maradona enttäuschte die Massen nicht. 1986 und 1990 holte der SSC Napoli zwei italienische Meistertitel. In Anlehnung an diese Zeit sagte ein weinender Neapolitaner nach dem Tod Maradonas: „Er hat uns gelehrt, uns zu wehren und den Kopf hochzutragen.“
1989 gewann Napoli mit Maradona den europäischen UEFA Cup. Damals war der Autor dieser Zeilen Zeuge des Spiels zwischen dem FC Bayern und dem SSC Napoli im Münchner Olympiastadion. Einfach unvergesslich. Maradona kam zum Aufwärmtraining in die Napoli-Kurve und jonglierte mit dem Ball ungefähr 20 Minuten lang. Ball hoch, Ball runter, Ball auf den Kopf, dann über den Rücken und mit der Hacke wieder zurück. Die Kurve tobte. In dem Spiel hatte Maradona auch noch Zeit, einen Klaus Augenthaler mehrmals zu demütigen. Dieser meinte eine Woche vor dem Spiel: „Maradona ist nicht gefährlich, er ist zu dick.“ Im Spiel selbst wusste sich Augenthaler dann nicht anders als durch Foulspiele gegen Maradona zu helfen. Einmal wartete Maradona auf den am Boden liegenden Augenthaler, um ihn mehrmals zu narren.
In Neapel findet man neben dem Kruzifix bis heute speziell in den Vierteln der Armen Maradona-Bilder, ja fast schon Altäre. Im Jahr 1990 schlug bei der WM in Italien die argentinische Nationalelf im Halbfinale das italienische Team im Elfmeterschießen. Für Argentinien war es faktisch ein Heimspiel. Denn die meisten ZuschauerInnen feuerten Argentinien mit Maradona an. Die rechte italienische Presse schrie Zeter und Mordio gegen die „vaterlandsvergessenen Neapolitaner“. Für diese war es wieder ein Sieg gegen den Norden.
Bei der Weltmeisterschaft 1982 trat Claudio Gentile im Achtelfinale Maradona aus dem Turnier. Maradona konnte nicht mehr weiterspielen. Italien gewann 2:1.
Im Jahr 1986 war es dann soweit: Argentinien wurde Weltmeister. Maradona schoss gegen England das Tor des Jahrhunderts. Das entscheidende Tor machte er per Handspiel, was er später die „Hand Gottes“ nannte. Dieser Sieg gegen England wurde in Argentinien frenetisch gefeiert. Die Massen begriffen dies als späte Genugtuung bezüglich des Falklandkrieges, als Sieg gegen den britischen Imperialismus.
Epos und Drama
Nach der WM 1990 kam Maradona nicht mehr richtig auf die Beine. In Neapel konnte er nicht aus dem Haus gehen ohne dass ihm mindestens 1.000 Leute folgten. Der Arbeiterjunge aus Buenos Aires geriet an die falschen Leute und begann Kokain zu konsumieren und übermäßig zu trinken. Das hatte nachhaltige Folgen. Am 4. Januar 2000 erlitt Maradona während eines Aufenthaltes in Uruguay im Badeort Punta del Este einen schweren Herzinfarkt, den man auf eine Überdosis Kokain zurückführte.
Nach seiner Genesung unterzog sich Maradona einer sechsmonatigen Entzugskur in Kuba, wo er Freundschaft mit Fidel Castro schloss. Der Arbeiterjunge, der nie vergaß, wo er herkam, bekam nicht nur wieder eine annehmbare Figur. Aus der „Nummer 10″ wurde ein bewusster Sozialist. Seine Memoiren hat Maradona Fidel Castro gewidmet. Er stand an der Seite von Bolivien und Venezuela gegen den US-Imperialismus. Speziell sein Alkohol- und Drogenkonsum zeigt der Arbeiterjugend: Lasst euch nicht auf die falschen Freunde ein. Lest, bildet euch und betreibt Sport. Nach dem Geschmack des Autors: Am besten Fußball.
Von Max Brym
Funke-Unterstützer/Fußballtrainer
(Funke Nr. 189/10.12.2020)