Iwan der Schreckliche und sein Sohn

6. November 1581 (greg.), Zar Iwan IV. – besser bekannt als Iwan der Schreckliche – trat in den Kreml und fand die Frau seines Sohnes in seinen Augen unangemessen gekleidet vor. Verärgert von dieser „Respektlosigkeit“ schlug er, treu seinem Namen und Ruf, ohne zu zögern auf sie ein. Die Schwangere verlor ihr Kind. Von Samantha Schatzinger.
Der zornige Thronfolger konfrontierte daraufhin seinen despotischen Vater. Er hatte es endgültig satt. Seine ersten beiden Ehefrauen wurden vom Staats- und Familienoberhaupt ins Kloster wegesperrt und alles deutete auf das gleiche Schicksal für seine Dritte.
Der Streit zwischen Vater und Sohn schaukelte sich hoch bis schließlich der Tyrann in blinder Wut seinen eigenen Sohn mit seinem königlichen Zepter erschlägt.
Am 13. März 1881 wurde Nikolai Ryassakow vor dem Winterpalast des Zaren in St. Petersburg von Beamten zu Boden gedrückt: „Freuen Sie sich nicht zu früh!“ rief der 19-jährige Student dem Zaren Alexander II. zu. Nur Momente zuvor überlebte der Alleinherrscher eine Explosion unverletzt. Eine zweite Granate rollte ihm schon vor die Füße…
„Regizid“ (Königsmord) stand auf den Schildern, die den Attentätern während ihrer öffentlichen Zurschaustellung um den Hals gehängt wurde. Ein Bild, das sich in die Erinnerung des Malers Ilja Repin brannte. Sofja Perowskaja, eine der Attentäterinnen auf den Zaren, ist laut dem Anarchisten Kropotkin „eine Kämpferin aus echtem Stahl“. Im Abschiedsbrief an ihre Mutter schreibt sie:
„… ich lebte, wie es meine Überzeugungen diktiert haben und ich hätte es nicht anders tun können.”
Bevor der Henker ihnen die Stricke umhängte, küsste sie alle Mitverschwörer, außer Ryassakow, der unter Folter die Gruppe verriet.
Es war nicht die erste Hinrichtung und schon gar nicht das erste Attentat, nur das neueste in einer Welle von politisch motivierten Tötungen durch den terroristischen Flügel der Gruppe Narodnaja Wolja („Volkswille“). Durchdrungen von Kampfgeist und erfüllt von liberalen und anarchistischen Ideen, waren diese jungen Revolutionäre bereit, blind ihr Leben für eine bessere Welt zu opfern; doch alle Opferbereitschaft der Welt kann sie nicht verändern, wenn die Ideen die falschen sind. Das fehlende Vertrauen in die Massen und die auf die „direkte Aktion“ drängende Ungeduld traten eine Repressionswelle los, die Anfang der 1880er alle Anführer ins Gefängnis oder in den Tod führen sollte. Die Bewegung zerfiel. Auf Alexander II. folgte Alexander III. und das System blieb erhalten.
Das war jene Zeit, die Repin zu diesem Werk inspirierte. Eine Zeit, in der die Intelligenzija die fürchterliche Armut und Rückständigkeit des Zarenreichs durch eine moderne, demokratische Gesellschaft ersetzen wollte. „Die Verhaftung eines Propagandisten“ aus 1880-89 zeigt die Ausmaße an Repressionen, die folgten. In „Iwan der Schreckliche und sein Sohn“ (1883-85) stellt er die Blutrünstigkeit der Monarchie gekonnt dar. Das Zepter als Tatwaffe ist geniale Symbolik für den Machtmissbrauch der Zaren und der Blick von Iwan IV. lässt einen Schauer über den Rücken laufen.
Tatsächlich ist das ganze Ereignis nicht zweifelsfrei belegt, doch das muss es nicht sein, um etwas Wahres über die Natur dieser Schreckensherrschaft zu sagen. Tolstoi schrieb über das Bild:
„[Ivan IV.] ist der abscheulichste und erbärmlichste Mörder, wie es sich gehört, – und die schöne sterbliche Schönheit des Sohnes. Gut, sehr gut…“
Repin galt als großes Vorbild des „Sozialistischen Realismus“, die erzwungene Kunstströmung der stalinistischen Sowjetunion, die weder sozialistisch, noch Realismus war. Es ist offensichtlich, dass die rohe Emotionalität, die er ausdrückt, von den Lakaien der stalinistischen Bürokratie nicht reproduziert werden konnte.
Das Gemälde war seit jeher umstritten. Tage nach der ersten Ausstellung wurde es verboten, 1913 und noch einmal 2018 wurde es von russischen Nationalisten attackiert.
In einer Periode wie der heutigen ist dieses Gemälde und seine Geschichte relevanter denn je. Auf den Granaten, die Alexander den II. umbrachten stand zwar weder „Deny, Defend, Depose“ noch „If You Read This You Are Gay LMAO“, aber im letzten Jahr sahen wir zwei Attentate auf Trump, Luigi Mangione fand breite Unterstützung für seinen vermeintlichen Mord an einem Versicherungs-CEO, Aaron Bushnell zündete sich vor der israelischen Botschaft in Washington an, Monate später erschoss jemand dort zwei Botschafter und zuletzt der Mord an Charlie Kirk.
Wie auch im zaristischen Russland folgt auf den jüngsten Terrorakt eine Repressionswelle.
In der Geschichte der russischen Arbeiterbewegung führten die Marxisten einen Kampf gegen den Terrorismus. Anstatt Selbstbewusstsein und Klarheit in die Arbeiterklasse zu tragen, bringt er Verwirrung und Passivität, wie Trotzki in einem Artikel beschreibt:
„Wenn es genügt, sich mit einer Pistole zu bewaffnen, um sein Ziel zu erreichen, wozu dann die Anstrengungen des Klassenkampfes? Wenn ein Fingerhut voll Schießpulver und ein kleines Stück Blei ausreichen, um dem Feind in den Hals zu schießen, wozu braucht es dann eine Klassenorganisation? Wenn es sinnvoll ist, hochrangige Persönlichkeiten mit dem Lärm von Explosionen in Angst und Schrecken zu versetzen, wozu dann die Partei? (…)
In unseren Augen ist individueller Terror unzulässig, gerade weil er die Rolle der Massen in ihrem eigenen Bewusstsein herabwürdigt, sie mit ihrer Machtlosigkeit abfindet und ihre Augen und Hoffnungen auf einen großen Rächer und Befreier richtet, der eines Tages kommen und seine Mission erfüllen wird.“
Die Narodnaja Wolja bildeten nur die Prähistorie der russischen Arbeiterbewegung, die 1917 erfolgreich die Herrschaft der reaktionärsten Familie Europas für immer beendete. Die Arbeiterklasse erreichte das nicht durch Mordanschläge und Ähnlichem, sondern mit Hilfe der bolschewistischen Partei von Lenin und Trotzki.
Ohne die Ideen des Marxismus findet die berechtigte Wut und Ausweglosigkeit der jungen Amerikaner ihren Ausdruck in blindem Terrorismus anstatt in die mühselige Arbeit des Aufbaus einer revolutionären Partei zu fließen.
Repin zeigt das wahre Gesicht einer wild gewordenen herrschenden Klasse, die mit allen Mitteln ihr System schützen will und bereit ist, dafür die barbarischsten aller Strafen gegen jene Teile ihres ach so geliebten Volks, die für ihre eigenen Interessen einstehen, durchzusetzen. Wir müssen das ganze System stürzen, das uns ausbeutet und unterdrückt! Das Austauschen oder Ermorden Einzelner ändert gar nichts. Um das erreichen zu können, müssen wir uns dem Aufbau der stärksten Waffe der Arbeiterklasse widmen: der revolutionären Partei!
(Funke Nr. 237/24.09.2025)