Weltweit finden derzeit Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus gegen Schwarze statt. Betrachtet man die Geschichte des Rassismus und des Kampfes der Schwarzen in den USA dagegen, sieht man deutlich, dass Kapitalismus und Rassismus eng miteinander verbunden sind und nur gemeinsam bekämpft werden können. Der folgende Text ist ein Auszug aus einem Dokument von „Socialist Revolution“, der US-Sektion der IMT.
Ursprung des Rassismus
Schwarze Afrikaner kamen erstmals um 1619 im Rahmen der Vertragsknechtschaft in die späteren 13 Gründungsstaaten der USA. Zu dieser Zeit befanden sie sich in einer ähnlichen Lage wie die armen Engländer, die, oft als Gegenleistung für die Überfahrt nach Amerika, mehrere Jahre ihrer Arbeitskraft im Voraus verkauft hatten – sogenannte „Vertragsknechte“. Zunächst wurde kein Unterschied zwischen vertraglich gebundenen Arbeitern europäischer oder afrikanischer Abstammung gemacht. Rassendiskriminierung als gesellschaftliche „Norm“ entstand erst um die 1680er Jahre, zum Teil als Reaktion auf Nathaniel Bacons Rebellion im Jahr 1676 – einem Aufstand, in dem schwarze und weiße Vertragsknechte vereint gegen die Herrschenden kämpften.
In der antiken oder mittelalterlichen Welt existierte das Konzept der Rasse nicht. Rassendiskriminierung ist ein Produkt der kapitalistischen Gesellschaft. Der Sklavenbesitzer oder Feudalherr sah seine Sklaven oder Leibeigenen als minderwertig an, aber das lag an ihrer sozialen Stellung, am Klassenverhältnis zwischen ihnen, nicht an ihrer Hautfarbe. Malcolm X sagte einmal: „Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus.“ Wir würden hinzufügen: „Es gibt keinen Rassismus ohne Kapitalismus.“
Dass Menschen unterschiedliche Hautfarben haben, ist offensichtlich. Das Konzept der biologischen Rasse ist durch die moderne Genforschung jedoch völlig widerlegt worden. Die Menschen sind einander genetisch so ähnlich, dass es unmöglich ist, „Rassen“ auf Grundlage der DNA einer Person zu bestimmen. In der Biologie widerlegt, ist der Rassismus in der Gesellschaft quicklebendig und wird von der herrschenden Klasse benutzt, um die arbeitenden Menschen zu spalten und zu beherrschen.
Sklaven pflanzen Süßkartoffeln auf der James Hopkinson Plantage, South Carolina (ca. 1862) (Bild: frei verfügbar)
Die Grundlage des Rassismus liegt in der frühkapitalistischen Sklaverei. Vor der Sklaverei herrschte hier das System der Vertragsknechtschaft vor, um die Farmen zu bearbeiten. Doch nach dem Ablaufen ihres Vertrags hatten die Arbeiter kein Interesse mehr auf dem Grund und Boden des ehemaligen Vertragspartners zu bleiben. Boden war billig und reichlich vorhanden – sie konnten einfach weiterziehen und eine eigene Farm gründen. Die Zwangsarbeit in Form der Sklaverei war daher ein notwendiges Instrument, um immensen Reichtum für die Großgrundbesitzer im Süden zu schaffen.
In einer Epoche, die „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ für die Menschheit verkündete, war es jedoch notwendig eine Rechtfertigung für die erneute Einführung der Sklaverei zu finden, ein Produktionsmodus, der bereits Jahrhunderte zuvor in Europa ausgestorben war. So wurde die schwarze Haut als Kennzeichen der Minderwertigkeit gebrandmarkt.
Diese Sklavenwirtschaft und der Handel mit deren Produkten förderte wiederum die Entwicklung des Kapitalismus. Wie Karl Marx erkannte: „Ohne Sklaverei gäbe es keine Baumwolle, ohne Baumwolle keine moderne Industrie.“
Die revolutionäre Befreiung der Sklaven
In den Jahrzehnten, die auf die Gründung der Vereinigten Staaten folgten, führten politische, wirtschaftliche und soziale Spannungen unaufhaltsam zum Bürgerkrieg. Die Grundlage dieses Konfliktes lag darin, dass die Sklaverei ihr Potential für die Entwicklung des Kapitalismus erschöpft hatte. Der Boden wurde unter der Sklavenwirtschaft extrem schnell knapp, was eine immer weitere Expansion der Sklavenhalterstaaten notwendig machte. Ab einem Punkt kam es daher zum Konflikt mit den auf Lohnarbeit basierenden Nordstaaten. Noch dazu entwickelte sich die Wirtschaft der Nordstaaten auf Basis der modernen Industrie rasant – allein die Wirtschaft vom Bundesstaat New York war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viermal größer als die der gesamten Südstaaten. Die entstehende Industrie des Nordens brauchte Lohnarbeiter und einen Schutzzoll, der die aufstrebende Industrie gegen die noch produktivere Industrie Großbritanniens schütze. Der Süden hingegen bauchte Freihandel zum Export der Baumwolle und den Import von Luxusgütern für die extrem kleine aber reiche Schicht der Sklavenhalter. Die Bourgeoisie der Nordstaaten hatte also ein mehrfaches materielles Interesse an der Durchsetzung der Lohnarbeit. Doch dazu mussten sie die Sklavenbesitzer unter Waffengewalt enteignen.
Die Nordstaaten (die sog. Unionisten) repräsentierten im revolutionären Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-65) den aufstrebenden Kapitalismus, während die Südstaaten (die Konföderalisten) die überkommene Sklavenwirtschaft verteidigten.
Regiment E, die vierte „US Colored Troop“ am 17. November 1865 (Bild: public domain)
Hunderttausende Schwarze nahmen an diesem langen und blutigen Krieg teil und spielten eine Schlüsselrolle bei seinem Ausgang. Als die Schwarzen im Süden zunehmend erkannten, was ein Sieg der Union für sie bedeuten würde, flohen bis zu 500.000 in den Norden, von denen viele schließlich in der Unionsarmee kämpften. Die Disziplin auf den Plantagen brach rasch zusammen, als sich der Krieg gegen den Süden zu wenden begann. Als Reaktion darauf erlegten die Sklavenbesitzer ihren Sklaven strenge Beschränkungen auf und verlegten sogar ganze Plantagen, um so weit wie möglich vom Kontakt mit den Streitkräften des Nordens wegzukommen. Die Strafe für Schwarze, die in Unionsuniform gefangen genommen wurden, und für weiße Offiziere, die sie befehligten, war der Tod. Es waren die Unionstruppen selbst, die die Emanzipationsproklamation auf ihrem Vormarsch durch den Süden durchsetzen, wobei Texas 1865 der letzte Staat war, der befreit wurde. Die Befreiung der Sklaven, war eine der größten Enteignungen von Privateigentum in der Weltgeschichte.
Der Verrat der nördlichen Kapitalisten
Mit der Kapitulation der Südstaaten im April 1865 stellte sich die Frage nach dem Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur der Südstaaten. Das wirtschaftliche und politische Ziel des Nordens war es, dem Süden kapitalistische Eigentumsverhältnisse und politische Herrschaft aufzuzwingen. Um dies zu erreichen, starteten sie die „Reconstruction“, die von befreiten Sklaven und armen Weißen im ganzen Süden energisch aufgegriffen wurde. Der Umfang der Reconstruction war so groß, dass er von vielen als „Zweiter Bürgerkrieg“ bezeichnet wird.
Doch die Reconstruction zeigte deutlich die Grenzen des Kapitalismus – d.h. des Privateigentums – Rassismus abzuschaffen. Die radikalen Kräfte in der Reconstruction setzten sich nicht durch, da die wirtschaftliche und politische Macht immer noch in den Händen der ehemaligen Sklavenhalter verblieb.
Selbst in der radikalsten Phase der Reconstruction waren die Kräfte der Konterrevolution bereits am Werk. Sie entfesselten eine Welle des Terrors gegen schwarze Arbeiter, Teilpächter, Mitarbeiter der Bundesregierung sowie Unionisten. Der Ku-Klux-Klan (KKK), 1866 von Veteranen der Konföderierten Armee gegründet verfolgte, folterte und ermordete Tausende von Schwarzen und ihre weißen Verbündeten. Die Bundestruppen gingen mal härter, mal schwächer gegen diese Gewalt vor. Die Herrschaft des politischen, wirtschaftlichen und physischen Terrors gegen die schwarze Bevölkerung hatte bereits begonnen. Dieser institutionalisierte Rassismus, der durch eine Reihe von Gesetzen der Rassentrennung untermauert wurde, ging unter dem Begriff „Jim Crow“ in die Geschichte ein.
Der Ku-Klux Klan marschiert in der Pennsylvania Avenue auf, 1928. (Bild frei verfügbar)
Die nördlichen Kapitalisten hatten erreicht, was sie wollten: das Ende des Sklavensystem und die Durchsetzung kapitalistischer Eigentumsverhältnisse. Sie konnten nun die gesellschaftlichen Kräfte, auf die sie sich zur Erreichung ihrer Ziele gestützt hatten, beiseite werfen.
Die Bürgerrechtsbewegung
Nach der historischen Niederlage der Reconstruction zogen viele Schwarze in die Nordstaaten und wurden in Fabriken Teil der Arbeiterklasse. Nach dem Ersten Weltkrieg, aber insbesondere ab den 1930er Jahren gewann der Kampf gegen Unterdrückung wieder Massencharakter. Zu jener Zeit fanden Streikbewegungen der erstarkten Arbeiterklasse statt und die großen Industriegewerkschaften gründeten sich. Rassismus war dort zwar keinesfalls eliminiert, doch die schwarzen ArbeiterInnen profitierten von dieser Organisierung der Arbeiterklasse. In den frühen 1930er Jahren waren weniger als 100.000 Schwarze Gewerkschaftsmitglieder, in den 1940ern waren es bereits knapp ½ Million, und viele Schwarze nahmen dort Führungspositionen ein. Der vereinte Klassenkampf konnte in wenigen Jahren erreichen, was nach der Niederlage der Reconstruction unmöglich erschienen war. Diese massenhafte Proletarisierung und Verstädterung der vormals eher ländlichen schwarzen Bevölkerung war die materielle Basis für die Bürgerrechtsbewegung der 1950er Jahre.
Rosa Parks weigerung, einem Weißen ihren Sitzplatz im Bus in der „Schwarzen“ Sitzzone zu überlassen löste den Montgomery Busboykott aus.
In den 1950er Jahre war ein kritischer Punkt erreicht – die Schwarzen konnten die Diskriminierung und die Unterdrückung schlichtweg nicht mehr dulden. Das Ergebnis war die Bürgerrechtsbewegung, die von vielen als „Zweite Reconstruction“ betrachtet wurde. Dies war eine Massenrevolte schwarzer Arbeiter und Jugendlicher und ihrer weißen Verbündeten, die die US-Gesellschaft in ihren Grundfesten erschütterte. Sie forderten echte Gleichheit und ein Ende der Rassentrennung und schaffte es Jim Crow zu stürzen. Der Busboykott von Montgomery (1955-56), der „Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit“ (1963) und andere historische Proteste, Sitzstreiks und Gerichtsschlachten, die oft von der gewaltsamen Intervention von Staats- und Bundestruppen begleitet wurden, zwangen die Regierung schließlich zur Verabschiedung eines umfassenden Bürgerrechtsgesetzes.
Angesichts einer solch massiven Bewegung machte die herrschende Klasse Zugeständnisse in Bezug auf das Wahlrecht und die bürgerlichen Freiheiten im Süden, setzte sich für die Integration öffentlicher Schulen und Universitäten ein und unternahm Anstrengungen zur Bekämpfung der Diskriminierung. Vor allem aber versuchten sie, die Bewegung in Grenzen zu halten, die das kapitalistische System nicht bedrohten. Zu diesem Zweck arbeiteten sie daran, die Bewegung in die prokapitalistische Demokratische Partei zu lenken, während sie gleichzeitig die Morde an wichtigen Führungsfiguren der Bewegung wie Martin Luther King Jr. und Malcolm X, sowie einer Reihe von Führern der Black Panthers vorbereiteten. Denn diese entwickelten zunehmend eine sozialistische Position, mit der sie den Kapitalismus und die Demokratische Partei ablehnten.
Rede von Black Panther Fred Hampton: „Ihr könnt einen Revolutionär einsperren, aber eine Revolution könnt ihr nicht einsperren.“
Die Black Panthers waren eine revolutionär-sozialistische Partei, gegründet in den 1960er Jahren. Sie waren offen für die Ideen des Marxismus und sprachen sich für die Gründung einer neuen Arbeiterpartei aus. Vertraten sie zunächst weitgehend die einen schwarzen Nationalismus, entwickelten sie bald die Perspektive einer sozialistischen Revolution. Bobby Seale, einer ihrer Mitbegründer sagte dazu: „Wir bekämpfen Rassismus mit Solidarität. Wir bekämpfen den unterdrückerischen Kapitalismus nicht mit schwarzem Nationalismus. Wir bekämpfen den Kapitalismus mit Sozialismus. Und wir bekämpfen den Imperialismus nicht mit noch mehr Imperialismus. Wir bekämpfen den Imperialismus mit proletarischem Internationalismus.“
Leider hat das Fehlen eines voll ausgearbeiteten Programms und einem Fokus auf die Arbeiterklasse bei den Panthers die Bewegung zum Entgleisen gebracht. Brutaler staatlicher Repression ausgesetzt, gerieten in eine Krise und erlitten eine Reihe von Spaltungen.
Malcolm X, Führungsfigur der Bürgerrechtsbewegung, wurde 1965 ermordet.
In ähnlicher Weise kam Malcolm X, der seine politische Tätigkeit als schwarzer Muslim und Nationalist begonnen hatte, zu der Einsicht, dass Schwarze, da sie nur 13 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten, die Gesellschaft niemals allein verändern könnten. Gegen Ende seines Lebens entwickelte er die Überzeugung, dass ein gemeinsamer Klassenkampf gegen das kapitalistische System selbst notwendig sei.
Martin Luther King Jr. hatte mit einem pazifistischen und reformistischen Ansatz begonnen, erkannte aber bald, dass formale politische Gleichheit die institutionalisierte wirtschaftliche Ungleichheit und die tiefen Wurzeln der Rassendiskriminierung nicht beseitigen würde. Am Vorabend seiner Ermordung bewegte er sich deutlich auf eine Klassenposition zu.
Martin Luther King Jr., ebenfalls ermordet im Jahr 1968.
Tragischerweise wurden Malcolm X. und Martin Luther King, Jr. ermordet, bevor sie in der Lage waren, diese Ideen vollständig zu entwickeln. Es ist jedoch klar, in welche Richtung sie gingen. Die große Bürgerrechtsbewegung hätte, wenn sie in der Lage gewesen wäre, sich mit dem Kampf der gesamten Arbeiterklasse zu verbinden, eine massive Kraft für revolutionäre Veränderung sein können. Deshalb mussten diese Führer eliminiert werden. Die Führer der Arbeiterbewegung indes eine Politik der Zusammenarbeit mit den Kapitalisten und ihren politischen Parteien, anstatt die Bewegung gegen Diskriminierung und Unterdrückung anzuführen und alle Arbeiter auf einer Klassenbasis zu vereinen. Nach und nach wurde der Kampf von den Straßen und Fabriken in die Wahlkabinen, Sitzungssäle, Anwaltskanzleien und Gerichte umgeleitet.
Gemeinsam gegen Unterdrückung!
Die Geschichte des Rassismus in den USA zeigt, wie der entschlossene Kampf gegen Diskriminierung bewusst von den angeblich „fortschrittlichen“ Kapitalisten verraten wurde und fester Bestandteil ihres Systems ist.
Dies erklärt zum Teil das revolutionäre Potenzial der schwarzen ArbeiterInnen, das nicht nur auf die zusätzliche Ausbeutung zurückzuführen ist, unter der sie sowohl als Arbeiter als auch als unterdrückte Minderheit leiden, sondern auch darauf, dass selbst das demokratische Grundrecht auf Gleichheit innerhalb der Grenzen des Kapitalismus nicht vollständig verwirklicht werden kann. Deshalb ist der Kampf für echte Gleichheit notwendigerweise ein Kampf gegen das kapitalistische System selbst.
In der kommenden Periode werden die schwarzen ArbeiterInnen zusammen mit den lateinamerikanischen ArbeiterInnen und der gesamten Arbeiterklasse an der Spitze einer revolutionären Massenbewegung stehen, die für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft kämpft. Die Einheit der Arbeiterklasse – ihr gemeinsamer Kampf gegen Rassismus und Unterdrückung – ist bereits jetzt deutlich sichtbar. In den jüngsten Protesten gegen rassistische Polizeigewalt sind ArbeiterInnen und Jugend aller Hautfarben in gemeinsamer Solidarität auf der Straße. Die sozialistische Revolution in den USA wird nicht nur die Befreiung der ArbeiterInnen und Unterdrückten in den USA, sondern auf der ganzen Welt ermöglichen.
(Funke Nr. 184/3.6.2020)