Die Regierung Kurz/Strache ist nach 15 Monaten an inneren Widersprüchen gescheitert. Diese Schwächung gilt es für eine soziale Offensive zu nützen.
Beide Parteien, ÖVP und FPÖ, betonen den Erfolg ihrer bisherigen Regierungspolitik und bedauern, dass sie jetzt nicht weiter machen können. Warum führte die Veröffentlichung des Videos trotzdem zum vorläufigen Ende der Regierungszusammenarbeit? Die unaufrichtigste Erklärung dafür kommt vom ehemaligen Bundeskanzler, der behauptet, dass das einfach zu viel für seine sensiblen Moralvorstellungen war.
Näher an der Realität ist die Lesart der FPÖ, die berichtet, dass Kurz sein Wort brach und nach dem Rücktritt von Strache noch zusätzlich den Abgang des Innenministers Kickl einforderte. Dieser Schritt wäre die erzwungene Selbstaufgabe der FPÖ gewesen, weswegen sie ablehnten.
Die tiefere Ursache des türkis-blauen Konfliktes entspricht dabei einem globalen Muster. Die soziale Krise führt weltweit auch zu einer Krise der traditionellen Parteien und der staatlichen Institutionen. Dafür ist emblematisch, wie die einst stolze und weitsichtige Partei des britischen Empires, die Tories, zu einem Schlangennest von Verrückten degeneriert sind. Trump in den USA, Bolsonaro in Brasilien, Orban in Ungarn, Salvini in Italien: Die Liste von Ländern, die von unberechenbaren bürgerlichen Politikern regiert wird, wird immer länger und ist heute ein zentraler Faktor der politischen, militärischen, sozialen und wirtschaftlichen Instabilität auf der ganzen Welt. Dieser sogenannte „Populismus“ umfasst bürgerliche politische Formationen und Führer, die nicht das völlige Vertrauen des Kapitals besitzen. Wirtschaftspolitisch stehen sie für nationalistische Interessensdurchsetzung statt multilateraler Abkommen und Freihandel, gesellschaftspolitisch vertreten diese Formationen reaktionäre Positionen bis hin zur offenen Verleumdung gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse wie der Klimawandel.
Die FPÖ ist eine ebensolche Partei. Als Mehrheitsbeschaffer im Parlament ist sie dem Kapital willkommen. Ihr Rassismus ist ebenso willkommen, um die Arbeiterklasse zu spalten und handlungsunfähig zu machen. Aber sie besitzt nicht das Vertrauen, dass sie die Gesamtinteressen des Kapitals gut vertreten könnte. Dies ist der Hintergrund des einjährigen Konflikts um die Kontrolle des Innenministeriums zwischen der FPÖ und ÖVP, der einzig tiefgehenden Meinungsverschiedenheit zwischen beiden Parteien. Weder die österreichischen Konservativen noch die dominanten europäischen Staatsapparate konnten den Zugriff der FPÖ auf die sensibelsten Teile des Staatsapparates dulden. Der ehemalige Innenminister Kickl war jedoch trotz aller Warnungen nicht von der Idee abzubringen, die ÖVP-Erbpacht in den Sicherheitsdiensten aufzubrechen (BVT-Affäre), Kurz wollte daher seinen Abgang.
Dies heißt nicht, dass das Projekt des Bürgerblocks Geschichte wäre. Im Gegenteil, Kurz will diese Formation nur neu aufstellen: als Projekt mit den NEOS oder auch mit einer zurechtgestutzten und gesäuberten FPÖ. Eine Rückkehr zur Politik der „Einbindung“ (der sozialdemokratischen Arbeitnehmervertreter) und der „Sozialpartnerschaft“ ist mit Kurz ausgeschlossen. Alle Medienkonzerne und Interessengruppen wie die Industriellenvereinigung fordern die Fortführung seiner „erfolgreichen Reformpolitik“ und deponieren bereits Wünsche, dass in der Neuauflage der Bürgerblockregierung etwa neue Kürzungen bei den Pensionen durchgesetzt werden. Die Entrechtung der ArbeiterInnen zur Steigerung des Profits treiben sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch jetzt ständig voran. In allen Betrieben wird der Arbeitsdruck auf jede und jeden Einzelnen massiv erhöht, die Arbeitszeit verlängert und intensiviert. Inmitten der Regierungskrise verlautbarte Metaller-Boss Collini nun, dass er heuer das Ende eines bundesweiten Kollektivvertrages durchsetzen will.
Die Krise von Schwarz-Blau hat Österreichs Bevölkerung stark polarisiert. Kurz kann dabei sein Lager organisieren und Schwung für die Fortführung seines asozialen Zerstörungswerks sammeln. Jene, die das Ende von Kurz wollen, haben hingegen kein gutes Instrument, ihren Willen und ihr soziales Interesse durchzusetzen.
Unter dem Druck der brutal und verlogen vorgetragen Politik der Regierung des Bürgerblocks hat die SPÖ nie Tritt fassen können. Gegen die geölte Kriegsmaschinerie des Sozi-Hassers Kurz hat sie schlicht kein Mittel gefunden. Der wichtigste Grund dafür ist die politische Orientierung der Sozialdemokratie. Sie hofft auf die Wiederauferstehung der Sozialpartnerschaft und ihre Wiedereinbindung in die Staatsgeschäfte. Sie teilt die Idee des „Standorts Österreich“ und verzichtete auf den angekündigten offensiven Kampf gegen den 12-Stunden-Tag. Die SPÖ-Spitze hat es völlig aufgegeben, eine unabhängige Politik zu machen. Sie agiert nur als Reserveteam für staatliche „Stabilität“.
So konnte sich der SPÖ-Parlamentsclub nur unter massivem Druck der Basis zum Misstrauensvotum gegen Kurz durchringen. Dieser wurde dann frei von jedem sozialen Inhalt und beinahe schon entschuldigend vorgetragen. Die FPÖ musste diesem zustimmen, um ihre Chancen für die Herbstwahlen zu wahren. Nach Ibiza und dem Rauswurf aus der Regierung wäre jedes andere Stimmverhalten ein offenes Eingeständnis der Verlogenheit ihrer demagogischen Politik. Diese Spaltung der zwei großen bürgerlichen Parteien gilt es in den kommenden Wochen zu vertiefen. Die Arbeiterklasse kann davon nur profitieren: entweder durch die Entblößung der FPÖ oder durch die Durchsetzung sozialer Verbesserungen im ‚freien Spiel der Kräfte‘ im Parlament.
Eine solche Dynamik wird sich jedoch nur gegen die innere Überzeugung der sozialdemokratischen Abgeordneten entwickeln. Trotzdem ist die Sozialdemokratie der stärkste Hebel den wir haben, um Kurz und seine asoziale Politik zurückzudrängen: alle Verschlechterungen der Regierung Kurz müssen wieder auf die Tagesordnung des Parlaments gebracht werden. Diese Initiativen gilt es durch (Betriebs-)Versammlungen, Demonstrationen und Streiks zu untermauern. Die ÖGB-Spitze ist uns den Kampf um den Acht-Stunden-Tag schuldig geblieben. Hier ist eure zweite Chance!
Die Linke steht vor der Herausforderung, diese Möglichkeiten offen auszusprechen, einzufordern und wo möglich selbst umzusetzen. Sektiererische Ignoranz oder ein feiges Wegducken vor diesen offenstehenden Möglichkeiten würde die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit der Linken in der realen Klassenauseinandersetzung zementieren.
Ein Kampf mit offenem Visier und der Nutzung aller Möglichkeiten kann so die politische Dynamik der Stärkung des Bürgerblocks ins Gegenteil umkehren. Eine dafür notwendige Dynamik in der Arbeiterbewegung kann auch die Basis für eine massenhafte Verankerung eines sozialistischen Programmes legen – und damit den Teufelskreis aus kapitalistischer „Alternativlosigkeit“ durchbrechen. Dafür werden wir in den kommenden Monaten kämpfen. Unterstütze uns dabei.
Wien, 30.5.2019
Aus dem Inhalt:
- Sozialismus statt „Stabilität“ – SJ in die Offensive!
- NEOS: Das „freundliche“ Gesicht des Kapitals
- Arbeitskampf im KAV intensiviert und organisiert sich
- Wie haben wir es mit dem Privateigentum?
- Die Kunst der Renaissance
- Wie weiter mit den Klimastreiks?
- Brasilien: „Tsunami“ gegen Kürzungspolitik
- LGBT Kuba: Unsere Rechte sind unverhandelbar!
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