Mein Vater hat immer zu mir gesagt: „Kein Wunder, dass du Sozialistin bist – bei dem Job…“ Von Lis Mandl (Betriebsratsvorsitzende/ VKKJ Wien GesmbH)
Der Umbruch in der Gesellschaft spiegelt sich in den letzten Jahren vor allem im privaten Gesundheits- und Sozialbereich wider. Personalmangel, Unterfinanzierung, Arbeitsdruck und die politische Abkehr von einem humanistisch geprägten Sozialsystem hinterlassen tiefe Spuren. „Mehr Empathie“ ist auf vielen Hausmauern des 15.Wiener Gemeindebezirks gesprayt und nicht nur Graffiti BewunderInnen fühlen mit dem verzweifelten Aufschrei. Was bedeutet es im Hier und Jetzt mit Menschen zu arbeiten, die auf professionelle Unterstützung angewiesen sind?
Die unterbezahlte Frauenbranche
Derzeit arbeiten bundesweit rund 160.000 Personen im privaten Sozial- und Gesundheitsbereich. Historisch aus dem Beschäftigungsverbot gewachsen, hat sich die geschlechtliche Zusammensetzung wenig geändert. Ca. 80% der Beschäftigten sind weiblich. Einzig und bezeichnenderweise in den eher neu entstandenen (Zwischen-)Hierarchien und Leitungen sind mehr Männer als Frauen zu finden. Ebenso die Zahl an Teilzeitjobs, die sogar im Steigen begriffen ist, da gleichzeitig der Arbeitsdruck eine 40-Stunden-Anstellung fast unmöglich macht. Nach wie vor gilt, dass der Gehaltsunterschied zu den klassischen Männerbranchen bei bis zu 30% liegt und die jüngsten Kollektivvertragsverhandlung schlossen diese Schere nicht, sondern ließen sie sogar noch weiter auseinandergehen. Immer öfter ist bei Vorstellungsgesprächen zu hören: „Die Arbeitsstelle würde mir gefallen, aber diesen Job kann ich mir nicht leisten.“
Die Verarmung der Branche wurde auf einer Betriebsversammlung gut zusammengefasst: „Ich hab‘ jahrelang mehrere Ausbildungen gemacht, arbeite rund um die Uhr und bekomme nun eine Krise, weil vorgestern mein Kühlschrank eingegangen ist. Das kann‘s einfach nicht sein!“
Was würden heute Jura Soyfer twittern und Rosa Luxemburg vloggen?
Selbst der ÖVP nahestehende Personen beschreiben die ökonomische Sinnlosigkeit vieler Reformen der Regierung. Sei es die Einführung der Fotos auf den e-cards, die Neuorganisierung der Mindestsicherung oder der strenger regulierte Zugang zum Arbeitsmarkt (Stichwort Asyl und Lehre). Die Maßnahmen stehen in keiner Relation zu der kostspieligen Umsetzung oder dem Nutzen für das angeblich so angespannte Staatsbudget. Viel eher geht es bei all diesen Maßnahmen darum, gegen Empathie und Solidarität vorzugehen, die ja bekanntlich die stärksten Waffen der Menschheit gegen Ausbeutung und Unterdrückung sind. Wider jede Wahrheit werden Bilder von sozial schmarotzenden, frauenmordenden und integrationsunwilligen Nie-ÖsterreicherInnen gezeichnet, um Angst und Entmenschlichung anzuheizen und gleichzeitig eine Politik durchzusetzen, die neoliberal und turbo-kapitalistisch als harmlose Worthülsen erscheinen lässt. Mit Mogelpackungen wie dem Papamonat, der Strafrechtsreform und der neuen Familienbeihilfe wird versucht, linke Themen zu kapern und die asozialen Grausamkeiten zu kaschieren. Umso schlimmer ist das absolute Vakuum auf der politisch linken Seite, die weder vereinende Visionen noch schlagkräftige Argumente zur Verfügung stellt.
Keine Fake News!
In Ambulatorien für Kinder mit Behinderungen zum Beispiel bedeuten die Neuigkeiten, dass Familien mit schwer kranken Kindern plötzlich ohne Mindestsicherung (und Versicherung) dastehen – Eltern, die kündigen, weil es keinen Platz im Kindergarten für ihr besonderes Kind gibt – vorwiegend Mütter, die daheim bleiben müssen, weil ihr jugendlicher Sohn kein 11. oder 12. Schuljahr mehr bewilligt bekommen hat aber auch kein Platz in einer Werkstätte frei ist – Kinder, die aus der laufenden Therapie nach Afghanistan abgeschoben werden – Kinder, aus Angst vor Abschiebung Suizid begehen – Kinder, die hier aufwachsen und verstummen ((selektiver) Mutismus), da sie nicht mehr wissen, welche Sprache sie sprechen dürfen – Kinder, die ihre Geschwister pflegen – Kinder, die übersetzen – Jugendliche, die illegal leben und arbeiten. Die betroffenen KollegInnen arbeiten in einer fast schizophren anmutenden Welt. Die Realität, die sie in ihrer Arbeit vorfinden, zeigt sich nicht auf der politischen und medialen Ebene.
Besagte Ambulatorien sind übrigens in keinem Kollektivvertrag und die Gehälter der Beschäftigten liegen unter denen der Branche. Das heißt, dass man zusätzlich zu dem Druck, mit den sehr belastenden Einzelschicksalen alleine zurechtzukommen, selbst vor oder in der Armut steht.
Ein Ort, wo wir nur gemeinsam bestehen
Die soziale Arbeit wird manchmal als Ort beschrieben, zu dem keiner hinschauen mag. Zu groß ist das Entsetzen über menschliche Abgründe aber auch die Angst, dort vielleicht ebenfalls mal zu landen. Betroffen, abhängig und ausgestoßen zu sein. Die Beschäftigten selbst wissen, dass es oft Zufall ist, auf welcher Seite des Behandlungstisches man sitzt. Die soziale Arbeit ist aber auch der Ort, wo die Menschlichkeit und Würde leben, wo man nur gemeinsam sein kann. Aus diesem Selbstverständnis heraus wird die Auseinandersetzung mit der aktuellen Politik in diesem Bereich besonders intensiv stattfinden. Es gilt den Schlachtruf nach mehr Empathie konkret auf die Arbeits- und Rahmenbedingungen umzulegen und sich den Ort, an dem jedeR nach seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten leben und arbeiten kann, zurückzuerobern.
(Funke Nr. 171/März 2019)