Österreich erlebt gerade nach der Hausdurchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) Ende Februar eine Krise, die das Potential hätte, sich zu einer ausgewachsenen Staatskrise zu entwickeln. Eine Analyse von Florian Keller.
Geheimdienste haben ja generell nicht den besten Ruf. Der Stallgeruch des Geheimen, bei dem auch in „normalen“ Zeiten immer eine Note Machtmissbrauch, Spitzelei und Gesetzesbrechen wahrnehmbar ist, kann selbst in bürgerlich-demokratisch verfassten Staaten nicht so recht aus den Kleidern gewaschen werden. Das gilt auch für den österreichischen Inlandsgeheimdienst, der daher auch unter der ersten schwarz-blauen Regierung im Zuge einer Reform 2002 versuchte, seine streng riechende Weste abzulegen. Im Zuge einer Zusammenlegung mehrerer Stellen wurde die alte, schon sehr nach Meinungspolizei müffelnde „Staatspolizei“ jetzt nach Vorbild Deutschlands das „Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung“ – wer kann solch hehren Zielen schon widersprechen?
Doch trotz aller äußerlichen Frischekuren ist der Geheimdienst jetzt in eine Krise geschlittert, die nicht nur einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss auf den Plan gerufen hat, sondern auch ein selten grelles Licht auf die sonst im Dunklen wirkenden innerbehördlichen Abläufe geworfen hat. Die Vorwürfe gerade gegen die FPÖ sind weitreichend, von einer Umfärbung des Innenministeriums bis hin zur Beschaffung von Verfassungsschutzdaten über Rechtsextreme. Doch diese Krise betrifft letztendlich nicht nur die FPÖ oder den Verfassungsschutz, sondern stellt in Wirklichkeit die größte Illusion der 2. Republik in Frage: Der Staat sei neutral, ein Rechtsstaat mit Gewaltenteilung, der unabhängig von Einzelinteressen funktioniere und über den gesellschaftlichen Klassen stehe, und überhaupt gibt es ein Paritätsprinzip, falls dieses „Ideal“ einmal nicht hundertprozentig funktionieren sollte.
Was ist passiert?
Wenn man den zuständigen Stellen Glauben schenken mag, dann waren die Hausdurchsuchungen am 28. Februar ein ganz normaler, „rechtsstaatlicher“ Vorgang. Nach einer Anzeige bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Beamte des BVT, unter anderem den Behördenleiter Peter Grindling wurde die Zentrale des Verfassungsschutzes sowie 2 Privatwohnungen durchsucht. Vorgeworfen werden ihnen dabei „Datenvergehen“. Grindling wurde knapp zwei Wochen danach vom Dienst suspendiert, laut Innenminister Herbert Kickl war das wegen den gegen ihn erhobenen Vorwürfen „unausweichlich“. Doch von einer Umfärbung könne keine Rede sein, auch sonst hätte alles seine Richtigkeit. Kickl: „Mir ist die Unschuldsvermutung ganz, ganz wichtig. Es ist absolut unrichtig, von einer Staatskrise zur sprechen“.
Doch wenn man nur ein wenig an der Oberfläche der offiziellen Pressekonferenzen und Stellungnahmen kratzt, kommt ein wahrer Augiasstall an parteipolitischer Interessenspolitik und Futtertrogmentalität zum Vorschein. Das beginnt schon beim Ablauf der Hausdurchsuchungen.
Die Vorgehensweise ist dabei reif für eine Agentenstory. Peter Goldgruber, Generalsekretär im Innenministerium und damit zweiter Mann hinter Kickl, seines Zeichens Mitbegründer der blauen Polizeigewerkschaft AUF und strammer Parteigänger der Freiheitlichen, gab bei der WKStA in Jänner ein Dossier an Anschuldigungen ab. Diese bezogen sich in erster Linie auf Beamte des BVT, aber konstatierten insgesamt ein „kriminelles schwarzes Personennetzwerk“, das den ganzen Polizeiapparat unterwandert hätte. Einen Monat später lieferte er eine ganze Reihe von Zeugen, die alle in Begleitung einer „Vertrauensperson“ des Innenministeriums bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft vorstellig wurden. Als die Staatsanwaltschaft schließlich eine Hausdurchsuchung anordnete, stand Goldgruber wieder auf dem Teppich, diesmal in Begleitung von Wolfgang Preiszler, Chef der EGS – die „Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität“.
Solche Hausdurchsuchung führt normalerweise die Sondereinheit „Cobra“ durch. Doch Goldgruber intervenierte – und die Staatsanwaltschaft war Wachs in seinen Händen. Normalerweise kaufen die Beamten der EGS nachts als verdeckte Ermittler Drogen am Praterstern oder überwachen „Kriminalitäts-Hotspots“ auf Wiens Straßen. Besonders bezeichnend: Der Leiter der EGS, Wolfgang Preiszler, ist ebenfalls ein Blauer (er sitzt für die FPÖ im Gemeinderat im niederösterreichischen Guntramsdorf) und auch AUF-Polizeigewerkschafter, der auf Facebook auch schon gerne einmal rassistische Karikaturen von verurteilten Neonazis oder Postings aus der Reichsbürgerszene teilt.
Diese Einsatzgruppe beschlagnahmte schließlich tonnenweise Daten (mehr als 40.000 Gigabyte) und zwar nicht nur von Beschuldigten, sondern auch von Beamten, die nur als Zeugen geführt wurden! Von einer von ihnen, Sibylle Geißler, wurden Daten beschlagnahmt, die in keiner Weise mit den Vorwürfen in Zusammenhang stehen – nämlich geheimdienstliche Erkenntnisse über Rechtsextreme. Geißler ist Leiterin des Extremismus-Referats des BVT, damit laufen bei ihr auch die Daten über rechte Umtriebe zusammen. Dabei verfasste sie kritische Lageberichte, unter anderem auch über den „Kongress der Verteidiger Europas“, bei dem Herbert Kickl im Herbst 2016 sprach, sowie über die Seite „unzensuriert.at“, deren vormaliger Chefredakteur jetzt Kommunikationschef im Innenministerium ist!
Und auch die Gründe für die Durchsuchungen selbst sind im aktuellen politischen Kontext lachhaft. Sie werfen gelichzeitig ein grelles Licht auf die gesetzesbrecherischen Praktiken eines Geheimdienstes und auf die Tiefe des Konfliktes zwischen ÖVP und FPÖ um Posten.
Konkret geht es einerseits um Passrohlinge aus Nordkorea, die in der Staatsdruckerei gedruckt wurden. Der BVT hatte dreißig Exemplare abgezweigt, um drei davon dem südkoreanischen Geheimdienst zu übergeben und den Rest selbst zu behalten. Es wird vermutet, dass ein großer Teil davon für US-amerikanische Geheimdienste bestimmt war. Der konkrete Vorwurf ist also, dass der BVT zugunsten eines verbündeten Landes Spionage betrieben hat. Nun wird ein Kenner der österreichischen Verfassung einwenden, dass die Neutralität Österreichs ein heiliger Verfassungsgrundsatz ist, der österreichische Staat ist ja angeblich nach außen hin genauso blind und unvoreingenommen, wie nach innen. Doch wie alles Heilige ist das in letzter Instanz nur ein Schleier für eine viel weltlichere, profanere Realität. Unter „normalen“ Umständen hätte der „Skandal“, einem Verbündeten zu helfen, in den Behörden wahrscheinlich nicht einmal für ein Unterbrechen der Mittagspause gesorgt. Im äußersten Fall wäre es zu einem symbolischen Stühlerücken gekommen. Doch dass eine regierende Partei selbst so etwas an die Öffentlichkeit zerrt, ist undenkbar.
Der Staat als Futtertrog für konkurrierende Bürokratencliquen
Andererseits geht es um den Vorwurf, dass die Serverdaten des ehemaligen Spitzenanwaltes der SPÖ, Gabriel Lansky, an die ÖVP weitergespielt worden seien, um daraus im letztjährigen Wahlkampf mit „dirty campagining“ (wir erinnern uns!) Kapital zu schlagen! Wenn das stimmt, hätte die ÖVP den Inlandsgeheimdienst für Wahlkampfzwecke eingesetzt. Selbst wenn diese Vorwürfe unwahr wären; diese Kausa alleine zeigt, wie wenig einen Geheimdienst die „demokratische Kontrolle“ und die Buchstaben eines Gesetzes interessieren, und wie sehr eine bürgerliche Clique (die FPÖ) über koalitionäre Leichen geht, um eine andere (die ÖVP) in einem Ministerium von den Futtertrögen zu verdrängen.
So blättert der glänzende Lack des neutralen Staates schon bei der Betrachtung des Vorfalls selbst völlig ab. Doch noch deutlicher wird das schmutzige Bild unter der Oberfläche, wenn man die Hintergründe betrachtet.
Seit der Nationalratswahl ist es insgesamt zu einer Welle von Umbesetzungen gekommen, wo die Suspendierung von Grindling nur die Spitze des Eisberges einer groß angelegten Umschichtung ist. Das betrifft alle möglichen Bereiche; bezeichnend ist etwa die Neubestellung des schlagenden Burschenschafters Arnold Schiefer zum Aufsichtsratschef der ÖBB. Doch vor allem das Innenministerium ist ein heikles Gebiet: Es war seit fast 20 Jahren fest in ÖVP-Hand, jetzt bleibt die ÖVP zwar weiterhin in der Regierung, gibt das Ressort aber an die FPÖ ab. Und diese ist fest dazu entschlossen, sich tief in die Posten, Pöstchen und Entscheidungsstrukturen des Staatsapparates einzugraben.
Dieser Konflikt wird auch offen über die Presse ausgetragen. Der Kurier, seines Zeichens zur Hälfte im Besitz des Raiffeisenkonzernes und damit Haus- und Hofberichterstatter der ÖVP, berichtete schon im Dezember über die beginnende „Umfärbung im Polizeiresort“. Es lohnt sich, hier ausführlich zu zitieren:
„,Im Innenministerium sitzen viele bereits auf gepackten Kartons‘, heißt es im Ressort, überall wartet man auf das angekündigte Köpferollen. Spektakulär könnte das BVT werden: Der stellvertretende Leiter Wolfgang Zöhrer nahm bereits vor zwei Wochen seinen Hut, BVT-Chef Peter Gridling steht laut Insidern ganz oben auf der Abschussliste. Damit wären gleich zwei Spitzenposten an der heikelsten Position des Staates neu zu besetzen.“ (Kurier, 20.12.2017)
Grindling war dabei nur die härteste Nuss, die für die FPÖ und die hinter ihr stehenden postenhungrigen Horden an Burschis und Rechtsblinkern zu knacken war. Denn was normalerweise ohne langes Federlesen durch befristete Verträge für Topbeamte geregelt wird, die halt im Zweifel einfach nicht verlängert wurden, war hier nicht möglich: Grindlings Vertrag musste dienstrechtlich schon verlängert werden, bevor er hinausgeworfen werden konnte. Also griff man auch hier zu einer „Beugung“ des Rechtes: Bundespräsident Van der Bellen unterschrieb zwar die Urkunde zu seiner Neubestellung, die Grindling dann aber einfach nicht überreicht wurde.
Letztendlich ergibt sich also ein klares Bild der Zustände im österreichischen Staatsapparat, der wenig mit dem blasiert-scheinkultivierten Auftreten der bürgerlichen Würdenträger in der Öffentlichkeit zu tun hat, sondern mehr mit einem Rudel streunender Hunde, die sich um einen Knochen zanken. Dabei wird mit den Mitteln nicht gespart: Konkurrierende parteipolitisch gefärbte Top-Bürokratencliquen tragen ihre Konflikte über die Kontrolle diverser leitender Positionen über Dienstrecht, über die Medien, über die selektive Verwendung von Gesetzen und sogar über den direkten Einsatz bewaffneter Organe aus. Wenn möglich werden dabei wie „im Vorbeigehen“ auch noch Informationen für die Verwendung in den eigenen reaktionären Netzwerken mitgenommen – in diesem Fall eben durch die FPÖ.
Dabei ist es kein Zufall, dass die FPÖ mitnimmt, was sie bekommen kann. Die ÖVP ist seit Jahrzehnten im Staatsapparat tief verwurzelt, kann sich daher durch „elegantere“ Wege als die Holzknüppelmethode der dumpfen Blauen bewegen, welche mit aller Macht ihren „Anteil“ am Kuchen des Staatsapparates sichern wollen. Auch personell kann die FPÖ hier nicht wählerisch sein. So schließt sich der Kreis der Skandale um den BVT auch bezeichnenderweise mit einer weiteren Personalie der Kategorie Glücksritter in höchstem Amt und Würden. Denn erst kürzlich wurde bekannt, dass der Chef des BVT von 2002 bis 2008, Gert-René Polli, in zwielichtige Waffengeschäfte und Ölschmuggel im Irak verstrickt ist. Noch vor Kurzem wurde er von den Blauen als möglicher Ministerkandidat gehandelt und es brauchte eine Intervention des türkischen (!) Geheimdienstes bei Strache, um ihn von dieser Idee abzubringen.
Eine der Strategien der FPÖ, um an dringend benötigtes Personal zu kommen, ist es, offensiv Beamte mit SPÖ-Parteibuch einzeln „umzufärben“. Dabei bleibt uns nur zu sagen: Wir schließen uns nicht dem Gewimmer über den „Druck“ an, der auf diesen „armen GenossInnen“ lastet. Im Gegenteil: Wir wünschen diesen „GenossInnen“ eine gute Reise und raten gleich noch allen, die sich ernsthaft überlegen diesen Schritt zu tun, sie zu begleiten. Wenn KarrieristInnen abspringen, die aus Gründen des persönlichen Fortkommens ein Parteibuch haben, verliert die Arbeiterbewegung nichts, im Gegenteil, das ist ein enormer Gewinn.
Ein Blick hinter die Kulissen des Polittheaters
Doch so scharf dieser Konflikt um Posten zwischen der ÖVP und der FPÖ auch ausbricht, so sehr Gesetze gebeugt, ignoriert und gebrochen werden, um die eigenen Interessen durchzuboxen, es gibt EIN ungeschriebenes Gesetz, an das sich trotzdem alle Beteiligten auf Punkt und Beistrich genau halten. Das „Vertrauen“ (sprich: die Illusionen) der normalen ArbeiterInnen, der Jugendlichen und den PensionistInnen in den Staat dürfen unter KEINEN Umständen erschüttert werden. Um das mit den Worten von Wolfgang Sobotka zu sagen (seines Zeichens bis vor Kurzem selbst Innenminister und nun Nationalratspräsident), als er die erste Nationalratsdebatte zum Skandal eröffnete: Das Thema sei „ein sehr sensibles“; das „Vertrauen der Menschen in die drei Säulen der Demokratie“ darf nicht erschüttert werden. Daher sollte die Diskussion – „mit der gebotenen Sachlichkeit“ geführt werden! Parteien (der Legislative) benutzen und kämpfen um Posten in der Exekutive, dieser Konflikt wird auch durch den direkten Einsatz von Exekutivorganen und Gerichtsbeschlüssen (der Judikative) geführt. Sogar die „vierte Säule“, die Medien, die Sobotka vergessen hat zu erwähnen, sind in diesem Kampf mit eingebunden, indem sie die öffentliche Kulisse bedienen.
In einer Situation also, in der sich die Gewaltenteilung als reine Farce herausstellt, ist die Devise offensichtlich: Weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen! Selbst die völlig jenseitige Verwendung der EGS für den Einsatz wird im Nachhinein vom (schwarzen) Justizminister gerechtfertigt – nur so habe man sicher sein können, dass im BVT keiner von der bevorstehenden Razzia erfahren würde. Das Gesetz des Schweigens ist also so allmächtig, dass lieber die Integrität einer Polizeieinheit in Frage gestellt wird, als dass auch nur ein einzelner Strahl der wahren Verhältnisse im Staatsapparat zwischen den Akteuren nach außen dringt – das heißt im speziellen Fall die „Unabhängigkeit der Justiz“ in Frage gestellt werden könnte. Der Vergleich mit der Mafia drängt sich nicht nur bei den Methoden der Kämpfe auf: So groß die Konflikte auch sind, nach außen dringt nichts! Doch was gilt es zu verschleiern?
Was ist der Staat tatsächlich?
200 Jahre nachdem Karl Marx auf die Welt gekommen ist lohnt es sich, hier die theoretischen Betrachtungen des Marxismus genau zu untersuchen. Friedrich Engels erklärte schon vor über 150 Jahren in seinem Werk „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“
:
„Da der Staat entstanden ist aus dem Bedürfnis, Klassengegensätze im Zaum zu halten, da er aber gleichzeitig mitten im Konflikt dieser Klassen entstanden ist, so ist er in der Regel Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse, die vermittelst seiner auch politisch herrschende Klasse wird und so neue Mittel erwirbt zur Niederhaltung und Ausbeutung der unterdrückten Klasse. So war der antike Staat vor allem Staat der Sklavenbesitzer zur Niederhaltung der Sklaven, wie der Feudalstaat Organ des Adels zur Niederhaltung der Leibeignen und hörigen Bauern und der moderne Repräsentativstaat Werkzeug der Ausbeutung der Lohnarbeit durch das Kapital.“
Letztendlich dient der Staatsapparat also hinter allen Tricks, Kniffen und Verschleierungen einem einzigen Ziel: der Aufrechterhaltung des Kapitalismus, das heißt der Herrschaft des Kapitals über die Arbeiterklasse. Dieser Zweck ist bestimmend, und es ist letztendlich zweitrangig, ob der Staat „demokratisch“ oder „diktatorisch“ ist; auch wenn das für unser tagtägliches Leben natürlich einen riesigen Unterschied macht. Der Staat ist in erster Linie ein Produkt der Klassengegensätze innerhalb der Gesellschaft, und kein neutraler Wächter, sondern ein sehr parteiisches Instrument.
In Wirklichkeit haben die Bürgerlichen panische Angst davor, dass die Funktionsweise des Staatsapparates hinterfragt wird. Im Mittelalter war es das „Gottesgnadentum“, das die Herrschaft von König, Kaiser und Kirche legitimierte und ideologisch absicherte. Heute ist es das Vertrauen in die „Gewaltenteilung“, den „Rechtsstaat“ und den ausgleichenden „Sozialstaat“, die vor Despotismus und Diktatur schützen sollen. Schwarz-Blau bereitet sich auf eine radikale Beseitigung des Vertrauens der ArbeiterInnen in den österreichischen Sozialstaat vor, indem systematisch soziale Rechte und Leistungen gekürzt und gestrichen werden, während das Kapital mit immer neuen Geschenken überschüttet wird. Daher ist die Aufrechterhaltung der Illusionen in die absolute Gültigkeit der Gesetze, in die Unantastbarkeit der verfassungsmäßig verbrieften Grundrechte, und vor allem in die staatlichen Institutionen selbst eine Überlebensfrage nicht nur für diese Regierung, sondern für den Kapitalismus selbst. Denn von der Erkenntnis, dass sich die politischen Parteien nichts scheren, wenn sie um Posten kämpfen, dass dafür ganz ohne mit der Wimper zu zucken alle hohen Ideale mit einem Ruck aus dem Fenster geworfen werden, ist es kein weiter Weg zu einer anderen Erkenntnis: Wenn die Parteien in ihrem Kleinkriegen den Staatsapparat mehr oder minder als persönliches Lehen betrachten, warum sollten Raiffeisenbank, Red Bull und Co., die die Regierung zu 100% in der Tasche haben, das nicht auch tun, wenn es ihnen gerade gelegen kommt? Die Wahrheit ist: Das Kapital ist durch tausend Fäden mit dem Staatsapparat verbunden und kann in ihm schalten und walten, wie es will!
Trotz aller Versicherungen der Rechtsstaatlichkeit und der Neutralität bereitet die herrschende Klasse den Staatsapparat auch auf eine direkte Konfrontation mit der Arbeiterklasse vor. Was heute an Polizeigewalt an linken Demos und Flüchtlingen geprobt wird, wird in Zukunft gegen kämpfende ArbeiterInnen verwendet werden. Langsam, aber sicher werden die Rechte der Polizei erhöht, Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit eingeschränkt, Überwachung verschärft, es gibt Übungen dafür, das Bundesheer im Inneren einzusetzen, und nicht zuletzt wird unter allen Dingen rund um die Affäre des BVT die Forderung von Bürgerlichen laut, den Verfassungsschutz zu einem „echten“ Geheimdienst zu machen, der unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten tätig werden darf!
Eine der wichtigsten politische Forderungen für MarxistInnen ist daher die absolute Unabhängigkeit der Arbeiterbewegung vom Staatsapparat – finanziell wie strukturell. Damit meinen wir natürlich nicht, dass Staatsbeschäftigte nicht für die Arbeiterbewegung gewonnen werden können – ganz im Gegenteil! In vielen südeuropäischen Ländern sehen wir, wie LehrerInnen oder KrankenpflegerInnen die Speerspitze des Widerstandes gegen die brutale Einsparungspolitik darstellen. Mit der richtigen Taktik und in der richtigen Situation können auch PolizistInnen, SoldatInnen oder Ministerialbeamte für eine sozialistische Perspektive gewonnen werden. Doch eins ist unmöglich: Den Staatsapparat als Solches und als Ganzes für eine sozialistische Gesellschaft zu gewinnen und zu übernehmen.
Arbeiterbewegung und Staat
Es ist klar, dass wir jede noch so kleine Möglichkeit nutzen müssen, um über die Wege, die die bürgerliche Demokratie bietet, zu arbeiten. Doch es gilt diese zu nutzen, um Vorurteile und Illusionen über die Natur des kapitalistischen Systems, seine Reformierbarkeit und die Rolle des Staates zu bekämpfen, nicht zu bestärken. In der Parlamentsdebatte zum BVT-Skandal stellte der SPÖ-Vorsitzende Kern durchaus richtig die prinzipienlosen Machenschaften der FPÖ dar. Aber er entlarvte nicht beide Seiten als das was sie sind – KarrieristInnen, die mit allen Mitteln um Posten und Einfluss streiten – sondern er präsentierte sich als oppositionelles Spiegelbild von Sobotka, indem er das Hauptproblem darin ausmachte, dass das Vertrauen der Menschen in die Polizei erschüttert werde – laut Kern ein „politisches Spiel auf dem Rücken der Sicherheit“! Damit sprang er de Facto der ÖVP und dem „alten Geld“ zur Verteidigung zu.
Nach jahrzehntelanger Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie in der 2. Republik mitsamt Sozialpartnerschaft hat die österreichische Arbeiterbewegung nicht den grundlegenden Charakter des Staatsapparates verändert. Im Gegenteil: Sie hat sich für zukünftige Klassenkämpfe die Hände selbst gebunden. Die 30 Silberlinge, die das Kapital freigiebig verteilt, mögen vielleicht glänzen, aber all die Privilegien für einzelne FunktionärInnen, die Posten und Pöstchen, die Verbindungen zu den Bürgerlichen, machen die Führung der Bewegung und damit die Gesamtbewegung erpressbar. Über lange Jahre hat es das Kapital für die sinnvollste Strategie gehalten, die Führung der Arbeiterklasse direkt in die Verwaltung des Staates einzubauen, um ein reibungsloses Funktionieren sicherzustellen. Unter dem Eindruck der weltweiten Krise des Kapitalismus hat sie sich jetzt dazu entschieden, zum Angriff überzugehen. Sich von der Fessel an das Bürgertum zu befreien, deren ideologischer Ausdruck die „Sozialpartnerschaft“ ist, ist ein schmerzhafter Prozess, in dem noch viele KarrieristInnen sich entscheiden werden, noch rechtzeitig die Seiten zu wechseln – aber er ist notwendig, sonst drohen Niederlagen auf Niederlagen ohne Kampf gegen eine Lawine aus Angriffen auf Lebensstandard und Arbeiterrechte, die anrollen wird.
Doch wenn das gelingt, wenn die Arbeiterklasse eine Führung hat, die, anstatt sich der Illusion einer „gemeinsamen Verwaltung“ des kapitalistischen Status Quo hinzugeben einen Sturz der bestehenden Verhältnisse auf die Tagesordnung setzt, kann eine tatsächliche sozialistische Revolution wie ein laues Lüftchen wirken.
Denn das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen ist mittlerweile derartig einseitig, dass das Kapital, wäre es auf direkte Unterdrückung der ArbeiterInnen angewiesen, die ihm verbleibenden Tage an einer Hand abzählen könnte. Spaltung, Betrug, Verschleierung und „Dampf ablassen“ sind daher die bevorzugten Kampfmethoden der Kapitalistenklasse. Wenn das nicht mehr funktioniert, wird es auch in Österreich möglich sein, den zum Himmel stinkenden Kapitalismus ein für alle Mal zu beseitigen.
Dieser Artikel erschien erstmals am 24.4.2018 in der Funke-Ausgabe Nr. 163