Die deutschnationalen Burschenschaften sind derzeit aufgrund antisemitischer Liedtexte und ihrer ewiggestrigen Ideologie in aller Munde. Diese verteidigen sich damit, dass die Burschenschaften die ersten Kämpfer für demokratische Grundrechte waren und als die wahren Erben der Revolution von 1848 gesehen werden müssen. Was es damit auf sich hat, beschreibt Gernot Trausmuth.
Wir schreiben das Jahr 1848. In der Wiener Innenstadt geht das Leben seinen Lauf. In den unzähligen Betrieben, die den riesigen Hofstaat der Habsburger mit Waren beliefern, herrscht emsiges Treiben. Die vergangenen Jahrzehnte seit dem Wiener Kongress von 1815 waren durch stabile Verhältnisse gekennzeichnet, die der Außenminister Fürst Metternich mit eiserner Faust garantierte. In Wien war seit der Französischen Revolution alles daran gesetzt worden, das Rad der Zeit aufzuhalten. Zu gefährlich erschienen all die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen, die in Westeuropa der Revolution den Weg bereitet hatten, und die mit den Ideen von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ einhergegangen waren. Österreich schien sich erfolgreich von dieser Entwicklung abgeschirmt zu haben.
Doch der Preis für diese Politik war ein sehr hoher. Während in Westeuropa der Kapitalismus boomte, das Eisenbahnnetz rapide ausgebaut wurde und Fabriken wie die Pilze aus dem Boden schossen, herrschte in Österreich relativer wirtschaftlicher Stillstand. Und das geistige Leben konnte sich nur zaghaft entwickeln. Der katholische Klerus und die staatliche Zensur erstickten alles, was an der vermeintlich göttlichen Ordnung im Habsburgerreich rütteln könnte. Angesichts dieser Rückständigkeit griffen Marx und Engels die bei Intellektuellen damals sehr beliebte Metapher von Österreich als einem „deutschen China“ auf, in dem ein „väterlicher Despotismus“ herrscht. Der größte Feind dieser österreichischen Barbarei sei die „moderne Zivilisation“, so Engels. Spät aber doch setzte auch in Österreich eine Entwicklung der Produktivkräfte ein, die zusehends in Widerspruch zu den alten feudalen Produktionsverhältnissen geriet. Das war die Basis, dass sich selbst in der stickigen Atmosphäre des von Metternich regierten Wien dann zaghaft die frische Luft der demokratischen Bewegung ihren Weg bahnte.
Märzrevolution
Die Nachricht von der Februarrevolution und dem Sturz der Monarchie in Frankreich gab auch den demokratischen Kräften in Deutschland und Österreich neuen Auftrieb. Schon wenige Tage danach hatten Unbekannte am Kärntner Tor ein Plakat angebracht, auf dem der Kopf Metternichs, der verhassten Symbolfigur des Hofstaates, gefordert wurde. Kurz darauf machte die Rede von Lajos Kossuth, dem Führer der ungarischen Unabhängigkeitsbewegung, im ungarischen Landtag die Runde, wo er sich für eine parlamentarische Staatsform aussprach, was in demokratischen Kreisen eine heftige Debatte auslöste. Auch in Deutschland war in mehreren Städten bereits die Revolution nach französischem Beispiel ausgebrochen.
Nun sprang der Funke endgültig auf Wien über. Am 12. März wurde in der Aula der Universität Wien eine Versammlung abgehalten, bei der die Studenten, darunter sehr viele jüdischer Herkunft, eine Petition an den Kaiser verabschiedeten. Darin forderten sie Rede- und Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schwurgerichte, die Freiheit der Wissenschaft und ein vom Volk gewähltes Parlament. Kaiser Ferdinand und seine Berater ignorierten das Gesuch jedoch und versuchten die Krise auszusitzen. Doch dafür war bereits zu viel in Bewegung geraten. Am darauffolgenden Tag kam es im niederösterreichischen Landhaus zu weiteren Protesten. Die Demonstranten forderten verhältnismäßig geringfügige Reformen. Noch wusste keiner, was so wirklich geschehen sollte. Doch als die Rede von Kossuth verlesen wurde, begann der Aufstand. Es wurden in der Innenstadt Barrikaden gebaut, und die Revolution musste ihre ersten Todesopfer beklagen.
Die Nachricht breitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt und in den Vorstädten aus, wo Arbeiter und Arbeitslose zu Tausenden unter unmenschlichen Bedingungen hausten. Sie litten schon seit längerem unter der Wirtschaftskrise und Missernten. Es brauchte nur einen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die soziale Explosion in den Vorstädten Fünfhaus, Sechshaus usw. transformierte die ganze Situation. Fabriken wurden gestürmt und zerstört, die verhassten Mauthäuser am Eingang zur Stadt wurden in Brand gesetzt. Der Zorn richtete sich gegen die Symbole einer Ordnung, die die Arbeiterschaft zu einem Leben in Elend verdammte.
Es war eine von Kleinbürgern, Studenten und Arbeitern getragene Revolution, die im März 1848 Wien erschütterte. Der Demokrat Helmut Jellinek schrieb: „Die Märzrevolution hat das Volk gemacht, der ‚Pöbel‘, auf den die Bourgeoise so stolz herabblickt, das ‚Gesindel‘, welches der hohe Adel für ‚Bestien‘ erklärte: Die Märzrevolution war das große Werk der Volksmassen.“ Doch die Einheit des Volkes begann schon in der Stunde des Sieges zu bröckeln. Die Bürgerlichen, die auch den Rücktritt Metternichs forderten, waren angesichts der Anarchie in den Vorstädten entsetzt und mussten plötzlich um ihr Eigentum zittern. Noch bevor die Revolution ihren ersten Erfolg in Händen hielt, wurden Bürgerkorps entsandt und gingen brutal gegen diese Volkserhebung vor. 45 Menschen starben in dieser Nacht. Diesen Märzgefallenen, den Opfern der Revolution, wurde bis ins frühe 20. Jahrhundert von der Sozialdemokratie gedacht. Sie waren die ersten Märtyrer der frühen Arbeiterbewegung.
Angesichts der aufsteigenden Brandsäulen in den Vorstädten musste der Hof jedoch reagieren und Metternich wurde zum Rücktritt gezwungen. Am 14. März feierte die Revolution ihre ersten Erfolge, die Aufhebung der Zensur und die Durchsetzung der Pressefreiheit. Die revolutionären Kräfte organisierten sich nun auch militärisch. Es wurde eine Nationalgarde errichtet, die auf der Universität einen eigenen Ableger, die Akademische Legion, erhielt.
Doppelherrschaft
Ende April legte die Regierung einen Entwurf für eine neue Verfassung vor. Dieser beinhaltete zwar eine Reihe von Zugeständnissen an die revolutionären Kräfte, doch von demokratischen Verhältnissen war diese weit entfernt. Das vorgesehene Wahlrecht war absolut ungerecht, weil es nur den Personen zugestanden wurde, die eine hohe Steuerleistung vorweisen konnten. Die Arbeiter waren davon völlig ausgeschlossen. Damit ging die Revolution in eine neue Phase und forderte einen konstituierenden Reichstag, der aus allgemeinen, direkten und freien Wahlen hervorgehen sollte. Unter dem Druck der Straße musste der Kaiser erneut klein beigeben. In Wien hatten sich die Kräfteverhältnisse somit eindeutig zugunsten der Demokratie verschoben. Nun wurde auch der Ruf nach einer Republik erstmals laut. Am 17. Mai floh der Kaiser aus der Hauptstadt und zog sich nach Innsbruck zurück. Das war aber in erster Linie ein gezieltes Manöver der Reaktion am Hof, die darauf hinarbeitete, die institutionelle Macht der revolutionären Kräfte, die sich in Wien etabliert hatte, über kurz oder lang zu beseitigen. Vor allem die Akademische Legion, der bewaffnete Arm des studentischen Radikalismus, war der Hofkamarilla ein Dorn im Auge und sollte aufgelöst werden. Doch die Peitsche der Konterrevolution, die Ende Mai erneut zuschlug, hatte nur zum Ergebnis, dass die Revolution erneut mit Massenmobilisierungen und dem Bau von 100 Barrikaden reagierte. Die Konterrevolution musste wieder einen Rückzieher machen, und es wurde der „Sicherheitsausschuß der Bürger, Nationalgarden und Studenten zur Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit und zur Wahrung der Volksrechte“ gebildet.
Im revolutionären Wien existierte nun de facto eine Doppelherrschaft. Der Sicherheitsausschuss, der in Wirklichkeit eine Art „Gegenregierung“ darstellte, in der das Bürgertum entscheidenden Einfluss hatte, und darüber hinaus sowohl von den Studenten wie auch den Arbeitern als einzige politische Autorität anerkannt wurde und über bewaffnete Macht verfügte, hätte nun das Heft in der Hand gehabt. Doch es fehlte dem Sicherheitsausschuss, in dem die Akademische Legion eine einflussreiche Position einnahm, an einer wirklichen Perspektive, um die Revolution zum vollständigen Sieg zu führen, und er nahm gewissermaßen eine „Zwischenposition“ ein. An vielen Wendepunkten zeigte er sich daher unentschlossen. Anstatt offensiv den Kampf um die Macht gegen die Regierung und die Erringung der Republik zu suchen, verzettelte man sich in unzähligen kleinen Tagesfragen, die letztendlich daraus hinausliefen, die Interessen von Bürgertum und verelendeter Arbeiterklasse unter einen Hut zu bringen. Mit der Flucht des Kaisers war nämlich das Wirtschaftsleben in Wien schwer beeinträchtigt worden, was zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit führte. Die Armen wandten sich nun in großer Zahl mit konkreten Bittgesuchen an den Ausschuss. Dieser vertrat das „Recht auf Arbeit“, ohne aber die Interessen der Bürgerlichen anzugreifen, und startete so ein groß angelegtes Programm an öffentlichen Arbeiten (Bau von Dämmen, Regulierung des Wienflusses…), bei dem mehr als 20.000 Menschen Arbeit fanden.
Die neue Arbeiterbewegung
Eine Revolution zeichnet sich auch immer dadurch aus, dass sich die Massen zu organisieren beginnen. Die Bürger hatten sich in demokratischen Vereinen, die Studenten in der Akademischen Legion zusammengeschlossen, und nun waren die Arbeiter an der Reihe, die schon bisher eine entscheidende Rolle in der Revolution spielten. Am 24. Juni gründete sich der „Erste Allgemeine Arbeiterverein“ unter der Führung des Buchbindergesellen Friedrich Sander. Sein Symbol war der Bienenstock. Für Sander war der Sozialismus „eine neue berechtigte Wissenschaft, nicht die unsinnige Idee einiger Schwärmer“ und er hatte die Notwendigkeit einer unabhängigen Organisation der Arbeiterschaft verstanden: „Einigung, Einigkeit ist das Mittel, von dem ich alles erwarte, Einigkeit der Schrecken der Spießbürger, der Egoisten. – Ein Einzelner vermag wenig, tausend können Unendliches leisten.“ Und bald schon waren 2000 Arbeiter in dem Verein organisiert. Das proletarische Rückgrat der Revolution bildeten jedoch die ErdarbeiterInnen, die in großer Zahl auf den öffentlichen Baustellen arbeiteten und schnell ein kollektives Bewusstsein entwickelten. Über Wochen führten sie einen Kampf um Lohnausgleich für Regen-, Sonn- und Feiertage und schufen im Zuge dessen Aktionskomitees mit gewählten Vertretern. Regelmäßig kam es zu Arbeiterdemonstrationen mit einer damals üblichen „Katzenmusik“ vor dem „Arbeitercomité“ in der Salvatorgasse, bei denen mit Töpfen u.a. ohrenbetäubender Lärm gemacht wurde, um auf die eigenen Anliegen aufmerksam zu machen. Die Geschäftsleute der Innenstadt starteten sodann eine Kampagne für ein Demonstrationsverbot, weil sie „Geschäftsstörung“ beklagten. Die Bürgerlichen hatten sichtlich genug von der ständigen „Unordnung“ und wechselten zusehends ins Lager der reaktionären Regierung.
Bauernbefreiung und Arbeiterprotest
Über den Sommer manifestierte sich jedoch Schritt für Schritt die revolutionäre Ordnung. In der Winterreitschule tagte nun erstmals der demokratisch gewählte Reichstag, der eine neue Verfassung ausarbeiten sollte. Ein junger Abgeordneter namens Hans Kudlich aus Schlesien, Sohn eines Bauern und Student in Wien, der am 13. März bei den Straßenkämpfen beim Landhaus verletzt worden war, trug die Forderung nach Aufhebung des bäuerlichen Untertänigkeitsverhältnisses in den Reichstag. Die Bauern waren bis dahin immer noch verpflichtet, einen Robot (Frondienst für den Grundherren) und Zehent (Steuer in Form von Geld oder Naturalien an den Grundherren) zu leisten. Dazu kam, dass der Grundherr die Gerichtsbarkeit über seine Untertanen ausübte. Die Ablösen für die Leibeigenschaft waren so hoch, dass die Bauern, die sich freikaufen wollten, ein Leben lang schwer verschuldet waren. Die Bauernbefreiung wurde dank Kudlich zu einer zentralen Aufgabe der Revolution.
Während die reaktionären Kräfte im Reichstag diese Frage zu blockieren versuchten, machte die Regierung in der zweiten Augusthälfte einen neuerlichen Angriff auf die Arbeiterschaft. Der Arbeitsminister Schwarzer, vormals Herausgeber der liberalen „Allgemeinen Österreichischen Zeitung“, veranlasste eine Kürzung der Frauenlöhne auf den öffentlichen Baustellen um 5 Kreuzer, was eine spontane Protestwelle auslöste. Arbeiter und Arbeiterinnen wollen diese 25prozentige Lohnkürzung nicht hinnehmen. Es kam zu friedlichen Massenkundgebungen gegen den verantwortlichen Minister, der – wie man es von Faschingsumzügen kannte – als Lehmpuppe dargestellt wurde, die eine Kreuzer-Münze im Mund hatte. Der Sicherheitsausschuss und vor allem die Studenten der Akademischen Legion sympathisierten zwar in Worten mit den Anliegen der ArbeiterInnen, mit denen sie seit März mehrfach auf den Barrikaden gestanden hatten. Doch sie versuchten diese zu beschwichtigen und warnten vor einer Eskalation. Für sich selbst definierten sie in diesem Konflikt eine „neutrale“ Position. Bei einer großen Demonstration im Prater am 23. August ging dann die bürgerliche Nationalgarde gegen die ArbeiterInnen gewaltsam vor und tötete 22 Menschen. In der Nationalgarde waren viele Hausbesitzer, Händler, Beamte und dergleichen organisiert, die vor einer weiteren Radikalisierung der Revolution Angst hatten und endlich wieder Ruhe und Ordnung einkehren lassen wollten.
In dieser entscheidenden Situation löste sich der Sicherheitsausschuss selbst auf und entsprach damit dem Wunsch der Regierung, die in dieser politischen Krise die staatliche Gewalt wieder zu konzentrieren beabsichtigte. Mangels Perspektive hatten die Demokraten dem Treiben der Reaktion nichts entgegenzusetzen und räumten kampflos das Feld. Die Handwerker und Gewerbetreibenden, die die Mehrheit der Bevölkerung in Wien ausmachten, schwankten bereits seit geraumer Zeit hin und her. Einerseits wollte dieses Kleinbürgertum eine demokratische Neuordnung, andererseits sehnte es sich nach den stabilen Verhältnissen der früheren Zunftordnung. Je weniger entschlossen die Revolution auftrat, desto eher war das Kleinbürgertum anfällig für die Versprechungen der Vertreter der alten Ordnung. Nach den Augustereignissen schwenkten diese Kräfte wieder mehrheitlich ins Lager der Konterrevolution um.
Anfang September wurde im Reichstag darüber hinaus das Grundrechtspatent beschlossen, womit die Befreiung der Bauern gesetzlich festgelegt war. Die Bauernschaft war mit dieser Reform von oben zufriedengestellt, was aber auch bedeutete, dass sie in den weiteren Ereignissen keine aktive Rolle mehr einnehmen würde.
Revolution und Konterrevolution
Gleichzeitig zog die Konterrevolution ihre militärischen Kräfte zusammen, um im richtigen Augenblick Wien zu säubern. Graf Windischgrätz hatte bereits den Aufstand in Prag niedergeschlagen, in Oberitalien hatte die Armee unter Radetzky die Kräfte der Unabhängigkeitsbewegung besiegt, und in einem nächsten Schritt sollte die im Zuge der Revolution errungene staatliche Selbständigkeit Ungarns rückgängig gemacht werden. Als der Kriegsminister Latour Truppen aus Wien gegen Budapest entsenden wollte, kam es am 6. Oktober noch einmal zu einem bewaffneten Aufstand der revolutionären Kräfte. Binnen kurzer Zeit war die Stadt unter der Kontrolle der Massen. Der verhasste Latour wurde vor seinem Ministerium gelyncht und sein Leichnam öffentlich zur Schau gestellt. In dieser Situation zögerten die demokratischen Kräfte aber einmal mehr. Die immer größer werdenden Gräben zwischen Arbeiterklasse und Bürgertum stürzte die Studenten und Demokraten in heillose Verwirrung. Das Bürgertum fiel bald nach dem Sieg des Aufstandes in Wien wieder in ihr „Mißtrauen gegen die ‚anarchische‘ Arbeiterklasse“ (Friedrich Engels, Revolution und Konterrevolution in Deutschland). Die Arbeiterschaft wiederum hatte das Massaker der Bürgerlichen nicht vergessen und forderte so ihre eigenständige Bewaffnung. Die Demokraten waren in dieser Situation bemüht, nur Maßnahmen im Rahmen der Legalität zu setzen und hofften auf eine friedliche Lösung. Weder der Demokratische Verein noch die Akademische Legion hatten eine Strategie, wie man die Konterrevolution nun dauerhaft besiegen könnte. Vor allem weigerten sie sich ein Bündnis mit Ungarn zu schließen, wodurch Wien militärisch viel zu schwach blieb.
Trotz allem wurde gegen die Reaktion heroischer Widerstand geleistet. Robert Blum, der linke Abgeordnete im Frankfurter Parlament, stand während der Entscheidungsschlacht in Wien auf Seiten der Revolutionäre. Er schrieb in einem Brief an seine Frau: „Wien ist prächtig, herrlich, die liebenswürdigste Stadt, die ich je gesehen: dabei revolutionär in Fleisch und Blut. Die Leute treiben die Revolution gemütlich, aber gründlich. Die Verteidigungsanstalten sind furchtbar, die Kampfbegier grenzenlos. (…) Nur eines fehlt: wahrhaft revolutionärer Mut in den Behörden, man zerrt sich dort gar zu sehr mit Halbheiten herum und laviert immer, um auf dem gesetzlichen Boden zu bleiben.“
Blum und andere wichtige radikale Demokraten ließen keinen Zweifel, dass es vor allem die Arbeiter waren, die in dieser aussichtlosen Lage alles daran setzten, die Revolution zu verteidigen. In großer Zahl meldeten diese sich freiwillig zur militärischen Verteidigung des demokratischen Wien und am 28. Oktober, beim Sturm der kaiserlichen Truppen (60.000 Mann) unter der Führung von Windischgrätz, hatten sie auch die meisten Opfer zu beklagen. Die Soldateska wütete bei der Eroberung der Hauptstadt, und konnte sich dabei des Jubels des Bürgertums sicher sein. Wenige Tage nachdem Robert Blum und Hermann Jellinek standrechtlich hingerichtet worden waren, überbrachte eine Delegation dem Grafen Windischgrätz eine Grußbotschaft, in der es hieß: „Mit innigster Verehrung erscheinen wir, die Vertreter der sämtlichen Handels- und Gewerbekorporationen dieser Residenzstadt, vor Eurer fürstlichen Durchlaucht, um Hochderselben unserer und unserer Kommittenten tiefgefühlten Dank für die Herstellung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe darzubringen, wodurch des Bürgers Sicherheit an Person und Eigentum allein gewährleistet wird.“
Unter dem neuen Kaiser Franz Joseph wurden die revolutionären Kräfte systematisch verfolgt und unterdrückt. Die wichtigsten Führer der demokratischen Linken, die dem Standgericht entkamen, mussten ins Exil flüchten, die Vereine wurden aufgelöst, die Zensur wieder eingeführt, Arbeiter wurden zwangsrekrutiert und als Kanonenfutter an die Front gegen die revolutionären Kräfte in Ungarn und Italien gesandt oder beim Bau der gegen die Arbeiterschaft gerichteten Militärbauten, das Arsenal und die Roßauer Kaserne, eingesetzt.
Die Arbeiterbewegung brauchte fast 20 Jahre, bis sie sich wieder neu organisieren konnte. Sie knüpfte aber an den organisatorischen und programmatischen Konzepten des Jahres 1848 an und führte als einzige politische Kraft das Erbe der 1848er-Revolution weiter. Die Bürgerlichen hingegen waren fast ausnahmslos ins Lager der Konterrevolution gerückt. Sie versteckten sich hinter der Monarchie und lehnten generelle Bürgerrechte und das allgemeine, direkte und gleiche Wahlrecht entschieden ab, und suchten ihr Heil in allerlei reaktionären Ideologien, wie dem Antisemitismus oder dem Klerikalismus. Diese antidemokratische Tradition wirkte bis ins 20. Jahrhundert nach, prägte die Gründung der Republik und erklärt, warum die Bürgerlichen im Faschismus ihr Heil suchten. Ernst Fischer schrieb zu den Folgen des Scheiterns der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland und Österreich: „Gebilde des Mittelalters, nicht von einer siegreichen demokratischen Volksbewegung hinweggefegt, sondern hineingeschleppt in das zwanzigste Jahrhundert, haben furchtbares Unheil angerichtet.“ Strammstehendes Untertanentum, Machtanbetung an Stelle von Freiheitsliebe, Resignation bis zur Wurstigkeit, Anpassungsfähigkeit bis zur Charakterlosigkeit prägen seither den Nationalcharakter hierzulande. In Wirklichkeit kennzeichnet diese Geisteshaltung das österreichische Bürgertum in diesem Lande bis zum heutigen Tage.