Ein Gespenst geht um in Österreich: Das Gespenst des Hooliganismus verschreckt Medien, Polizei und VertreterInnen des Staates gleichermaßen. Mordende und brandschatzende Horden primitiven Mobs ziehen durch Straßen und Stadien und sind drauf und dran die gutbürgerliche Ordnung durcheinander zu bringen. Mit einem Ansteigen dieses Phänomens wird im Allgemeinen im Jahr 2008 zur Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz gerechnet.
So stellt sich die Berichterstattung in den meisten Medien nach den „Ausschreitungen“ am 4. März im Wiener Derby Austria Wien gegen Rapid Wien dar. Die Antworten und Forderungen lassen sich in einem Wort zusammenfassen: Repression. Präventivhaft für „Hooligans“, stärkeres Einschreiten der Polizei und eine bessere Überwachung der Stadien wird gefordert.
Unverständnis für Fankultur
Seit Jahren ist sowohl von den Klubverantwortlichen als auch von der Polizei sowie von den Medien ein absolutes Unverständnis für die Fankultur zu beobachten. Konkretes Beispiel dafür war etwa der Kommentar des ORF-Moderators des Spieles am 4. März, als anlässlich des 15. Geburtstages eines Fanclubs in der 15. (!) Minute eine Choreographie auf der Tribüne der Austria-Fans zelebriert wurde. Dieser meinte lapidar: „Eine schöne Idee haben sich die Austria-Fans da für den Fall einer raschen Führung (zu dieser Zeit stand es bereits 2:0, Anm.) einfallen lassen“. Dabei war der Geburtstag des Fanclubs für alle Fernsehzuschauer leicht erkennbar auf einem sehr großen Transparent über die gesamte Tribüne in fetten Lettern angekündigt worden und die Verbindung zur 15. Minute nur zu augenscheinlich.
Nun mag dies nur ein lächerlich erscheinender Vorfall angesichts der gezeigten Gewaltausbrüche sein, doch ist dieses Unverständnis für die Bedürfnisse und Wünsche der Fans ein nicht zu verachtender Grund für die entstehenden Spannungen auf den Tribünen.
Ein weiteres Beispiel vom Sonntag wären hier beispielsweise die extra für das Spiel angebrachten meterhohen Werbebanden direkt vor (!) den Fantribünen, welche in den ersten Reihen eben dieser die Sicht aufs Spielfeld nahmen. Noch deutlicher kann man wohl nicht zeigen, wie wenig einem die Interessen der ZuschauerInnen in den Fanblocks am Herzen liegt.
In der gesamten Berichterstattung vermischen sich zwei verschiedene Themen: auf der einen Seite jenes der Gewalt in den Stadien und der Ausschreitungen und zweitens der entwickelten Fankultur, die allzu oft einfach mit ersterem gleichgesetzt wird. Auch die vorgeschlagenen Maßnahmen um die Gewalt aus den Stadien zu bekommen richten sich gegen die gesamte Fankultur und nicht nur die einzelnen Gewalttäter.
Die „Hooligan“-Datei
Wenn auch wahrscheinlich ungewollt, zeigte ein im Nachrichtenmagazin „Profil“ erschienener Artikel („Der A-Hooligan“, profil 11, Seite 28) wohin die Reise der nächsten Jahre gehen soll: Kriminalisierung der Fan- und Massenkultur als Gesamtes.
Diesem Artikel ist zu entnehmen: „In der Hooligan-Datei, für die Marek (Sicherheitsbeauftragte des Innenministeriums für die Europameisterschaft 2008, Anm.) nun auch zuständig ist, gibt es drei Kategorien: A-Hooligans sind fußballbegeistert, aber nie ausfällig. B-Hooligans sind nicht grundsätzlich gewalttätig, aber in bestimmten Lebenslagen, etwa wenn sie zu viel getrunken haben, werfen sie schon einmal mit Flaschen um sich oder schlagen jemanden nieder. Die ganz üblen Kerle bekommen ein C verpasst, was für die Polizei ungefähr so viel bedeutet wie: Pfeift aufs Spiel, will nur Krawall machen.“
Die hier übernommene Kategorisierung ist nicht neu sondern stammt aus den 1980er Jahren. Sie kategorisierte die Fans als Gesamtes, jedoch nicht die Hooligans. Diese werden von der Polizei für gewöhnlich in die Kategorie C eingeordnet. Der Artikel behandelt aber alle ZuschauerInnen eines Fußballspiels als Hooligans.
Wenn auch wie gesagt von der Autorin wohl nicht so beabsichtigt, so zeigt dieser Artikel dadurch den wahren Zweck einer Hooligan-Datei sehr gut auf. Diese Hooligan-Datei ist vergleichbar mit jener Datei, welche in Deutschland im Zuge der RAF-Ermittlungen vom Bundesverfassungsschutz aufgebaut wurde. Unter dem Vorwand gegen TerroristInnen zu ermitteln, enthielt diese Datei am Ende Daten von 4,7 Millionen (!) Menschen, gegen welche aus irgendeinem Grund einmal wegen „Terrorismus“ Verdacht erhoben wurde. Ähnlich könnte auch die Hooligan-Datei in Österreich zum Einsatz kommen. Unter dem Vorwand der potentiellen Gefährdung könnten Daten über alle möglichen Menschen gesammelt und vernetzt werden. Was dann mit „Hooligans“ beginnt und mit normalen Fans, welche per Zufall in eine Amtshandlung der Polizei geraten, weitergeht, lässt sich dann sehr schnell auf DemonstrantInnen, GewerkschafterInnen und politische AktivistInnen ausweiten.
Gewalt im Stadion
Die Ausschreitungen, die am 4. März auch im Fernsehen zu sehen waren, gehen dabei zu einem großen Teil auf die Rechnung der Polizei selbst. Bereits im Vorfeld des Fußballspiels versuchte man mit einem großen Polizeikontingent zu „deeskalieren“. Wie jedoch Polizisten in voller Kampfmontur mit Helmen und Plexiglasvisier sowie Einheiten der Hundestaffel „deeskalierend“ wirken sollen, bleibt bis heute ungeklärt. Durch massive Polizeipräsenz wird gerade bei großen Spielen eine künstlich aufgeheizte Stimmung erzeugt, welche relativ rasch kippen kann.
Der Sturm der Fantribüne der Rapidfans erfolgte dann aus nichtigsten Gründen heraus (wie etwa das Bewerfen der Einsatzeinheiten mit Bierbechern und Plastikfahnen). Dabei war dieser Sturm dann natürlich gegen alle 2000 Fans auf der Tribüne gerichtet und hätte mit etwas Pech und dem Entstehen einer Massenpanik durchaus ernsthafte Konsequenzen haben können. Auch die aggressiven Handlungen von Teilen der Rapid-Fans, wie etwa das Werfen mit Holzbänken, erfolgten dann erst nach dem Einsatz der Polizeieinheiten.
Verfolgt man die Medienberichterstattung und die Forderungen der Polizei bezüglich Fußballspielen in den letzten Jahren, so kommt relativ rasch der Verdacht auf, dass es hier nicht so sehr ein spontaner „Gewaltausbruch“ von Seiten der Fans ist, welcher zu diesen Bildern führt, sondern die Polizei durchaus ein Schärflein Schuld an diesen Vorkommnissen trägt. Denn diese Bilder unterstreichen die Forderungen der letzten Jahre, welche auf mehr Repression, stärkere Überwachung und Verfolgung abzielen.
So kann man etwa auch die Worte des Wega-Kommandanten Albrecht am Rande der Ausbildung von 2000 Polizisten für die EM 2008 deuten: „Wenn man sich das Motto für die Polizeieinheiten, also die so genannte 3D-Strategie – Dialog, Deeskalation, Durchsetzung – ansieht, so sind das Beamte, die eher beim zweiten und beim dritten D zum Einsatz kommen sollten.“
Deeskalation bedeutet bei der Polizei vor allem den Einsatz von Gewalt und hat mit der Verhinderung von dieser meist nichts zu tun. Bei der zuvor erwähnten Ausbildung lernen die PolizistInnen etwa auch den Einsatz von Gewehren mit denen Tränengas abgeschossen werden kann. Welchen Sinn diese Übung im Rahmen von Fußballspielen haben soll bleibt unbeantwortet.
Wie wenig der Einsatz der Polizei bei Fußballspielen mit der Verhinderung von Gewalt zu tun hat zeigt auch ein anderes Beispiel: die Fanmeilen. Diese wurden erstmals bei der WM 2006 in Deutschland eingesetzt und sollen auch in Österreich umgesetzt werden. Dabei handelt es sich um größere Plätze, auf denen die Spiele für jene Fans, welche keine Tickets ergattern konnten, auf Großbildleinwand gezeigt werden. Rund um diese Fanmeilen werden von der Polizei Checkpoints errichtet, bei denen jede(r) Vorbeikommende abgetastet und nach gefährlichen Gegenständen durchsucht wird. Dies soll vor allem der Verhinderung von Gewaltausbrüchen dienen. Da aber rein prinzipiell auch etwa Getränkeflaschen als Wurfgegenstände dienen können, werden diese an den Eingängen abgenommen. Auch wenn dies nun vordergründig der „Deeskalation“ dienen soll, so ist ziemlich offensichtlich dass dies vor allem den Getränkeständen in der Fanmeile zugute kommt, welche meist zu enorm erhöhten Preisen ihre Getränke ausschenken. Die Polizei dient hier ganz augenscheinlich vor allem der Durchsetzung von wirtschaftlichem Interesse.
Vom Hooligan zum Überwachungsstaat
Die Diskussion um Gewaltverhinderung im Stadion hat dann insofern auch eine gesamtgesellschaftliche Komponente, als die Repressionsmaßnahmen nicht nur gegen Fußballfans eingesetzt werden können, sondern in Zeiten des sich erhöhenden Klassenkampfs gegen die gesamte Bevölkerung und vor allem die ArbeiterInnenbewegung. Bei größeren Streiks oder auch Demonstrationen wird dann mit denselben Mitteln und auch rechtlichen Möglichkeiten vorgegangen, wie im Stadion.
Gerade bei Fußballspielen können die Polizeieinheiten wöchentlich die Kontrolle von Massenansammlungen – und manchmal auch die Stürmung eben dieser – üben, und erfahren dabei auch noch Unterstützung durch die Politik und die „öffentliche Meinung“ in Form der Medien.
Fußball ist ein Sport mit einer komplex entwickelten Fankultur, welche einen hohen Grad an Selbstregulierung erreicht hat. Diese hat vor allem das Ausleben der Emotionen zum Ziel, der Ausbruch von Gewalt war dabei immer wieder ein Bestandteil, aber sicher kein kennzeichnender. Vor allem durch die Selbstinszenierung im Stadion durch Gesänge, Choreographien aber auch Jubelschreien gelingt es den meisten ZuschauerInnen ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Dass einige ZuschauerInnen ihre Emotionen durch den Einsatz von körperlicher Gewalt ausleben, hat nicht zuletzt auch gesellschaftliche Gründe. Zunehmender Druck in der Arbeitswelt, hohe Arbeitslosigkeit und generelle Perspektivlosigkeit können diese Entwicklung entscheidend fördern. Nicht von ungefähr trat das Problem des Hooliganismus verstärkt im England der 1980er Jahre auf, wo Margret Thatcher mit ihrer eisernen Faust die Lebensgrundlage für Millionen von Menschen innerhalb von Jahren zerstörte.
Würde man das Bekenntnis zu einem Eindämmen der Gewalt im Fußball ernst nehmen, so müsste man das Problem in den Stadien vor allem einmal als gesamtgesellschaftliches definieren und Lösungsansätze dafür finden.
Außerdem wäre es notwendig die Kommunikation mit den Fanklubs und deren VertreterInnen zu verstärken. So zeigen etwa wissenschaftliche Untersuchungen in Deutschland, dass Rassismus im Stadion vor allem durch die aktive Arbeit von Fans in diesem Bereich zurück gedrängt werden konnte. Auch Kampagnen gegen Rechtsextremismus und Sexismus im Stadion waren dann am wirksamsten, wenn sie von den Fans selbst durchgesetzt wurden. Ebenso könnte dies mit dem Problem der Gewalt funktionieren.
Solange aber Politik, Medien und Polizei die Gewaltexzesse in den Stadien vor allem dazu nützen um an der Verschärfung der Sicherheitsbestimmungen und des Überwachungsstaates zu arbeiten, werden immer wieder geäußerte Bekenntnisse zu einer „positiven Fankultur“ nur reine Lippenbekenntnisse bleiben.
Michi Pils