ÖIAG. Die EisenbahnerInnen wehren sich entschieden gegen eine Eingliederung der ÖBB in die Privatisierungsagentur ÖIAG. Dieser Kampagne ist jeder Erfolg zu wünschen. Doch die Argumente der Gewerkschaft vida greifen etwas zu kurz, meint Agnes Friesenbichler.
Die Geschichte der Verstaatlichten in Österreich ist bis heute im Gedächtnis der Arbeiterbewegung verankert. Die geopolitische Situation nach dem 2. Weltkrieg (die Rote Armee in Mitteleuropa) und der Wideraufbau der Stahlindustrie in Linz und der Obersteiermark unter Kontrolle der Arbeiter stellten die Existenz des Kapitalismus, der zu jener Zeit zu Recht als Grundlage des Faschismus begriffen wurde, an sich in Frage. In dieser Situation sah sich die Regierung gezwungen große Teile der Industrie sowie die gesamte Infrastruktur zu verstaatlichen. Die Verstaatlichte Industrie allein machte mehr als 20 Prozent des österreichischen BIPs aus.
Geschichte der ÖIAG
Die erste Alleinregierung der ÖVP in der Nachkriegszeit lagerte 1967 die Industrie aus den Ministerien in eine neugeschaffene Beteiligungsholding ÖIAG aus. Unter der SPÖ-Alleinregierung in den 1970er Jahren wurde als Reaktion auf die sogenannte „Ölpreiskrise“ rund um die VOEST ein Mischkonzern aufgebaut, der als Instrument für eine aktive Beschäftigungspolitik genutzt wurde.
Dieses Modell geriet in der zweiten großen globalen Krise nach dem Zweiten Weltkrieg (die „Stahlkrise“ ab 1980) ins Wanken. Die Verstaatlichte Industrie wurde zwischen 1980 und 1992 mit 4,4 Mrd. € aus dem Staatsbudget subventioniert, viele dieser Subventionen flossen in einen „sozial verträglichen“ Stellen- und Standortabbau. Damals setzte sich auch in der SPÖ die „Einsicht“ durch, dass der Staat nicht wirtschaften könne. Eine ziemlich zynische Schlussfolgerung, denn im Vergleich zu den Dimension heutiger „systemrelevanter“ Subventionen an gescheiterte Banker (20 Mrd. in die Hypo!) ist dies ein Klaxbetrag.
1986 strukturierte man die ÖIAG jedenfalls um und machte sie zu einer Branchenholding, die nach und nach über die Börse privatisieren sollte. 1993 wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das die ÖIAG dazu verpflichtet, „die ihr unmittelbar gehörenden Beteiligungen an industriellen Unternehmungen in angemessener Frist mehrheitlich abzugeben; wo dies wirtschaftlich zweckmäßig ist, können auch einzelne Betriebe oder mittelbare Beteiligungen, insbesondere solche, die nicht zum Kernbereich der Unternehmungen gehören, getrennt abgegeben werden. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, dass österreichische Industriebetriebe und industrielle Wertschöpfung, soweit wirtschaftlich vertretbar, erhalten bleiben.“ Die ÖIAG wurde offiziell zur Privatisierungsagentur. Seither wurden 55.000 Stellen abgebaut und viel an technologischem Wissen und Können vergeudet.
Unter Schwarz-Blau ging dann die Privatisierungs- und Selbstbedienungsorgie an den Resten der „Verstaatlichten“ munter weiter. Der Unschuldsvermutungs-Finanzminister KHG verscherbelte die damaligen Kernstücke der ÖIAG (die gesamte Stahl- und Metallindustrie, Mikroelektronik, Flughafen,…) zu atemberaubend niedrigen Preisen und unter Missachtung jeder strategischen Industriepolitik. Die einst stolze Sparte „Industrieanlagenbau“ etwa wurde de facto völlig zerstört. Der Aufsichtsrat der ÖIAG wurde von Schwarz-Blau mit dem Gebot der „Selbsterneuerung“ gesegnet. Das heißt, dass immer, wenn in dem Kontrollgremium ein Platz frei wird, kann der Aufsichtsrat selbst einen Kandidaten dafür bestimmen. „Es ging darum“, erzählt Jochen Pildner-Steinburg, Präsident der steirischen Industrieellenvereinigung „den Einfluss der Politik in der ÖIAG zu verhindern.“ Dieses Modell manövrierte die Entscheidungsgewalt in der ÖIAG weg von der Regierung und hin zu einem Freundeskreis innerhalb der Industriellenvereinigung. Dazu nur ein kleines Beispiel: Dem Papierindustriellen Alfred Heinzel folgte im Jahr 2002 sein Jagdfreund Peter Mitterbauer auf den Posten des Aufsichtsratspräsidenten der ÖIAG. Diesem dynamischen Duo ist es zu verdanken, dass sich der ÖIAG-Aufsichtsrat zu einem Gutteil aus befreundeten Vertretern der Kfz-Industrie und der Papierbranche zusammensetzte. Heuer wechselte der Posten des Aufsichtsrats-Chef der ÖIAG zu Siegfried Wolf, einem aktiven Chefmanager im Reich des russischen Oligarchen Deripaska. Dabei wurden auch öffentlich Fragen laut, wie gut es nun sei, dass ein Putin-Getreuer die Geschäftspolitik des Energiekonzerns OMV mitbestimmt. Bisher konnte sich die Bundesregierung jedoch zu keinem neuen ÖIAG-Gesetz durchringen, die Holding ist aktuell weiter mit Privatisierungsauftrag und ohne jegliche staatliche Kontrolle in der Hand von Privatunternehmern.
Nein zu Privatisierung!
Die Verlautbarung von ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling, es gehöre auch darüber diskutiert, ob die ÖBB, ASFINAG und der Stromversorger Verbund zur Privatisierungsholding ÖIAG wandern sollen – was bei der Regierungsklausur in Schladming nicht ausschlossen wurde – führte bei den Betriebsräten zu unmittelbarer Alarmstimmung: „Wir werden nicht dabei zusehen, wie unsere Konzerne und unsere Beschäftigten in dieses Milliardengrab ÖIAG verschwinden“, so ÖBB-Betriebsratschef Roman Hebenstreit und ASFINAG-Betriebsratsvorsitzender Roman Grünerbl. Die Betriebsräte befürchten massive Nachteile für MitarbeiterInnen, BahnfahrerInnen und AutobahnbenützerInnen: „Nachteile vor allem für den ländlichen Raum hinsichtlich Ausbau der Verkehrsinfrastruktur seien durch drohende Privatisierung und dann wohl folgende ‚Kostenoptimierungen‘ zu befürchten. Die ÖIAG gehöre deshalb aufgelöst, Postenschacher abgestellt und die verbliebenen Staatsbeteiligungen für die SteuerzahlerInnen kostengünstiger in den zuständigen Ministerien konzentriert“, so die Gewerkschaft Vida.
Tatsächlich würde eine Ausgliederung der genannten Betriebe aus den Ministerien und ihre Eingliederung in die ÖIAG bedeuten, dass die Verkehrs- und Energieinfrastruktur Österreichs privaten Raubrittern ausgeliefert würde, was die scheibchenweise Privatisierung der Filestücke der Infrastruktur zur Folge hätte. Dies hat sich schon einmal bei der Teilprivatisierung des Postbus gezeigt. Die Ankündigung eine derartige Verlagerung auch mit Streiks bekämpfen zu wollen, ist gut und richtig.
Was tun mit der ÖIAG?
Die Forderung der Auflösung der ÖIAG ist aus Sicht der EisenbahnerInnen verständlich, da damit das unmittelbarste Drohpotential einer weitergehenden Fragmentierung und Privatisierung der ÖBB-Betriebe abgewehrt wird. Die Argumentation, dass die Eingliederung aller Staatsbetriebe in die Ministerien eine demokratische Kontrolle des Staatseigentums ermöglicht, entspricht jedoch nicht der Realität. Das Verkehrsministerium ist derzeit in den Händen der SPÖ und das Argument „kein roter Minister würde es wagen die ÖBB zu privatisieren“ kann nach der nächsten Wahl schnell nicht mehr gelten. Beim nächsten Sparpaket, wenn die Regierung mit dem Rasenmäher die finanziellen Mittel der Ministerien kürzt, sind ähnliche Folgen zu erwarten. Auch wenn sich die ÖBB montan im Schoße des Ministeriums sicher wiegt, ist dieses Modell keine ewige Garantie gegen weitergehende Zerschlagung und Privatisierung.
Zudem gibt es in der Gewerkschaftsbewegung hier unterschiedliche Perspektiven. Die PRO-GE etwa hat die Idee einer reformierten ÖIAG wiederholt in den Raum gestellt. Die Vorstellung hier ist eng an das Modell von Industriepolitik in den 1970ern angelehnt. In ihrem aktuellen Programm hält die PRO-GE fest: „Die ÖIAG soll wieder eine echte staatliche Beteiligungsgesellschaft werden, um Firmen und Arbeitsplätze in Österreich zu halten und zu stabilisieren.“ Die ÖIAG sollte also so umgestellt werden, dass man der Standorterpressung durch private Konzerne eine staatliche Alternative entgegenhalten kann. Diesen Gedankengang halten wir prinzipiell für richtig.
Schon oft stand eine Umgestaltung oder Reform der ÖIAG im Raum, allerdings erweist sich die SPÖ als unfähig, weder die Selbsterneuerung des Aufsichtsrates noch den Privatisierungsauftrag der ÖIAG zu kippen. Solange diese gesetzliche Grundlage nicht geändert wird, ist keine sinnvolle Reform der ÖIAG denkbar.
Wir MarxistInnen argumentieren für eine Staatsholding unter der Kontrolle der Belegschaften und Gewerkschaften als wichtiges Instrument gegen die sich anhaltend verstärkende Standorterpressung in der Privatindustrie. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen: Wenn die Unternehmen mit Massenentlassungen, Investitionsboykott oder Abwanderung drohen, müssen wir – zum Schutz der Arbeitsbedingungen und des Standortes – die Eigentumsfrage stellen. Eine ÖIAG auf einer neuen rechtlichen Grundlage, könnte diese Aufgabe erfüllen.
Eine solche Option muss jedoch erkämpft werden. Die PRO-GE agiert nach dem Motto „Papier ist geduldig“ und setzt den Standorterpressungen in der Praxis nichts entgegen. Die vida hingegen schürt in ihrer politischen Isolation Illusionen in den demokratischen Charakter einer ministeriellen Aufsicht über ihr Unternehmen. Doch beide Lösungsansätze haben eines gemein: eine Orientierung auf „realistische politische Lösungen“. In dieser Regierungskonstellation sind jedoch keine gesetzlichen Fortschritte für die Arbeiterbewegung zu erreichen. Stimmen, die die Faymann-SPÖ, die sich voll und ganz einer bürgerlichen Politik verschrieben hat, dazu aufrufen, in dieser Frage klar gegen den Koalitionspatner Stellung zu beziehen, verhallen im Nichts. Vielmehr muss man an den Konfliktherden in den Betrieben offensiv die sozialen Interessen der KollegInnen verteidigen und alle Kampfoptionen erläutern und zulassen.