Dieses FAQ ist als Einführung in einige grundlegende Ideen und Positionen der Revolutionären Kommunistischen Internationale (RKI) gedacht. Im Allgemeinen geben wir kurze, prägnante Antworten, mit vielen Anregungen für das weitere Lesen, in einigen Fällen geben wir eine längere Erklärung. Das Lesen der Klassiker des Marxismus ist jedoch der beste Weg, um diese Ideen zu verstehen. Auf den ersten Blick mag es schwierig erscheinen, aber jeder Arbeiter und jede Jugendliche weiß, dass es sich lohnt, etwas zu tun und dafür zu arbeiten! Geduldiges und beharrliches Studium, Diskussion und letztendlich die tägliche Anwendung dieser Ideen über ein ganzes Leben hinweg sind der Schlüssel.
- Hier geht es zu unseren Marxismus Basics, mit weiteren Lesetipps nach Themen geordnet.
Kurze Biographien
Wer war Karl Marx?
Aus Lenin-Werke Band 21, S33-38
Karl Marx wurde am 5. Mai 1818 in Trier (Rheinpreußen) geboren. Sein Vater war Rechtsanwalt, ein Jude, der 1824 zum Protestantismus übertrat. Die Familie war wohlhabend, gebildet, jedoch nicht revolutionär. Nach Beendigung des Gymnasiums in Trier bezog Marx die Universität, erst in Bonn, dann in Berlin, und studierte Rechtswissenschaft, vor allem aber Geschichte und Philosophie. Er beendete 1841 die Universität mit einer Doktordissertation über die Philosophie Epikurs. Seinen Anschauungen nach war Marx zu dieser Zeit noch Hegelianer und Idealist. In Berlin gehörte er dem Kreis der „linken Hegelianer“ (Bruno Bauer und andere) an, die aus der Hegelschen Philosophie atheistische und revolutionäre Schlussfolgerungen zu ziehen suchten.
Nach beendetem Universitätsstudium übersiedelte Marx, auf eine Professur rechnend, nach Bonn. Allein die reaktionäre Politik der Regierung, die Ludwig Feuerbach 1832 um den Lehrstuhl gebracht, 1836 erneut seine Zulassung zur Universität verweigert und 1841 dem jungen Professor Bruno Bauer in Bonn das Vorlesungsrecht entzogen hatte, zwang Marx zum Verzicht auf die Gelehrtenlaufbahn. Die Entwicklung der An-sichten der linken Hegelianer in Deutschland machte zu dieser Zeit sehr rasche Fortschritte. Ludwig Feuerbach insbesondere begann von 1836 an die Theologie zu kritisieren und sich dem Materialismus zuzuwenden, der schließlich 1841 sein Denken völlig beherrschte („Das Wesen des Christentums“); 1843 erschienen seine „Grundsätze der Philosophie der Zukunft“. „Man muss die befreiende Wirkung“ dieser Bücher „selbst erlebt haben“, schrieb Engels später über diese Feuerbachschen Schriften. „Wir“(d. h. die linken Hegelianer, darunter auch Marx) „waren alle momentan Feuerbachianer.“ Zu dieser Zeit wurde in Köln von radikalen Bürgern des Rheinlands, die Berührungspunkte mit den linken Hegelianern hatten, ein oppositionelles Blatt gegründet: die „Rheinische Zeitung“ (sie begann am 1. Januar 1842 zu erscheinen). Marx und Bruno Bauer wurden als Hauptmitarbeiter herangezogen; im Oktober 1842 wurde Marx Chef-redakteur und übersiedelte von Bonn nach Köln. Die revolutionär-demokratische Richtung der Zeitung wurde unter der Redaktion von Marx immer bestimmter; die Regierung unterwarf sie zunächst einer doppelten und dreifachen Zensur und beschloss schließlich die gänzliche Unterdrückung der Zeitung am 1. Januar 1843. Marx sah sich daraufhin zur Niederlegung seines Redakteurpostens genötigt, aber sein Abgang rettete die Zeitung auch nicht, und sie musste im März 1843 ihr Erscheinen ein-stellen. Unter den von Marx in der „Rheinischen Zeitung“ veröffentlichten größeren Artikeln hebt Engels außer den weiter unten angegebenen (siehe Literaturverzeichnis) auch den über die Lage der Winzer im Moseltal hervor. Die journalistische Tätigkeit hatte Marx gezeigt, dass er mit der politischen Ökonomie nicht genügend vertraut war, und er machtes ich daher eifrig an ihr Studium
Im Jahre 1843 vermahlte sich Marx in Kreuznach mit Jenny von Westphalen, seiner Jugendfreundin, mit der er schon als Student verlobt war. Seine Frau entstammte einer reaktionären preußischen Adelsfamilie. Ihr älterer Bruder war preußischer Innenminister in einer der reaktionärsten Epochen, 1850-1858. Im Herbst 1843 übersiedelte Marx nach Paris, um im Ausland, gemeinsam mit Arnold Rüge (1802-1880; linker Hegelianer,1825-1830 im Gefängnis, nach 1848 Emigrant; nach 1866-1870 Bismarckianer) eine radikale Zeitschrift herauszugeben. Es erschien nur das erste Heft dieser Zeitschrift, der „Deutsch-Französischen-Jahrbücher“. Schwierigkeiten bei ihrer geheimen Verbreitung in Deutschland und Meinungsverschiedenheiten mit Rüge führten zu ihrer Einstellung. In seinen in dieser Zeitschrift veröffentlichten Aufsätzen tritt Marx bereits als Revolutionär auf, der die „rücksichtslose Kritik alles Bestehenden“ und im besonderen die „Kritik der Waffen“ verkündet, der an die Massen und an das Proletariat appelliert.
Im September 1844 kam für einige Tage Friedrich Engels nach Paris und wurde seit dieser Zeit der nächste Freund von Marx. Beide nahmen gemeinsam den lebhaftesten Anteil an dem damals sehr regen Leben der revolutionären Gruppen in Paris (von besonderer Bedeutung war die Lehre Proudhons, mit der Marx in seinem „Elend der Philosophie“,1847, entschieden abrechnete). In scharfem Kampf gegen die verschiedenen Lehren des kleinbürgerlichen Sozialismus arbeiteten sie die Theorie und Taktik des revolutionären proletarischen Sozialismus oder Kommunismus (Marxismus) aus. Siehe die Marxschen Schriften aus dieser Epoche, 1844-1848, weiter unten im Literaturverzeichnis. Im Jahre 1845wurde Marx auf Betreiben der preußischen Regierung als gefährlicher Revolutionär aus Paris ausgewiesen. Er verlegte seinen Wohnsitz nach Brüssel. Im Frühjahr 1847 schlössen sich Marx und Engels einer geheimen Propagandagesellschaft an, dem „Bund der Kommunisten“, nahmen hervorragenden Anteil am II. Kongress dieses Bundes (November 1847in London) und verfassten in seinem Auftrag das berühmte, im Februar1848 erschienene „Manifest der Kommunistischen Partei“. Mit genialer Klarheit und Ausdruckskraft ist in diesem Werk die neue Weltanschau-ung umrissen: der konsequente, auch das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens umfassende Materialismus, die Dialektik als die umfassendste und tiefste Lehre von der Entwicklung, die Theorie des Klassenkampfes und der welthistorischen revolutionären Rolle des Proletariats, des Schöpferseiner neuen, der kommunistischen Gesellschaft.
Als die Februarrevolution von 1848 ausbrach, wurde Marx ans Belgienausgewiesen. Er kam wieder nach Paris, ging aber von hier nach der Märzrevolution nach Deutschland, und zwar nach Köln. Dort erschien vom 1. Juni 1848 bis zum 19. Mai 1849 die „Neue Rheinische Zeitung“ ;ihr Chefredakteur war Marx. Die neue Theorie wurde durch den Verlauf der revolutionären Ereignisse von 1848/1849 glänzend bestätigt, wie sie auch später durch alle proletarischen und demokratischen Bewegungen in allen Ländern der Welt bestätigt worden ist. Von der siegreichen Konter-revolution wurde Marx zunächst vor Gericht gestellt (am 9. Februar 1849freigesprochen) und dann aus Deutschland ausgewiesen (16. Mai 1849).Marx begab sich zuerst nach Paris, wurde nach der Demonstration vom13. Juni 1849 auch von dort ausgewiesen und zog nach London, wo er bis zu seinem Tode lebte.
Die Bedingungen des Emigrantenlebens, die durch den Briefwechsel von Marx und Engels (herausgegeben 1913) besonders anschaulich auf-gedeckt werden, waren äußerst schwer. Die Not lastete geradezu erdrückend auf Marx und seiner Familie,- ohne die ständige aufopfernde finanzielle Unterstützung Engels‘ wäre Marx nicht nur außerstande gewesen, das „Kapital“ zu beenden, er wäre auch unvermeidlich in Not und Elend zugrunde gegangen. Außerdem war Marx durch die vor-herrschenden Lehren und Strömungen des kleinbürgerlichen und über-haupt des nichtproletarischen Sozialismus ständig zu schonungslosem Kampf, zuweilen zur Abwehr der gehässigsten und absurdesten persönlichen Angriffe genötigt („Herr Vogt“). Marx hielt sich abseits von den Emigrantenzirkeln und arbeitete in einer Reihe von historischen Schriften(siehe Literaturverzeichnis) seine materialistische Theorie aus; mit besonderem Eifer widmete er sich dem Studium der politischen Ökonomie. Marx revolutionierte diese Wissenschaft (siehe weiter unten die Marxsche Zehre) in seinen Werken „Zur Kritik der politischen Ökonomie“(1859) und „Das Kapital“ (Bd. I, 1867).
Die Epoche des Neuauflebens der demokratischen Bewegungen Ende der fünfziger und in den sechziger Jahren rief Marx erneut zu praktischer Tätigkeit. 1864 (am 28. September) wurde in London die berühmte I. Internationale gegründet, die „Internationale Arbeiterassoziation“. Marx war die Seele dieser Organisation, Verfasser ihrer ersten „Adresse“ und einer langen Reihe von Resolutionen, Erklärungen und Manifesten. Indem Marx die Arbeiterbewegung der verschiedenen Länder zusammenfasste und die verschiedenen Formen des nichtproletarischen, vormarxistischen Sozialismus (Mazzini, Proudhon, Bakunin, der englische liberale Trade-Unionismus, die lassalleanischen Rechtsschwankungen in Deutschland u. dgl. m.) in die Bahnen gemeinsamen Handelns zu lenken suchte, wobei er die Theorien aller dieser Sekten und Schulen bekämpfte, schmiedete er eine einheitliche Taktik des proletarischen Kampfes der Arbeiterklasse der verschiedenen Länder. Nach dem Fall der Pariser Kommune (1871), die Marx (im „Bürgerkrieg in Frankreich“1871) so tief, treffend, glänzend, wirksam und in revolutionärem Geiste gewürdigt hat, und nach der Spaltung der Internationale durch die Baku-nisten war ihr Fortbestehen in Europa unmöglich geworden. Nach dem Haager Kongress der Internationale (1872) setzte Marx die Verlegung des Generalrats der Internationale nach New York durch. Die I. Inter-nationale hatte ihre historische Rolle erfüllt; sie räumte das Feld für eine Epoche unvergleichlich größeren Wachstums der Arbeiterbewegung in allen Ländern der Welt: die Epoche ihrer Entwicklung in die Breite, der Schaffung sozialistischer Massenparteien der Arbeiter auf dem Böden einzelner Nationalstaaten
Die angestrengte Tätigkeit in der Internationale und die noch angestrengteren theoretischen Studien untergruben endgültig Marx‘ Gesundheit. Er setzte seine Neubearbeitung der politischen Ökonomie und die Fertigstellung des „“Kapitals“ fort, sammelte zu diesem Zweck eine Mengeneuer Materialien und studierte mehrere Sprachen (z. B. die russische) ;doch Krankheit hinderte ihn, das „Kapital“ zu vollenden.
Am 2. Dezember 1881 starb seine Frau. Am 14. März 1883 entschlief Marx still in seinem Lehnstuhl. Er ist neben seiner Frau auf dem High-gate-Friedhof in London beigesetzt. Von Marx‘ Kindern starben einig ein zartem Alter in London, als die Familie große Not litt. Die drei Töchter verheirateten sich mit englischen und französischen Sozialisten: Eleanor Aveling, Laura Lafargue und Jenny Longuet. Der Sohn der letzteren war Mitglied der französischen Sozialistischen Partei.
Wer war Friedrich Engels?
(Aus Lenin-Werke Band 2, S5-14)
Welch‘ Leuchte der Vernunft ist nun erloschen. Was für ein Herz hat aufgehört zu schlagen!
Am 5. August neuen Stils (24. Juli) 1895 verschied in London Friedrich Engels. Engels war nach seinem Freunde Karl Marx (der 1883 starb) der bedeutendste Gelehrte und Lehrer des modernen Proletariats in der ganzen zivilisierten Welt. Seitdem das Schicksal Karl Marx und Friedrich Engels zusammengeführt hatte, wurde die Lebensarbeit der beiden Freunde zu ihrer gemeinsamen Sache. Um zu verstehen, was Friedrich Engels für das Proletariat geleistet hat, muss man sich daher über die Bedeutung der Lehre und des Wirkens von Marx für die Entwicklung der modernen Arbeiterbewegung völlig im klaren sein. Marx und Engels wiesen als erste nach, dass die Arbeiterklasse mit ihren Forderungen ein notwendiges Produkt der modernen Wirtschaftsordnung ist, die mit der Bourgeoisie zwangsläufig auch das Proletariat erzeugt und organisiert; sie zeigten, dass nicht wohlgemeinte Versuche einzelner hochsinniger Persönlichkeiten, sondern der Klassenkampf des organisierten Proletariats die Menschheit von den Drangsalen erlösen wird, die sie heute bedrücken. Marx und Engels setzten in ihren wissenschaftlichen Arbeiten als erste auseinander, dass der Sozialismus kein Hirngespinst von Träumern ist, sondern Endziel und notwendiges Resultat der Entwicklung der Produktivkräfte in der modernen Gesellschaft. Alle bisherige schriftlich überlieferte Geschichte ist die Geschichte von Klassenkämpfen, die Aufeinanderfolge von Herrschaft und Sieg der einen Gesellschaftsklassen über die anderen. Und das wird so lange weitergehen, bis die Grundlagen des Klassenkampfes und der Klassenherrschaft verschwinden: das Privateigentum und die ungeregelte gesellschaftliche Produktion. Die Interessen des Proletariats fordern die Vernichtung dieser Grundlagen, und daher muss der bewusste Klassen-kampf der organisierten Arbeiter gegen sie gerichtet werden. Jeder Klassenkampf aber ist ein politischer Kampf.
Diese Anschauungen von Marx und Engels sind heute Gemeingut desgesamten um seine Befreiung kämpfenden Proletariats. Aber in den vierziger Jahren, als die beiden Freunde an der sozialistischen Literatur mit-zuarbeiten und an den sozialen Bewegungen ihrer Zeit teilzunehmen begannen, waren solche Anschauungen völlig neu. Es gab damals viele begabte und unbegabte, ehrliche und unehrliche Leute, die wohl für den Kampf um politische Freiheit, für den Kampf gegen die Willkürherrschaft der Monarchen, der Polizei und der Pfaffen schwärmten, aber den Gegen-satz zwischen den Interessen der ‚Bourgeoisie und denen des Proletariats nicht erkannten. Diesen Leuten lag sogar der Gedanke völlig fern, dass die Arbeiter als selbständige gesellschaftliche Kraft auftreten könnten. Anderseits gab es viele, zuweilen geniale Träumer, die der Meinung waren ,es genüge, die Machthaber und die herrschenden Klassen von der Ungerechtigkeit der modernen Gesellschaftsordnung zu überzeugen; dann würde es ein leichtes sein, Frieden und allgemeines Wohlergehen auf Erden zu schaffen. Sie träumten von einem Sozialismus, der ohne Kampf erreicht werden könnte. Schließlich betrachteten damals fast alle Sozialisten und sonstigen Freunde der Arbeiterklasse das Proletariat nur als ein Geschwür und sahen mit Entsetzen, wie zugleich mit dem Wachstum der Industrie auch dieses Geschwür wächst. Deshalb sannen sie alle darüber nach, wie man die Entwicklung der Industrie und des Proletariats hemmen, wie man das „Rad der Geschichte“ aufhalten könnte. Im Gegensatz zu der allgemeinen Furcht vor der Entwicklung des Proletariats setzten Marx und Engels alle ihre Hoffnungen auf das ununterbrochene Wachstum des Proletariats. Je mehr Proletarier, desto größer ihre Kraft als revolutionäre Klasse, desto näher und realer der Sozialismus. In wenigen Worten lassen sich die Verdienste von Marx und Engels um die Arbeiterklasse wie folgt zusammenfassen: Sie erzogen die Arbeiterklasse zu Selbsterkenntnis und Selbstbewusstsein und setzten an die Stelle der Träumereien die Wissenschaft.
Daher muss jeder Arbeiter mit Engels Namen und Leben bekannt sein, und daher müssen wir auch in unserem Sammelband, der ebenso wie alle unsere übrigen Veröffentlichungen den Zweck hat, das Klassenbewusstsein der russischen Arbeiter zu wecken, einen Abriss des Lebens und Wirkens von Friedrich Engels bringen, einem der beiden großen Lehrer des modernen Proletariats.
Engels wurde 1820 in der Stadt Barmen, in der zum Königreich Preußen gehörenden Rheinprovinz, geboren. Sein Vater war Fabrikant. Im Jahre 1838 sah sich Engels durch Familienverhältnisse gezwungen, das Gymnasium vorzeitig zu verlassen und als Angestellter in ein Bremer Handelshaus einzutreten. Die kaufmännische Berufstätigkeit hinderte Engels nicht, an seiner wissenschaftlichen und politischen Bildung zu arbeiten. Schon als Gymnasiast hatte er den Absolutismus und die Beamten-willkür hassen gelernt. Das Studium der Philosophie führte ihn weiter. Damals herrschte in der deutschen Philosophie die Lehre Hegels, und Engels wurde ihr Anhänger. Obwohl Hegel selber ein Anbeter des absolutistischen preußischen Staates war, in dessen Diensten er als Professor der Berliner Universität stand, war die Lehre Hegels revolutionär. Hegels Glaube an die menschliche Vernunft und ihre Rechte sowie die Grund-these der Hegelschen Philosophie, dass sich in der Welt ein ständiger Änderungs- und Entwicklungsprozess vollziehe, brachten diejenigen Schüler des Berliner Philosophen, die sich mit der gegebenen Wirklichkeit nichtabfinden wollten, auf den Gedanken, dass auch der Kampf gegen diese Wirklichkeit, der Kampf gegen das bestehende Unrecht und das herrschende Übel im Weltgesetz der ewigen Entwicklung begründet sei. Wenn alles sich entwickelt, wenn die einen Einrichtungen durch andere abgelöst werden, warum sollen dann das autokratische Regiment des preußischen Königs oder des russischen Zaren, die Bereicherung einer verschwindenden Minderheit auf Kosten der übergroßen Mehrheit, die Herrschaft der Bourgeoisie über das Volk ewig währen? Hegels Philosophie sprach von einer Entwicklung des Geistes und der Ideen, sie war eine idealistische Philosophie. Aus der Entwicklung des Geistes leitete sie die Entwicklung der Natur, des Menschen und der menschlichen Beziehungen, der gesellschaftlichen Verhältnisse ab. Marx und Engels, die den Hegelschen Begriff des ewigen Entwicklungsprozesses bewahrten, verwarfen die vorgefasste idealistische Anschauung; sie wandten sich dem Leben zu und erkannten, dass nicht die Entwicklung des Geistes die Entwicklung der Natur erklärt, sondern umgekehrt, dass der Geist aus der Natur, aus der Materie zu erklären ist… Im Gegensatz zu Hegel und anderen Hegelianern waren Marx und Engels Materialisten. Sie betrachteten die Welt und die Menschheit vom materialistischen Standpunkt aus und erkannten, dass ebenso wie allen Naturerscheinungen materielle Ursachen zugrunde liegen, auch die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft durch die Entwicklung materieller Kräfte, der Produktivkräfte, bedingt ist. Von der Entwicklung der Produktivkräfte hängen die Verhältnisse ab, die die Menschen bei der Erzeugung der zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse notwendigen Güter eingehen. In diesen Verhältnissen aber liegt die Erklärung für alle Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens, der menschlichen Bestrebungen, Ideen und Gesetze. Die Entwicklung der Produktivkräfte erzeugt gesellschaftliche Verhältnisse, die sich auf das Privateigentum gründen, jetzt aber sehen wir, wie ebendiese Entwicklung der Produktivkräfte die Mehrheit der Menschen ihres Eigentums beraubt und es in den Händen einer verschwindenden Minderheit zusammenballt. Diese Entwicklung der Produktivkräfte vernichtet das Eigentum, die Grundlage der modernen Gesellschaftsordnung, sie strebt selber dem gleichen Ziel zu, das sich die Sozialisten gesteckt haben. Die Sozialisten müssen nur verstehen, welche gesellschaftliche Kraft infolge ihrer Stellung in der modernen Gesellschaf tan der Verwirklichung des Sozialismus interessiert ist, und dieser Kraftihre Interessen und ihre historische Mission zum Bewusstsein bringen. Diese Kraft ist das Proletariat. Engels lernte es kennen in England, in Manchester, dem Zentrum der englischen Industrie, wohin er 1842 über-gesiedelt war, um als Angestellter in das Handelshaus einzutreten, dem sein Vater als Teilhaber angehörte. Engels verbrachte hier sehe Zeit nicht nur im Fabrikkontor. Er durchwanderte die schmutzigen Stadtviertel, wo die Arbeiter hausten, und sah mit eigenen Augen ihr Elend und ihre Not. Aber er begnügte sich nicht mit persönlichen Beobachtungen; er las alles, was vor ihm über die Lage der englischen Arbeiterklasse geschrieben worden war, er studierte sorgfältig alle ihm zugänglichen amtlichen Dokumente. Die Frucht dieser Studien und Beobachtungen war das 1845 erschienene Buch „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“. Wir habenoben bereits erwähnt, worin das Hauptverdienst von Engels als dem Verfasser der „Lage der arbeitenden Klasse in England“ besteht. Auch vor Engels hatten sehr viele die Leiden des Proletariats geschildert und auf die Notwendigkeit hingewiesen, ihm zu helfen. Engels aber hat als erster gesagt, dass das Proletariat nicht nur eine leidende Klasse ist; dass gerade die schmachvolle wirtschaftliche Lage, in der sich das Proletariat befindet, es unaufhaltsam vorwärtstreibt und es zwingt, für seine endgültige Befreiung zu kämpfen. Das kämpfende Proletariat aber wird sich selbst helfen. Die politische Bewegung der Arbeiterklasse wird die Arbeiter unvermeidlich zu der Erkenntnis führen, dass es für sie keinen anderen Ausweg gibt als den Sozialismus. Anderseits wird der Sozialismus nur dann eine Macht sein, wenn er zum Ziel des politischen Kampfes der Arbeiterklasse geworden ist. Das sind die Grundgedanken des Buches von Engels über die Lage der Arbeiterklasse in England, Gedanken, die sich heute das gesamte denkende und kämpfende Proletariat zu eigen gemacht hat, die aber damals völlig neu waren. Diese Gedanken wurden in einem hin-reißend geschriebenen Buche niedergelegt, das voll ist von wahrheitsgetreuen und erschütternden Bildern aus dem Elendsleben des englischen Proletariats. Dieses Buch war eine furchtbare Anklage gegen den Kapitalismus und die Bourgeoisie. Der Eindruck, den es hervorrief, war sehr stark. Man begann sich allenthalben auf das Buch von Engels zu berufen als auf die beste Darstellung der Lage des modernen Proletariats. In der Tat: weder vor 1845 noch später ist eine so eindrucksvolle und wahrheits-getreue Schilderung der Notlage der Arbeiterklasse erschienen.
Zum Sozialisten wurde Engels erst in England. Er trat in Manchestermit den Führern der damaligen englischen Arbeiterbewegung m Verbindung und begann in der englischen sozialistischen Presse mitzuarbeiten. Als Engels im Jahre 1844 nach Deutschland zurückkehrte, wurde er auf der Durchreise in Paris mit Marx bekannt, mit dem er schon früher in Briefwechsel gestanden hatte. Marx war in Paris unter dem Einfluss der französischen Sozialisten und des französischen Lebens ebenfalls zum Sozialisten geworden. Hier schrieben die Freunde gemeinsam das Buch „Die heilige Familie, oder Kritik der kritischen Kritik“. Dieses Buch, das ein Jahr vor der „Lage der arbeitenden Klasse in England“ erschien und zum größten Teil von Marx geschrieben ist, enthält die Grundlagen des revolutionär-materialistischen Sozialismus, dessen Hauptgedanken wir oben dargelegt haben. „Die heilige Familie“, das ist eine scherzhafte Bezeichnung für die Philosophen Gebrüder Bauer und ihre Anhänger. Diese Herren predigten eine Kritik, die über jeder Wirklichkeit steht, über den Parteien und der Politik, die jede praktische Tätigkeit verneint und sich damit begnügt, die Umwelt und die in ihr vor sich gehenden Ereignisse „kritisch“ zu betrachten. Die Herren Bauer urteilten über das Proletariat von oben herab, als über eine unkritische Masse. Dieser unsinnigen und schädlichen Richtung traten Marx und Engels entschieden entgegen. Im Namen der wahren menschlichen Persönlichkeit, des von den herrschen-den Klassen und vom Staate getretenen Arbeiters, fordern sie statt der Betrachtung den Kampf für eine bessere Gesellschaftsordnung. Die zu diesem Kampf fähige und an ihm interessierte Kraft sehen sie natürlich im Proletariat. Engels hatte schon vor der „Heiligen Familie“, in den von Marx und Rüge herausgegebenen „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“6,seine „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“7 veröffentlicht, in denen er vom sozialistischen Standpunkt aus die grundlegenden Erscheinungen der modernen Wirtschaftsordnung als zwangsläufige Folgen der Herrschaft des Privateigentums untersuchte. Der Umgang mit Engels trugzweifellos dazu bei, dass Marx den Entschluss fasste, sich mit der politischen Ökonomie zu befassen, jener Wissenschaft, in der seine Werke dann eine wahre Umwälzung hervorgerufen haben.
Die Zeit von 1845 bis 1847 verbrachte Engels in Brüssel und Paris, wo er wissenschaftliche Studien mit praktischer Tätigkeit unter den deutschen Arbeitern dieser beiden Städte verband. Hier knüpften Engels und Marx Beziehungen an zu dem geheimen deutschen „Bund der Kommunisten“ ,der ihnen den Auftrag gab, die Grundprinzipien des von ihnen ausgearbeiteten Sozialismus darzulegen. So entstand das im Jahre 1848 veröffentlichte berühmte „Manifest der Kommunistischen Partei“ von Marx und Engels. Dieses kleine Büchlein wiegt ganze Bände auf: Sein Geist beseelt und bewegt bis heute das gesamte organisierte und kämpfende Proletariat der zivilisierten Welt.
Die Revolution von 1848, die zuerst in Frankreich ausbrach und dann auch auf andere Länder Westeuropas übergriff, führte Marx und Engels in die Heimat zurück. Hier, in Rheinpreußen, leiteten sie die demokratische „Neue Rheinische Zeitung“9, die in Köln herausgegeben wurde. Diebeiden Freunde waren die Seele aller revolutionär-demokratischen Bestrebungen in Rheinpreußen. Sie verteidigten bis zuletzt die Interessen des Volkes und der Freiheit gegen die Kräfte der Reaktion. Diese gewannen bekanntlich die Oberhand. Die „Neue Rheinische Zeitung“ wurde verboten, und Marx, der während seines Emigrantenlebens die Rechte eines preußischen Staatsangehörigen verloren hatte, wurde ausgewiesen; Engels jedoch nahm an dem bewaffneten Volksaufstand teil, kämpfte in drei Ge-fechten für die Freiheit und flüchtete nach der Niederlage der Aufständischen über die Schweiz nach London.
Auch Marx ließ sich in London nieder. Engels wurde bald wieder An-gestellter und später Teilhaber des Handelshauses in Manchester, in welchem er schon in den vierziger Jahren tätig gewesen war. Bis 1870 lebte er in Manchester und Marx in London, was sie nicht hinderte, den lebhaftesten geistigen Verkehr zu pflegen: fast täglich wechselten sie Briefe. In diesem Briefwechsel tauschten die Freunde ihre Ansichten und Kenntnisse aus und arbeiteten gemeinsam an der Fortentwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus. Im Jahre 1870 siedelte Engels nach London über, und bis 1883,bis zum Tode von Marx, währte ihr von angestrengter Arbeit erfülltes gemeinsames geistiges Leben. Die Frucht dieser Arbeit war – was Marx anbelangt – „Das Kapital“, das größte Werk unseres Zeitalters auf dem Gebiet der politischen Ökonomie, und, was Engelsbetrifft, eine ganze Reihe größerer und kleinerer Schriften. Marx arbeitete an der Untersuchung der komplizierten Erscheinungen der kapitalistischen Wirtschaft. Engels beleuchtete in außerordentlich flüssig geschriebenen, oft polemischen Arbeiten die allgemeinsten wissenschaftlichen Fragen und die verschiedensten Erscheinungen der Vergangenheit und Gegenwart im Geiste der materialistischen Geschichtsauffassung und der ökonomischen Theorie von Marx. Von diesen Engelsschen Arbeiten seien genannt: die polemische Schrift gegen Dühring (in ihr werden die tiefsten Probleme der Philosophie, der Natur- und Gesellschaftswissenschaft untersucht),„Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“, „Ludwig Feuerbach“, ein Artikel über die Außenpolitik der russischen Regierung, die ausgezeichneten Artikel über die Wohnungsfrage und schließlich zweikleine, aber sehr wertvolle Artikel über die ökonomische Entwicklung Russlands. Marx starb, ohne sein gewaltiges Werk über das Kapital in endgültiger Form bearbeitet zu haben. Im Rohentwurf war es jedoch schon fertig. Und nun machte sich Engels nach dem Todeseines Freundes an die schwere Arbeit, Band II und III des „Kapitals“ zu bearbeiten und herauszugeben. Im Jahre 1885 gab er Band II, 1894 Band III heraus (zur Bearbeitung von Band IV kam er nicht mehr). Die Herausgabe dieser beiden Bände erforderte außerordentlich viel Arbeit. Der österreichische Sozialdemokrat Adler hat mit Recht gesagt, Engelshabe seinem genialen Freunde mit der Herausgabe von Band II und III des „Kapitals“ ein großartiges Denkmal gesetzt, auf dem er, ohne es beabsichtigt zu haben, seinen eigenen Namenszug mit unauslöschlichen Lettern eingetragen hat. In der Tat, diese beiden Bände des „Kapitals“ sind das Werk von zweien: von Marx und von Engels. Antike Sagen berichten von manchen rührenden Beispielen der Freundschaft. Das europäische Proletariat kann sagen, dass seine Wissenschaft von zwei Gelehrten und Kämpfern geschaffen worden ist, deren Verhältnis die rührendsten Sagen der Alten über menschliche Freundschaft in den Schatten stellt. Engels hat stets — und im allgemeinen durchaus mit Recht — Marx den Vorrang gegeben. Einem alten Freund schrieb er: „Bei Marx‘ Lebzeiten habe ich die zweite Violine gespielt.“17 Seine Liebe zu dem lebenden Marx und seine Ehrfurcht vor dem Andenken des Verstorbenen waren grenzenlos. Dieser harte Kämpfer und strenge Denker konnte aus tiefstem Herzen lieben.
Nach der Bewegung von 1848/1849 beschäftigten sich Marx und Engels im Exil nicht nur mit wissenschaftlichen Arbeiten. Marx gründete 1864die „Internationale Arbeiterassoziation“ und leitete diese Vereinigung im Laufe eines vollen Jahrzehnts. Auch Engels nahm an ihrer Arbeit leb-haften Anteil. Die Tätigkeit der „Internationalen Arbeiterassoziation“, die nach dem Plane von Marx die Proletarier aller Länder vereinigen sollte, war für die Entwicklung der Arbeiterbewegung von ungeheurer Tragweite. Aber auch nach der Auflösung der „Internationalen Arbeiterassoziation“ in den siebziger Jahren hörten Marx und Engels nicht auf, als Einiger der Arbeiterklasse zu wirken. Im Gegenteil: man könnte sagen, dass ihre Bedeutung als geistige Führer der Arbeiterbewegung immer größer wurde, weil auch die Bewegung selbst ununterbrochen wuchs. Nach dem Tode von Marx war es Engels, allein, der fortfuhr, als Berater‘ und Führer der europäischen Sozialisten zu wirken. Sowohl die deutschen Sozialisten, deren Kraft trotz der Regierungsverfolgungen schnell und ununterbrochen zunahm, als auch die Vertreter zurückgebliebener Länder, beispielsweise Spanier, Rumänen, Russen, die ihre ersten Schritte überlegen und erwägen mussten, wandten sich an ihn um Rat und Anleitung. Sie alle schöpften aus der reichen Schatzkammer der Kenntnisse und Erfahrungen des alten Engels.
Marx und Engels, die beide mit der russischen Sprache vertraut waren und russische Bücher lasen, interessierten sich lebhaft für Russland. Sieverfolgten mit Sympathie die russische revolutionäre Bewegung und unter-hielten Beziehungen zu russischen Revolutionären. Sie waren beide aus“ Demokraten zu Sozialisten geworden, und das demokratische Gefühl des Hasses gegen politische Willkür war bei ihnen außerordentlich stark. Dieses unmittelbare politische Gefühl, gepaart mit tiefem theoretischem Verständnis für den Zusammenhang zwischen politischer Willkür und wirtschaftlicher Unterdrückung, sowie ihre reichen Lebenserfahrungen machten Marx und Engels gerade in politischer Hinsicht außerordentlich feinfühlig. Der heroische Kampf des kleinen Häufleins russischer Revolutionäre gegen die mächtige Zarenregierung fand daher bei diesen bewährten Revolutionären den wärmsten Widerhall. Hingegen erschien ihnen die Tendenz, um vermeintlicher ökonomischer Vorteile willen sich von der unmittelbarsten und wichtigsten Aufgabe der russischen Sozia-listen, der Eroberung der politischen Freiheit, abzuwenden, naturgemäß verdächtig, ja, sie wurde von ihnen geradezu als Verrat an der großen Sache der sozialen Revolution betrachtet. „Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein“, lehrten Marx und Engels ständig. Um aber für seine ökonomische Befreiung zu kämpfen, muss das Proletariat sich gewisse politische Rechte erobern. Außerdem haben sowohl Marx als auch Engels klar gesehen, dass die politische Revolution in Russland auch für die westeuropäische Arbeiterbewegung von ungeheurer Tragweite sein wird. Das absolutistische Russland ist von jeher das Bollwerk der gesamten europäischen Reaktion gewesen. Die außer-ordentlich vorteilhafte internationale Lage Russlands infolge des Krieges von 1870, der Deutschland und Frankreich für lange Zeit verfeindete, hat natürlich die Bedeutung des absolutistischen Russlands als einer reaktionären Macht nur gesteigert. Nur ein freies Russland, das nicht nötig hat, die Polen, Finnen, Deutschen, Armenier und andere kleine Völker zu unterdrücken noch Frankreich und Deutschland ständig gegeneinander zu hetzen, wird das jetzige Europa frei von Kriegsbürden aufatmen lassen, wird alle reaktionären Elemente in Europa schwächen und die Kraft der europäischen Arbeiterklasse mehren. Aus diesem Grunde hegte Engels auch im Interesse der Erfolge der Arbeiterbewegung im Westen den heißen Wunsch, in Russland möge die politische Freiheit ihren Einzug halten. Die russischen Revolutionäre haben in ihm ihren besten Freund verloren.
Ewiges Gedenken dem großen Kämpfer und Lehrer des Proletariats, Friedrich Engels!
Marxistische Grundlagen
Was ist Marxismus?
Der Marxismus ist das System von Karl Marx‘ Ansichten und Lehren. Marx war das Genie, das die drei wichtigsten ideologischen Strömungen des 19. Jahrhunderts in den drei damals am weitesten entwickelten Ländern aufgriff und zusammenführte: die klassische deutsche Philosophie, die klassische englische politische Ökonomie und der französische Sozialismus in Verbindung mit französischen revolutionären Grundsätzen im Allgemeinen. Selbst von seinen Gegnern wurden die bemerkenswerte Konsequenz und Integrität von Marx‘ Ansichten als Theorie und Programm der Arbeiterbewegung in allen Ländern der Welt anerkannt, deren Gesamtheit den modernen Materialismus und den modernen wissenschaftlichen Sozialismus ausmachen.
Was sind Marxismus, Leninismus und Trotzkismus?
Der Begriff Marxismus oder Leninismus wird im Allgemeinen verwendet, um diejenigen Kräfte zu beschreiben, die sich für revolutionäre Marxisten halten (weil sie sehen, dass das gegenwärtige System durch ein neues ersetzt werden muss). Im Gegensatz dazu streben Reformisten vor allem an, das kapitalistische System „freundlicher und sanfter” zu gestalten – was nicht möglich ist! Der Leninismus ist letztlich nichts anderes als die Erweiterung der Ideen von Marx auf das Zeitalter des Imperialismus (das Zeitalter der Herrschaft des Finanzkapitals und der Monopole und die totale Unterwerfung der kolonialen Welt unter den Willen der Großmächte).
Um den Begriff „Marxismus-Leninismus” besteht jedoch einige Verwirrung. Mit diesem Begriff schmücken sich vor allem Strömungen, die sich auf Stalin und Mao berufen. Stalin und Mao waren bei genauerer Betrachtung keine Marxisten und ziemlich anti-marxistisch. Denn sie führten Regimes an, die nicht auf der demokratischen Kontrolle des Staates durch die ArbeiterInnen basierten, sondern auf der totalitären Kontrolle durch eine Elite von Bürokraten, die wie Schmarotzer die Arbeiterstaaten beherrschten.
Aus unserer Sicht steht der Trotzkismus in der Tradition des Marxismus und Leninismus. Leo Trotzki war nach Lenins Tod 1924 Kopf der Opposition gegen Stalins reaktionäre Politik. Viele Menschen verwenden den Begriff Trotzkismus, um sich von den Stalinisten zu unterscheiden. Wir stimmen mit Trotzkis Ideen überein und sehen sie als Fortsetzung des Marxismus und Leninismus. Weil aber viele seiner Anhänger mit ihrer fanatischen und oft ultralinken Taktik und Politik negative Assoziationen und Reaktionen auslösen, konzentrieren wir uns darauf, uns selbst als Marxisten zu bezeichnen. Zu den wichtigsten Beiträgen Trotzkis zur marxistischen Theorie zählen seine wissenschaftliche Analyse des Stalinismus und Faschismus sowie seine Ideen zur permanenten Revolution, die insbesondere in Bezug auf die koloniale Welt höchst aktuell sind.
Was meinen Leute, wenn sie sagen, dass sie Sozialisten sind?
Wenn man von Sozialisten spricht, dann sind zwei Typen zu unterscheiden. Einerseits genuine Sozialisten, die für die Abschaffung der Lohnarbeit und der Herrschaft des Kapitals kämpfen, andererseits Reformisten. Viele Reformisten nennen sich Sozialisten, aber da sie die Weiterexistenz des kapitalistischen Systems akzeptieren, stärken sie mit ihrer Vorgehensweise den Rücken des Systems. Die „sozialistische“ Regierung Francois Hollandes beispielsweise verfolgte kriminelle imperialistische Ziele und führte Kürzungen und eine Politik der Sparmaßnahmen durch! Aus marxistischer Sicht wird Sozialismus generell als die Periode des Übergangs zwischen Kapitalismus und Kommunismus definiert – der Übergang zu einem System in welchem jeder nach seinen Möglichkeiten beiträgt und jedem nach seinen Bedürfnissen gedient wird. Genuine Marxisten können genauso Sozialisten genannt werden, solange ihr Ziel der Sturz des kapitalistischen Systems und die Etablierung einer demokratischen Arbeiterregierung ist. Viele, die sich Sozialisten nennen, müssen mit einer gesunden Dosis an Skepsis behandelt werden. Nur weil Sozialismus draufsteht muss noch kein Sozialismus drin sein.
Was ist der Unterschied zwischen Sozialismus und Kommunismus?
Aufgrund der bürgerlichen Medien und des Bildungssystems haben viele Menschen ein anderes Verständnis von den Begriffen „Sozialismus“ und „Kommunismus“ als die Gründer des Marxismus beabsichtigten. Diese Verwirrung ist leicht nachzuvollziehen: Viele moderne, sogenannte „sozialistische“ Parteien sind nichts dergleichen, und die meisten Menschen verbinden den „Kommunismus“ mit Stalins totalitärer Herrschaft in der Sowjetunion. Aber für wissenschaftliche Sozialisten (der ursprüngliche Begriff für Marxisten) haben diese Wörter genaue Bedeutungen und beschreiben bestimmte Gesellschaftsformen. Für Marxisten ist der Sozialismus eine Übergangsphase zwischen dem ausbeuterischen kapitalistischen System des Privateigentums an Produktionsmitteln und der klassenlosen Gesellschaft des Kommunismus, in der es keinen Staat im eigentlichen Sinne mehr gibt, keinen Arbeitszwang, keine Landesgrenzen usw.
Im Kapitalismus wird die Gesellschaft von einer Handvoll Großkapitalisten und Superreicher regiert, die die Arbeiterklasse ausnutzen, um Profite herauszuschlagen. Sie kümmern sich nicht darum, was oder wie sie Waren produzieren, solange diese ihnen einen Gewinn bringen. Sie haben den bürgerlichen Staat entwickelt – eine besondere Formation bewaffneter Menschen; die Gesetze, Gerichte, Gefängnisse, Militär, Polizei – um ihre privilegierte Position zu schützen. Im Kommunismus wird die gesamte Gesellschaft der „Eigentümer“ der Produktionsmittel sein und im Interesse aller Menschen im Einklang mit der Umwelt produzieren. Aber zwischen diesen beiden Phasen der menschlichen sozialen Entwicklung liegt die Übergangszeit des Sozialismus.
Trotz der Illusionen des Anarchismus, wir könnten den Staat und den Kapitalismus auf magische Weise über Nacht abschaffen, ist eine Übergangszeit erforderlich. Die materielle Grundlage für den Kommunismus ist die Fähigkeit, die Bedürfnisse aller Menschen zu befriedigen. Obwohl wir bereits die Technologie und das Know-how entwickelt haben, um dies sehr schnell zu ermöglichen, können wir nicht über Nacht von der Armut und dem Mangel im Kapitalismus zum vollwertigen Kommunismus springen. Für Marxisten heißt diese Übergangsphase Sozialismus. Wie Marx in der Kritik des Gothaer Programms erklärte:
„Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“
Der erste Schritt in diesem Prozess ist die Übernahme der politischen Macht durch die Mehrheit der arbeitenden Klasse in der Gesellschaft, die zu Marx Zeiten als „Diktatur des Proletariats“ bekannt war, im Gegensatz zur „Diktatur der Bourgeoisie“, unter der wir momentan leben. Einmal an der politischen Macht, kann die Arbeiterklasse ihre Kontrolle über die Wirtschaft durchsetzen. Sobald die Arbeiterklasse die Wirtschaft demokratisch im Interesse aller regiert, anstatt im Interesse einer Handvoll Kapitalisten, werden wir sehr schnell in der Lage sein, die Grundbedürfnisse aller zu befriedigen und darüber hinaus allen mehr zur Verfügung zu stellen. Wir werden in der Lage sein, die Arbeitslosigkeit abzuschaffen, allen Menschen eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung, Bildung, Unterkunft und mehr zu bieten. Das kreative und produktive Potenzial der Menschheit wird endlich vollkommen freigesetzt werden.
Wie Engels erklärte, wird dieser sozialistische „Staat“, der die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft wirklich demokratisch repräsentiert, bereits im eigentlichen Sinne des Wortes absterben. Der kapitalistische Staat vertritt eine winzige Minderheit der Gesellschaft, weshalb er auf brutale Maßnahmen zurückgreifen muss, um die Mehrheit unter Kontrolle zu halten. Aber sobald der Staat im Interesse der Mehrheit geführt wird, wird die Notwendigkeit von Polizei, Militär usw. zusammen mit der Ungleichheit und Unterdrückung des kapitalistischen Systems schnell verschwinden. Allmählich werden die Gewalt und der Zwang des kapitalistischen Systems verschwinden und durch die demokratische Verwaltung der Güter im Interesse aller ersetzt.
Aus Lenins Staat und Revolution:
„Erst in der kommunistischen Gesellschaft, wenn der Widerstand der Kapitalisten schon endgültig gebrochen ist, wenn die Kapitalisten verschwunden sind, wenn es keine Klassen (d.h. keinen Unterschied zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft in ihrem Verhältnis zu den gesellschaftlichen Produktionsmitteln) mehr gibt – erst dann „hört der Staat auf zu bestehen, und es kann von Freiheit die Rede sein“. Erst dann ist eine tatsächlich vollkommene Demokratie, tatsächlich ohne jede Ausnahme, möglich und wird verwirklicht werden. Und erst dann beginnt die Demokratie abzusterben, infolge des einfachen Umstands, daß die von der kapitalistischen Sklaverei, von den ungezählten Greueln, Brutalitäten, Widersinnigkeiten und Gemeinheiten der kapitalistischen Ausbeutung befreiten Menschen sich nach und nach gewöhnen werden, die elementaren, von alters her bekannten und seit Jahrtausenden in allen Vorschriften gepredigten Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens einzuhalten, sie ohne Gewalt, ohne Zwang, ohne Unterordnung, ohne den besonderen Zwangsapparat, der sich Staat nennt, einzuhalten.
Der Ausdruck „der Staat stirbt ab“ ist sehr treffend gewählt, denn er deutet sowohl auf das Allmähliche als auch auf das Elementare des Prozesses hin. Nur die Gewöhnung kann und wird zweifellos eine solche Wirkung ausüben, denn wir beobachten rings um uns millionenfach, wie leicht sich Menschen an die Einhaltung der für sie notwendigen Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens gewöhnen, wenn die Ausbeutung fehlt, wenn nichts vorhanden ist, was sie empört, sie zu Protest und Auflehnung herausfordert, was die Notwendigkeit der Niederhaltung schafft. Also: In der kapitalistischen Gesellschaft haben wir eine gestutzte, dürftige, falsche Demokratie, eine Demokratie nur für die Reichen, für eine Minderheit. Die Diktatur des Proletariats, die Periode des Übergangs zum Kommunismus, wird zum erstenmal Demokratie für das Volk, für die Mehrheit bringen, aber zugleich wird sie notwendigerweise eine Minderheit, die Ausbeuter, niederhalten. Einzig und allein der Kommunismus ist imstande, eine wahrhaft vollständige Demokratie zu bieten, und je vollständiger diese sein wird, um so schneller wird sie entbehrlich werden, wird sie von selbst absterben.
Mit anderen Worten: Im Kapitalismus haben wir den Staat im eigentlichen Sinne des Wortes, eine besondere Maschine zur Unterdrückung einer Klasse durch eine andere, und zwar der Mehrheit durch eine Minderheit. Damit eine solche Sache wie die systematische Unterdrückung der Mehrheit der Ausgebeuteten durch die Minderheit der Ausbeuter erfolgreich ist, bedarf es natürlich der größten Grausamkeit und bestialischer Unterdrückung, sind Meere von Blut nötig, durch die denn auch die Menschheit im Zustand der Sklaverei, der Leibeigenschaft und der Lohnarbeit ihren Weg geht.
Weiter. Beim Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus ist die Unterdrückung noch notwendig, aber es ist das bereits eine Unterdrückung der Minderheit der Ausbeuter durch die Mehrheit der Ausgebeuteten. Ein besonderer Apparat, eine besondere Maschine zur Unterdrückung, ein „Staat“ ist noch notwendig, aber es ist das bereits ein Übergangsstaat, kein Staat im eigentlichen Sinne mehr, denn die Niederhaltung der Minderheit der Ausbeuter durch die Mehrheit der Lohnsklaven von gestern ist eine so verhältnismäßig leichte, einfache und natürliche Sache, daß sie viel weniger Blut kosten wird als die Unterdrückung von Aufständen der Sklaven, Leibeigenen und Lohnarbeiter, daß sie der Menschheit weit billiger zu stehen kommen wird. Und sie ist vereinbar mit der Ausdehnung der Demokratie auf eine so überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, daß die Notwendigkeit einer besonderen Maschine zur Unterdrückung zu schwinden beginnt. Die Ausbeuter sind natürlich nicht imstande, das Volk niederzuhalten ohne eine sehr komplizierte Maschine zur Erfüllung dieser Aufgabe, das Volk aber vermag die Ausbeuter mit einer sehr einfachen „Maschine“, ja nahezu ohne „Maschine“, ohne einen besonderen Apparat niederzuhalten, durch die einfache Organisation der bewaffneten Massen (in der Art der Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten, sei vorgreifend bemerkt).
Schließlich macht allein der Kommunismus den Staat völlig überflüssig, denn es ist niemand niederzuhalten, „niemand“ im Sinne einer Klasse, im Sinne des systematischen Kampfes gegen einen bestimmten Teil der Bevölkerung. Wir sind keine Utopisten und leugnen durchaus nicht die Möglichkeit und Unvermeidlichkeit von Ausschreitungen einzelner Personen und ebensowenig die Notwendigkeit, solche Ausschreitungen zu unterdrücken. Aber erstens bedarf es dazu keiner besonderen Maschine, keines besonderen Unterdrückungsapparates; das wird das bewaffnete Volk selbst mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit bewerkstelligen, mit der eine beliebige Gruppe zivilisierter Menschen sogar in der heutigen Gesellschaft Raufende auseinander bringt oder eine Frau vor Gewalt schützt. Zweitens wissen wir, daß die soziale Grundursache der Ausschreitungen, die eine Verletzung der Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens bedeuten, in der Ausbeutung der Massen, ihrer Not und ihrem Elend zu suchen ist. Mit der Beseitigung dieser Hauptursache werden die Ausschreitungen unvermeidlich „abzusterben“ beginnen. Wir wissen nicht, wie rasch und in welcher Folge das geschehen wird, aber wir wissen, daß sie absterben werden. Mit dem Absterben der Ausschreitungen wird auch der Staat absterben.
Ohne sich auf Utopien einzulassen, hat Marx das näher bestimmt, was sich jetzt über diese Zukunft bestimmen läßt, nämlich den Unterschied zwischen der niederen und der höheren Phase (Stufe, Etappe) der kommunistischen Gesellschaft.“
Wenn wir also gefragt werden, ob wir Sozialisten oder Kommunisten sind, können wir sagen, dass wir beides sind. Wir kämpfen für den Kommunismus, aber der erste Schritt dahin ist der Sozialismus. Vor allem aber sind wir Marxisten – die Ideen des Marxismus sind eine „Anleitung zum Handeln“, die uns hilft, sich im Kampf gegen das kapitalistische System zurechtzufinden und den Aufbau des Sozialismus zu beschleunigen.
Was ist mit der menschlichen Natur?
Die Frage der sogenannten „menschlichen Natur“ ist eines der am häufigsten vorgebrachten Argumente gegen den Sozialismus – aber auch eines der am einfachsten zu entlarvenden. Viele Menschen glauben, dass die Art und Weise, wie die Menschen denken, immer die gleiche war und dass wir immer so denken werden, wie wir es jetzt tun. Einige Beispiele werden zeigen, dass nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte. Tatsache ist, dass sich das menschliche Bewusstsein und die Gesellschaft wie alle Dinge in der Natur immer im Wandel befinden. Marx erklärte, dass das „Sein das Bewusstsein bestimmt“. Mit anderen Worten, unsere Umwelt bestimmt in hohem Maße, wie wir denken. Wir wissen, was Rap-Musik, Hollywood-Filme und eine Boeing 747 sind, weil sie in unserer Welt existieren. Wenn wir zum Beispiel vor 5.000 Jahren als Bauern in China geboren worden wären, wäre unsere Weltsicht eine ganz andere! Wenn wir vor 5.000 Jahren in China als königliche Familie geboren worden wären, hätten wir auch ein ganz anderes Bewusstsein gehabt, als wenn wir Bauern gewesen wären.
Der Mensch stieg nicht an die Spitze der Nahrungskette, indem er gegeneinander konkurrierte und sich gegenseitig im Kampf um einen „Vorsprung“ vernichtete, sondern durch Zusammenarbeit. Nur durch die Zusammenarbeit konnten die Menschen ihre Ressourcen bündeln, um zu jagen, Unterstände zu bauen und schließlich Pflanzen und Tiere zu zähmen, Keramik zu entwickeln, Pyramiden zu bauen usw. Ein menschliches Baby ist, im Vergleich zu einem Hirsch, der innerhalb von Minuten nach der Geburt aufstehen und laufen kann, jahrelang völlig hilflos. Säuglinge könnten nicht einmal ein paar Tage ohne die Hilfe anderer überleben! Menschen der Urgesellschaft mussten zusammenarbeiten, um in ihrer Umgebung zu überleben. In der Menschheitsgeschichte gab die allermeiste Zeit keine Klassen. Die Menschen lebten in kleinen Gruppen, die sich die Arbeit und den Reichtum im Interesse aller aufteilten.
Und obwohl es den Anschein hat, dass wir heutzutage alle „Individuen“ sind, sind wir in Wahrheit von Tausenden und sogar Millionen anderer Menschen auf der ganzen Welt abhängig. Kann irgendjemand ganz alleine ein Auto entwerfen, Rohstoffe abbauen und die benötigten Metalle und anderen Materialien verarbeiten, die Fabrik bauen und selbst ein Auto zusammenbauen? Die Frage zu stellen, zeigt, wie absurd diese Idee ist. Was ist mit dem Benzin, das wir tanken? Oder den Straßen, auf denen wir fahren? Was ist mit den Lebensmitteln, die wir konsumieren? Die Liste geht weiter und weiter – und dabei haben wir nur an der Oberfläche gekratzt. Denkt man sorgfältig darüber nach, wird man sehen, dass im Kapitalismus fast jeder indirekt durch den Weltmarkt und den Warenaustausch mit allen anderen verbunden ist.
Wir arbeiten zusammen, leben zusammen, gehen zusammen ins Kino, gehen zusammen in den Park usw. Haben wir rund um die Uhr Polizei, um sicherzustellen, dass wir uns nicht alle gegenseitig umbringen? Laufen wir herum und töten uns gegenseitig, um uns einen Vorteil zu verschaffen? Wenn das der Fall wäre, würde nie etwas zu Ende gebracht werden und wir würden alle in wenigen Tagen verhungern! Warum haben die Menschen die seltsame Vorstellung, dass wir alle „Individuen“ sind? Zurück zum ersten Punkt, den wir angesprochen haben: Die Lebensumstände bestimmen das Bewusstsein – die herrschende Klasse (die Kapitalisten) tut alles in ihrer Macht stehende, um die Art und Weise, wie wir denken, zu beeinflussen. Durch unsere Ausbildung, durch die Medien, die Religion usw. werden wir dazu erzogen, die Werte des kapitalistischen Systems zu vertreten. Und welche Werte sind das? Die vorherrschende „Ellenbogenmentalität“ besagt, dass der einzige Weg, um voranzukommen, darin besteht, unsere Konkurrenz auszuschalten. Wir werden dazu erzogen, wegzuschauen und nichts von Obdachlosen, Hungernden, im Krieg Getöteten usw. wissen zu wollen – oder höchstens dazu, ein Gebet für diese zu sprechen und ein wenig zu spenden, um unser Gewissen zu beruhigen.
Wenn wir jedoch etwas genauer hinschauen, werden wir feststellen, dass diese „Werte“ nur einer kleinen Handvoll Menschen zugute kommen – den ultrareichen Kapitalisten! Der Rest von uns hat im täglichen Leben nichts davon. Wir wollen vor allem Frieden, Stabilität, einen anständigen Job, Freizeit für Familie und Angehörige, keine Sorgen um unsere Gesundheitsversorgung oder Bildung usw. Es ist nur die Kapitalistenklasse, die von der individuellen Konkurrenz zwischen den Unternehmen lebt. Einer der Hauptwidersprüche der kapitalistischen Gesellschaft ist, dass wir eine gesellschaftliche Produktion haben (das heißt, wir produzieren die Güter, die wir gesellschaftlich nutzen, durch die Zusammenarbeit vieler Menschen – wie zum Beispiel das Auto), die Aneignung des produzierten Mehrwerts aber erfolgt privat. Mit anderen Worten, wir produzieren den Reichtum gesellschaftlich, aber der Gewinn geht in private Hände! Tausende von ArbeiterInnen, die tatsächlich wissen, wie man die Autos in einer Fabrik herstellt, müssen sich nicht entscheiden, was sie wie produzieren oder was sie mit dem zusätzlichen Reichtum anfangen sollen – die Kapitalistenklasse tut es. Wir SozialistInnen wollen diesen Widerspruch beenden, indem wir die gesellschaftliche Kontrolle über den gesellschaftlich produzierten Reichtum erlangen. Der Überschuss an Wohlstand, der von ArbeiterInnen erwirtschaftet wird, würde dazu verwendet werden, für bessere Löhne, Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung, Bildung, soziale Sicherung, neue Technologien, die den Arbeitsalltag verkürzen könnten, usw. zu sorgen – anstatt für den privaten Gewinn einer Handvoll Menschen, während Millionen verhungern, obdachlos und arbeitslos sind. Dies ist keine utopische Idee – die materiellen Voraussetzungen dafür existieren! Das einzige Hindernis dafür ist die Herrschaft der Kapitalistenklasse auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Nur die Einheit der Weltarbeiterklasse kann dieser Situation ein Ende setzen und den Schrecken, die Erniedrigung, die Armut und die Instabilität des kapitalistischen Systems ein für alle Mal beenden. Dann wird sich eine ganz neue Welt eröffnen!
Stellt euch ein Baby vor, das in einer Welt geboren wurde, in der es keinen Hunger, keine Not, keine Armut, keinen Mangel an Arbeitsplätzen usw. gibt. Da die Lebensbedingungen das Bewusstsein bestimmen, würde es die Welt auf eine ganz andere Weise sehen als heute. Selbst heute geborene Babys nehmen keine Unterschiede bezüglich der Hautfarbe, Sprache usw. wahr, bis sie mit zunehmendem Alter darauf hingewiesen werden. Im Sozialismus werden die Menschen als Menschen miteinander in Beziehung stehen und nicht als bloße Waren, die gekauft und verkauft werden können.
Der Grund für den großen Teil der Probleme, unter denen wir im Kapitalismus leiden, ist die Knappheit, die durch die Widersprüche des Systems selbst hervorgerufen wird. Um ein Beispiel aus der Natur zu nehmen: Wenn man 100 Ratten nimmt und sie in einen Käfig mit genügend Futter für 100 Ratten und etwas mehr steckt, wird man fügsame, freundliche und gesellige Tiere vor sich haben. Wenn man jedoch die gleichen 100 Ratten in einen Käfig mit Futter für nur 50 Ratten steckt, wird die Situation schnell zu einer mörderischen, gierigen, eigennützigen Orgie aus Gewalt und Blutvergießen. Natürlich sind Menschen und ihre Gesellschaft viel komplexer und auf einer anderen Ebene als 100 Ratten in einem Laborkäfig. Aber das Beispiel zeigt einen wichtigen Punkt auf.
Wie wir alle wissen, wird ein Großteil der Verknappung künstlich erzeugt. Wir alle haben die Geschichten von Bauern gehört, die dafür bezahlt werden, nichts anzupflanzen oder Ernten zu vernichten, obwohl es auf der ganzen Welt Millionen von hungrigen und unterernährten Kindern gibt; oder von Schuh- und Bekleidungsgeschäften, die Löcher in ihren alten Bestand stanzen oder reißen, um sie unbrauchbar zu machen, obwohl Millionen von Menschen diese Produkte verwenden könnten; von Restaurants, die Angestellte entlassen, weil sie Lebensmittel mit nach Hause genommen hatten, und stattdessen darauf bestehen, dass dieses vollkommen gute Essen in den Müllcontainer geworfen wird; oder von vollkommen gesunden, fähigen und motivierten Menschen, die dafür bezahlt werden, nicht zu arbeiten, oder die zur Arbeitslosigkeit gezwungen werden, anstatt sinnvolle Arbeitsplätze für sie zu schaffen.
Die „menschliche Natur“ ist wie alle Dinge in ständigem Wandel. Zu akzeptieren, dass alles für immer in Stein gemeißelt sei, hält nicht einmal der einfachsten Analyse stand. Der Mensch hat wunderbare Tragödien, Komödien, Lieder, Gedichte, Gemälde, Skulpturen und unzählige andere Ausdrucksformen von Kunst geschaffen, die ein Spiegelbild unserer sich zu jeder Zeit verändernden Weltanschauung sind. Bei einem Spaziergang durch ein Kunst-, Wissenschafts- oder historisches Museum sieht man, wie das sich wandelnde Bewusstsein der Menschheit grafisch dargestellt wird. Wie Marx erklärte: „Die Philosophen haben die Welt auf verschiedene Weise interpretiert – es kommt aber darauf an, sie zu ändern!“ Unsere Denkweise wird sich mit ihr ändern!
Wie wird eine sozialistische Gesellschaft aussehen?
Obwohl niemand einen genauen Plan vorlegen kann, wie eine solche Gesellschaft aussehen würde, können wir sagen, dass die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln den Beginn des Endes der Klassentrennung der Gesellschaft bedeuten würde. Die an die Macht gelangte Arbeiterklasse wird die Art und Weise, wie Wirtschaft und Gesellschaft funktionieren, radikal verändern. Der Sozialismus ist demokratisch oder er ist nicht. Dies bezieht sich nicht auf eine formelle Demokratie auf dem Papier, genauer gesagt auf eine bürgerliche Demokratie, bei der man alle paar Jahre ein Parlament wählen darf, das dann aber im Interesse des Kapitalismus regiert, sondern auf eine Demokratie, in der wir alle eine umfassende und aktive Rolle spielen, nicht nur bei der Abstimmung, sondern auch in der tatsächlichen Leitung unserer Stadtteile, unserer Arbeitsplätze und unserer Gesellschaft. Sobald die moderne Wirtschaft, Industrie, Wissenschaft und Technologie in den Händen aller Mitglieder der Gesellschaft ist, können wir Vollbeschäftigung und kürzere Arbeitszeiten erreichen – und haben so die Zeit und die Ressourcen, die wir wirklich brauchen, um unsere Talente zu verwirklichen. Wir könnten die Wirtschaft mit 10% oder sogar 20% Wachstum pro Jahr voranbringen! Dies wäre durchaus möglich, wenn wir die Anarchie des Privateigentums und das Profitstreben beseitigt hätten. Ein solches Wachstum könnte den Wohlstand und die Lebensqualität der Gesellschaft in fünf Jahren verdoppeln!
Die Verkürzung der Arbeitszeit und eine Steigerung der Produktivität der Gesellschaft sind die Voraussetzungen für das Verschwinden der Klassenteilung und für die Geburt des Sozialismus. Es wäre, wie Marx es ausdrückte, eine Gesellschaft, in der jeder nach seinen Fähigkeiten beiträgt und nach seinen Bedürfnissen erhält. Eine solche Gesellschaft ist keine Utopie, sondern die einzige Alternative zu einem im Kapitalismus unvermeidlichen langsamen und schmerzhaften Abstieg in die Barbarei.
Aber automatisch wird das auch in einer Million Jahren nicht geschehen. Nur eine sozialistische Revolution, d.h. die bewusste Bewegung der Arbeiterklasse, die die Kontrolle über ihr eigenes Leben übernimmt, kann diesen Wandel bewirken. Dies setzt voraus, dass im Vorfeld eine erfahrene Führung aufgebaut wird, die den Erfolg sicherstellen kann. In den letzten hundert Jahren, zumindest seit dem Ersten Weltkrieg, hat das kapitalistische System aufgehört, eine historisch fortschrittliche Rolle zu spielen. Es steht wie eine Straßensperre auf dem Weg des menschlichen Fortschritts. Wir können nicht darauf warten, dass seine Instabilität uns ins Mittelalter zurückwirft. In den kommenden Jahren werden sich für uns viele Chancen ergeben. Aber der Erfolg des Sozialismus ist nicht unvermeidlich und kommt nicht automatisch. Die einzige Garantie ist unsere Vorbereitungsarbeit im Hier und Jetzt.
Wie vertragen sich Individualismus und Sozialismus?
Die Vorstellung der Menschen vom Individualismus im Sozialismus basiert oft auf der Vorstellung, dass der Sozialismus entweder durch die Stalinsche Sowjetunion oder durch China unter Mao repräsentiert wurde. Vielen kommt dabei in den Sinn, dass jeder in Uniform herumläuft, sowohl was seine Kleidung als auch sein Verhalten anbelangt, und dass es sich um einen allmächtigen Staat handelt, dem die Rechte und Wünsche des Einzelnen im „Interesse der gesamten Gesellschaft“ unterworfen sind. In Wirklichkeit war es nicht die gesamte Gesellschaft, deren Interessen alles untergeordnet wurde, sondern die Interessen der kleinen bürokratischen Clique, die auf dem Rücken der Arbeiterklasse und auf dem Rücken der verstaatlichten Planwirtschaft ein parasitäres Dasein führte.
Diese Bürokratisierung hatte fatale Auswirkungen auf alle Errungenschaften der Revolution in Russland, nicht nur wirtschaftlich, sondern in allen Lebensbereichen. Bürokratismus wirkt erstickend und unterdrückend, nicht nur auf die Produktion, sondern auch auf Kunst, Wissenschaft und Kultur. Die Stalinisten fürchteten jede mögliche Opposition, insbesondere die der Intellektuellen, die sie nicht kontrollieren konnten. Sie wurden ausgelöscht, in vielen Fällen im wahrsten Sinne des Wortes. Individuelle Äußerungen wurden als konterrevolutionär dargestellt, sogar die Kultur unterlag dem „kollektiven Willen“ – nicht der Gesellschaft, sondern einer Handvoll Bürokraten, die unbedingt an der Macht und ihren Privilegien festhalten wollten. Nicht nur die Wirtschaft, sondern alle Aspekte des Lebens benötigen den Sauerstoff der Demokratie, um gedeihen zu können.
Die kapitalistische Gesellschaft, in der wir heute leben, ist angeblich individualistisch, und das klingt zunächst sehr positiv. In Wirklichkeit aber ist die Profit-Gesellschaft eine Gesellschaft, die Gier, Selbstsucht und Egoismus hervorruft. Es ist eine Gesellschaft, die auf der Idee von „töten oder getötet werden“ basiert – im Kapitalismus werden die Menschen alles tun, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Im Namen des Profits werden die Talente und Fähigkeiten der allermeisten Menschen am Fließband oder in der Arbeitslosigkeit verschwendet. Wir haben kein Recht auf Arbeit, kein Recht auf Bildung, kein Recht auf Gesundheitsfürsorge, keine Rechte, die das Fundament einer zivilisierten Existenz sichern könnten, geschweige denn das Recht, uns selbst auszudrücken und einzubringen, um unser Potenzial auszuschöpfen.
Erst in der kollektiven Gesellschaft des unverfälschten Sozialismus können die Rechte des Einzelnen ohne Gewalt oder Zwang wirklich gedeihen und aufblühen. Es wird eine Gesellschaft ohne Grenzen sein, die auf der demokratischen Führung aller Aspekte des Lebens durch die gesamte Gesellschaft auf der Grundlage einer Wirtschaft des Überflusses beruht, in der all unsere Bedürfnisse und mehr befriedigt werden können. Mit moderner Technologie können wir mit relativ geringem Aufwand mehr als genug für alle Bedürfnisse und Wünsche der Menschheit produzieren. Zum Beispiel brauchte es früher viele Arbeiter, um ein einziges Fernsehgerät herzustellen. Dank Automatisierung, Robotern und anderen Effizienzsteigerungen sind jetzt weitaus weniger Arbeiter nötig. Aber im Kapitalismus ersetzen die Maschinen die Arbeiter, die dann andere, in der Regel schlechter bezahlte Jobs suchen müssen oder arbeitslos werden – und verschwenden somit deren Potenzial. Im Sozialismus werden technologische Verbesserungen zum Wohle aller eingesetzt werden. Maschinen sollen für uns arbeiten – die Zeit, die wir aufgrund ihrer Effizienz sparen, kann dann für die Verfolgung anderer Lebensziele aufgewendet werden. Wir werden von der Plackerei der menschlichen Arbeit befreit und werden die Zeit haben, zu studieren, zu reisen, uns mit anderen Kulturen zu beschäftigen, unsere Talente zu verwirklichen.
Die Entwicklung unserer Wirtschaft wird es uns ermöglichen, weniger Zeit mit Arbeit zu verbringen und uns in den Bereichen zu einzubringen, die uns heute entweder durch Geldmangel oder durch Überarbeitung verschlossen sind. Kunst, Wissenschaft, Musik usw. werden aufblühen können, sobald sie sich von den Zwängen der kapitalistischen Gesellschaft befreit haben. Wie viele Shakespeares oder Beethovens gab es bisher? Kaum eine Handvoll. Oder eher kaum eine Handvoll, deren Talent wir genießen konnten. Wie viele weitere wurden in der Fabrik, auf dem Feld oder im Büro verschwendet? Nachdem wir den Kapitalismus beseitigt haben, können sich nicht nur die Rechte des Einzelnen, aller Einzelnen, sondern auch ihre Bestrebungen und Träume entfalten. Neue Höhen der menschlichen Kultur werden erreicht werden, und von diesen Gipfeln am Horizont werden immer neuere Gipfel entstehen. Auf den Schultern aller bisherigen Erfahrungen stehend, werden Männer und Frauen sich über die Geschichte erheben.
Wie steht der Marxismus zur Ökologie und Klimakatastrophe?
In vielen Köpfen hält sich noch das dumpfe Vorurteil, der klassische Marxismus sei nur auf Kohleverbrennung, Dampfmaschinen und rauchende Fabrikschlote fixiert, klammere ökologische Fragen aus und könne daher keine Antworten auf die globalen Probleme des 21. Jahrhunderts geben. Welch ein Irrtum! Tatsächlich gehörten Karl Marx und Friedrich Engels im 19. Jahrhundert jedoch zu den ersten, die anhand vieler Beispiele den Zusammenhang zwischen der auf privaten Profit orientierten kapitalistischen Produktionsweise und der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen aufzeigten.
„Jeder Fortschritt in der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst der Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in der Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeit zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“, erklärte Marx in „Das Kapital“, Band 1. „Wenn der einzelne Fabrikant oder Kaufmann die fabrizierte oder eingekaufte Ware nur mit dem üblichen Profitchen verkauft, so ist er zufrieden, und es kümmert ihn nicht, was nachher aus der Ware und deren Käufer wird. Ebenso mit den natürlichen Wirkungen derselben Handlungen.“
„In der Natur geschieht nichts vereinzelt. Jedes wirkt auf‘s andere und umgekehrt, und es ist meist das Vergessen dieser allseitigen Bewegung und Wechselwirkung, das unsere Naturforscher verhindert, in den einfachsten Dingen klarzukommen“, so Friedrich Engels in der Schrift „Die Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“. Darin nennt er viele Beispiele für langfristige Umweltschäden etwa durch die weitgehende, rücksichtslose Abholzung von Gebirgen. Und weiter: „Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unseren menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns.“. Seine Schlussfolgerung: „Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“
Der Kapitalismus strebt unersättlich nach kurzfristiger Gewinnmaximierung. Das System bringt Überproduktion mit Dumpingpreisen und Wegwerfgesellschaft sowie die Ausbeutung von Mensch und Natur. Dafür werden Umweltstandards und Lebensbedingungen immer weiter ausgehöhlt. Unter dem Diktat von Profiterwartungen entscheiden die Chefetagen von Großunternehmen, was und wie produziert wird. Aber nicht nach Plan und schon gar nicht nach den Bedürfnissen von Mensch und Natur. Weltweit sind nur 90 Großkonzerne – vor allem im Energiebereich – verantwortlich für rund 70 Prozent der CO2-Emissionen. Die arbeitende Klasse, bäuerlichen Massen und Armen in Stadt und Land sind weltweit die Hauptleidtragenden von Umweltschäden und Umweltzerstörung. Darum ist Klimakampf immer auch Klassenkampf.
Einen grünen, nachhaltig wirtschaftenden Kapitalismus kann es nicht geben. Klima- und Umweltschutz erfordert einen demokratischen und nachhaltigen Wirtschaft- und Produktionsplan, damit wir uneingeschränkt moderne grüne Technologien nutzen und Emissionen und Schadstoffbelastungen innerhalb weniger Jahre spürbar verringern können. Dazu müssen alle öffentlichen Unternehmen eingebunden und die großen Konzerne und Banken enteignet, verstaatlicht und unter die Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden. Technologie und Wissenschaft zur Bekämpfung der Klimakatastrophe sind vorhanden. Klimafreundliche Technologien und Patente müssen umfassend, kollektiv und planmäßig zum Nutzen aller Menschen eingesetzt werden. Einzig und allein der Kapitalismus steht einer Umsetzung im Wege. No socialism, no future.
Was halten Marxisten von technologischer Innovation?
Neue Informationstechnologie, Digitalisierung und Industrie 4.0 sind aktuelle Schlagworte, die für einen tiefgreifenden Wandel in unserem Arbeitsalltag und unserem Leben stehen. Aus marxistischer Sicht ist das alles aber nichts Neues. Es wurde bereits im Kommunistischen Manifest und im Kapital erklärt, dass das kapitalistische System im Gegensatz zu jedem früheren System in der Geschichte nur durch ständige Revolutionierung der Produktionsmittel existieren kann. Solche Entwicklungen hat es in jedem Wirtschaftszyklus gegeben. Wir beziehen uns hier nicht auf den Handelszyklus als solchen, sondern auf umfassendere historische Perioden, die verschiedene Phasen der kapitalistischen Entwicklung charakterisiert haben, wie zum Beispiel die Zeit des Nachkriegsaufschwungs im Gegensatz zur Zeit zwischen den Weltkriegen. Selbst die oberflächlichste Betrachtung der Zyklen des Kapitalismus wird zeigen, dass jeder einzelne von ihnen seit der industriellen Revolution gerade durch Investitionen in neue Technologien mit weitreichenden Konsequenzen gekennzeichnet war. Die Dampfkraft war die Grundlage der industriellen Revolution. Sie revolutionierte die Herstellung von Textilien. Es folgte der Eisenbahnboom in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
In jedem Zyklus suchen die Kapitalisten ein rentables Investitionsfeld. Derzeit wird diese Rolle von den digitalen Medien übernommen. Das Internet ist ohne Zweifel eine äußerst bedeutende und wichtige Erfindung mit enormen Konsequenzen, insbesondere für eine sozialistische Planwirtschaft der Zukunft. Aber zu argumentieren, dass es das Produktivsystem so verändert hat, dass der Zyklus von Aufschwung und Abschwung damit beseitigt worden sei, ist einfach absurd. In jedem Zyklus gab es Erfindungen, die nicht weniger revolutionär waren und oft weitaus mehr. Die Auswirkung der Eisenbahnen, des Dampfschiffs und des Telegraphen war weitaus revolutionierender bei der Verbindung der Welt als das Internet. Nach der Erfindung der Eisenbahn kamen das durch den Otto- oder Dieselmotor angetriebene Auto, Elektrifizierung, Chemikalien, Kunststoffe, Radio, Fernsehen, Flugzeuge, Radar und Atomkraft – all dies waren große Fortschritte in ihrer Zeit.
All diese enormen und beeindruckenden technologischen Fortschritte geben uns einen Einblick in das, was in einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft möglich wäre. Aus der Tatsache, dass Technologie existiert, kann man jedoch nicht schließen, dass ein Konjunkturzyklus nicht existiert. Zu dieser Schlussfolgerung kann man selbst aus formaler Logik nicht kommen. Aus historischer Sicht ist es einfach absurd. In den 1920er und 1930er Jahren gab es zum Beispiel die erstaunlichste Technologie: Telefone, Elektrizität, Flugzeuge, Autos, Fernsehen und viele andere Dinge, die jedoch nicht entwickelt werden konnten. Warum konnten sie nicht entwickelt werden?
Damit eine bestimmte Technologie entwickelt werden kann, muss sie im Interesse derjenigen Klasse liegen, die die materiellen Mittel hat, sie zu entwickeln. Dies zeigt sogar die Antike. Die Griechen erfanden die Dampfkraft und bauten tatsächlich funktionierende Modelle von Dampfmaschinen. Aber sie konnte nicht entwickelt werden und blieb ein bloßes Spielzeug. Warum? Weil die Sklavenwirtschaft auf einem scheinbar unbegrenzten Angebot an unbezahlter menschlicher Arbeit beruhte. Warum sollten die Sklavenhalter an arbeitssparenden Maschinen interessiert sein? Eine analoge Situation bestand im Feudalismus, der auf der Schuldknechtschaft der Leibeigenen beruhte. Der feudale Grundbesitzer hatte auch kein Interesse daran, seinen Überschuss in Maschinen und Technologie zu investieren. Warum sollte er, wenn er die Arbeit der Leibeigenen zur Verfügung hatte? Erst mit dem Aufkommen des Kapitalismus und der industriellen Revolution gewinnt die Ökonomie der Arbeitszeit eine entscheidende Bedeutung, und dies hat sich in den letzten 200 Jahren in jedem Stadium der Entwicklung des Kapitalismus gezeigt. Wie Marx erklärt, ist der Kapitalismus das einzige sozioökonomische System, das jemals existiert hat, das sich auf die ständige Revolutionierung der Produktivkräfte stützt.
Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die Kapitalisten selbstverständlich immer und grundsätzlich daran interessiert wären, um ihrer selbst willen in Technologie zu investieren. Die Bourgeoisie investiert nur insoweit, als sie eine angemessene Rendite erzielt und nicht einen Moment länger. Zu einem bestimmten Zeitpunkt im Investitionszyklus reicht die Kapitalrendite nicht mehr aus, um weitere Investitionen zu rechtfertigen. Zu diesem Zeitpunkt hören die Kapitalisten auf zu investieren. Das bloße Vorhandensein von Technologie und Produktionspotential ist daher keine Garantie gegen eine Krise. Eher das Gegenteil. Es ist die unkontrollierte Flut von Investitionen auf neuem Wege, die schließlich zu Überinvestitionen, Überproduktion, einem Rückgang der Profitrate und letztendlich zu einem Rückgang der Profitmasse und zu einer Krise führt.
Wenn der Sozialismus die nächste Stufe der menschlichen Gesellschaft ist, warum sollte man sich die Mühe machen, dafür zu kämpfen?
Im Kapitalismus werden die materiellen Mittel zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft geschaffen, aber das kapitalistische System wird niemals einen automatischen Zusammenbruch erleiden – es wird nicht von alleine verschwinden, es muss gestürzt werden. Wenn es für längere Zeit weiter bestehen bliebe, würde es die gesamte Menschheit zurück in die Barbarei führen. Schon heute breitet sich diese Barbarei auf der ganzen Welt aus, vom IS im Nahen Osten über die Drogenkartelle in Mexiko, die Hungerkatastrophen in Afrika und das Flüchtlingselend im Mittelmeer. Während eines solchen Niedergangs wird die internationale Arbeiterklasse immer wieder zum Kampf gezwungen. Wenn es ihr nicht gelingt, die Macht zu erobern, wird das kapitalistische System über ihren Leichen weiterbestehen und nur durch Diktatur, Kriege und Konterrevolutionen irgendeine Art von Stabilität aufrechterhalten. Gelingt es der Arbeiterklasse schließlich nicht, die Macht zu erobern und eine demokratische, sozialistische Gesellschaft zu schaffen, könnte die gesamte Menschheit im Chaos versinken. Marxisten kommt die Aufgabe zu, die Ideen eines unverfälschten Marxismus zu verteidigen und zu verbreiten und sich auf zunehmende Klassenkämpfe und gesellschaftliche Erschütterungen vorzubereiten. So können wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Arbeiterklasse bei sich bietenden revolutionären Gelegenheiten die Macht möglichst schnell und unblutig übernehmen kann.
Wie können Demokratie und Sozialismus gleichzeitig existieren?
Vorab: Die Vorstellung, dass Marxismus und Demokratie Gegensätze seien, ist falsch. Tatsache ist, dass es im Kapitalismus (der oft fälschlicherweise als Synonym für „Demokratie“ verwendet wird) keine wirkliche Demokratie gibt. Man kann zwar alle paar Jahre an Landtags- und Bundestagswahlen teilnehmen, aber sieht man sich an, wer zur Wahl steht, so sind das vor allem die Parteien, die von großen Konzernen finanziert werden. Man hat also keine echte Wahl. In der Praxis gibt es Demokratie nur für die Reichen und Mächtigen – die bürgerliche Demokratie.
Darüber hinaus hat die gewählte Regierung nicht wirklich die Wahl, welche Politik sie verfolgen soll. Wenn acht Milliardäre genauso viel Vermögen besitzen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, dann ist klar: Sie sind diejenigen, die wirklich die Politik machen. Mit ihren wirtschaftlichen Entscheidungen bestimmen sie das Leben von Millionen gewöhnlicher Menschen, ihre beruflichen Perspektiven, ihren Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung usw. Wenn die Interessen dieser großen Unternehmen bedroht sind, nutzen sie die Regierung, um jene zu retten. Als beispielsweise die demokratisch gewählte Regierung von Allende in Chile 1973 beschloss, die Kupferminen und die Telekommunikation (im Besitz von US-amerikanischen Unternehmen) zu verstaatlichen, organisierten Unternehmen und die CIA in Chile einen Militärputsch, der die demokratisch gewählte Regierung von Allende durch die Militärdiktatur von Pinochet ersetzte, unter der Zehntausende gefoltert und ermordet wurden. Regierung und bürgerliche Parteien sind letzten Endes ein Instrument des Großkapitals und bestimmen die Politik, die umgesetzt wird. Die Parteien existieren nicht im luftleeren Raum, sondern werden direkt von Milliardären und Unternehmen finanziert und beeinflusst. Deshalb handeln sie nicht wirklich im Namen von „Gesetz“, „Wahrheit“ oder „Gerechtigkeit“, sondern im Interesse der Hand, die sie ernährt.
Im Sozialismus hingegen wären die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes und der Welt nicht in privater Hand, sondern in der Hand der Mehrheit der Bevölkerung, die sie demokratisch leiten und kontrollieren. Dies wäre eine echte Demokratie, in der die Menschen wirklich die Kontrolle über ihr Leben haben. Sie wären in der Lage, ihre Regierungsvertreter demokratisch zu wählen, und gleichzeitig hätten diese Vertreter echte Macht über die Wirtschaft, um die Welt wirklich zu verändern. Diese Funktionäre und Amtsinhaber würden umgehend abgewählt, wenn sie die Aufgaben, für die sie gewählt wurden, nicht zufriedenstellend erledigen. Die Leute würden dann jemanden wählen, von dem sie denken, dass er seine Sache besser machen wird. Zudem sollten diese gewählten Amtsträger nicht mehr als einen Facharbeiterlohn verdienen – anders als heute, wo die „Vergünstigungen“ oft das Gehalt unserer „gewählten“ Beamten überwiegen. Damit kann Pöstchenjägern und Karrieristen, die nur auf Private Vorteile aus sind, ein Riegel vorgeschoben werden. Diese gewählten Funktionäre sollten auch aus allen Schichten der Gesellschaft kommen. Lenin brachte diesen Gedanken einst auf den Punkt: „Jede Köchin muss in der Lage sein, die Staatsmacht auszuüben.“
Eine weitere Komplikation dieser Frage ist, dass die Menschen den Marxismus im Allgemeinen mit dem Regime identifizieren, das in der Sowjetunion bis 1991 existierte. Obwohl es auf dem Papier eine der demokratischsten Verfassungen der Welt hatte, gab es keine demokratische Kontrolle über Politik und Wirtschaft. Es war Stalinismus, das heißt ein Regime, in dem die Wirtschaft in den Händen des Staates lag, aber die Menschen keine Möglichkeit hatten, sich daran zu beteiligen. Die bürokratische Kaste übernahm die Kontrolle über den Staatsapparat und benutzte ihn in ihrem eigenen Interesse. Dies hatte nichts mit Sozialismus zu tun, und tatsächlich musste Stalin, um an die Macht zu kommen, zuerst Hunderttausende kommunistischer Revolutionäre töten, darunter die meisten ehemaligen Mitglieder des Zentralkomitees der Bolschewistischen Partei, die 1917 die Russische Revolution organisiert hatten. Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass der Marxismus und der Sozialismus auf der umfassendsten Demokratie – der Arbeiterdemokratie, der Demokratie der breitesten Schichten – beruhen. Leo Trotzki sagte: „Der Sozialismus braucht Demokratie so wie der menschliche Körper Sauerstoff zum Atmen braucht.“
Wie wird die Produktion vergesellschaftet und der Wohlstand im Sozialismus verteilt werden?
Die moderne Produktion ist bereits vergesellschaftet. Beispielsweise kann keine Person allein ein Auto oder einen Computer von Anfang bis Ende bauen. Die moderne Wirtschaft ist so komplex, dass sie die Arbeitskraft von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt benötigt, um ein Endprodukt wie einen Computer herzustellen. Von den Menschen, die die Rohstoffe beschaffen, bis zu denen, die die Hardware entwerfen. Von denen, die ihn zusammenbauen, bis zu denen, die ihn nach Hause liefern. Es ist ein kollektiver Prozess. Der von all diesen Arbeitern geschaffene Wohlstand wird jedoch nicht zu gleichen Teilen geteilt – die Unternehmen und Milliardäre behalten einen sehr ungleichen Anteil für sich.
Tatsächlich ist es die moderne Arbeiterklasse, die die Betriebe tagtäglich am Laufen hält und führt, sie ist es, die gemeinsam den Wohlstand der Gesellschaft hervorbringt. Dennoch erhält sie nicht den tatsächlichen, von ihrer Arbeitskraft geschaffenen Wert. Sie erhält zwar ein paar Krümel in Form kleiner Gehaltserhöhungen oder auch mal Prämien, aber das ist nichts im Vergleich zu den Beträgen und Boni in Millionenhöhe, die die Kapitalisten und Spitzenmanager erhalten. Dieser Reichtum muss denjenigen gehören, die ihn tatsächlich produzieren.
Wie stehen Marxisten zu Kleinbauern und Kleinunternehmern?
Historisch gesehen ist die Industrialisierung der Landwirtschaft sehr fortschrittlich. Sie ermöglicht eine höhere Arbeitsproduktivität, so dass der Bedarf an Nahrungsmitteln der Masse der Bevölkerung von einer winzigen Minderheit der Bevölkerung produziert werden kann. In Deutschland sind nur noch 1,4 Prozent aller Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft tätig. Anfang des 20 Jahrhunderts waren es noch 38 Prozent und in den frühen 1950er Jahren noch 24 Prozent. So konnte sich die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung auf andere produktive Tätigkeiten konzentrieren. Im Sozialismus könnten Mechanisierung und großflächige Landwirtschaft die Norm auf der ganzen Welt werden.
Aus historischer Sicht werden Kleinbauern, Kleinunternehmer, kleine Ladenbesitzer und ähnliche Gruppen aufgrund der unerbittlichen Konkurrenz der Großbauern, der großen Supermärkte, Konzerne und Handelsketten im Kapitalismus immer mehr verdrängt. Landgrabbing, also der spekulative massenhafte Aufkauf von Ackerland durch Kapitalinvestoren, nimmt zu. Die großen Handelsketten drücken die Erzeugerpreise etwa für Milchbauern immer mehr. Aber Kleinbauern und Kleinunternehmer existieren immer noch in dieser Gesellschaft und es ist unsere Pflicht, ein Programm zu entwickeln, das sie für die revolutionäre Partei gewinnen kann. Trotzki greift dies im Übergangsprogramm und auch in anderen Schriften auf. Diese Schichten sind potentielle Verbündete des Proletariats und können auf der Grundlage eines klaren Programms gewonnen werden. Das heißt, wir fordern günstige Kredite für die Kleinbauern und Kleinunternehmer. Im Kapitalismus werden diese Schichten oftmals von den großen Monopolen und Banken erwürgt und enteignet. Sie müssen hohe Zinsen für ihre Kredite zahlen, die sie aufnehmen, um ihr Geschäft zu entwickeln. Wir fordern günstige Kredite für Maschinen, preisgünstige Düngemittel, günstiges Saatgut usw. Dies führt uns zu der Forderung, die Banken, Handelsketten und die großen Konzerne zu enteignen und zu vergesellschaften, die die Produktion von Düngemitteln, Saatgut, Landmaschinen usw. kontrollieren. Auf diese Weise können wir den Kleinbauern (und den kleinen Ladenbesitzern und Kleinunternehmern) zeigen, dass sie sich mit der arbeitenden Klasse gegen die großen Kapitalisten vereinen sollten. Somit können wir sie dem Einfluss der Kapitalisten entziehen. Darüber hinaus könnte ein Programm Kleinunternehmen Anreize für eine absolut freiwillige Kollektivierung und ihren Beitritt zur Planwirtschaft bieten.
Was ist im Sozialismus der Anreiz zu arbeiten?
Lenin erklärt in „Staat und Revolution“ und Marx in „Kritik des Gothaer Programm“, dass es unmöglich ist, direkt vom Kapitalismus zum fortgeschrittensten Stadium der menschlichen Gesellschaft zu gelangen – einer klassenlosen Gesellschaft, die auf der demokratischen Verwaltung der Güter im Interesse aller beruht. Der Kommunismus basiert auf der Möglichkeit, allen Menschen zur Befriedigung ihrer elementaren Lebensbedürfnisse mehr als ausreichend Güter und Dienstleitungen bereitzustellen. Damit meinen wir elementare Dinge wie Essen und Trinken, menschenwürdigen Wohnraum, Arbeit, Gesundheitsfürsorge, Mobilität, Kultur und Absicherung im Alter. Obwohl wir in Deutschland dieses Niveau relativ schnell erreichen könnten, sind die Bedingungen dafür im Moment noch nicht vorhanden. Deshalb ist eine Übergangszeit notwendig, die wir als Sozialismus bezeichnen.
Während dieser Zeit wird es immer noch Elemente der alten Gesellschaft geben, aber ein sozialistischer Staat wird sich nach und nach auflösen. Sobald die Arbeiter beginnen, demokratisch alle großen Industrien zu planen – Energie, Bankwesen, Landwirtschaft, Arzneimittel usw. – werden wir den von den Arbeitern produzierten Überschuss für die Verbesserung unseres Lebens einsetzen.
Die Anwendung neuer Technologien und eine höhere Arbeitsproduktivität führen zu einer Verkürzung des Arbeitstages und zu mehr Zeit für Weiterbildung, Studium, Reisen, Forschung, Musik, Kunst, Kultur usw. Heutzutage ist der Anreiz, härter zu arbeiten, die Zahlung der Miete, die Hypothek, die Zinsen für Kreditkartenschulden und Kredite, überteuertes Essen, die Gesundheitsfürsorge, Transport und Unterhaltung usw. Dies ist der einzige Anreiz, den uns der Kapitalismus bietet! Warum sollte man effizienter arbeiten, wenn man weiß, dass man für acht Stunden im Betrieb anwesend sein muss, egal was passiert?
Im Sozialismus besteht der Anreiz zur Entwicklung effizienter Arbeitsmethoden darin, dass wir weniger Zeit für die notwendige Arbeit aufbringen müssen, um die gleiche Menge an Arbeit zu erledigen! Der Arbeitsaufwand für die Produktion von Lebensmitteln, Wohnraum usw. würde allmählich sinken, so dass wir nur noch wenige Stunden pro Tag und pro Woche Woche oder weniger arbeiten müssten! Der Mensch ist von Natur aus nicht faul und sitzt nur herum – Menschen sind neugierig, forschend und wollen lernen, erfinden usw. Unsere „freie“ Zeit würde man damit verbringen, immer bessere Kunstwerke zu gestalten, wissenschaftliche Forschung voranzutreiben und Heilmittel für Krankheiten zu finden usw. Nach einer gewissen Zeit werden die neuen Generationen nicht einmal wissen, wie es im Kapitalismus war, und die Produktivität der Arbeit wird enorm hoch sein. Die Barriere zwischen „Arbeit“ und der Erforschung und Beherrschung der Natur durch den Menschen (im Einklang mit der Natur) wird ebenfalls verschwinden – kein Zwangsstaat, keine Polizei, kein Chaos mehr auf den Märkten – die Arbeiter werden planen, was wir brauchen und dann einen Teil reinvestieren, um kontinuierlich die Gesellschaft und Umwelt zu verbessern. Jeder wird sozusagen „reich“ sein – in der Lage sein, zu reisen, angenehm zu leben, zu essen, was er möchte, die Ausbildung ein Leben lang fortzusetzen.
Warum muss der Sozialismus international sein?
Die Notwendigkeit des Internationalismus ergibt sich aus der Lage der Arbeiterklasse auf internationaler Ebene. Durch die Entwicklung einer organisierten, unteilbar miteinander verwobenen Weltwirtschaft hat der Kapitalismus eine internationale Arbeiterklasse geschaffen. Die arbeitende Bevölkerung aller Länder hat ein und dasselbe Klasseninteresse. Das Interesse der Arbeiterklasse eines Landes ist das gleiche wie das Interesse der Arbeiterklasse anderer Länder. Die Arbeitsteilung, die im Kapitalismus etabliert wurde, legt das Fundament für eine neue internationale Organisierung der Arbeit und eine weltweite Planwirtschaft. Somit bildet der Kampf der Arbeiterklasse in allen Ländern die Grundlage für eine Bewegung hin zum Sozialismus.
Der Kapitalismus vermochte durch den Privatbesitz an Produktionsmitteln die Kleinstaaterei und den Feudalismus zu beenden und die Industrie zu entwickeln. Er bereitete veralteten feudalistischen Geldeintreibungen, Zöllen und Fronabgaben ein Ende. Der Nationalstaat und der Weltmarkt sind kapitalistische Schöpfungen. Sobald diese erschaffen und somit die Aufgabe der kapitalistischen Bourgeoisie erfüllt wurde, wurde der Kapitalismus selbst zur Fessel der weiteren Entwicklung der Produktion. Der Nationalstaat und der Privatbesitz an Produktionsmitteln hemmen die Entwicklung der Gesellschaft. Das Potential, das in der Produktion liegt, kann sich erst dann vollkommen entfalten, wenn nationale Schranken aufgehoben sind und eine weltweite Föderation von Arbeiterstaaten geschaffen wird. In diesen Arbeiterstaaten soll der Privatbesitz in Staatseigentum umgewandelt und die Produktion unter Arbeiterkontrolle gestellt werden. Diese Faktoren bestimmen die Strategie und Taktik des Proletariats und werden in seiner bewussten Führung widergespiegelt. In Marx’ Worten: „Die Arbeiter haben kein Vaterland“, deswegen: „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch“.
Marxistische Philosophie
Was ist philosophischer Materialismus?
Aus W. I. Lenins “Karl Marx – Kurzer biographischer Abriß mit einer Darlegung des Marxismus” (Lenin Werke 21: 39ff)
Von 1844/1845 an, den Jahren, in denen sich Marx‘ Anschauungen geformt hatten, war Marx Materialist, und zwar im besonderen Anhänger L. Feuerbachs, dessen schwache Seiten er auch später ausschließlich darin erblickte, daß sein Materialismus nicht genügend folgerichtig und allseitig war. Marx sah die weltgeschichtliche, „epochemachende“ Bedeutung Feuerbachs gerade in dem entschiedenen Bruch mit dem Hegelschen Idealismus und in der Verkündung des Materialismus, der schon im 18. Jahrhundert, namentlich in Frankreich, „nicht nur ein Kampf gegen die bestehenden politischen Institutionen, wie gegen die bestehende Religion und Theologie war, sondern ebensosehr… gegen alle Metaphysik“ (im Sinne der „trunkenen Spekulation“ zum Unterschied von der „nüchternen Philosophie“) („Die heilige Familie“ im „Literarischen Nachlaß“). „Für Hegel“, schrieb Marx, „ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg“ (Schöpfer, Erzeuger) „des Wirklichen… Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“ („Das Kapital“, I, Nachwort zur 2. Auflage.) In völliger Übereinstimmung mit dieser materialistischen Philosophie von Marx schrieb Fr. Engels, als er sie im „Anti-Dühring“ darlegte (siehe daselbst) — Marx hatte sich mit diesem Werk im Manuskript bekannt gemacht:
„Die Einheit der Welt besteht nicht in ihrem Sein … Die wirkliche Einheit der Welt besteht in ihrer Materialität, und diese ist bewiesen… durch eine lange und langwierige Entwicklung der Philosophie und der Naturwissenschaft… Die Bewegung ist die Daseinsweise der Materie. Nie und nirgends hat es Materie ohne Bewegung gegeben, oder kann es sie geben … Materie ohne Bewegung ist ebenso undenkbar wie Bewegung ohne Materie … Fragt man … , was denn Denken und Bewußtsein sind und woher sie stammen, so findet man, daß es Produkte des menschlichen Hirns und daß der Mensch selbst ein Naturprodukt, das sich in und mit seiner Umgebung entwickelt hat; wobei es sich dann von selbst versteht, daß die Erzeugnisse des menschlichen Hirns, die in letzter Instanz ja auch Naturprodukte sind, dem übrigen Naturzusammenhang nicht widersprechen, sondern entsprechen.“
„Hegel war Idealist, d. h., ihm galten die Gedanken seines Kopfs nicht als die mehr oder weniger abstrakten Abbilder“ (zuweilen spricht Engels von „Abklatsch“) „der wirklichen Dinge und Vorgänge, sondern umgekehrt galten ihm die Dinge und ihre Entwicklung nur als die verwirklichten Abbilder der irgendwo schon vor der Welt existierenden ,Idee‘.“
In seiner Schrift „Ludwig Feuerbach“, in der Friedrich Engels seine und Marx‘ Ansichten über die Philosophie Feuerbachs darlegt und die Engels erst nach erneuter Durchsicht ihres gemeinsamen alten Manuskripts aus den Jahren 1844/1845 über Hegel, Feuerbach und die materialistische Geschichtsauffassung in Druck gab, schreibt Engels:
„Die große Grundfrage aller, speziell neueren Philosophie ist die nach dem Verhältnis von Denken und Sein … des Geistes zur Natur … Was ist das Ursprüngliche, der Geist oder die Natur? … Je nachdem diese Frage so oder so beantwortet wurde, spalteten sich die Philosophen in zwei große Lager. Diejenigen, die die Ursprünglichkeit des Geistes gegenüber der Natur behaupteten, also in letzter Instanz eine Weltschöpfung irgendeiner Art annahmen…, bildeten das Lager des Idealismus. Die andern, die die Natur als das Ursprüngliche ansahen, gehören zu den verschiednen Schulen des Materialismus.“
Jeder andere Gebrauch der Begriffe Idealismus und Materialismus (im philosophischen Sinne) stiftet nur Verwirrung. Marx verwarf entschieden nicht nur den in dieser oder jener Weise stets mit der Religion verbundenen Idealismus, sondern auch den in unseren Tagen besonders verbreiteten Standpunkt von Hume und Kant, den Agnostizismus, Kritizismus, Positivismus in verschiedenen Lesarten; eine derartige Philosophie ihm als „reaktionäre“ Konzession an den Idealismus und im besten Falle als „verschämte Weise, den Materialismus hinterrücks zu akzeptieren und vor der Welt zu verleugnen“.
Siehe zu dieser Frage außer den schon genannten Schriften von Engels und Marx den an Engels gerichteten Marxschen Brief vom 12. Dezember 1868, in dem Marx feststellt, dass der bekannte Naturforscher Th. Huxley „materialistischer“ als sonst bei ihm üblich aufgetreten sei und zugegeben habe: „Solange wir wirklich beobachten und denken, können wir nie aus dem Materialismus hinaus“; zugleich wirft Marx ihm vor, er habe sich eine „Hintertür“ zum Agnostizismus, Humeismus geöffnet. Besonders hervorgehoben werden muß Marx“ Auffassung über das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit: „Blind ist die Notwendigkeit nur, insofern dieselbe nicht begriffen wird … Die Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“ (Engels im „Anti-Dühring“) = Anerkennung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur und der dialektischen Verwandlung der Notwendigkeit in die Freiheit (zugleich mit der Verwandlung des unerkannten, aber erkennbaren „Dings an sich“ in ein „Ding für uns“, des „Wesens der Dinge“ in „Erscheinungen“). Den Hauptmangel des „alten“ Materialismus, darunter des Feuerbachschen (und erst recht des „vulgären“ Materialismus der Büchner, Vogt und Moleschott), sahen Marx und Engels darin:
1. dass dieser Materialismus ein „vorwiegend mechanischer“ war, der die neueste Entwicklung der Chemie und Biologie (in unseren Tagen wäre noch hinzuzufügen: der elektrischen Theorie der Materie) nicht berücksichtigte;
2. dass der alte Materialismus unhistorisch, undialektisch war (metaphysisch im Sinne von Antidialektik) und den Standpunkt der Entwicklung nicht konsequent und allseitig zur Geltung brachte;
3. dass man „das menschliche Wesen“ als Abstraktem und nicht als „das Ensemble der“ (konkret-historisch bestimmten) „gesellschaftlichen Verhältnisse“ auffasste und deshalb die Welt nur „interpretierte“, während es darauf ankommt, sie „zu verändern“, d. h., dass man die Bedeutung der „revolutionären, der praktischen Tätigkeit“ nicht begriff.
Was ist Dialektik?
Aus W. I. Lenins “Karl Marx – Kurzer biographischer Abriß mit einer Darlegung des Marxismus” (Lenin Werke 21: 41ff)
In der Hegelschen Dialektik als der umfassendsten, inhaltsreichsten und tiefsten Entwicklungslehre sahen Marx und Engels die größte Errungenschaft der klassischen deutschen Philosophie. Jede andere Formulierung des Prinzips der Entwicklung, der Evolution, hielten sie für einseitig und inhaltsarm, für eine Entstellung und Verzerrung des wirklichen Verlaufs der (sich nicht selten in Sprüngen, Katastrophen, Revolutionen vollziehenden) Entwicklung in Natur und Gesellschaft.
„Marx und ich waren wohl ziemlich die einzigen, die … die bewußte Dialektik in die materialistische Auffassung der Natur… hinüber gerettet hatten“ (aus der Zerschlagung des Idealismus, einschließlich des Hegelianertums). „Die Natur ist die Probe auf die Dialektik, und wir müssen es der modernen Naturwissenschaft nachsagen, daß sie für diese Probe ein äußerst reichliches“ (geschrieben vor der Entdeckung des Radiums, der Elektronen, der Verwandlung der Elemente u. dgl. m.!), „sich täglich häufendes Material geliefert und damit bewiesen hat, daß es in der Natur, in letzter Instanz, dialektisch und nicht metaphysisch hergeht.“
„Der große Grundgedanke“, schreibt Engels, „daß die Welt nicht als ein Komplex von fertigen Dingen zu fassen ist, sondern als ein Komplex von Prozessen, worin die scheinbar stabilen Dinge, nicht minder wie ihre Gedankenabbilder in unserm Kopf, die Begriffe, eine ununterbrochene Veränderung des Werdens und Vergehens durchmachen… – dieser große Grundgedanke ist, namentlich seit Hegel, so sehr in das gewöhnliche Bewußtsein übergegangen, daß er in dieser Allgemeinheit wohl kaum noch Widerspruch findet. Aber ihn in der Phrase anerkennen und ihn in der Wirklichkeit im einzelnen auf jedem zur Untersuchung kommenden Gebiet durchführen, ist zweierlei.“ „Vor ihr“ (der dialektischen Philosophie) „besteht nichts Endgültiges, Absolutes, Heiliges; sie weist von allem und an allem die Vergänglichkeit auf, und nichts besteht vor ihr als der ununterbrochne Prozeß des Werdens und Vergehens, des Aufsteigens ohne Ende vom Niedern zum Höhern, dessen bloße Widerspiegelung im denkenden Hirn sie selbst ist.“
Demnach ist die Dialektik nach Marx „die Wissenschaft von den allgemeinen Gesetzen der Bewegung, sowohl der äußern Welt wie des menschlichen Denkens“.
Diese, die revolutionäre Seite der Hegelschen Philosophie wurde von Marx übernommen und weiterentwickelt. Der dialektische Materialismus „braucht keine über den andern Wissenschaften stehende Philosophie mehr“. Was von der bisherigen Philosophie noch bestehenbleibt, ist „die Lehre vom Denken und seinen Gesetzen – die formelle Logik und die Dialektik“. Die Dialektik in der Marxschen ebenso wie in der Hegelschen Auffassung schließt aber in sich das ein, was man heute Erkenntnistheorie bzw. Gnoseologie nennt, die ihren Gegenstand gleichfalls historisch betrachten muss, indem sie die Entstehung und Entwicklung der Erkenntnis, den Übergang von der Unkenntnis zur Erkenntnis erforscht und verallgemeinert.
In unserer Zeit ist die Idee der Entwicklung, der Evolution, nahezu restlos in das gesellschaftliche Bewusstsein eingegangen, jedoch auf anderen Wegen, nicht über die Philosophie Hegels. Allein in der Formulierung, die ihr Marx und Engels, ausgehend von Hegel, gegeben haben, ist diese Idee viel umfassender, viel inhaltsreicher als die landläufige Evolutionsidee. Eine Entwicklung, die die bereits durchlaufenen Stadien gleichsam noch einmal durchmacht, aber anders, auf höherer Stufe („Negation der Negation“), eine Entwicklung, die nicht geradlinig, sondern sozusagen in der Spirale vor sich geht; eine sprunghafte, mit Katastrophen verbundene, revolutionäre Entwicklung; „Abbrechen der Allmählichkeit“; Umschlagen der Quantität in Qualität; innere Entwicklungsantriebe, ausgelöst durch den Widerspruch, durch den Zusammenprall der verschiedenen Kräfte und Tendenzen, die auf einen gegebenen Körper einwirken oder in den Grenzen einer gegebenen Erscheinung oder innerhalb einer gegebenen Gesellschaft wirksam sind; gegenseitige Abhängigkeit und engster, unzertrennlicher Zusammenhang aller Seiten jeder Erscheinung (wobei die Geschichte immer neue Seiten erschließt), ein Zusammenhang, der einen einheitlichen, gesetzmäßigen Weltprozess der Bewegung ergibt – das sind einige Züge der Dialektik als der (im Vergleich zur üblichen) inhaltsreicheren Entwicklungslehre. (Vgl. Marx‘ Brief an Engels vom 8. Januar 1868 mit dem Spott über Steins „hölzerne Trichotomien“, die mit der materialistischen Dialektik zu verwechseln Unsinn wäre.)
Was ist Entfremdung?
Die Grundlage der Entfremdung im Kapitalismus ist die Entfremdung des Arbeiters vom Produkt seiner Arbeit und die Mystifizierung der kapitalistischen Ausbeutung, die versucht, das reale Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital zu verbergen. Aus dieser verborgenen Ausbeutung entsteht der Warenfetisch, bei dem Dinge (Waren) die Eigenschaften von Lebewesen annehmen und Menschen auf die Ebene von „Dingen“ degradiert werden. Diese verzerrten, mystifizierten („entfremdeten“) Beziehungen sickern tief ins menschliche Bewusstsein und werden dann als etwas Natürliches und Unvermeidliches angesehen. Daher werden Arbeiter in der englischen Sprache als „Hände“ bezeichnet, und wir bezeichnen einen Mann oft als „eine Milliarde Dollar wert“. Die Grundlage dieser Entfremdung liegt jedoch bei den Produktions- und Eigentumsverhältnissen, die nur rechtliche Ausdrücke für Selbiges sind. Dies wird im sehr tiefgreifenden und dialektischen Kapitel im ersten Band des Kapitals „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ erläutert.
Wie hat es der Marxismus mit Existentialismus, Postmodernismus usw.?
Viele Menschen fragen sich, ob die Ideen von Jean Paul Sartre, Existentialismus, Phänomenologie, „Neue Linke“, Poststrukturalismus und Postmodernismus irgendwie mit der Denkweise von Marx vereinbar seien. Diese Strömungen stellen einen kleinbürgerlichen Versuch dar, Interpretationen der Welt zu finden, die sich vom Marxismus unterscheiden. Das ist ihr gemeinsamer Nenner und Grundprinzip. Sie gehen von ganz anderen Prämissen aus und können daher nicht mit dem Marxismus vereinbar gemacht werden.
Marx begann mit einem Studium der Philosophiegeschichte. Bei dem Versuch, die Entwicklung der Philosophie und dessen zu verstehen, was diese widerspiegelt, gelangte er zu dem Schluss, dass die Entwicklung der Produktionsmittel letztendlich der Schlüssel zum Verständnis der Entwicklung der Gesellschaft war. Bedeutet dies, dass der Kausalzusammenhang zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte direkt und automatisch ist? Wenn das der Fall wäre, wäre unsere Aufgabe überflüssig, weil eine Revolution unnötig wäre. Der springende Punkt ist, dass der Prozess dialektisch ist. Er beinhaltet einen Widerspruch zwischen den Notwendigkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung und der unvermeidlichen Verzögerung des menschlichen Bewusstseins, der Ideen, Theorien, Institutionen, der Moral usw. Denn das menschliche Bewusstsein hinkt der wirtschaftlichen Entwicklung und ihren Notwendigkeiten hinterher. Jedenfalls trifft es zu, dass letztlich die Entwicklung der Produktivkräfte entscheidend ist. Wer dies leugnet, wird im Chaos enden.
Diese kleinbürgerlichen Denker bewegen sich in die entgegengesetzte Richtung. Sie entfernen sich von der ökonomischen Basis und enden beim „Individualismus“. Sie fechten den Klassenansatz zum Verständnis der Gesellschaft gerade deshalb an, weil er mit ihrer eigenen individualistischen Denkweise in einen Konflikt gerät. Diese Damen und Herren verbringen ihr ganzes Leben in ziellosen „theoretischen“ Irrfahrten, die der realen Bewegung der Gesellschaft und der Arbeiterklasse niemals nahe kommen. Sie sind in ihre akademische Welt eingesperrt und können sich der Politik als Hobby hingeben.
Die Fäulnis des Kapitalismus wirkt sich auch auf das Gebiet der Ideologie und Kultur aus. Die Philosophie unserer Zeit ist in eine Phase des irreversiblen Verfalls eingetreten. Bei allen Strömungen der modernen westlichen Philosophie sucht man vergeblich nach einer einzigen Idee, die nicht vor nicht allzu langer Zeit und von anderen weitaus besser ausgedrückt wurde. Die bürgerliche Philosophie ist am Rebstock verwelkt. Sie hat nichts Neues oder Sinnvolles mehr zu sagen. Aus diesem Grund unterliegt sie zu Recht einer allgemeinen Verachtung, genauer gesagt einer Gleichgültigkeit. Auch hier machen sich die krassen Auswirkungen der extremen Arbeitsteilung mit aller Macht bemerkbar. Die Akademiker leben isoliert in ihren Elfenbeintürmen und schreiben obskure Thesen, die von anderen Akademikern gelesen und manchmal beantwortet werden. Nur wenige Leute verstehen, was sie schreiben. Noch weniger interessiert es überhaupt noch!
Nehmen wir den Existenzialismus. Dies ist eine der leersten „Philosophien“ (es wäre falsch, sie mit diesem Namen zu würdigen) der modernen Bourgeoisie. Der Existenzialismus hat seine Wurzeln in der irrationalsten Strömung der Philosophie des 19. Jahrhunderts, die von Nietzsche und Kierkegaard geprägt wurde. Sie hat die unterschiedlichsten Formen und politischen Färbungen angenommen. Es gab eine religiöse Strömung (Marcel, Jaspers, Berdjajew und Buber) und eine atheistische (Heidegger, Sartre, Camus). Das häufigste Merkmal ist jedoch extremer Subjektivismus, der sich in seinem bevorzugten Vokabular widerspiegelt: seine Schlagworte – „In der Welt sein“, „Furcht“, „Fürsorge“, „Dem Tod entgegen sein“ und dergleichen. Ein erster Vorläufer war Edmund Husserl, ein deutscher Mathematiker, der zum Philosophen wurde. Seine „Phänomenologie“ war eine Form des subjektiven Idealismus, der auf der „individuellen, persönlichen Welt, wie sie direkt erlebt wurde, mit dem Ego im Mittelpunkt“ basierte.
Im Existenzialismus dreht sich alles um den Moment. Alles, was man erreichen kann, liegt in dem Moment, in dem man lebt, und alles zuvor oder danach wird irrelevant. Es ist eine individualistische und äußerst pessimistische Sicht der Welt, die mit der Psychologie des kleinbürgerlichen Intellektuellen völlig eins ist. Dies ist das genaue Gegenteil des Marxismus und führt unweigerlich weg von einem Klassenverständnis. Demnach wäre es irrelevant, die Vergangenheit zu studieren, um Gesamtprozesse studieren zu können. Man müsse für den Moment und für sich selbst leben. Diese Denkschule entwickelte sich auf der Grundlage des Kleinbürgertums der 1930er Jahre, das durch die Wirtschaftskrise ruiniert und zwischen der Arbeiterklasse und den großen Banken und Monopolen zerschlagen wurde. Politisch und persönlich desorientiert und ohne Perspektive hatten sie keine Hoffnung mehr in die Zukunft. Eine Gruppe von Existentialisten arbeitete mit den Nazis (Heidegger) zusammen, während eine andere Gruppe eine Zeitlang in die Umlaufbahn des Stalinismus (Sartre) geriet. In keinem Fall haben sie ihren im wesentlichen kleinbürgerlichen idealistischen Charakter verloren.
Mit dem Existentialismus beobachten wir faktisch die vollständige Auflösung der modernen Philosophie. Nun kann man durchaus und wohl zu Recht sagen, dass diese Weltanschauung den Irrationalismus des kapitalistischen Systems in seiner Zeit des senilen Zerfalls widerspiegelt. Es wäre nicht schwer nachzuweisen, dass in jeder Periode des Niedergangs ähnliche philosophische Strömungen aufgetaucht sind. Sie spiegeln den Pessimismus der Intellektuellen wider, die mit einem recht komfortablen Leben der Gesellschaft den Rücken kehren und in der „dunklen Nacht der Seele“ nach Erlösung suchen.
Jean-Paul Sartre unternahm den Versuch, den Existentialismus mit dem „Marxismus“ (eigentlich Stalinismus) zu vereinen, und traf auf vorhersehbare Ergebnisse. Man kann Öl und Wasser nicht vereinen. Sartres Denken kann nicht als zusammenhängender Körper philosophischer Ideen beschrieben werden. Es ist ein ungeordnetes Durcheinander von Begriffen, die von verschiedenen Philosophen stammen, insbesondere von Descartes und Hegel. Das Endergebnis ist völlige Zusammenhanglosigkeit, durchdrungen von einem Geist des Pessimismus und Nihilismus. Für Sartre ist die grundlegende philosophische Erfahrung Übelkeit, ein Gefühl des Ekels über die absurde und unverständliche Natur des Seins. Alles ist in Nichts aufgelöst. Dies ist eine Karikatur von Hegel, der die Welt sicherlich nicht für unverständlich hielt. In Sartres Schriften wird der Hegelsche Jargon so verwendet, dass selbst Hegels dunkelste Passagen als Beispiele der Klarheit erscheinen.
Jean-Paul Sartre vertrat den „linken“ Flügel des Existentialismus im Gegensatz zum offen faschistischen Flügel. Das ist ihm anzurechnen. Aber er hat nie mit der mystischen idealistischen Grundlage des Existentialismus gebrochen und sich mit „Sein und die Drohung des Nichts“, „Wahlfreiheit“, „Pflicht“ usw. befasst. Ein Gefühl des bevorstehenden Schicksals und ein Gefühl der Ohnmacht und „Furcht“ füllen diese Schriften, begleitet von dem Versuch, auf individueller Basis nach einer Alternative zu suchen. Dies drückte eine gewisse Stimmung unter den Intellektuellen nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland und dann in Frankreich aus. Was darauf hindeutet, ist die tiefe Krise des Liberalismus infolge des „Großen Krieges“ und der darauf folgenden Umwälzungen. Sie sahen die Probleme der Gesellschaft, konnten aber keine Alternative sehen.
All dem liegt das Gefühl der Ohnmacht des isolierten Intellektuellen gegenüber einer feindlichen und verständnislosen Welt zugrunde. Mit anderen Worten, die übliche Einstellung der kleinbürgerlichen Intellektuellen. Der Versuch, aus der bösen Welt in den Individualismus zu entkommen, wird in Sartres berühmten (oder berüchtigten) Satz zusammengefasst: „L’enfer, c’est les autres“ („Die Hölle, das sind die anderen“). Wie dieser Ausblick jemals mit dem revolutionären Optimismus des dialektischen Materialismus in Einklang gebracht werden könnte, ist schwer vorstellbar. Aber niemand konnte Sartre jemals der Beständigkeit bezichtigen. Natürlich ist es ihm zu verdanken, dass er sich für fortschrittliche Zwecke wie Vietnam einsetzte und sich 1968 mit der Bewegung der französischen Arbeiter und Studenten solidarisierte. Aus philosophischer und psychologischer Sicht war die Position von Sartre dem Marxismus jedoch völlig fremd.
Über die vorherrschenden Ideen eines Zeitalters
Aus Marx und Engels, Die deutsche Ideologie – 1846
Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse. Dementsprechend ist die Klasse, welche die herrschende materielle Kraft der Gesellschaft ist, gleichzeitig auch ihre herrschende intellektuelle Kraft. Die Klasse, der die Mittel der materiellen Produktion zur Verfügung stehen, hat gleichzeitig die Kontrolle über die Mittel der geistigen Produktion, sodass damit im allgemeinen die Ideen derer unterworfen sind, denen die Mittel der geistigen Produktion fehlen. Die herrschenden Ideen sind nichts weiter als der ideale Ausdruck der dominanten materiellen Beziehungen, die als Ideen begriffen werden – also der Beziehungen, welche die eine Klasse zur herrschenden machen, folglich die Ideen ihrer Dominanz. Die Individuen, aus denen sich die herrschende Klasse zusammensetzt, besitzen unter anderem daher ihr Bewusstsein und denken in diesem Sinne. Insofern sie also als Klasse herrschen und das Ausmaß und den Kompass einer Epoche bestimmen, liegt es auf der Hand, dass sie dies in ihrer ganzen Bandbreite tun – also unter anderem auch als Denker, als Ideenproduzenten herrschen, und die Produktion und Verbreitung der Ideen ihres Zeitalters regulieren. Somit sind ihre Ideen die herrschenden Ideen der Epoche.
Marxistische Theorie
Was ist die materialistische Geschichtsauffassung?
Aus W. I. Lenins “Karl Marx – Kurzer biographischer Abriss mit einer Darlegung des Marxismus” (Lenin Werke 21: 43ff)
Die Erkenntnis der Inkonsequenz, Unzulänglichkeit und Einseitigkeit des alten Materialismus brachte Marx zu der Überzeugung von der Notwendigkeit, „die Wissenschaft von der Gesellschaft… mit der materialistischen Grundlage in Einklang zu bringen und auf ihr zu rekonstruieren“. Erklärt der Materialismus überhaupt das Bewußtsein aus dem Sein, und nicht umgekehrt, so forderte der Materialismus in seiner Anwendung auf das gesellschaftliche Leben der Menschheit die Erklärung des gesellschaftlichen Bewußtseins aus dem gesellschaftlichen Sein. „Die Technologie“, sagt Marx („Das Kapital“, I), „enthüllt das aktive Verhalten des Menschen zur Natur, den unmittelbaren Produktionsprozeß seines Lebens, damit auch seiner gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen.“ Eine abgeschlossene Formulierung der Grundsätze des Materialismus, ausgedehnt auf die menschliche Gesellschaft und ihre Geschichte, gab Marx im Vorwort zu seinem Werk „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ in folgenden Worten:
„In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen.
Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muss man stets unterscheiden zwischen der materiellen naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewusst werden und ihn ausfechten.
So wenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebenso wenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewusstsein beurteilen, sondern muss vielmehr dies Bewusstsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären … In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden.“ (Vgl. Marx“ kurze Formulierung in seinem Brief an Engels vom 7. Juli 1866: „Unsre Theorie von der Bestimmung der Arbeitsorganisation durch das Produktionsmittel.“)
Die Entdeckung der materialistischen Geschichtsauffassung oder richtiger: die konsequente Fortführung, die Ausdehnung des Materialismus auf das Gebiet der gesellschaftlichen Erscheinungen hat zwei Hauptmängel der früheren Geschichtstheorien beseitigt. Diese hatten erstens im besten Falle nur die ideellen Motive des geschichtlichen Handelns der Menschen zum Gegenstand der Betrachtung gemacht, ohne nachzuforschen, wodurch diese Motive hervorgerufen werden, ohne die objektive Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung des Systems der gesellschaftlichen Verhältnisse zu erfassen, ohne die Wurzeln dieser Verhältnisse im Entwicklungsgrad der materiellen Produktion zu erblicken; zweitens hatten die früheren Theorien gerade die Handlungen der Massen der Bevölkerung außer acht gelassen, während der historische Materialismus zum erstenmal die Möglichkeit gab, mit naturgeschichtlicher Exaktheit die gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Massen sowie die Veränderungen dieser Bedingungen zu erforschen. Die „Soziologie“ und die Geschichtsschreibung vor Marx hatten im besten Falle eine Anhäufung von fragmentarisch gesammelten unverarbeiteten Tatsachen und die Schilderung einzelner Seiten des historischen Prozesses geliefert. Der Marxismus wies den Weg zur allumfassenden, allseitigen Erforschung des Prozesses der Entstehung, der Entwicklung und des Verfalls der ökonomischen Gesellschaftsformationen, indem er die Gesamtheit aller widerstreitenden Tendenzen untersuchte, diese auf die exakt bestimmbaren Lebens- und Produktionsverhältnisse der verschiedenen Klassen der Gesellschaft zurückführte, den Subjektivismus und die Willkür bei der Auswahl bzw. Auslegung der einzelnen „herrschenden“ Ideen ausschaltete und die Wurzeln ausnahmslos aller Ideen und aller verschiedenen Tendenzen im gegebenen Stand der materiellen Produktivkräfte aufdeckte.
Die Menschen machen ihre Geschichte selbst; aber was die Motive der Menschen und namentlich der Massen der Menschen bestimmt, wodurch die Zusammenstöße der widerstreitenden Ideen und Bestrebungen verursacht werden, was die Gesamtheit aller dieser Zusammenstöße der ganzen Masse der menschlichen Gesellschaften darstellt, was die objektiven Produktionsbedingungen des materiellen Lebens sind, die die Basis für alles geschichtliche Handeln der Menschen schaffen, welcher Art das Entwicklungsgesetz dieser Bedingungen ist – aud all dies lenkte Marx die Aufmerksamkeit. So wies er den Weg zur wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte, die er als einheitlichen, in all seiner gewaltigen Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit gesetzmäßigen Prozess verstand.
Kann nur die Arbeiterklasse ein kollektives sozialistisches Bewusstsein entwickeln?
Es ist genau die soziale und kollektive Natur der kapitalistischen Produktion, die die Arbeiter im gemeinsamen Kampf zusammenbringt. Ein Arbeiter lernt schnell, dass er alleine nur entlassen wird, wenn er versucht, sich gegen den Kapitalisten zu wehren. Nur wenn sich die Arbeiter zusammenschließen und kollektiv kämpfen, haben sie eine Chance. Außerdem ist der einzelne Arbeiter auf Grund der weit fortgeschrittenen Arbeitsteilung nur kleiner Teil eines riesigen, kollektiven Produktionsprozesses. Er wird sich schnell klar, dass nicht er alleine es ist, der z.B. ein Auto baut, sondern Tausende andere Arbeiter mit ihm. Hinzu kommt, dass die Arbeiter kein Privateigentum an Produktionsmitteln haben.
Daher entwickelt die Arbeiterklasse im Gegensatz zum Kleinbürgertum (kleine Geschäftsleute, kleine Landbesitzer, Intellektuelle, die von den Massen isoliert sind) ein kollektives Bewusstsein, und genau deshalb stützen sich Marxisten auf die Arbeiterklasse. Es ist die einzige Klasse, die ein solches Bewusstsein gerade aufgrund ihrer Position in der Produktion entwickeln kann. Natürlich ist die Arbeiterklasse ohne Organisation, wie Marx erklärt, nur Rohstoff für Ausbeutung. Deshalb greift die Bourgeoisie ständig die Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen an, in der Hoffnung, das Proletariat schwach zu halten. Aber die ganze Erfahrung des Klassenkampfes zwingt die Arbeiter immer wieder dazu, sich zu organisieren.
Im Gegensatz dazu ist der Individualismus des Kleinbürgertums das Ergebnis seiner Rolle als Klasse von Kleinproduzenten, Kleinunternehmern, Fachleuten und dergleichen, die in der Tat voneinander isoliert sind und gegeneinander konkurrieren. Sie alle haben ihr eigenes kleines Privateigentum an Produktionsmitteln und stehen im Überlebenskampf alleine da. Während die Arbeiterklasse mit Sicherheit breite Schichten des Kleinbürgertums hinter sich ziehen muss, indem sie ihre Probleme mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verknüpft, kann das Kleinbürgertum im Kampf für den Sozialismus einfach keine unabhängige Rolle spielen.
Was ist Trotzkis Theorie der permanenten Revolution?
Auszug aus T. Grant und A. Woods, Marxismus und der Kampf gegen den Imperialismus
Die Theorie der permanenten Revolution wurde erstmals von Trotzki 1906 entwickelt. Die permanente Revolution akzeptiert zwar, dass die objektiven Aufgaben der russischen Arbeiter Anfang des 20. Jahrhunderts die der bürgerlich-demokratischen Revolution waren, erklärte aber dennoch, dass die „nationale Bourgeoisie“ in einem rückständigen Land in der Epoche des Imperialismus untrennbar mit den Überresten des Feudalismus einerseits und dem imperialistischen Kapital andererseits verbunden war und daher völlig unfähig war, irgendeine ihrer historischen Aufgaben zu erfüllen. Die Fäulnis der bürgerlichen Liberalen und ihre konterrevolutionäre Rolle in der bürgerlich-demokratischen Revolution wurde bereits von Marx und Engels beobachtet. In seinem Artikel “Die Bourgeoisie und die Konterrevolution” (1848) schreibt Marx:
„Die deutsche Bourgeoisie hatte sich so träg, feig und langsam entwickelt, daß im Augenblicke, wo sie gefahrdrohend dem Feudalismus und Absolutismus gegenüberstand, sie selbst sich gefahrdrohend gegenüber das Proletariat erblickte und alle Fraktionen des Bürgertums, deren Interessen und Ideen dem Proletariat verwandt sind. Und nicht nur eine Klasse hinter sich, ganz Europa sah sie feindlich vor sich. Die preußische Bourgeoisie war nicht, wie die französische von 1789, die Klasse, welche die ganze moderne Gesellschaft den Repräsentanten der alten Gesellschaft, dem Königtum und dem Adel, gegenüber vertrat. Sie war zu einer Art von Stand herabgesunken, ebenso ausgeprägt gegen die Krone als gegen das Volk, oppositionslustig gegen beide, unentschlossen gegen jeden ihrer Gegner einzeln genommen, weil sie immer beide vor oder hinter sich sah; von vornherein zum Verrat gegen das Volk und zum Kompromiß mit dem gekrönten Vertreter der alten Gesellschaft geneigt, weil sie selbst schon zur alten Gesellschaft gehörte; […]“ (MEW 6: 108f)
Die Bourgeoise, erklärte Marx, ist nicht an die Macht gekommen als Resultat ihrer eigenen Anstrengungen, sondern als Folge der Bewegungen der Massen, in welchen sie keine Rolle spielte:
“Die preußische Bourgeoisie war auf die Staatshöhn geworfen, aber nicht, wie sie gewünscht hatte, durch eine friedliche Transaktion mit der Krone, sondern durch eine Revolution.” (MEW 6: 106)
Selbst in der Epoche der bürgerlich-demokratischen Revolutionen in Europa haben Marx und Engels gnadenlos die feige, konterrevolutionäre Rolle der Bourgeoisie demaskiert. Sie betonten die Notwendigkeit einer Politik der vollständigen Klassenunabhängigkeit für die Arbeiterklasse. Und zwar Unabhängigkeit nicht nur von den bürgerlichen Liberalen, sondern auch von den schwankenden kleinbürgerlichen Demokraten:
„Der proletarischen, der wirklich revolutionären Partei“, schrieb Engels, „gelang es nur sehr allmählich, die Masse der Arbeiter dem Einfluß der Demokraten zu entziehen, deren Anhängsel sie zu Beginn der Revolution bildeten. Aber die Unentschlossenheit, Schwäche und Feigheit der demokratischen Führer taten zu gegebener Zeit das ihrige, und man kann heute sagen: eines der wichtigsten Ergebnisse der Erschütterungen der letzten Jahre besteht darin, daß sich die Arbeiterklasse überall, wo sie in einigermaßen beträchtlichen Massen konzentriert ist, völlig von jenem demokratischen Einfluß freigemacht hat, der sie in den Jahren 1848 und 1849 zu einer endlosen Reihe von Fehlern und Mißgeschicken geführt hat.“ (MEW 8: 42f)
Die Situation ist heute noch klarer. Die nationale Bourgeoisie in den kolonialen Ländern hat die Bühne der Geschichte zu spät betreten, als die Welt bereits zwischen den wenigen imperialistischen Kräften aufgeteilt war. Sie war nicht fähig, eine progressive Rolle zu spielen und wurde als Untergebene ihrer ehemaligen kolonialen Herren geboren. Die schwache und degenerierte nationale Bourgeoisie in Asien, Lateinamerika und Afrika ist zu sehr abhängig von ausländischem Kapital und Imperialismus, um die Gesellschaft voranzubringen. Sie ist über zahlreiche Fäden nicht nur mit dem ausländischen Kapital, sondern auch mit der Klasse der Landbesitzer verflochten. Sie bildet mit ihnen einen reaktionären Block und ein Bollwerk gegen jeglichen Fortschritt. W as auch immer für Unterschiede zwischen diesen Elementen existieren mögen, sie sind unbedeutend im Vergleich zu der Angst, welche sie gegen die Massen vereint. Nur das Proletariat – verbündet mit den armen Bauern und den städtischen Verarmten – kann die Probleme der Gesellschaft lösen, indem es die Macht in seine eigene Hände nimmt, die Imperialisten und die Bourgeoisie enteignet, und mit der Aufgabe beginnt, die Gesellschaft in eine sozialistische Richtung zu verändern. Indem das Proletariat sich selbst an die Spitze der Nation setzt, die unterdrückten Schichten der Gesellschaft (städtisches und dörfliches Kleinbürgertum) führt, kann es die Macht übernehmen und die Aufgaben einer bürgerlich-demokratischen Revolution durchführen (hauptsächlich die Landreformen und die Vereinigung und Befreiung der Nation von Fremdherrschaft und Kolonialismus).
Doch wenn das Proletariat einmal an der Macht ist, wird es hierbei nicht halt machen und sozialistische Maßnahmen zur Enteignung der Kapitalisten anpacken. Und da diese Aufgaben nicht in einem Land alleine gelöst werden können, vor allem nicht in einem rückständigen Land, wäre dies der Beginn einer Weltrevolution. Folglich ist die Revolution “permanent” in zweifachem Sinne: weil sie mit den bürgerlichen Aufgaben beginnt und zu den sozialistischen Aufgaben übergeht. Und weil sie in einem Land beginnt und auf der internationalen Ebene weitergeführt wird.
Die Theorie der permanenten Revolution war die vollständigste Antwort gegenüber der reformistischen und auf Klassenkollaboration orientierten Position des rechten Flügels der russischen Arbeiterbewegung, der Menschewiki. Die “Etappentheorie” wurde von den Menschewiki als ihre Perspektive auf die Russische Revolution entwickelt. Im Grunde behauptet diese, dass – da die Aufgabe der Revolution die Aufgaben einer nationalen, demokratischen und bürgerlichen Revolution seien – die Führung der Revolution von einer nationalen demokratischen Bourgeoisie übernommen werden müsse. Lenin stimmte Trotzki zu, dass die russischen Liberalen keine bürgerlich-demokratische Revolution durchführen könnten, und diese Aufgabe nur durch das Proletariat in Allianz mit dem armen Bauern durchgeführt werden könne. In Marx‘ Fußstapfen folgend, welcher die bürgerliche „Demokratische Partei“ als „weitaus mehr gefährlich gegenüber den Arbeitern, als die früheren Liberalen“ beschrieb, erklärte Lenin, dass die russische Bourgeoisie – weit entfernt davon ein Verbündeter der Arbeiter zu sein – unausweichlich mit der Konterrevolution zusammenarbeiten würde:
„Die Bourgeoisie wird in ihrer Masse“, schrieb er 1905, „unweigerlich zur Konterrevolution, zur Selbstherrschaft übergehen und sich gegen die Revolution, gegen das Volk kehren, sobald ihre engen, eigennützigen Interessen befriedigt sein werden, sobald sie vom konsequenten Demokratismus ‘abgeschwenkt’ sein wird (und sie schwenkt schon jetzt davon ab!)“ (LW 9: 87; Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution)
Welche Klasse, aus Lenins Perspektive, kann die bürgerlich-demokratische Revolution anführen?
„Es bleibt das ‚Volk‘, das heißt das Proletariat und die Bauernschaft: Allein das Proletariat ist fähig, konsequent bis zu Ende zu gehen, denn es geht weit über die demokratische Umwälzung hinaus. Deshalb eben kämpft das Proletariat in den vordersten Reihen für die Republik und weist mit Verachtung die törichten und seiner unwürdigen Ratschläge zurück, darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Bourgeoisie möglicherweise abschwenkt.“ (LW 9: 87f)
In allen Reden und Schriften Lenins wird die konterrevolutionäre Rolle der bürgerlich-demokratischen Liberalen immer wieder betont. Bis 1917 jedoch glaubte er nicht daran, dass die russischen Arbeiter noch vor einer sozialistischen Revolution im Westen die Macht erobern würden. Dies war eine Perspektive, die nur Trotzki vor 1917 verteidigte, und die dann vollständig von Lenin in seinen Aprilthesen 1917 übernommen wurde. Die Korrektheit der permanenten Revolution wurde der Oktoberrevolution 1917 triumphierend bewiesen. Die russische Arbeiterklasse – wie Trotzki 1904 vorhergesagt hatte – kam noch vor den Arbeitern in Westeuropa an die Macht. Sie packten alle Aufgaben einer bürgerlich-demokratischen Revolution an und gingen unmittelbar dazu über, die Industrie zu verstaatlichen und die Aufgaben einer sozialistischen Revolution anzupacken. Die Bourgeoisie spielte eine offen konterrevolutionäre Rolle, wurde jedoch durch die Arbeiter im Bündnis mit den armen Bauern besiegt. Die Bolschewiki wandten sich dann an die Arbeiter der Welt mit einem revolutionären Aufruf, ihrem Beispiel zu folgen. Lenin wusste sehr gut, dass ohne den Sieg der Revolution in einem fortgeschrittenen kapitalistischen Land, vor allem Deutschland, die Revolution besonders in einem rückschrittlichen Land wie Russland isoliert nicht überleben könnte. Die Entwicklung zeigte, dass diese Sichtweise absolut korrekt war. Die Gründung der Dritten (Kommunistischen) Internationale, die Weltpartei der sozialistischen Revolution sein sollte, war die konkrete Manifestation dieser Perspektive.
Wäre die Kommunistische Internationale standhaft auf den Positionen von Lenin und Trotzki verblieben, dann wäre der Sieg der Weltrevolution gewährleistet gewesen. Leider trafen die entscheidenden Jahre der Komintern mit der stalinistischen Konterrevolution in Russland zusammen, die verheerende Auswirkungen auf die Kommunistischen Parteien der ganzen Welt hatte. Nachdem sie die Kontrolle in der Sowjetunion erlangte, entwickelte die stalinistische Bürokratie eine sehr konservative Prognose. Die Theorie, dass der Sozialismus in einem Land errichtet werden könne – eine Abkehr vom Standpunkt von Marx und Lenin –widerspiegelte in Wirklichkeit die Mentalität der Bürokratie, welche genug hatte vom Sturm und Drang der Revolution und stattdessen danach strebte, „den Aufbau des Sozialismus in Russland“ voran zu bringen. Sprich, sie wollten ihre Privilegien verteidigen und erweitern und nicht die Ressourcen des Landes „verschwenden“, um weiterhin die Weltrevolution zu verfolgen. Auf der anderen Seite fürchteten sie, dass Revolutionen in anderen Ländern sich gesund entwickeln könnten und eine Bedrohung für ihre eigene Herrschaft in Russland darstellen könnten. Deshalb versuchten sie aktiv Revolutionen anderswo zu verhindern.
Anstatt eine auf Klassenunabhängigkeit basierende revolutionäre Politik zu verfolgen – wie Lenin sie immer verfochten hatte – schlugen sie ein Bündnis der Kommunistischen Parteien mit der „nationalen progressiven Bourgeoisie“ vor (und falls es keine gab, die leicht zur Hand war, erfanden sie eine), um eine demokratische Revolution durchzuführen. Erst viel später, in der weit entfernten Zukunft, wenn das Land eine voll entwickelte kapitalistische Ökonomie hatte, dann erst kam für sie der Kampf für den Sozialismus in Frage. Diese Politik stellte einen kompletten Bruch mit dem Leninismus dar und die Rückkehr zu der alten, bereits diskreditierten Position der Menschewiki – der „Etappentheorie“.
Welche Elemente sind für die Arbeiterdemokratie erforderlich?
Der Sozialismus ist demokratisch oder er ist nicht. Ab dem ersten Tag der sozialistischen Revolution muss es die demokratischste Herrschaftsform aller Zeiten geben. Das bedeutet, dass zum ersten Mal alle Aufgaben der Führung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat in den Händen der Mehrheit der Bevölkerung liegen werden und diese Mehrheit ist die Arbeiterklasse. Durch ihre demokratisch gewählten Räte (die Sowjets), die direkt am Arbeitsplatz gewählt werden und jederzeit neugewählt werden können, werden die Arbeiter die Herrschenden der Gesellschaft sein, nicht nur dem Namen nach, sondern in der Realität. Das war der Fall in Russland unmittelbar nach der Oktoberrevolution. Erinnern wir uns daran, dass Lenin vier Grundbedingungen für einen Arbeiterstaat – das heißt für die Übergangsphase zwischen Kapitalismus und Sozialismus – festgelegt hat:
- Freie und demokratische Wahlen mit jederzeitiger Ab- und Neuwählbarkeit aller Funktionäre
- Kein Funktionär soll einen höheren Lohn erhalten als den eines Facharbeiters
- Keine stehende Armee, sondern allgemeine Volksbewaffnung
Allmählich sollten alle Aufgaben der Verwaltung und Staatsführung von den Massen rollierend wahrgenommen werden. Wenn jeder ein Bürokrat ist, ist niemand ein Bürokrat. Oder, wie Lenin es ausdrückte: „Jede Köchin sollte Premierministerin sein können.“
Was denken Marxisten über Terrorismus?
Der Marxismus hat immer einen Kampf gegen die Methoden des individuellen Terrorismus (Entführungen, Bombenanschläge) sowie gegen den Staatsterrorismus (die imperialistischen Bombenangriffe auf den Irak, Pakistan, Afghanistan usw.) geführt. Akte des individuellen Terrors bewirken wenig, entfremden aber umso mehr die Mehrheit der Menschen von der Sache, für die wir kämpfen. Die Bombardierung eines Marktplatzes, auf dem Frauen und Kinder getötet werden, trägt nicht dazu bei, das Klassenbewusstsein und das Vertrauen der Arbeiterklasse zu stärken. Unsere Kraft und Stärke liegt in der Größe unserer Bewegung, nicht in einzelnen Handlungen.
Terroristische Methoden haben nichts mit dem Marxismus gemein und haben sich historisch als machtlos erwiesen, wenn es darum geht, ernsthafte Veränderungen herbeizuführen. Nehmen wir zum Beispiel die Terrorakte der Hamas in Israel/Palästina in den letzten Jahrzehnten. Diese Angriffe haben nichts dazu beigetragen, die Einheit der Arbeiterklasse zwischen Juden und Arabern gegen ihren gemeinsamen Unterdrücker zu fördern – die herrschende Klasse, die sie spaltet, um sie weiterhin zu unterdrücken. Die herrschenden Klassen im Nahen Osten wollen keinen wirklichen Frieden, in gewissem Maße nützen anhaltende individuelle Terrorakte ihren Zwecken. Wenn es wirklichen „Frieden“ gäbe, würden sich die Arbeiter aller Ethnien und Religionen gegen die herrschende Klasse zusammenschließen. Erst mit der Intifada („Aufstand”) der palästinensischen Massen fürchtete die israelische herrschende Klasse die Bewegung und begann, Zugeständnisse zu machen. Wir lehnen den individuellen Terrorismus ab.
Das folgende Zitat von Leo Trotzki aus dem Artikel Über den Terrorismus, bringt es auf den Punkt:
„Eben deswegen ist individueller Terror in unseren Augen unzulässig: denn er schmälert die Rolle der Massen in ihrem eigenen Bewußtsein, denn er söhnt sie mit ihrer eigenen Machtlosigkeit aus und richtet ihre Augen und Hoffnungen auf einen großen Rächer und Befreier, der eines Tages kommen wird und seine Mission vollendet. Die anarchistischen Propheten der „Propaganda der Tat“ können soviel sie wollen über den fördernden und stimulierenden Einfluß von terroristischen Akten auf die Massen reden. Theoretische Überlegungen und politische Erfahrung zeigt anderes. Je „effektiver“ Terrorakte sind, je größer ihre Auswirkung ist, desto mehr verringern sie das Interesse der Massen an Selbstorganisation und Selbsterziehung. Aber der Rauch einer Explosion verzieht sich, die Panik verschwindet, der Nachfolger des ermordeten Ministers tritt in Erscheinung, das Leben verläuft wieder im alten Trott, das Rad der kapitalistischen Ausbeutung dreht sich wie zuvor; nur die Unterdrückung durch die Polizei wird grausamer und dreister. Und als Ergebnis kommen anstatt der erweckten Hoffnungen und der künstlich angestachelten Erregung Desillusion und Apathie.“
Was denken Marxisten über den Guerillakampf?
Bauernkriege, die von der Bewegung der Arbeiterklasse getrennt sind, zeigen keine Perspektive Richtung Sozialismus auf. Denn letztlich ist die Bewegung der Arbeiterklasse entscheidend. Die Bemühungen und die Arbeit der Marxisten sollten sich größtenteils auf die Städte und das Proletariat konzentrieren. Natürlich muss der Kampf anderer unterdrückter Klassen unter allen Umständen von Marxisten unterstützt werden.
Der Guerillakampf ist, wie Lenin erklärte, die Methode des Lumpenproletariats und der Bauern. Während es einigermaßen verständlich und nachvollziehbar ist, dass sich Guerilla-Bewegungen in Ländern entwickeln, in denen es praktisch kein Proletariat gibt, kann es keine Rechtfertigung für städtischen Guerillakampf geben! In den meisten Ländern der Welt macht das Proletariat heute die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung aus. Indien zum Beispiel hat mehr Industrie als sein ehemaliger Kolonialherr Großbritannien. Bauernkriege können, wenn auch siegreich, nur zum Sieg des bürgerlichen Bonapartismus (Diktatur) oder des proletarischen Bonapartismus (Stalinismus) führen. Sie können niemals zum Sieg einer sozialistischen Revolution in der klassischen Form führen, die eine bewusste Bewegung des Proletariats erfordert. Der städtische Guerillakampf versucht, die Massenbewegung des Proletariats durch Studenten, Lumpenproletarier und sogar einige deklassierte Arbeiter zu ersetzen, und widerspricht absolut allen Lehren des Marxismus. Er endete immer in einer Katastrophe. Das war die Erfahrung in Lateinamerika und in anderen Erdteilen.
Die Aufgabe der Marxisten besteht nicht nur darin, das kapitalistische Regime zu stürzen, sondern den Weg für die sozialistische Zukunft der Menschheit vorzubereiten. Die Zerstörung von Kapitalismus und Grundbesitz in den Kolonialländern ist ein immenser Fortschritt, der das Niveau der gesamten Menschheit erhöht. Gerade wegen der Unfähigkeit der Bauernschaft als Klasse, sich den künftigen sozialistischen Aufgaben zu stellen, kann es ihr jedoch nur gelingen, neue Hindernisse in den Weg zu stellen. Der Sieg des Bauernkrieges kann angesichts des Kräfteverhältnisses in der Welt und der Krise des Kapitalismus und Imperialismus in den unterentwickelten Ländern zu einer Form von deformiertem Arbeiterstaat führen (Stalinismus). Er kann nicht zu einer bewussten Kontrolle der Industrie, der Landwirtschaft und des Staates durch die Arbeiter und Bauern führen.
Hinzu kommt, dass eine Guerilla-Armee fast immer der staatlichen Armee militärisch unterlegen ist, ausgenommen einige sehr unterentwickelte Länder mit extrem schwachen staatlichen Strukturen. Das ist auch logisch: Ein großer Teil der staatlichen Einnahmen und Teile der Profite der Bourgeoisie fließen in den Aufbau einer professionellen staatlichen Armee, deren einziger Zweck es ist, die Herrschaft der Bourgeoisie zu schützen. Mit welchen Mitteln sollen sich die Guerilleros finanzieren? Woher sollen sie moderne Waffensysteme bekommen?
Der Marxismus sieht das Proletariat auf Grund seiner Stellung im Produktionsprozess als einzig revolutionäre Klasse der Gesellschaft. Also erstens weil es kein Privateigentum an Produktionsmitteln und damit auch kein Interesse an dessen Aufrechterhaltung hat und zweitens, weil es alle wirtschaftliche Macht wortwörtlich in seinen Händen hält. Man kann jedem, einem antiken Sklaven, einem feudalen Bauern, Handwerker, Bettler oder Studenten ein Gewehr in die Hand drücken und ihn zum Guerillero erklären – aber nur die Arbeiter können streiken; nur Arbeiter können eine Fabrik besetzen und die Produktion ohne die Kapitalisten weiterführen.
Trotzki erklärte, dass die Revolution zu neunzig Prozent eine politische und nur zu zehn Prozent eine militärische Aufgabe sei. Das ist auch der Grund, warum die Oktoberrevolution weitgehend unblutig friedlich gewonnen wurde. Indem die Bolschewiki die Mehrheit der Arbeiterklasse und der Soldaten in der zaristischen Armee für die Revolution gewannen, fand sich letztlich niemand mehr, der die alte Ordnung verteidigen wollte. Einmal zur Macht gekommen, muss sich das Proletariat natürlich bewaffnen und in Arbeitermilizen organisieren. Aber diese bewaffneten Formationen sind die bewaffnete Bevölkerung, nicht ein kleiner Haufen Guerilleros ohne echte Verbindung zu den Massen und insbesondere zur Arbeiterklasse.
Was ist die grundlegende Rolle des Staates und der Polizei in der Gesellschaft?
Der Staatsapparat, Gruppen bewaffneter Menschen, die Polizei, die Armee und ihre Anhängsel, die Gerichte usw. sind Werkzeuge zur Unterdrückung einer Schicht der Gesellschaft durch eine andere, gewöhnlich einer Klasse, die eine andere unterdrückt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt in der sozialen Entwicklung der Menschheit entstand der Staat als Ergebnis der Aufteilung der Gesellschaft in Klassen. Sobald es möglich wurde, einen Überschuss zu produzieren, der über den Bedürfnissen der Produzenten lag, wurde es einer Minderheit möglich, sich von der Notwendigkeit der Arbeit zu befreien und stattdessen von dem Überschuss zu leben, den die Mehrheit produzierte. Unweigerlich erforderte jedoch eine derart kleine Minderheit eine besondere Kraft, um die Mehrheit in Schach zu halten. Diese früheste Klassentrennung zwischen Sklavenbesitzern und Sklaven wurde durch andere Formen der Klassentrennung ersetzt (Feudalherren und Leibeigene im Feudalismus, Kapitalisten und Arbeiter im Kapitalismus). Aber auch heute im Kapitalismus kann immer nur eine Minderheit von dem Überschuss der Mehrheit leben. Der Kapitalismus hat in der Vergangenheit eine fortschrittliche Rolle beim Aufbau der Wirtschaft durch Investitionen gespielt. Nun wäre es beim aktuellen Stand der Produktivkräfte zum ersten Mal in der Geschichte möglich, diese archaische Klassentrennung zu beseitigen. Da es genau die Aufgabe des Sozialismus ist, die Klassenspaltung aufzuheben, sollte der sozialistische Staat selbst immer weiter zur Verwaltung von Dingen übergehen, bevor er ganz verschwindet.
In seinem Meisterwerk über den Stalinismus, “Verratene Revolution”, erklärte Trotzki, dass sich überall, wo es Mangel gibt, lange Schlangen vor den Läden bilden. Wo es lange Schlangen gibt, braucht es die Polizei, um Ordnung zu halten. Und natürlich hat auch die Polizei Hunger und steht daher in der Schlange ganz vorne.
Im Sozialismus wird es keine separate Polizei oder stehendes Heer geben, sondern einzig die bewaffnete Bevölkerung, Nach dem Motto: Wenn jeder ein Polizist ist, dann ist niemand wirklich ein Polizist.
Stalinismus
Warum ist der Sozialismus in einem Land unmöglich?
Die Vorbedingung für den Sozialismus ist ein hoher technischer Entwicklungsstand der Produktivkräfte. Die unterste Stufe des Sozialismus muss die höchste Stufe des Kapitalismus sein. Wenn so viele der Probleme der heutigen Welt auf die ungleiche Verteilung der Ressourcen zurückzuführen sind, besteht die einzige Lösung darin, mehr als genug zu produzieren und demokratisch zu verteilen, um einen hohen Lebensstandard für alle zu gewährleisten. Nirgendwo in den Schriften von Marx, Engels, Lenin oder Trotzki findet man die Idee vom Sozialismus in einem Land. Die stalinistische, nationalistische Idee des Sozialismus in einem Land hat nichts mit dem Marxismus zu tun, der immer eine internationalistische Perspektive hatte.
Die Arbeiterklasse hatte im letzten Jahrhundert viele Möglichkeiten, einen sozialistischen Wandel durchzuführen, und hat es in vielen verschiedenen Ländern versucht. Erfolgreich war sie jedoch nur einmal, und das auch nur zeitlich begrenzt, nämlich in der Russischen Revolution von 1917. Durch diese Revolution in einem rückständigen Land gelang es, 1000 Jahre zaristischer Autokratie zu stürzen, und die Arbeiterklasse begann, die Aufgaben der Führung der gesamten Gesellschaft anzupacken. Es war jedoch nie die Absicht Lenins, den Sozialismus isoliert in einem Land aufzubauen. Das ist unmöglich, da der Sozialismus eine massive Steigerung der Produktion erfordert, um die Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen. Das erfordert eine internationale Bündelung der Ressourcen. Natürlich kann der Kapitalismus auch nicht einfach und auf Daier in einem einzelnen Land besiegt werden. Die Revolution muss sich auf andere Länder und schließlich die ganze Welt ausbreiten.
Infolge ihrer Isolation und ihrer Rückständigkeit, ihres Bürgerkriegs und des Angriffs von 21 ausländischen Interventionsarmeen hing die Revolution in Russland an einem dünnen Faden. Ohne die Unterstützung von Revolutionen in wirtschaftlich fortgeschrittenen Ländern Europas konnte es in Russland keinen Sozialismus geben. Wenn die Revolutionen im übrigen Europa erfolgreich gewesen wären, hätten sie all ihre Technologien, natürlichen Ressourcen und Bevölkerung zu einer Einheit zusammenfassen können, um genug für alle zu produzieren und die Revolution auf den Rest der Welt auszubreiten. Stattdessen entartete die isolierte Revolution zu einer bürokratischen Diktatur. Der Kampf für den Sozialismus muss international sein!
Warum ist Russland zu einer totalitären, stalinistischen Diktatur entartet, und wie kann die Planwirtschaft die Produktivkräfte entwickeln ohne den „freien Markt
Um den Prozess der sozialistischen Transformation der Gesellschaft und auch die Frage zu verstehen, warum diese noch nicht gelungen ist, müssen wir eine wissenschaftliche Antwort auf die Frage geben, was mit der UdSSR geschehen ist.
Zunächst einmal ist unsere allgemeine historische Einschätzung der Russischen Revolution äußerst positiv. Zum ersten Mal bewies die Masse der Arbeiter und Bauern in der Praxis, dass es möglich war, eine Gesellschaft ohne Grundbesitzer, Kapitalisten und Banker zu organisieren. Die Überlegenheit einer Planwirtschaft gegenüber der Anarchie der kapitalistischen Produktion wurde nicht auf dem Gebiet der Ideen, sondern auf dem konkreten Gebiet der industriellen Entwicklung, der Erhöhung des Lebensstandards, der Bildung und der Gesundheit bewiesen. Russland entwickelte sich in kurzer Zeit von einem rückständigen, hauptsächlich landwirtschaftlich geprägten und imperialistisch dominierten Land zu einer der mächtigsten Industrie- und Wirtschaftsmächte der Erde. Und dies wurde nur aufgrund der Planwirtschaft erreicht. Wenn wir ein anderes rückständiges kapitalistisches Land dieser Zeit nehmen und bis auf wenige Ausnahmen die Entwicklung in den letzten 80 Jahren beobachten, werden wir feststellen, dass es rückständig bleibt und vom Imperialismus beherrscht wird. Beispielsweise Indien, Pakistan, die Philippinen, der größte Teil Lateinamerikas usw.
Gleichzeitig müssen wir aber erklären können, warum die stalinistischen Staaten in der Sowjetunion und Osteuropa mit ihren potenziell sehr produktiven Planwirtschaften Ende der 1980er Jahre in eine Krise gerieten und schließlich Anfang der 1990er Jahre zusammenbrachen. Wir denken, dass die Erklärung in der mangelnden demokratischen Kontrolle über die Wirtschaftsplanung liegt. Im Kapitalismus stellt der Markt in gewissem Maße eine Kontrolle der Wirtschaft dar. Wenn man eine Schuhfabrik besitzt und die Schuhe, die man produziert, von sehr schlechter Qualität und teurer sind als andere auf dem Markt, wird man wahrscheinlich bankrott gehen. Wenn man in einen Wirtschaftssektor investiert, in dem bereits eine Überproduktion besteht, wird man wahrscheinlich bankrott gehen.
Der Markt stellt also, obwohl auf anarchische Weise und durch verheerende zyklische Krisen, eine gewisse Kontrolle der Produktivkräfte dar (obwohl dies durch die Konzentration der Wirtschaft in den Händen einiger multinationaler Konzerne verringert wurde). Das gibt es in einer Planwirtschaft nicht. Die einzig mögliche Kontrolle ist die der demokratischen Beteiligung der Werktätigen (Verbraucher und Erzeuger selbst) an der Wirtschaftsplanung. Wer kennt die eigenen Bedürfnisse besser als die Arbeiter selbst? Wer weiß besser als sie, wie die Betriebe zu organisieren sind? Das Problem in der Sowjetunion war, dass diese demokratische Kontrolle überhaupt nicht existierte. Eine Handvoll Bürokraten an der Spitze der „Kommunistischen Partei“ und des Staatsapparats diktierten alles.
Es ist klar, dass eine Wirtschaft, die jedes Jahr eine Million verschiedener Waren produziert, ohne echte Arbeiterdemokratie nicht kontrolliert werden kann. Warum gab es in der UdSSR keine Arbeiterdemokratie? Die bürgerlichen Kritiker werden uns sagen, dass dies die unvermeidliche Folge des Kampfes für den Sozialismus war. „Kommunismus ist antidemokratisch und bedeutet Diktatur.“ Wir antworten: Das sind Lügen und Verleumdungen.
Wenn man Lenins Schrift „Staat und Revolution“ liest, sieht man, wie Lenin eine Reihe von Bedingungen für das Funktionieren der Arbeiterdemokratie aufstellt, die er hauptsächlich aus den Erfahrungen der Pariser Kommune von 1871, der ersten Arbeiterregierung in der Geschichte, schöpft. Es gibt vier Hauptbedingungen:
- Wählbarkeit und jederzeitige Abwählbarkeit aller Funktionäre (d.h. sie können sofort ausgewechselt werden, wenn sie nicht länger die Interessen derjenigen vertreten, die sie gewählt haben).
- Kein Funktionär soll einen höheren Lohn als den eines Facharbeiters erhalten. Marx sagte, dass „gesellschaftliches Sein das Bewusstsein bestimmt“, mit anderen Worten, die eigene Lebensweise bestimmt das eigene Denken. Eine der Hauptursachen für den Reformismus unter den führenden Funktionären der Arbeiterbewegung sind genau die überhöhten Gehälter, die sie als Parlamentarier, Regierungsmitglieder oder sogar als Gewerkschaftsfunktionäre erhalten. Sie neigen daher zu der Einschätzung, der Kapitalismus sei doch „gar nicht so schlecht“ und Veränderungen seien nur in kleinen Schritten möglich.
- Keine stehende Armee, sondern allgemeine Volksbewaffnung.
- Im Laufe der Zeit sollten sich alle in einer Art rollierendes System an den Aufgaben der Wirtschafts- und Staatsführung beteiligen. Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit. Mit den Worten Lenins: „Wenn jeder ein Bürokrat ist, ist niemand ein Bürokrat.“
Selbst eine oberflächliche Analyse wird uns sofort zu dem Schluss führen, dass keine dieser Bedingungen in der Sowjetunion umgesetzt wurde. Aber warum? In der Anfangsphase der Revolution kämpften Lenin und die anderen Führer der Revolution dafür, die wahrscheinlich demokratischste Herrschaftsform zu errichten, die es je gegeben hat. Die Sowjets (Arbeiter- und Bauernräte) regierten den Staat und die Wirtschaft, und jeder durfte an ihnen teilnehmen. Alle politischen Parteien durften an den Wahlen und Debatten der Sowjets teilnehmen und ihre Ideen einbringen. Es ist heute kaum noch bekannt, dass die erste sowjetische Regierung eine Koalition zwischen der bolschewistischen Partei und den linken Sozialrevolutionären war. Die einzigen Parteien, die nicht zugelassen wurden, waren Faschisten und alle, die Waffen gegen die Sowjetmacht erhoben hatten.
Innerhalb der Kommunistischen Partei (wie die Bolschewiki später genannt wurden) gab es die größte Demokratie. Während der Diskussion über das Brest-Litowsker Friedensabkommen mit Deutschland gab es mindestens drei verschiedene Fraktionen innerhalb der KP mit unterschiedlichen Meinungen. Eine von ihnen, die Linkskommunisten, angeführt von Bucharin, veröffentlichte sogar für eine Weile eine eigene Tageszeitung, Der Kommunist, die Lenins Position in dieser Frage ablehnte! Wie konnte ein solches demokratisches Regime zur Diktatur werden?
Lenin befasst sich in Staat und Revolution auch mit den Fragen der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Errichtung des Sozialismus. Die demokratische Planung der Wirtschaft kann nur funktionieren, wenn die wirtschaftliche und materielle Grundlage besteht, um für alle genug zu produzieren. Sobald die Grundgüter knapp werden, muss es zwangsläufig jemanden geben, der autoritär die Verteilung dieser knappen Güter kontrolliert. Kurz gesagt, in Russland existierten 1917 die materiellen Bedingungen für den Sozialismus nicht.
Aber warum kämpften die Bolschewiki dann für die Revolution in Russland? Ihre Perspektive war niemals, den Sozialismus in Russland isoliert aufzubauen. Sie sahen in der Russischen Revolution den Beginn der europäischen Revolution. Sie dachten, dass die Machtübernahme der Arbeiter in Russland zu einer Welle revolutionärer Kämpfe in ganz Europa führen würde. Die Arbeitermacht in Europa würde die materiellen Mittel für eine rasche Entwicklung des rückständigen Russlands erschließen. Tatsächlich hat die Russische Revolution den Weg für eine massive revolutionäre Welle in Europa geebnet. Es gab die Deutsche Revolution von 1918 bis 1919, die ungarische Räterepublik, den spanischen Generalstreik, Fabrikbesetzungen in Italien und allgemeine Massenbewegungen der Arbeiterklasse auf dem ganzen Kontinent. Aber leider wurden alle diese Revolutionen besiegt.
Es gab verschiedene Gründe für diese Niederlagen, aber um es zusammenzufassen: die Arbeiterbewegung stand immer noch sehr unter dem Einfluss der sozialdemokratischen, reformistischen Führer. Die Kommunisten hatten nicht ausreichend Zeit, sich richtig zu organisieren, und machten eine Reihe fataler Fehler. Auf diese Weise blieb die Russische Revolution isoliert in einem rückständigen, hauptsächlich bäuerlich geprägten Land, das durch den Ersten Weltkrieg zerstört wurde. Als wäre das nicht genug, wurden sie sofort in einen brutalen Bürgerkrieg verwickelt, in dem die Konterrevolution mit Unterstützung von 21 ausländischen Interventionsarmeen versuchte, die junge Sowjetrepublik zu stürzen, Und dies wäre ihnen beinahe gelungen.
Schlussendlich gewann die Rote Armee den Bürgerkrieg, aber zu einem sehr hohen Preis. Nicht nur die Wirtschaft wurde vollständig zerstört und die Massen hungerten, sondern auch die wichtigsten und fähigsten der revolutionären kommunistischen Kader hatten in diesen schwierigen Jahren ihr Leben verloren. Eine der Voraussetzungen für die Arbeiterdemokratie ist gerade eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, damit alle Werktätigen genügend Zeit haben, sich weiter zu bilden und sich an der Politik und der Führung der Gesellschaft zu beteiligen. In Russland hatten wir tatsächlich eine Verlängerung der Arbeitszeit und im Allgemeinen sehr schlechte Voraussetzungen. Die Teilnahme an den Sowjets ließ langsam nach und es bildete sich eine Schicht von Beamten, die die normalen Arbeiter langsam aus der Politik verdrängte.
Einer der ersten, der vor der Gefahr der Bürokratisierung warnte, war Lenin selbst. Die zeigen seine letzten Schriften, die Stalin jahrelang unterdrückte. Aber auch unter diesen extrem schwierigen Bedingungen war es für die stalinistische Bürokratie nicht einfach, die Macht fest im Griff zu halten. Es gab eine sehr große Opposition in den Reihen und der Führung der Kommunistischen Partei. Tatsächlich musste die Bürokratie den größten Teil der Partei ermorden, um erfolgreich zu sein. Wenn wir uns die Liste der Mitglieder des Zentralkomitees der Partei im Jahr 1917, die revolutionären Führer der Oktoberrevolution, anschauen, so gab es bis 1940 außer Stalin nur einen Überlebenden. Die meisten anderen waren auf Stalins Geheiß erschossen worden, in Gefängnissen und Arbeitslagern gestorben, einige verschwanden und einige waren an Altersschwäche gestorben. Tausende von ehrlichen und loyalen Kommunisten wurden in den Konzentrationslagern ermordet oder starben an den unmenschlichen Bedingungen. Die Person, die die größte Opposition gegen den Aufstieg der Bürokratie führte, war Trotzki, der mit Lenin die Oktoberrevolution angeführt und später die Rote Armee organisiert hatte.
Die Person Leo Trotzki, neben Lenin die wichtigste Person in der Revolution, ist in der kommunistischen Bewegung seit vielen Jahren verzerrt und verleumdet worden, gerade von jenen, die die stalinistische Bürokratie bedingungslos verteidigten. Deshalb ist es zum Beispiel zu begrüßen, dass die Dokumente des letzten Parteitags der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (Ex-Stalinisten) die Lektüre seiner Schriften empfehlen. Kommunisten können nur aus einer offenen und ehrlichen Debatte über die Gründe für den Aufstieg des Stalinismus lernen.
Was ist mit Mao und der chinesischen Revolution?
Von Zeit zu Zeit ist es notwendig, eine Bilanz unserer Ideen und theoretischen Positionen zu ziehen. Wie haben sie sich in den letzten fünfzig Jahren in der Praxis bewährt? Wenn unsere Organisation einen wesentlichen Beitrag zum Marxismus leisten konnte, dann ist dies unsere Analyse der Kolonialrevolutionen und der Entwicklung des proletarischen Bonapartismus, beginnend mit unserer Analyse der Chinesischen Revolution nach 1945.
Die Sackgasse des Kapitalismus in diesen Ländern und das dringende Bedürfnis der Massen einen Weg nach vorne zu finden, führten zum Phänomen des Proletarischen Bonapartismus. Dies ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Erstens die völlige Sackgasse der Gesellschaft in den rückständigen Ländern und die Unfähigkeit der Bourgeoisie der kolonialen Länder, einen Weg nach vorne aufzuzeigen. Zweitens die Unfähigkeit des Imperialismus, seine Kontrolle mit den alten Mitteln der direkten militärisch-bürokratischen Herrschaft aufrechtzuerhalten. Drittens die Verzögerung der proletarischen Revolution in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und die Schwäche des subjektiven Faktors, sprich der revolutionären Partei. Und schließlich die Existenz eines mächtigen Regimes des proletarischen Bonapartismus in der Sowjetunion.
Der Sieg der UdSSR im Zweiten Weltkrieg und die Stärkung des Stalinismus nach dem Krieg mit seiner Ausdehnung auf Osteuropa und der Sieg der chinesischen Revolution waren Faktoren, die die Entwicklung des proletarischen Bonapartismus als eine eigenartige Variante der permanenten Revolution bedingten, die nur von unserer Tendenz verstanden wurde. Dies war ein völlig beispielloses und unerwartetes Phänomen. Nirgendwo in den Klassikern des Marxismus wurde es als theoretische Möglichkeit vorhergesehen, dass ein Bauernkrieg etwa zur Gründung eines deformierten Arbeiterstaates führen könnte. Genau dies geschah jedoch in China und später in Kuba und Vietnam.
Wir bezeichneten die Chinesische Revolution von 1949 als das zweitgrößte Ereignis der Weltgeschichte nach der Russischen Revolution von 1917. Sie hatte enorme Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Revolutionen in den (ehemals) kolonialen Ländern. Diese Revolutionen fanden jedoch nicht nach dem Vorbild der Russischen Revolution von 1917 oder der Chinesischen Revolution von 1925 bis 1927 statt. Die Arbeiterklasse spielte keine wichtige Rolle. Mao kam auf der Grundlage eines mächtigen Bauernkrieges nach chinesischer Tradition an die Macht. Die einzige Möglichkeit, wie Mao den Bürgerkrieg von 1944 bis 1949 gewinnen konnte, bestand darin, den Bauernarmeen von Chiang Kai-shek, die vom amerikanischen Imperialismus bewaffnet und unterstützt wurden, ein Programm der sozialen Befreiung anzubieten. Aber die stalinistischen Führer der bäuerlichen Roten Armee hatten keine Perspektive, die Arbeiter an die Macht zu bringen, wie es Lenin und Trotzki 1917 taten. Als Maos Bauernarmeen in die Städte kamen und die Arbeiter spontan die Fabriken besetzten und Maos Armeen mit roten Fahnen begrüßten, gab Mao den Befehl, diese Demonstrationen zu unterdrücken und die Arbeiter zu erschießen.
Anfangs hatte Mao nicht vor, die chinesischen Kapitalisten zu enteignen. Seine Perspektiven für die chinesische Revolution wurden in einer Broschüre mit dem Titel Neue Demokratie beschrieben, in der er schrieb, dass die sozialistische Revolution in China nicht an der Tagesordnung sei und dass die einzige Entwicklung, die stattfinden könne, eine gemischte Wirtschaft, d.h. der Kapitalismus, sei. Dies war die klassische menschewistische „Etappentheorie“, die von der stalinistischen Bürokratie übernommen worden war und 1925/27 zur Niederlage der Chinesischen Revolution geführt hatte. Unsere Tendenz verstand jedoch, dass Mao unter den konkreten Umständen gezwungen sein würde, die Kapitalisten zu enteignen.
Darüber hinaus haben wir vorausgesagt, dass Mao gezwungen sein würde, mit Stalin zu brechen. Bereits Anfang 1949 schrieb Ted Grant:
„Die Tatsache, dass Mao eine echte, von der russischen Roten Armee unabhängige Massenbasis hat, wird höchstwahrscheinlich zum ersten Mal eine unabhängige Basis für den chinesischen Stalinismus schaffen, der sich nicht mehr direkt auf Moskau stützt. Wie bei Tito entwickelt auch bei Mao der chinesische Stalinismus trotz der Rolle der Sowjetischen Armee in der Mandschurei eine unabhängige Basis. Aufgrund der nationalen Bestrebungen der chinesischen Massen, des traditionellen Kampfes gegen die Fremdherrschaft, der wirtschaftlichen Bedürfnisse des Landes und vor allem der starken Basis in einem unabhängigen Staatsapparat ist die Gefahr eines neuen und wirklich gewaltigen Tito in China ein Faktor, der in Moskau Angst macht.
Die Unterordnung der chinesischen Wirtschaft zum Nutzen der russischen Bürokratie mit dem Versuch, Marionetten zu installieren, die unter Moskaus Kontrolle stehen – mit anderen Worten, die nationale Unterdrückung der Chinesen -, ist die Grundlage für einen Zusammenstoß mit dem Kreml von massiver Größe und Bedeutung. Mit einem unabhängigen und mächtigen Staatsapparat, mit der Möglichkeit, mit den Imperialisten des Westens zu manövrieren (die versuchen werden, mit China über Handel zu verhandeln und einen Keil zwischen Peking und Moskau zu treiben) und mit der Unterstützung der chinesischen Massen als siegreicher Führer gegen die Kuomintang, wird Mao mächtige Stützpunkte gegen Moskau haben.
Stalins Bemühungen, dieser Entwicklung zuvorzukommen, werden den Groll und den Konflikt tendenziell beschleunigen und verstärken.“ („Antwort an David James“, abgedruckt in „The Unbroken Thread“, 304.)
Diese Zeilen wurden mehr als ein Jahrzehnt vor dem Ausbruch des chinesisch-sowjetischen Konflikts geschrieben, als die chinesische und die sowjetische Bürokratie untrennbare Verbündete zu sein schienen.
Der Sieg von Maos Bauernarmeen in China war auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen: die vollständige und völlige Sackgasse des chinesischen Kapitalismus und Großgrundbesitzes, die Unfähigkeit des Imperialismus, einzugreifen, aufgrund der Kriegsmüdigkeit der imperialistischen Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg und auch wegen der kolossalen Anziehungskraft der verstaatlichten Planwirtschaft im stalinistischen Russland, die während des Krieges mit Hitlers Deutschland ihre Überlegenheit bewiesen hatte.
Die Tatsache, dass die Bauernschaft zur Durchführung einer sozialen Revolution eingesetzt wurde, war eine völlig neue Entwicklung in der Geschichte Chinas. China war das klassische Land der Bauernkriege, die in regelmäßigen Abständen stattfanden. Aber selbst wenn diese Kriege siegreich waren, führte dies lediglich zur Verschmelzung der führenden Elemente der Bauernarmeen mit der Elite in den Städten und zur Bildung einer neuen Dynastie. Es war ein Teufelskreis, der die chinesische Geschichte über 2000 Jahre lang geprägt hat. Aber hier gab es eine grundlegende Veränderung. Die Bauernarmee unter Mao war in der Lage, den Kapitalismus zu zerschlagen und eine Gesellschaft nach dem Bild von Stalins Moskau zu schaffen. Natürlich konnte nicht die Rede sein von einem gesunden Arbeiterstaat wie in Russland im November 1917, der auf diese Weise errichtet wurde. Dafür wäre die aktive Teilnahme und Führung der Arbeiterklasse erforderlich gewesen. Aber eine Bauernarmee ohne die Führung der Arbeiterklasse ist das klassische Instrument des Bonapartismus, nicht die Macht der Arbeiter. Die chinesische Revolution von 1949 begann dort, wo die russische Revolution geendet hatte. Von Arbeiterräten oder Arbeiterdemokratie war keine Rede. Es war von Anfang an ein ungeheuerlich deformierter Arbeiterstaat. Unsere Tendenz hat stets betont, dass das Proletariat die einzige Klasse ist, die den Sieg des Sozialismus weltweit herbeiführen kann.
Nachdem Mao die Macht übernommen und einen Staatsapparat auf der Grundlage der Hierarchie der Roten Armee geschaffen hatte, brauchte er sich nicht mit der Bourgeoisie zu verbünden. In typisch bonapartistischer Weise balancierte Mao zwischen den verschiedenen Klassen. Er stützte sich auf die Bauernschaft und bis zu einem gewissen Grad auf die Arbeiterklasse, um die Kapitalisten zu enteignen, aber nachdem diese besiegt worden waren, entfernte er alle Elemente der Arbeiterdemokratie, die eventuell existiert hatten. Dieses Phänomen war gerade wegen des Ausbleibens der Weltrevolution in den hochentwickelten westlichen Industrieländern und der Sackgasse der Gesellschaft möglich. Er hatte das kraftvolle Vorbild des Stalinismus in Russland, wo eine starke Bürokratie die Planwirtschaft parasitär ausbeutete, und beschloss, dem gleichen Modell zu folgen. Trotz ihres monströs deformierten Charakters bedeutete die Chinesische Revolution für Hunderte Millionen von Menschen, die die Last des Imperialismus zu tragen hatten, einen gigantischen Fortschritt.
Ist China heute kommunistisch oder kapitalistisch?
Nachdem die chinesische Bürokratie den Zusammenbruch des Stalinismus in der UdSSR und in Osteuropa erlebt hatte, suchte sie nach einer Möglichkeit, ihre Wirtschaft zu stärken und ihre privilegierte Position aufrechtzuerhalten. Ab 1978 führte Deng Xiao Ping eine Reihe von Maßnahmen ein, die die Wirtschaft ankurbeln sollten. Seitdem hatte diese Entwicklung ein Eigenleben. In den achtziger Jahren wurden so genannte Freihandelszonen eingerichtet, die es Unternehmen in ausländischem Besitz ermöglichen, mit chinesischen Arbeitskräften zu arbeiten. Mit diesem Prozess ging eine Verschlechterung der Verhältnisse der chinesischen Arbeiterklasse einher. Dies führte zu der massiven Bewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens, die die Bürokratie zu stürzen drohte. In den neunziger Jahren beschleunigte die Bürokratie den Prozess, und es wurden mehr staatliche Unternehmen umstrukturiert, um sie auf den Privatsektor auszurichten. Im Jahr 2001 trat China der Welthandelsorganisation (WHO) bei.
Während es unmöglich ist zu sagen, wo die verstaatlichte Planwirtschaft qualitativ in den Kapitalismus übergegangen ist, ist es unbestreitbar, dass das, was heute in China existiert, die schlimmsten Merkmale der kapitalistischen Ausbeutung hat, zusammen mit einem monströsen bonapartistischen Staat, der die Arbeiterklasse brutal unterdrückt.
Die Aufgabe der chinesischen Arbeiterklasse ist nicht nur eine politische Revolution, um die Bürokratie zu stürzen – wie es die Marxisten gegenüber der Sowjetunion befürworteten -, sondern eine soziale Revolution, um das gegenwärtige Regime zu stürzen und die Privatwirtschaft zu übernehmen, sie zu verstaatlichen und unter demokratische Arbeiterkontrolle stellen.
Revolutionäre Partei
Was genau ist die revolutionäre Partei?
Eine Partei ist nicht nur eine Organisationsform, ein Name, ein Banner, eine Ansammlung von Personen oder ein Apparat. Eine revolutionäre Partei ist für MarxistInnen in erster Linie Programm, Methoden, Ideen und Traditionen, und erst in zweiter Linie eine Organisation und ein Apparat (so wichtig diese zweifellos sind), um diese Ideen unter so viele Werktätige wie möglich zu bringen. Die marxistische Partei muss sich von Anfang an auf Theorie und Programm stützen, welche die allgemeinen historischen Erfahrungen des Proletariats zusammenfassen. Ohne dies ist sie nichts. Der Aufbau einer revolutionären Partei beginnt immer mit der langsamen und sorgfältigen Aufgabe, die Kader zusammenzubringen und auszubilden. Sie bilden das Rückgrat der Partei.
Warum ist eine revolutionäre Partei notwendig?
Die Aufgabe einer marxistischen Tendenz ist es, als Kopf der Arbeiterklasse zu fungieren und die riesigen Erfahrungen der Arbeiterbewegung zu verallgemeinern. Es gibt keinen anderen Grund für unsere Existenz als eigenständige Strömung innerhalb der Bewegung. Wenn wir etwas aus der Geschichte lernen können, dann ist es dies: Damit die Arbeiterklasse die Gesellschaft erfolgreich verändern kann, muss eine solche Partei, die theoretisch, strategisch und in der Arbeiterbewegung erfahren ist, über Jahre hinweg sorgfältig aufgebaut werden. Revolutionäre Gelegenheiten bieten sich nicht unbegrenzt. Wenn es der Arbeiterklasse nicht gelingt, die Gesellschaft zu verändern, wird die herrschende Klasse sie zwangsläufig zur Verteidigung ihres eigenen Systems zerschlagen. Das ist leider die Geschichte vieler Versuche der Arbeiterklasse, die Macht zu übernehmen – zum Beispiel in Chile von 1970 bis 1973. Von einer revolutionären Partei kann nicht einfach erwartet werden, dass sie aus heiterem Himmel entsteht, sondern sie muss bewusst und international aus den Kämpfen der Arbeiterbewegung und innerhalb ihrer bereits bestehenden Organisationen, Parteien und Gewerkschaften heraus aufgebaut werden.
Die Existenz einer revolutionären Partei und Führung ist für den Ausgang des Klassenkampfes ebenso entscheidend wie die Qualität der Armee und ihres Generalstabs in den Kriegen zwischen Nationen. Die revolutionäre Partei kann nicht spontan improvisiert werden, ebenso wenig wie ein Generalstab bei Kriegsausbruch improvisiert werden kann. Sie muss systematisch über Jahre und Jahrzehnte aufgebaut werden. Diese Lehre hat die gesamte Geschichte, insbesondere die Geschichte des 20. Jahrhunderts, gezeigt. Rosa Luxemburg, die große Revolutionärin und Märtyrerin der Arbeiterklasse, betonte stets die revolutionäre Initiative der Massen als Motor der Revolution. Damit hatte sie absolut recht. Im Zuge einer Revolution lernen die Massen schnell. Aber eine revolutionäre Situation kann naturgemäß nicht lange anhalten. Die Gesellschaft ist nicht permanent in Gärung und auch die Arbeiterklasse kann nicht permanent “unter Strom” und in einem Zustand der Anspannung gehalten werden. Entweder wird ein Ausweg rechtzeitig aufgezeigt, oder der Moment geht verloren. Für die ArbeiterInnen wird es nicht genug Zeit zum Experimentieren oder zum Lernen durch Ausprobieren geben. In einer Situation von Leben und Tod werden Fehler sehr teuer bezahlt! Daher ist es notwendig, die „spontane“ Bewegung der Massen mit Organisation, Programm, Perspektiven, Strategie und Taktik zu verbinden – mit einem Wort, mit einer revolutionären Partei, die von erfahrenen Kadern geführt wird.
Es wird keinen automatischen Zusammenbruch des Kapitalismus geben, und jede Krise wird die Situation für uns verschlimmern. Nur der bewusste Kampf der ArbeiterInnen auf internationaler Ebene und der Aufbau einer revolutionären Führung können den letzten Nagel in den Sarg des Kapitalismus treiben. Dies erfordert natürlich keinen Putsch, sondern die bewusste Bewegung der Mehrheit der Gesellschaft, der Arbeiterklasse. Wir sind alle verschieden und es ist nicht zu erwarten, dass wir über Nacht automatisch dieselben Schlussfolgerungen ziehen, eines Morgens gleichzeitig aufwachen und eine Revolution durchführen. Wir alle lernen zu unterschiedlichen Zeiten durch unterschiedliche Ereignisse. Daher ist eine revolutionäre Tendenz nötig, um alle Menschen für die Aufgabe der Veränderung der Gesellschaft zusammenzubringen.
Eine kurze Geschichte der marxistischen Internationalen
Was war die Erste Internationale? (1864-1876)
Die Gründung der Ersten Internationale muss vom internationalen Gesichtspunkt aus betrachtet werden. Marx hat diese Organisation als Mittel zur Vereinigung der fortgeschrittensten Schichten der Arbeiterklasse im internationalen Maßstab gegründet. Teil der Ersten Internationale waren britische Gewerkschafter, französische Radikale und russische Anarchisten. Angeführt von Marx baute die Internationale ein Gerüst für die Entwicklung der Arbeiterbewegung in Europa, Großbritannien und Amerika auf. Zu dieser Zeit erzitterte die Bourgeoisie vor der Bedrohung des Kommunismus in der Form der Internationale. Sie konnte tiefe Wurzeln in den wichtigsten europäischen Ländern schlagen. Nach dem Zusammenbruch der Pariser Kommune (1871) gab es einen weltweiten kapitalistischen Aufschwung. Unter diesen Bedingungen führte der Druck des kapitalistischen Systems auf die Arbeiterbewegung zu internen Querelen und Spaltungen. Die Intrigen der Anarchisten nahmen an Schwung zu. Das Wachstum des Kapitalismus in einem organischen Aufschwung beeinflusste die Organisation in allen Ländern. Unter solchen Umständen, nachdem zuerst die Zentrale der Organisation nach New York verlegt wurde, kamen Marx und Engels zu der Überzeugung, dass es vorerst besser war, die Internationale 1876 aufzulösen.
Was war die Zweite Internationale?
Die Arbeit von Marx und Engels in der Ersten Internationale trug Früchte: Massenorganisationen des Proletariats entstanden in Deutschland, Frankreich, Italien und anderen Ländern, wie Marx es vorhergesagt hatte. Das wiederum bereitete den Boden für die Organisierung einer neuen Internationalen unter marxistischen Prinzipen und unter Einschluss größerer Massen. So wurde 1889 die Zweite Internationale geboren. Die Entwicklung der Zweiten Internationale jedoch, fand größtenteils während einer Periode des Aufschwungs des Kapitalismus statt. Während man in Worten für die Ideen des Marxismus eintrat, gerieten die oberen Schichten der Sozialdemokratie unter den Druck des Kapitalismus. Die Anführer der sozialdemokratischen Parteien und der gewerkschaftlichen Massenorganisationen der Arbeiterklasse wurden infiziert von den Gewohnheiten und Lebensweisen der herrschenden Klasse. Die Gewohnheit von Kompromiss und Diskussion mit der herrschenden Klasse wurde zur Selbstverständlichkeit. Die Lösung von Differenzen durch Verhandlung und Kompromisse veränderte ihre Denkweise. Sie glaubten, dass die stetige Verbesserung des Lebensstandards durch den Druck der Massenorganisationen unbegrenzt weitergehe. Die Führung erhob sich in ihrer Lebensweise über die Massen. Das betraf die Führungsschicht der Parlamentarier und Gewerkschafter. Das Sein bestimmt das Bewusstsein und die Jahrzehnte der friedlichen Entwicklung, welche auf die Pariser Kommune 1871 folgten, veränderten den Charakter der Führung der Massenorganisationen. Während sie weiter von Sozialismus und der Diktatur des Proletariats sprachen und internationalistische Phrasen droschen, entwickelte sich ihre Praxis hin zu einer Unterstützung des Nationalstaats. Auf der Basler Konferenz 1912, unter dem Eindruck zunehmender Widersprüche des Weltimperialismus und der Unvermeidlichkeit eines Weltkriegs, beschloss die Zweite Internationale den Kampf mit allen Mitteln, einschließlich Generalstreik und Bürgerkrieg, wider den Versuch, die Arbeiter in ein sinnloses Schlachten im Krieg der führenden Nationen gegeneinander zu werfen.
1914 kamen die Führer der Sozialdemokratie in nahezu allen Ländern ihrer eigene herrschenden Klasse zur Hilfe im Ersten Weltkrieg. Diese Krise und der Verrat an den Prinzipien des Sozialismus war derart unerwartet, dass selbst Lenin glaubte, dass es sich bei der Ausgabe des Vorwärts, des Zentralorgans der SPD, welche die Unterstützung der Kriegskredite enthielt, um eine Fälschung des deutschen Generalstabs handelte. Die Internationale kollabierte schmählich unter ihrer ersten ernsten Belastungsprobe.
Lenin und die Bolschewiki, zusammen mit Rosa Luxemburg, Leo Trotzki und anderen Führern der Bewegung arbeiteten daraufhin an der Organisierung der Dritten Internationalen als Mittel zur Befreiung der Menschheit von den Fesseln des Kapitalismus.
Was war die Dritte Internationale?
Nach dem Zusammenbruch der Zweiten Internationale wurden Lenin, Trotzki, Liebknecht, Luxemburg, MacLean, Connolly und andere zu Führern nurmehr kleiner Gruppen reduziert. Die Internationalisten der Welt von 1916, so scherzten die Teilnehmer der Zimmerwald-Konferenz (abgehalten 1915), konnten in wenigen Kutschen untergebracht werden. Der unerwartete Verrat der Zweiten Internationale führte zu einer Situation, in welcher die Internationalisten, isoliert und schwach, zu linksradikalen Positionen tendierten. Um sich von „Sozialpatrioten“ und „Verrätern am Sozialismus“ zu differenzieren, waren sie gezwungen die fundamentalen Prinzipien des Marxismus darzulegen: Die Verantwortlichkeit des Imperialismus für den Krieg, das Selbstbestimmungsrecht der (unterdrückten) Nationalitäten, die Notwendigkeit der Machteroberung, der Bruch mit der Politik des Reformismus in der Praxis. Lenin deklarierte, dass die Idee, dass der Erste Weltkrieg ein Krieg zur Beendigung aller Kriege sei, ein bösartiges Märchen der Reformisten ist. Wenn auf den Krieg nicht mehrere erfolgreiche Revolutionen folgten, würde es in der Folge zu einem zweiten, einem dritten, sogar einem zehnten Weltkrieg bis zur Ausrottung der Menschheit kommen. Das Blut und das Leid in den Schützengräben für den Profit der Millionäre und Monopolisten würde unweigerlich ein Aufbäumen der Arbeiter und Bauern gegen das kolossale Schlachten provozieren.
Diese Thesen bewiesen ihre Gültigkeit in der Russischen Revolution von 1917 unter der Führung der Bolschewiki. Eine Reihe von Revolutionen und revolutionärer Situationen folgten dieser zwischen 1917 und 1921. Die jungen Kräfte der Internationale, welche 1919 offiziell gegründet wurde, waren jedoch schwach und unerfahren. Demgemäß waren sie, trotz der Welle an Radikalisierung und der Gründung von kommunistischen Massenparteien, welche die Folge der Revolution in Russland waren, zu schwach, um aus der Situation Profit zu schlagen. Die erste Welle an Radikalisierung ließ die Massen zu ihren traditionellen Organisationen blicken. Aufgrund ihrer Unerfahrenheit, einem Mangel an Verständnis für die marxistische Theorie, Methode und Organisation, wie auch durch ihre Unreife, waren die jungen kommunistischen Parteien unfähig Nutzen aus der günstigen Lage zu ziehen. Darum war es dem Kapitalismus möglich, sich temporär zu stabilisieren.
In der revolutionären Situation, in der Deutschland 1923 sich befand, wurde die Möglichkeit der Machtergreifung aufgrund der Politik der Führung verpasst. In der Folge eilte der Imperialismus dem deutschen Kapitalismus, aus Furcht vor dem Bolschewismus im Westen, zur Hilfe. Das bereitete, aufgrund ihrer Isolation und Rückständigkeit sowie der Zersetzung und Verrottung der Dritten Internationale, den Weg für die Degeneration der Sowjetunion.
1923 sehen wir den Beginn einer Konsolidierung der stalinistischen Bürokratie und ihre Usurpierung der Macht in der Sowjetunion. Ein ähnlicher Prozess wie derjenige der Degeneration der Zweiten Internationale über Jahrzehnte fand in der Sowjetunion in einer kurzen Zeitspanne statt. Nach der Machteroberung in einem rückständigen Land waren die Marxisten in der Erwartung der internationalen Revolution als einziger Lösung der Probleme der Arbeiter Russlands und der Welt. 1924 jedoch tritt Stalin hervor als Ausdruck einer Bürokratie, die sich über die Massen der Arbeiter und Bauern erhoben hat.
Anstatt die Ideen von Marx und Lenin bezüglich der Leitung der Industrie und Regierung durch die Bevölkerungsmassen umzusetzen, behielten sie die Kontrolle über Regierungsgewalt, Wissenschaft und Kunst. Die Partikularinteressen der privilegierten Schichten traten in den Vordergrund. Im Herbst 1924 brachte Stalin zum ersten Mal, der Tradition des Marxismus und Bolschewismus zuwiderhandelnd, die utopische Theorie des „Sozialismus in einem Land“ heraus. Die Internationalisten unter Trotzki kämpften gegen diese Theorie und sagten voraus, dass sie zum Zusammenfall der Kommunistischen Internationale und zur nationalistischen Degenration ihrer Sektionen führen werde.
Theorie ist keine Abstraktion, sondern eine Anleitung zum Kampf. Wenn Theorien die Unterstützung der Massen erhalten müssen sie den Interessen und dem Drängen von Gruppen, Kasten oder Klassen der Gesellschaft entsprechen. Folglich repräsentierte die Theorie des „Sozialismus in einem Land“ die Ideologie der herrschenden Kaste der Sowjetunion, der Schicht an Bürokraten, die mit den Ergebnissen der Revolution zufrieden und nicht an einer Störung ihrer privilegierten Position interessiert waren. Es war diese Perspektive, die jetzt anfing die Kommunistische Internationale von einem Instrument der internationalen Revolution in ein bloßes Mittel zum Schutz der Sowjetunion, die offenbar fleißig den Sozialismus aufbauen würde, zu verwandeln.
Was war die Linke Opposition?
Nun kam es zum Ausschluss der, sich an den Prinzipien des Internationalismus und Marxismus orientierenden, Linken Opposition aus den kommunistischen Parteien (Dritte Internationale). Die Niederlagen des britischen Generalstreiks 1926 und der Chinesischen Revolution 1925-27 gingen dieser Entwicklung voraus. In dieser Phase war es noch eine Frage der „Fehler“ in der Politik von Stalin, Bucharin und ihren Schergen. Es war eine Frage ihrer Position als Ideologen der privilegierten Schicht und dem enormen Druck des Kapitalismus und Reformismus. Diese Fehler der Führung führten zu desaströsen Niederlagen der Bewegung des Proletariats in anderen Ländern.
Nachdem Stalin und seine Klicke sich durch eine konziliante Politik gegenüber den Reformisten und der kolonialen Bourgeoisie im Westen die Finger verbrannt hatten schwenkten sie über zu einer linksextremen Position. Dabei zogen sie die Führung der Komintern mit sich. Sie spalteten die deutschen Arbeiter, anstatt für eine Einheitsfront gegen den aufstrebenden Faschismus einzustehen. Somit bereiteten sie durch die Paralysierung des deutschen Proletariats den Weg für Hitlers Sieg. Die Degeneration der Sowjetunion und der Verrat der Dritten Internationale ebneten den Weg für die Verbrechen und den Verrat der stalinistischen Konterrevolution in der Sowjetunion.
Abseits von der Verstaatlichung der Produktionsmittel, des Außenhandelsmonopols und der Planwirtschaft blieb nichts vom Erbe des Oktobers. Die Säuberungen und der einseitige Bürgerkrieg in der Sowjetunion gegen die Linke Opposition hatten ihre Wiederspiegelung in der Komintern. Der Sieg Hitlers und die Niederlagen in Spanien und Frankreich waren die Resultate dieser Entwicklung. Von 1924 bis 1927 stützte sich Stalin auf eine Allianz mit den Kulaken und den strikten Verfechtern der Neuen Ökonomischen Politik in der Sowjetunion zum „Aufbau des Sozialismus im Schneckentempo“. Zur gleichen Zeit stand der Stalinismus im Ausland für eine „Neutralisierung“ der Kapitalisten und für Besänftigung der Sozialdemokraten, um die Kriegsgefahr abzuwenden. Die Niederlage der Linken Opposition, welche ein Programm der Rückkehr der Arbeiterdemokratie und der Einführung von Fünfjahresplänen verfocht, wurde durch die, von der stalinistischen Politik verursachten, internationalen Niederlagen des Proletariats verursacht.
Vom unterwürfigen Kriechen vor den Sozialdemokraten und anderen internationalen „Freunden der Sowjetunion“ schwang sich die Komintern zur Politik der „Dritten Periode“. Die Rezession 1929-33 sei die „letzte Krise des Kapitalismus“. Faschismus und die Sozialdemokratie seien Zwillinge. Diese „Theorien“ planierten den Weg für furchtbare Niederlagen der internationalen Arbeiterklasse.
Zur selben Zeit gewannen die Positionen der Linken Opposition die Unterstützung der fortgeschrittensten Elemente in Russland und den wichtigsten kommunistischen Parteien der Welt. Die Lehren des Oktober, ein Werk von Leo Trotzki, behandelt die Lehren der gescheiterten deutschen Revolution von 1923. Die Konsequenz des Programms der Linken Opposition zuhause und im Ausland waren Ausschlüsse, nicht nur in der russischen Partei sondern in allen wichtigen Sektionen der Internationale. Es gab eine Zunahme von Oppositionsgruppen in Deutschland, Frankreich, Britannien, Spanien, den USA, Südafrika und anderen Ländern. Das Programm der Opposition war zu dieser Zeit orientiert an einer Reform in der Sowjetunion und der Internationalen sowie die Annahme einer korrekten Politik gegen den Opportunismus der Periode 1923-27 wie auch der Zeit von 1927 bis 1933.
Diese Spaltungen, wie Engels in anderem Kontext bemerkte, waren eine gesunde Entwicklung im Sinne eines Versuchs, die besten Traditionen des Bolschewismus und die Ideale der Komintern zu erhalten. Die Krise der Führung war die Krise der Internationale und der ganzen Menschheit. Diese Spaltungen waren also ein Mittel zur Erhaltung der Ideen und Methoden des Marxismus. In dieser ersten Periode der Existenz der Linken Opposition, sah sie sich, trotz ihres Ausschlusses, als Sektion der Komintern und stand für eine Reform der Internationale.
Die Massen, sogar die fortgeschrittensten Schichten des Proletariats, lernen nur durch die Lehre großer Ereignisse. Die ganze Geschichte zeigt, dass die Massen niemals ihre alten Organisationen aufgeben, bevor diese durch die Feuerprobe der Geschehnisse geprüft wurden. Bis 1933 setzte sich der marxistische Flügel der Internationale für die Reform der Sowjetunion und der Komintern ein. Ob sie taugliche Organisationen wären, würde sich durch den Test an der Geschichte zeigen. So hielt sich die Linke Opposition, obwohl formell außerhalb der Partei, hartnäckig an der Internationale fest.
Die Machteroberung Hitlers in Deutschland und die Weigerung der Komintern, aus ihrer Niederlage zu lernen, legten die Unfähigkeit offen, dass sie ein Instrument der Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus sein könne. Fern einer Analyse der fatalen Politik des „Sozialfaschismus“, deklarierten die Sektionen der Komintern, der Sieg Hitlers sei ein Sieg der Arbeiterklasse. 1934 setzten sie dieselbe suizidale Politik, die vereinten Aktion mit den Faschisten gegen die „Sozialfaschisten“ und den „Radikalfaschisten“ Daladier, in Frankreich fort. Wäre das erfolgreich gewesen, hätte es dem Aufstieg einer faschistischen Gruppe in Frankreich den Weg geebnet.
Was war die Vierte Internationale?
Der Verrat der Dritten Internationale und die schrecklichen Folgen von Hitlers Sieg führten zu einer Neubewertung der Rolle der kommunistischen Internationale. Eine Internationale, welche den Verrat beging, das deutsche Proletariat Hitler auszuliefern, ohne dass ein einziger Schuss fiel, konnte nicht weiter den Interessen der Arbeiterklasse dienen. Eine Internationale, welche dieses Desaster als Sieg feierte, konnte nicht ihrer Rolle als Führerin des Proletariats gerecht werden. Als Instrument des Weltsozialismus war die Dritte Internationale tot. Von einem Instrument des internationalen Sozialismus war die Komintern zu einem sanftmütigen Werkzeug des Kremls, zu einem Instrument der russischen Außenpolitik, degeneriert. Nun war es notwendig, einer Vierten Internationale den Weg zu bereiten, ungetrübt von den Verbrechen und Verraten, welche sowohl die reformistische als auch die stalinistische Internationale beschmierten.
Wie zu der Zeit nach dem Kollaps der Zweiten Internationale waren die übrigen revolutionären Internationalisten nurmehr kleine Sekten. In Belgien hatte sie einige Parlamentarier und eine Organisation von ein oder zwei Tausend, in Österreich und Holland genauso. Die Kräfte der neuen Internationale waren schwach und unreif. Nichtsdestotrotz hatten sie die Führung und Unterstützung Trotzkis und die Perspektive großer historischer Ereignisse. Sie wurden ausgebildet auf der Grundlage einer Analyse der Erfahrungen der Zweiten und Dritten Internationale, der russischen, deutschen und chinesischen Revolutionen, des britischen Generalstreiks und der großen Ereignisse, die auf den Ersten Weltkrieg folgten. So wurden die Kader ausgebildet. Sie waren das unentbehrliche Skelett des Körpers der neuen Internationale.
Es war diese Periode der historischen Isolation von den sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien, in welcher die Taktik des Entrismus entwickelt wurde. Um die besten Arbeiter zu gewinnen, musste ein Weg gefunden werden, sie zu beeinflussen. Das konnte nur durch eine Zusammenarbeit mit ihnen in den großen Massenorganisationen erreicht werden. Beginnend mit der ILP in Großbritannien wurde die Idee des Entrismus für Massenorganisationen ausgearbeitet, welche sich in der Krise befinden und nach links bewegen. So trat man mit einer sich entwickelnden revolutionären Situation in Frankreich in die Sozialistische Partei ein. In Großbritannien, wo sich die ILP nach ihrer Abspaltung von der Labour Party in einem Stadium der Veränderung und Zerstreuung befand, traten viele Trotzkisten auf dessen Ratschlag hin in die Labour Party ein. In den USA trat man in die Socialist Party ein.
Die Vorkriegszeit war hauptsächlich eine Periode der Vorbereitung und Orientierung. Kader und führende Elemente wurden ausgebildet und theoretisch und praktisch in der Bewegung der Massen gestählt.
Die Taktik des Entrismus wurde auch als eine kurzfristige Maßnahme angesehen, welche den Revolutionären durch ihre Isolation von den Massen und der Unfähigkeit kleiner Organisationen deren Gehör und Unterstützung zu finden, aufgezwungen wurde. Der Entrismus hatte das Ziel, unter den radikalen Elementen, die nach einer revolutionären Lösung suchten, sich jedoch zuerst an die Massenorganisationen wendeten, zu arbeiten. Dabei aber sollten immer, unter allen Umständen, die zentralen Ideen des Marxismus vorgebracht und das revolutionäre Banner, also die Ideen des Marxismus, erhalten und verteidigt werden. Es ging darum, Erfahrung und Verständnis zu sammeln, sowohl Sektierertum als auch Opportunismus zu bekämpfen. Die Taktik war ein Mittel, einen flexiblen, in den Prinzipien unerbittlichen Ansatz zu entwickeln, um die Kader für die bevorstehenden großen Ereignisse zu rüsten.
Die Niederlagen der Arbeiterklasse in Deutschland, Frankreich und im Spanischen Bürgerkrieg, die Niederlagen der unmittelbaren Nachkriegsperiode, welche vollends der Politik der Zweiten und Dritten Internationale anzulasten sind, bereiteten ihrerseits den Weg für den Zweiten Weltkrieg. Durch die Paralysierung des europäischen Proletariats einerseits und der sich verschlimmernden Krise des Weltkapitalismus wurde der Zweiter Weltkrieg absolut unvermeidlich. In dieser Atmosphäre fand 1938 die Gründungskonferenz der Vierten Internationale statt.
Welche Perspektive hatte Trotzki für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg?
Das auf der Gründungskonferenz der Vierten Internationale beschlossene Dokument enthielt in sich Anzeichen für die Ursachen ihrer Gründung. Das Übergangsprogramm der Vierten Internationale ist verbunden mit der Idee der Massenarbeit, welche selbst wiederum verknüpft ist mit der Idee der Sozialistischen Revolution durch Übergangsforderungen, basierend auf der tagesaktuellen widersprüchlichen Realität. Im Gegensatz zum Minimal- und Maximalprogramm der Sozialdemokratie wird die Idee eines Übergangsprogramms, des Übergangs vom Kapitalismus zur Sozialistischen Revolution, aufgestellt. Das deutet darauf hin, dass die Epoche als eine der Kriege und Revolutionen eingeschätzt wurde. Also musste die ganze Arbeit mit der Idee der Sozialistischen Revolution verknüpft sein.
Trotzkis Perspektive war ein neuer Krieg, welchem Revolutionen folgen würden. Das Problem des Stalinismus würde auf die eine oder andere Weise gelöst werden. Entweder die Sowjetunion würde durch eine politische Revolution gegen den Stalinismus wiederbelebt, oder der Sieg der Revolution einem der wichtigen Länder würde die Situation auf Weltebene lösen. Mit dem Sieg der proletarischen Revolution würde das Problem der stalinistischen und der reformistischen Internationale von den Ereignissen selbst gelöst.
Obwohl diese Prognose ein fundamentales Verständnis der Prozesse der Klassengesellschaft offenbart, wurde sie von den Ereignissen nicht bestätigt. Aufgrund spezifischer militärischer und politischer Geschehnisse während des Krieges, wurde der Stalinismus temporär gestärkt. Die revolutionäre Welle in Europa während und nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde von den Stalinisten schlimmer verraten als jene, welche auf den Ersten Weltkrieg folgte, von der Zweiten Internationale.
Der Hintergrund für Trotzkis streben nach der Gründung der Vierten Internationale 1938 war der Kollaps von Stalinismus und Reformismus als revolutionärer Tendenzen in der Arbeiterklasse. Beide waren zu enormen Hindernissen im Weg zur Emanzipation der Arbeiter geworden, nicht mehr fähig das Proletariat zum Sieg der Sozialistische Revolution, zum Sturz des Kapitalismus zu führen.
Die Frage der Gründung neuer Parteien, einer neuen Internationale, war in der unmittelbaren Perspektive angelegt. Ein neuer Weltkrieg würde eine neue Welle revolutionärer Wellen sowohl in den Metropolen des Kapitals als auch in den Kolonien hervorrufen. Die Probleme des Stalinismus in Russland und der Welt würden durch diese revolutionäre Perspektive gelöst. Unter diesen Umständen war es dringend erforderlich, sich organisatorisch und praktisch auf die kommenden Ereignisse vorzubereiten. 1938 prognostizierte Trotzki, dass in zehn Jahren nichts von den alten Verräter-Organisationen übrig sein, dass die Vierte Internationale die entscheidende revolutionäre Kraft des Planeten würde. Grundsätzlich war nichts falsch mit dieser Analyse, aber jede Prognose ist bedingt. Die Vielfalt der Faktoren, ökonomisch, politisch, sozial, können immer zu anderen Entwicklungen führen als vorausgesagt. Die Schwäche der revolutionären Kräfte spielte tatsächlich eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der internationalen Politik. In der Abwesenheit Trotzkis, der 1940 von einem stalinistischen Agenten im mexikanischen Exil ermordet worden war, ohne dessen Führung, interpretierten die sogenannten Führer der Vierten Internationale unglücklicherweise dessen Thesen als wortwörtlich korrekt.