SPÖ und ÖVP haben sich auf eine Große Koalition geeinigt. Das Regierungsprogramm sieht in allen wesentlichen Fragen eine Fortsetzung des von Schwarz-Blau-Orange vorgegebenen Kurses vor. Die SPÖ gibt sich wieder als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus her und hilft bei der Verabreichung weiterer bitterer Pillen.
Drei Monate hatten die Regierungsverhandlungen gedauert. Einige Zeit lang schien die ÖVP nicht bereit, einem SP-Kanzler Gusenbauer die Unterstützung zu geben. Aus taktischen Gründen und wohl aus Angst eine SP-Minderheitsregierung, die einige Zeit lang im Raum stand, könnte eine gefährliche politische Dynamik auslösen, kehrte sie an den Verhandlungstisch zurück. Gusenbauer und seine Vertrauten an der Parteispitze bedankten sich mit einem einzigartigen Ausverkauf der eigenen Wahlversprechen.
Die Stimmen für die SPÖ waren in erster Linie Stimmen gegen die Politik der Bürgerblockregierung. Die ÖVP, die in den letzten Jahren uneingeschränkt mit ihren Anhängseln aus dem dritten Lager regiert hatte, war am 1. Oktober abgestraft worden. Die ArbeiterInnen, Arbeitslosen, Jugendlichen, PensionistInnen, die rot gewählt haben, erhalten nun ein schwarzes Programm. Die SPÖ hat schon in den letzten Jahren als Oppositionspartei und dann auch im Wahlkampf alles getan, um möglichst wenig Erwartungen in eine SPÖ-geführte Regierung zu wecken. Trotzdem erwarteten sich viele Menschen zumindest in Teilfragen einen Kurswechsel: Die Abschaffung der Studiengebühren, Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und die Armut, eine Abschwächung der Pensionsreform“…
Doch selbst diese beschränkten sozialen Reformen war die SPÖ-Führung auf dem Altar der Großen Koalition zu opfern bereit. In einem Leserbrief schrieb uns ein Gewerkschaftssekretär aus Oberösterreich: „Eine sozialdemokratische Handschrift ist mit freiem Auge nicht zu erkennen.“ Die SPÖ pflegte einmal mehr ihr Image, dass sie für ein paar Ministerposten auch die Hosen runterlässt oder noch im Liegen umfällt, wie es ein Kabarettist in weiser Voraussicht formulierte.
Bittere Pillen
Die Studiengebühren bleiben. Wer neben Studium und Brotjob noch Zeit und Muße hat, darf sich bei „gemeinnützigen Arbeiten im Sozialbereich“ um eine Abarbeitung der Gebührenlast versuchen. Der vorgesehene Stundenlohn 6″05 Euro. Das perfekte Konzept zur Schaffung billiger Arbeitskräfte.
Dafür dass der Fluss an billigen Arbeitskräften auch sonst nicht versiegt, sorgen die geplanten Maßnahmen gegen Arbeitslose (z.B. Streichung der Arbeitslosenunterstützung für Pfuscher) und das Kleingedruckte zur Regelung um eine Mindestsicherung. Was unter diesem Titel von SPÖ und ÖVP als großer Wurf bei der Armutsbekämpfung gepriesen wird, ist nichts anderes als das österreichische Modell von Hartz IV. Die Erhöhung der „Arbeitswilligkeit“ durch zunehmenden Druck auf die Arbeitslosen soll die Arbeitskräfte den Bedürfnissen der Unternehmer entsprechend zurichten.
Die Höchstarbeitszeit für 24 Wochen pro Jahr wird auf 12 Stunden/Tag bzw. 60 Stunden/Woche hinaufgesetzt. Das ist eine schrittweise Abschaffung des 8-Stunden-Tags. Der Kampf gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit schaut so aus, dass man den Kündigungsschutz für Lehrlinge abschaffen will. In der Arbeitsmarktpolitik kommt man somit den Forderungen der Wirtschaft nach.
Zur Finanzierung der Gesundheitsreform wird weiter eingespart und die Versicherungsbeiträge sollen angehoben werden. Eine Einführung einer Wertschöpfungsabgabe und selbst eine Anhebung der Höchstbemessungsgrundlage scheiterten am Veto der ÖVP.
Die Privatisierungspolitik bleibt, die Pensionsreform bleibt. Der staatliche Rassismus bleibt. Die Militarisierung der österreichischen Außenpolitik bleibt. Den vielen Verschlechterungen und Scheinkompromissen stehen nur wenige geplante Verbesserungen gegenüber, wie die bessere soziale Absicherung für freie DienstnehmerInnen, die Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen im Pflichtschulbereich oder die Wahlaltersenkung auf 16.
Und bei der Verteilung der Ministerien bringt ebenfalls einen eindeutigen Erfolg für die ÖVP. Die Schlüsselministerien (Finanzen, Innen, Außen) bleiben in schwarzer Hand. Aber Hauptsache Gusenbauer ist Kanzler…
Wie weiter?
Gusenbauer entschuldigt sein Vorgehen damit, dass im Parlament SPÖ und ÖVP ungefähr gleich stark sind. Einmal mehr wird die arithmetische Logik vorgeschoben, um die eigene Passivität und Unterordnung unter die Bürgerlichen zu rechtfertigen.
Bis zuletzt war das Konzept einer Großen Koalition in der Sozialdemokratie heftig umstritten. Immer wieder wurde der Ruf nach einer SP-Minderheitsregierung laut. Gerade in den Gewerkschaften ist die Begeisterung angesichts dieses Regierungsprogramms enden wollend. In den Jugendorganisationen, allen voran der SJ, herrscht großer Unmut. Der „Kompromiss“ bei den Studiengebühren erhärtet diese Stimmung.
Jetzt muss der Widerstand gegen den politischen Ausverkauf durch die SPÖ konkrete Formen annehmen. In den nächsten Tagen organisiert die SJ in mehreren Städten Protestaktionen vor den SP-Zentralen. Wie im Jahr 2000 soll es auch diesmal am Tag der Angelobung eine große Demonstration gegen diese Regierung geben. Das Koalitionsabkommen muss auf alle Fälle einem Sonderparteitag unterzogen werden. In den Sektionen, Bezirksausschüssen usw. muss es Diskussionen über die neue Regierung geben. Protestresolutionen müssen zur Abstimmung gebracht werden. Am kommenden ÖGB-Kongress muss die Diskussion im Mittelpunkt stehen, wie die ArbeiterInnenbewegung die angekündigten Angriffe abwehren und einen wirklichen politischen Kurswechsel erkämpfen kann. Vom ersten Tag an muss diese Regierung den Druck von unten zu spüren bekommen. In den Betrieben, Schulen und Unis muss die Mobilisierung gegen weiteren Sozialabbau organisiert werden.
Für die Vernetzung aller kritischen Kräfte in der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften!
Für den Aufbau einer starken sozialen Protestbewegung!
Nein zur Großen Koalition und ihrer Politik im Interesse des Kapitals!