Inhalt:
Lied der Galgenvögel (Bertolt Brecht)
Gegen Verführung (Bertolt Brecht)
Die Macht der Arbeiter (Bertolt Brecht)
Das Lied von der Suppe (Bertolt Brecht)
Das Lied von der Suppe (Bertolt Brecht)
Die drei Soldaten und die Reichen (Bertolt Brecht)
Die drei Soldaten und der Klassenkampf (Bertolt Brecht)
Ich, der ich nichts mehr liebe (Bertolt Brecht)
Solidaritätslied (Bertolt Brecht)
Lob der Dialektik (Bertolt Brecht)
An die Nachgeborenen (Bertolt Brecht)
Das Lied vom Klassenfeind (Bertolt Brecht)
Sonett der Emigration (Bertolt Brecht)
Lied der Galgenvögel (Bertolt Brecht)
Dass euer schlechtes Brot uns nicht tut drunken
Spüln wir’s hinab mit eurem schlechten Wein-
Dass wir uns ja nicht schon zu früh verschlucken.
Auch werden einst wir schrecklich durstig sein.
Wir lassen euch für eure schlechten Weine
Neidlos und edel euer Abendmahl…
Wir haben Sünden. – Sorgen han wir keine.
Ihr aber habt dafür eure Moral.
Wir stopfen uns den Wanst mit guten Sachen
Das kost‘ euch Zähren viel und vielen Schweiß.
Wir haben oft das Maul zu voll zum Lachen
Ihr habt es oft zu voll vom Kyrieleis.
Und hängen wir einst zwischen Himmel und Boden
Wie Obst und Glocken, Storch und Jesus Christ
Dann, bitte, faltet die geleerten Pfoten
Zu einem Vater Eurer, der nicht ist.
Wir haun‘ zusammen wonnig eure Frauen
Und ihr bezahlt uns heimlich eure Schmach…
Sie werden mit Wonne zusammengehauen
Und laufen uns noch in die Kerker nach.
(…)
Sie heben ihre Augen bis zum Himmel
Und ihre Röcke bis zum Hinterteil.
Und ist er frech, so macht der Dümmste Lümmel
Bloß mit dem Adamsapfel sie schon geil.
Dein Rahm der Milch schmeckt schließlich nicht ganz übel
Besonders wenn du selbst ihn für uns kaufst
Wir tauchen dir das Schöpflein in den Kübel
Dass du in der entrahmten Milch versaufst…
Konnt in den Himmel uns der Sprung nicht glücken
War eure Welt uns schließlich einerlei.
Kannst du herauf schauen, Bruder mit dem krummen Rücken?
Wir sind frei, Bruder, wir sind frei!
Gegen Verführung (Bertolt Brecht)
Lasst euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Ihr könnt schon Nachtwind spüren:
Es kommt kein Morgen mehr.
Lasst euch nicht betrügen!
Das Leben wenig ist.
Schlürft es in schnellen Zügen!
Es wird euch nicht genügen
Wenn ihr es lassen müsst!
Lasst euch nicht vertrösten!
Ihr habt nicht zu viel Zeit!
Lasst Moder den Erlösten!
Das Leben ist am größten:
Es steht nicht mehr bereit.
Lasst euch nicht verführen
Zu Froh und Ausgezehr!
Was kann euch Angst noch rühren?
Ihr sterbt mit allen Tieren
Und es kommt nichts nachher.
Die Macht der Arbeiter (Bertolt Brecht)
An einem bestimmten Tag in ganz Spanien
Legten die Arbeiter die Betriebe still. Die Eisenbahnen
Standen kalt auf den Schienen. Ohne Licht
Lagen Häuser wie Straßen, die Telefone
Waren ein Haufen Blech ohne Nutzen. Es konnten
Nicht mehr die Schieber die Polizisten bestellen. Satt dessen
Redeten die Massen mit sich. Drei Tage lang
Zeigten sich die Bediener der großmächtigen Apparate
Ihre Beherrscher. Die Arbeiter, nicht mehr arbeitend
Zeigten ihre Macht. Der fruchtbare Acker
War plötzlich nichts mehr als ein steiniger Boden. Niemanden
Wärmte die unverarbeitete Wolle, den die Kohle
Im Schacht nicht mehr wärmt. Selbst der Stiefel der Polizisten
Würde zerfallen und keinen Nachfolger mehr finden.
Dann Brach Uneinigkeit die Kraft des Aufstandes, aber selbst da
Noch die Befehle der Bonzen, den Streik zu beenden
Tagelang nicht zu den Massen gelangten; es standen ja
Ohne Dampf die Lokomotiven und verlassen die Posthäuser. Also selbst da noch
Zeigte sich die große Macht der Arbeiter.
Das Lied von der Suppe (Bertolt Brecht)
Wenn du keine Suppe hast
Willst du dich da wehren?
Da musst du den ganzen Staat
Von unten nach oben umkehren
Bis du deine Suppe hast.
Dann bist du dein eigener Gast.
Wenn für dich keine Arbeit zu finden ist
Da musst du dich doch wehren!
Da musst du den ganzen Staat
Von unten nach oben umkehren
Bis du dein eigener Arbeitgeber bist.
Worauf für dich die Arbeit vorhanden ist.
Wenn man über eure Schwäche lacht
Dürft ihr keine Zeit verlieren
Da müsst ihr euch kümmern drum
Dass alle, die schwach sind marschieren
Dann seid ihr eine große Macht.
Worauf keiner mehr lacht.
Kinderlied (Bertolt Brecht)
Beiß, Greifer, beiß
Die Kohle hat‘ nen Preis
Die Kohle, die ist schon bestellt
Der Millionär braucht wieder Geld
Das kostet uns viel Schweiß
Beiß, Greifer, beiß.
Die Kohle, die sauft Schweiß
Ohne Schweiß kein Preis!
Wenn ich mal zu lang scheißen tu
Dann steigt der Kohlenpreis im Nu
Bei Kind und Mann und Greis
Das Wasser, das ist Schweiß.
Die drei Soldaten und die Reichen (Bertolt Brecht)
Die Reichen saßen in ihrem schönen Haus
Und sagten laut: Der Krieg ist aus.
Das war natürlich gar nicht wahr:
Der Krieg auf dem Papier war gar
Aber genau wie in den Kriegen
Starben die Leute wie die Fliegen
Und die Leute waren noch gar nicht alt
Da kam schon der Tod in vieler Gestalt.
Und zwar kam der Tod zu den ärmeren Leuten
Sie wussten schon gar nicht mehr, was das bedeutet
Sollte, denn was immer sie taten
Immer kamen die Soldaten.
Selbst wenn sie sich alles gefallen ließen
Kamen die Drei mit dem Erschießen
So dass sie bald nicht mehr ein noch aus wussten.
Es hießen die Drei aber Hunger, Unfall und Husten.
Das Elend war ganz riesig schon
Da kam eines Tages die Kommission
Zum lieben Gott der armen Leute.
Das saß wie gewöhnlich so auch heute
Mit den reichen Leuten gerade zu Tisch.
Und nunmehr zwischen Suppe und Fisch
Wurde Gott von der Kommission gebeten
Dem Elend der Welt entgegenzutreten.
Ihr hättet sehen sollen, was
Da vor sich ging! Das war kein Spaß:
Die reichen Leute wurden ganz blass
Die liebe Gott trinkt überhaupt sein Glas nicht aus
Und bittet die reichen Leute in sein Haus
Wo er sofort den Antrag stellt
Dass das Elend entfernt werde aus dieser Welt.
Sagten die Reichen von Mitleid voll:
„Soll man das Elend entfernen? Man soll.“
Nun, denken sie weiter (die denken scharf)
Dass es natürlich nichts kosten darf.
Und bei den Kosten angekommen
Haben sie sich gleich zusammengenommen
Und sie schauten einander an und sagten:
„Man muss das Elend leider ertragen.
Leider (man muss da wieder scharf denken)
Braucht man das Elend, um die Löhne zu senken“
Da beschlossen die Reichen messerscharf
Dass das Elend nicht entfernt werden darf.
Aber sie kamen dem lieben Gott entgegen
Und ließen sich zu einem anderen Antrag bewegen:
„Du kannst das Elend nicht aufheben
Da müssen wir ja unser Geld hergeben
Du, das ist nichts für unser Ohr
Da schlagen wir dir was anderes vor:
Das Elend bleibt so wie es war.
Du kannst es nicht ausrotten ganz und gar
Aber du machst es unsichtbar!“
Das Elend sollte also zwar weiterbestehen
Aber man sollte das Elend nicht mehr sehen.
Da sagte der liebe Gott nicht nein
Und sah alles wieder ein:
„Ich kann es nicht ausrotten ganz und gar
Gut, da mach ich es unsichtbar.“
Und von der Stund an, das ist wahr
War das Elend unsichtbar.
Dass die Reichen und ihr Gott das so machen
Das beweisen die Tatsachen:
In unseren Städten trotz ihres elektrischen Lichts
Sieht man von ihrem Elend fast nichts.
Die drei Soldaten und der Klassenkampf (Bertolt Brecht)
Als Gott aus der Welt war
Da war auch nichts mehr unsichtbar.
Und alsbald wurde laut, was schwieg
Der Frieden wurde sichtbar als ein Krieg.
Die Stadt in grauem Nebel lag
Es war ein gewöhnlicher Vormittag.
Die drei Soldaten gingen durch die Straßen
Sie hatten ihre Gewehre unter der Brücke gelassen
Das hatten sie plötzlich eine Vision:
Sie hörten auf einmal einen Kanon.
Durch das Autohupen und Trambahnrollen
Durch das sausen der U-Bahnstollen
Drang plötzlich Kanonendonner an ihr Ohr.
Doch war nichts anders als zuvor.
Die Leute gingen ruhig wie gewöhnlich über den Damm
Ihrem Geschäft nach, da war es gleichsam
Als sie plötzlich schneller jetzt
So als würden sie gehetzt
So als ob hinter ihnen her
Schösse ein richtiges Maschinengewehr
(Das schoss ohne Soldaten)
Da fielen sie auch schon um in Schwaden.
Die Häuser standen eben noch ruhig dort
Da waren plötzlich die Mauern fort
Und hinter der verschwundenen wand
War ein blutiger Krieg entbrannt.
Da wälzten sich Menschenknäuel im Kampf
Von unten nach oben ging durch die Häuser ein Krampf.
Und ohne zu reden und ohne zu schreien
Hiebe sie aufeinander ein!
Da kamen auch schon von den Enden der Straßen
Bis an die Zähne bewaffnete Massen
Die kämpften über und untere dem Boden
Und füllten die Stadt mit Krüppeln und Toten.
Aber ohne dass sich im täglichen Leben der Städte
Irgendetwas geändert hätte.
Zwischen Trambahnklingeln und Autohupen
Schlachteten sich still die Gruppen
Und jeder Mensch in Restaurant, bahn, Büro
Wurde bekämpft und kämpfte so.
Und mit jeder tat und mit jedem Wort
Führte er den Kampf der Klassen fort:
Es kämpfte mit dem Messer
Der Koch mit dem Esser
Der Arzt kämpfte mit den Kranken
Der schlug dem Wärter die Zähne in die Flanken
Der Hauswirt legte dem Mieter Schlingen
Der Mieter versuchte, ihn umzubringen.
Es rangen Richter und Angeklagte
Der Lehrer bekämpfte den, der fragte.
Der Schreiber mit dem Leser
Der Verweste mit dem Verweser:
Es war ein ungeheurer Krieg
Der kannte Opfer, doch keinen Sieg.
Als die drei Soldaten das so sahen
Da war’s, als hielte ihr Herzschlag an.
Sie merkten, sie ertrugen’s nicht
Drum wandten sie ab das Gesicht
Und machten ihre Augen zu.
Da war auf einmal wieder Ruh
Die Stadt im grauen Nebel lag
Es war ein gewöhnlicher Vormittag.
Erträgt man nicht die Tatsachen
Dann muss man die Augen zumachen.
Dann sagt man, damit man den Schrecken vergisst
Mitten im Krieg einfach: Dass Frieden ist.
Und es brüllen ja auch keine Kanonen
Wo Menschen in nassen Häusern wohnen.
Man schießt nicht hin mit Geschützen
Wo Menschen vor leeren Tellern sitzen.
Man treibt kein Gelbkreuzgas in Fabriken
Wenn Menschen an der Maschine ersticken.
Sondern man sagt: es ist Frieden.
So wird die Revolution vermieden.
Ich, der ich nichts mehr liebe (Bertolt Brecht)
Ich, der ich nichts mehr liebe
Als die Unzufriedenheit mit dem Änderbaren
Hasse auch nichts mehr als
Die tiefe Unzufriedenheit mit dem Unveränderlichen.
Solidaritätslied (Bertolt Brecht)
Auf, ihr Völker dieser erde!
Einigt euch in diesem Sinn:
Dass sie jetzt die euren werde
Und die große Nährerin.
Vorwärts und nicht vergessen
Worin unsre Stärke besteht!
Beim Hungern und beim essen
Vorwärts, nie vergessen
Die Solidarität!
Schwarzer, Weißer, Brauner, Gelber!
Endet ihre Schlächterein!
Reden erst die Völker selber
Werden sie schnell einig sein.
Vorwärts und nicht vergessen
Worin unsre Stärke besteh!
Beim Hungern und beim essen
Vorwärts, nie vergessen
Die Solidarität!
Wollen wir es schnell erreichen
Brauchen wir noch dich und dich.
Wer im Stich lässt seinesgleichen
Lässt ja nur sich selbst im Stich.
Vorwärts und nicht vergessen
Worin unsre Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nie vergessen
Die Solidarität!
Unsre Herrn, wer sie auch seien
Sehen unsre Zwietracht gern
Denn solang sie uns entzweien
Bleiben sie doch unsre Herren.
Vorwärts und nicht vergessen
Worin unsre Stärke besteht!
Beim Hungern und beim Essen
Vorwärts, nie vergessen
Die Solidarität!
Proletarier aller Länder
Einigt euch und ihr seid frei.
Eure großen Regimenter
Brechen jede Tyrannei!
Vorwärts und nie vergessen
Und die Frage konkret gestellt
Beim Hungern und beim Essen:
Wessen Morgen ist der Morgen?
Wessen Welt ist die Welt?
Lob der Dialektik (Bertolt Brecht)
Das Unrecht geht heute einher mit sicherem Schritt.
Die Unterdrücker richten sich ein auf zehntausend Jahre.
Die Gewalt versichert: So, wie es ist, bleibt es.
Keine Stimme ertönt außer der Stimme der Herrschenden
Und auf den Märkten sagt die Ausbeutung laut:
Jetzt beginne ich erst.
Aber von den Unterdrückten sagen viele jetzt:
Was wir wollen, geht niemals.
Wer noch lebt, sage nicht – niemals!
Das Sichere ist nicht sicher.
So, wie es ist, bleibt es nicht.
Wenn die Herrschenden gesprochen haben
Werden die Beherrschten sprechen.
Wer wagt zu sagen: niemals?
An wem liegt es, wenn die Unterdrückung bleibt? An uns.
An wem liegt es, wenn sie zerbrochen wird? Ebenfalls an uns.
Wer niedergeschlagen wird, der erhebe sich!
Wer verloren ist, kämpfe!
Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?
Denn die Besiegten von heute sind die Sieger von morgen
Und aus Niemals wird: Heute noch!
An die Nachgeborenen (Bertolt Brecht)
-1-
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
hat die furchtbare Nachricht
nur noch nicht empfangen.
Was sind das für Zeiten, wo
ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist“
weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
die in Not sind?
Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt.
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin ich verloren.)
Man sagt mir: Iß und trink du! Sei froh, dass du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
ich es dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
ohne Furcht verbringen.
Auch ohne Gewalt auskommen“
Böses mit Gutem vergelten“
seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
-2-
In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung
als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zur Zeit des Aufruhrs
und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war.
Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten.
Schlafen legte ich mich unter die Mörder.
Der Liebe pflegte ich achtlos“
und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit“
die auf Erden mir gegeben war.
Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.
Die Sprache verriet mich dem Schlächter.
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit“
die auf Erden mir gegeben war.
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
lag in großer Ferne.
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit“
die auf Erden mir gegeben war.
-3-
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut“
in der wir untergegangen sind“
gedenkt“
wenn ihr von unsern Schwächen sprecht“
auch der finsteren Zeit“
der ihr entronnen seid.
Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd“
durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
Dabei wissen wir doch:
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
macht die Stimme heiser. Ach, wir“
die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit“
konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es soweit sein wird“
dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist“
gedenkt unserer
mit Nachsicht.
Das Lied vom Klassenfeind (Bertolt Brecht)
-1-
Als ich klein war, ging ich zur Schule
und ich lernte, was mein und was dein.
Und als da alles gelernt war“
schien es mir nicht alles zu sein.
Und ich hatte kein Frühstück zu essen“
und andre, die hatten eins:
Und so lernte ich doch noch alles
vom Wesen des Klassenfeinds.
Und ich lernte, wieso und weswegen
da ein Riss ist durch die Welt?
Und der bleibt zwischen uns, weil der Regen
von oben nach unten fällt.
-2-
Und sie sagten mir: Wenn ich brav bin“
dann werd ich dasselbe wie sie.
Doch ich dachte: Wenn ich ihr Schaf bin“
dann werd ich ein Metzger nie.
Und manchen von uns sah ich“
der ging ihnen auf den Strich.
Und geschah ihm, was dir und was mir geschah“
dann wunderte er sich.
Mich aber, mich nahm es nicht wunder“
ich kam ihnen frühzeitig drauf:
Der Regen fließt eben herunter
und fließt eben nicht hinauf.
-3-
Da hört ich die Trommel rühren“
und alle sprachen davon:
Wir müssten jetzt Kriege führen
um ein Plätzlein an der Sonn.
Und heisere Stimmen versprachen uns
das Blaue vom Himmel herab.
Und herausgefressene Bonzen
schrien: Macht jetzt nicht schlapp!
Und wir glaubten: Jetzt sind’s nur mehr Stunden“
dann haben wir dies und das.
Doch der Regen floss wieder nach unten“
und wir fraßen vier Jahre lang Gras.
-4-
Und einmal, da hieß es auf einmal:
Jetzt machen wir Republik!
Und der eine Mensch ist da dem ändern gleich“
ob er mager ist oder dick.
Und was vom Hungern matt war“
war so voll Hoffnung nie.
Doch was vom Essen satt war“
war hoffnungsvoll wie sie.
Und ich sagte: Da kann was nicht stimmen
und war trüber Zweifel voll:
Das stimmt doch nicht, wenn der Regen
nach aufwärts fließen soll.
-5-
Sie gaben uns Zettel zum Wählen“
wir gaben die Waffen her.
Sie gaben uns ein Versprechen“
und wir gaben unser Gewehr.
Und wir hörten: Die es verstehen“
die würden uns helfen nun.
Wir sollten an die Arbeit gehen“
sie würden das übrige tun.
Da ließ ich mich wieder bewegen
und hielt, wie’s verlangt wurd‘, still
und dachte: Das ist schön von dem Regen“
dass er aufwärts fließen will.
-6-
Und bald darauf hörte ich sagen“
jetzt sei alles schon eingerenkt.
Wenn wir das kleinere übel tragen“
dann würd‘ uns das größere geschenkt.
Und wir schluckten den Pfaffen Brüning“
damit’s nicht der Papen sei.
Und wir schluckten den Junker Papen“
denn sonst war am Schleicher die Reih.
Und der Pfaffe gab es dem Junker“
und der Junker gab’s dem General.
Und der Regen floss nach unten“
und er floss ganz kolossal.
-7-
Während wir mit Stimmzetteln liefen“
sperrten sie die Fabriken zu.
Wenn wir vor Stempelstellen schliefen“
hatten sie vor uns Ruh.
Wir hörten Sprüche wie diese:
Immer ruhig! Wartet doch nur!
Nach einer größeren Krise
kommt eine größere Konjunktur!
Und ich sagte meinen Kollegen:
So spricht der Klassenfeind!
Wenn der von guter Zeit spricht“
ist seine Zeit gemeint.
Der Regen kann nicht nach aufwärts“
weil er’s plötzlich gut mit uns meint.
Was er kann, das ist: er kann aufhör´n“
nämlich dann, wenn die Sonne scheint.
-8-
Eines Tags sah ich sie marschieren
hinter neuen Fahnen her.
Und viele der Unsrigen sagten:
Es gibt keinen Klassenfeind mehr.
Da sah ich an ihrer Spitze
Fressen, die kannte ich schon“
und ich hörte Stimmen brüllen
in dem alten Feldwebelton.
Und still durch die Fahnen und Feste
floss der Regen Nacht und Tag.
Und jeder konnte ihn spüren“
der auf der Straße lag.
-9-
Sie übten sich fleißig im Schießen
und sprachen laut vom Feind
und zeigten wild über die Grenze.
Und ans haben sie gemeint.
Denn wir und sie, wir sind Feinde
in einem Krieg, den nur einer gewinnt.
Denn sie leben von uns und verrecken“
wenn wir nicht mehr die Kulis sind.
Und das ist es auch, weswegen
ihr euch nicht wundern dürft“
wenn sie sich werfen auf uns, wie der Regen
sich auf den Boden wirft.
-10-
Und wer von uns verhungert ist“
der fiel in einer Schlacht.
Und wer von uns gestorben ist“
der wurde umgebracht.
Den sie holten mit ihren Soldaten“
dem hat Hungern nicht behagt.
Dem sie den Kiefer eintraten“
der hatte nach Brot gefragt.
Dem sie das Brot versprochen“
auf den machen sie jetzt Jagd.
Und den sie im Zinksarg bringen“
der hat die Wahrheit gesagt.
Und wer ihnen da geglaubt hat“
dass sie seine Freunde sind“
der hat eben dann erwartet“
dass der Regen nach oben rinnt.
-11-
Denn wir sind Klassenfeinde“
was man uns auch immer sagt:
Wer von uns nicht zu kämpfen wagte“
der hat zu verhungern gewagt.
Wir sind Klassenfeinde, Trommler!
Das deckt dein Getrommel nicht zu!
Fabrikant, General und Junker –
unser Feind, das bist du!
Davon wird nichts verschoben“
da wird nichts eingerenkt!
Der Regen fließt nicht nach oben“
und das sei ihm auch geschenkt!
-12-
Da mag dein Anstreicher streichen“
den Riss streicht er uns nicht zu!
Einer bleibt und einer muss weichen“
entweder ich oder du.
Und was immer ich auch noch lerne“
das bleibt das Einmaleins:
Nichts habe ich jemals gemeinsam
mit der Sache des Klassenfeinds.
Das Wort wird nicht gefunden“
das uns beide jemals vereint!
Der Regen fließt von oben nach unten.
lind du bist mein Klassenfeind.
Sonett der Emigration (Bertolt Brecht)
Verjagt aus meinem Land muss ich nun sehn
Wie ich zu einem neuen Laden komme, einer Schenke
Wo ich verkaufen kann das, was ich denke
Die alten Wege muss ich wieder gehen.
Die glatt geschliffenen durch den Tritt der Hoffnungslosen!
Schon gehend, weiß ich noch nicht: zu wem?
Wohin ich komme, hör ich: Spell your name!
Ach, dieser „name“ gehörte zu den großen!
Ich muss noch froh sein, wenn sie ihn nicht kennen
Wie einer, hinter dem ein Steckbrief läuft
Sie würden kaum auf meine Dienste brennen.
Ich hatt zu tun mit solchen schon wie ihnen
Wohl möglich, dass sich der Verdacht da häuft
Ich möcht auch sie nicht allzu gut bedienen.