Neuinterpretation von Sophokles‘ Antigone

Am 04. April 2025 fand im Theater Akzent eine moderne Interpretation von Antigone statt – mit einem fatalen Ziel: Die Tragödie wurde ihrer politischen Kraft beraubt. Antigone überlebt – aber nicht als Heldin des Widerstands, sondern als Figur der Resignation. Von Hanna Eberdorfer.
Im Stück begibt sich eine junge Frau, die selbst Antigone heißt, auf die Suche nach ihrer Vorfahrin. Mit einem Chor als kritischem Begleiter reist sie in die Vergangenheit, um zu verstehen, wie eine Frau, die lebendig eingemauert wurde, heute ihre Vorfahrin sein kann.
Die Interpretation dreht sich anfangs um den Konflikt zwischen staatlicher Willkür und moralischer Verantwortung: Antigones Brüder, Eteokles und Polyneikes, starben im Kampf um die Herrschaft. Doch nur einer erhielt eine Bestattung. Der andere wurde auf des Königs Kreon Befehl zur Verwesung freigegeben – als „Feind des Staates“. Antigone widersetzt sich. Kreon bietet ihr einen Ausweg an, sofern sie ihr Handeln bereut und unterbindet. Doch sie verweigert den faulen Kompromiss.
Hier beginnt die Neuerzählung, der Konflikt verlagert sich: Weg vom Politischen, hin zum Individuellen. Nicht mehr der Widerstand gegen Kreon steht im Zentrum, sondern Antigones Selbstsuche. Die Brüder werden moralisch relativiert, als Antigone die wahre Familiengeschichte erzählt – sie seien schlecht gewesen, hätten Kreon zu seiner Entscheidung „gezwungen“.
Am Ende verlässt sie die Bühne mit den Worten: „Ich mache meine eigene Geschichte.“ Kein Tod, kein Triumph – nur Rückzug ins Private.
Diese Botschaft ist fatal. Der gesellschaftliche Konflikt wird individualisiert. Antigone bleibt isoliert. Der Austausch mit den Bürgern Thebens fehlt. Keine revolutionäre Solidarität, keine kollektive Kraft. Der Palast bleibt bestehen, Kreons Herrschaft unangetastet.
Wie heute wird auch hier das strukturelle Problem auf das Individuum verlagert. Die Jugend soll sich „selbst finden“, anstatt zu erkennen, dass es um mehr geht: um Klassenherrschaft, um Repression, um den notwendigen Bruch mit den herrschenden Verhältnissen.
Antigone fehlt die revolutionäre Theorie, eine Klassenperspektive – und eine revolutionär-kommunistische Partei an ihrer Seite.
(Funke Nr. 233/24.04.2025)