Das jugoslawische Experiment

Anlässlich der Zuspitzung der Klassenkämpfe am Balkan veröffentlichen wir eine Abhandlung über die sogenannte Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien, welche damals als echte Alternative zum Sowjet-Modell diskutiert wurde. Aber was war der tatsächliche Charakter dieser Arbeiterselbstverwaltung und welche Lehren können wir daraus für heute ziehen? Bei dem vorliegenden Artikel handelt es sich um einen Auszug aus einem längeren Vortrag von Rob Lyon zu Workers Control and Nationalization.
Ich wollte ein paar Minuten für Jugoslawien und die Frage nach Arbeiterkooperativen und dem so genannten Marktsozialismus aufwenden. Das ist ein wichtiges Thema und von großer Bedeutung für die Frage der Arbeiterkontrolle in Venezuela. Vieles davon betrifft auch die Ideen der sogenannten „neuen Linken“ im heutigen China.
In Jugoslawien waren die Betriebe in Staatsbesitz und offiziell den Arbeiterinnen und Arbeitern anvertraut, welche diese durch Arbeiterräte oder Selbstverwaltungskomitees verwalteten. Wenn diese Selbstverwaltungskomitees diskutiert werden, muss man verstehen und im Gedächtnis behalten, dass sie auf dem Markt operierten – sie waren Teil des nationalen wie des internationalen Wettbewerbs. Diese Unternehmen und Firmen machten Werbung, konkurrierten miteinander und taten was sie nur konnten, um ihre Profite zu steigern. Dieses Profitstreben führte zur Herrschaft der Betriebsmanager und Spezialisten über die Arbeiterinnen und Arbeiter.
Das Zerwürfnis zwischen Tito und Stalin entzündete die Entwicklung der so genannten Selbstverwaltung in Jugoslawien. Bis 1948 hatte Jugoslawien ein System, das dem der UdSSR sehr ähnlich war. Tatsächlich hielt die jugoslawische Partei am treuesten zu Stalin. Aber Tito hatte den bewaffneten Kampf gegen die Nazis geführt und kam sozusagen eigenständig an die Macht, ohne Beihilfe der Roten Armee der Sowjetunion. Er hatte seine eigene Machtbasis und dies führte zu einer Reihe von Auseinandersetzungen mit Stalin und der Sowjetbürokratie. Nach dem Zerwürfnis zwischen Tito und Stalin verkündete die jugoslawische Führung plötzlich, dass die Sowjetunion in einen „Staatskapitalismus“ degeneriert sei.
In einem Versuch den Bruch mit Stalin ideologisch zu rechtfertigen, argumentierten die jugoslawischen Bürokraten, dass das Staatseigentum nur eine Vorbedingung für den Sozialismus sei – was im Allgemeinen stimmt. Sie sagten, dass um den Sozialismus aufzubauen sozialistische Produktionsverhältnisse entwickelt werden müssten, was natürlich ebenfalls stimmt. Allerdings glaubten sie, dass sozialistische Produktionsverhältnisse durch Selbstverwaltung entwickelt würden, im Glauben, dass sonst das System in einen bürokratischen Despotismus degenerieren würde. Das war ein cleveres Mittel der jugoslawischen Bürokraten, um die Unterstützung der Arbeiterklasse im Kampf gegen die UdSSR und für die vorgeschlagen „Reformen“ zu gewinnen. Sie griffen die zentrale Verwaltung der Wirtschaft in der UdSSR an. Das Problem war aber nicht die zentrale Verwaltung, sondern das Fehlen von Arbeiterkontrolle. Es wurden auch Marktreformen vorgeschlagen, um die stagnierende Wirtschaft anzuheizen und andere Handelsoptionen zu finden, da die Sowjethilfe abgeschnitten war (der Handel mit der UdSSR und den anderen Ostblockstaaten machte 50% des Imports und Exports aus, bis 1950 versiegte er vollständig).
Im Jahr 1950 führte Jugoslawien ein neues Gesetz zur Arbeiterselbstverwaltung ein. Man erklärte, dass die Dezentralisierung der Arbeiterselbstverwaltung der Anfang des Absterbens des Staates sei. In Wahrheit war aber alle Macht auf die Staatsbürokratie konzentriert. Der erste Fünfjahresplan (1947-1952) erreichte seine Ziele nicht. Die Qualität der Produkte war schlecht und seit 1949 verringerte sich die Arbeitsproduktivität. Die jugoslawischen Bürokraten suchten nach einem „automatischen Vorgang“ zur Regulierung der Wirtschaft – vergleichbar mit der Funktionsweise des Marktes im Kapitalismus. In der Abwesenheit echter Arbeiterkontrolle als Mittel zu Qualitätskontrolle der Produktion, waren die Stalinisten gezwungen „Marktmechanismen“ zu suchen. Von Anfang an war klar, dass diese Maßnahmen eine ganze Reihe von Widersprüchen mit sich bringen würden. Die Stalinisten versuchten die Quadratur des Kreises mit dem Versuch den Markt zu öffnen und gleichzeitig die zentrale Verwaltung aufrechtzuerhalten.
Die Verwaltung der Betriebe wurde zur Verantwortlichkeit der Arbeiterräte der Betriebe statt der Staatsminister. Detailliertes Planen der Produktion wurde gegen einfache Investitionspläne eingetauscht. Löhne wurden zentral festgelegt, jedoch ergänzt und vergrößert durch Zuschüsse in den jeweiligen Firmen, die höhere Löhne an das Profitstreben banden. Dies galt jedoch nur auf dem Papier. Die Selbstverwaltungskomitees wurden durch die Betriebsmanager kontrolliert, welche den Staatsministern und Bürokraten nahestanden. Diese Komitees waren der Partei und der Gewerkschaftskontrolle strikt untergeordnet. Manager wurden oft aufgrund ihrer politischen Loyalität gegenüber Staatsministern eingesetzt und erhielten natürlich höhere Löhne als die Arbeiterinnen und Arbeiter, denen sie vorstanden.
Was ebenfalls nicht vergessen werden darf ist, dass diese Firmen jetzt besteuert wurden (im Gegensatz zur Übertragung der Einnahmen auf den Staat) und diese Mittel wurde vom Staat für neue Investitionen und die Errichtung neuer Betriebe verwendet. Diese neuen Betriebe wurden bald sogenannten „Arbeiterräten“ zur Verwaltung übergeben. Der Profit dieser Firmen wurde nicht vom Staat umverteilt, sondern blieb bei den Firmen selbst.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Arbeiter nur die formale Kontrolle über ihre Arbeitsstätte hatten. Unter der Selbstverwaltung betrieben sie angeblich selbst die Firmen und waren offiziell frei, ihre eigenen Produktions- und Marktentscheidungen zu fällen. Eigentlich kontrollierte aber immer noch der Staat die Wirtschaft und die Betriebe unter „Arbeiterselbstverwaltung“. Der Staat hatte die Macht, die Fabrikleiter einzusetzen und Geld auf die Firmen zu verteilen. Obwohl die Wirtschaft boomte, führte die staatliche Kontrolle der Investitionen zu einer kontinuierlichen Subventionierung und einem Fortbestehen von ineffizienten Betrieben, insbesondere die von der Staatsbürokratie politisch favorisierten.
Dieses System genoss eine kurze Erfolgsphase, als Jugoslawien in den 1950ern die am schnellsten wachsende Wirtschaft der Welt hatte. Im Jahr 1957 verlangte jedoch der Kongress der Arbeiterräte (das erste und einzige Treffen der Arbeiterräte) mehr Einfluss. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Räte bürokratische Körperschaften unter der Kontrolle der Manager und Spezialisten der Unternehmen statt der Arbeiter selbst waren. Sie verlangten laxere staatliche Regulierungen und geringere Steuern. Diese Firmen wollten mehr Geld für eigenständige Investitionen anstelle von staatlichen Investitionsentscheidungen.
Die Selbstverwaltungskomitees wurden sich immer mehr ihrer eigenen Interessen bewusst, die sie den Interessen der Staatsbürokraten und Ministern gegenüberstellten. Es wurde behauptet, dass diese Maßnahmen vom „Staatskapitalismus“ zum Sozialismus führen würden. In Wahrheit war es die Einführung des Marktes und eine Bewegung hin zum Kapitalismus oder genauer: Es bereitete den Übergang zum Kapitalismus vor. Unter einem echten Arbeiterstaat in einer Situation der Isolation wäre es nicht falsch gewesen, begrenzte Marktreformen einzuführen, wie es die Bolschewiki mit der Neuen Ökonomischen Politik (NEP) taten. Hierbei wurden Marktreformen dafür verwendet, Unregelmäßigkeiten und Unwirtschaftlichkeit der Wirtschaft auszumerzen und die Produktion zu steigern (besonders der Agrarwirtschaft). Dies wäre auch in Jugoslawien mit seiner bürokratischen Planung mit ihrer offensichtlichen Ineffizienz und niedrigen Produktivität, gerade nach der Isolation von der UdSSR, notwendig gewesen. Jedoch entwickeln Marktreformen unter dem Stalinismus ihre eigene innere Logik, wie wir es schlussendlich in Jugoslawien gesehen haben und heute in China sehen: Anstelle der Verwendung des Marktes zur Entfaltung des Staatssektors und der Planung finanzieren der Staatssektor und der Plan letztendlich den Markt. Sie schaffen die Bedingungen, unter denen die Bürokraten und Manager das Interesse zur Legitimierung und Formalisierung ihrer Macht entwickeln, indem sie nämlich zu Bourgeois werden.
Das hohe Wachstum der 1950er brach in den früher 60ern völlig ein. Daraus resultierte die Einführung der Reformvorschläge des Arbeiterrats, was einen noch größeren Kurswechsel hin zur Marktwirtschaft und einen Machtausbau der Manager bedeutete. Im Jahr 1962 wurde jedoch der dritte Wirtschaftsplan aufgrund der Wirtschaftskrise nach nur einem Jahr aufgegeben. Die industrielle Produktion halbierte sich im Vergleich zum Stand von 1960, der Import fiel ins Bodenlose, der Export kollabierte und die Inflation stieg massiv.
Die Reaktion der Staatsbürokratie darauf war eine Bewegung weiter in Richtung „Marktsozialismus“. Der Staat wollte Wettbewerbsfähigkeit der jugoslawischen Unternehmen auf dem Weltmarkt, das Staatsmonopol auf den Außenhandel wurde aufgelöst und die Währung wurde konvertierbar gemacht. Die jugoslawischen Bürokraten argumentierten, dass die Arbeiterkontrolle Illusion war, solange die Arbeiter die Entscheidungen über Schlüsselinvestition nicht durch die Arbeiterräte fällten. Das alles wurde durch folgende Redewendung zusammengefasst: „Wer über die erweiterte Reproduktion herrscht, herrscht über die Gesellschaft.“
Und das ist hier die Frage: herrscht die Arbeiterklasse über die Gesellschaft, wenn sie als atomisierte Arbeiterklasse durch einzelne Betriebe und Firmen die Investitionen und die Reproduktion kontrolliert, oder tut sie dies, wenn sie als Ganzes durch den Staat die Investitionen und die Reproduktion kontrolliert? Offensichtlich ist letzteres korrekt. Im jugoslawischen Modell herrschte die einzelne Firma in ihrem Profitstreben und nicht die Arbeiterklasse. Nur die verstaatlichte, demokratisch geplante Wirtschaft, garantiert die Kontrolle der Arbeiterinnen und Arbeiter über die gesamte Wirtschaft und nicht nur über einen einzelnen Industriezweig oder eine Fabrik. Dies sichert außerdem den vergesellschafteten Charakter der Wirtschaft und die Entwicklung von sozialistischen Produktionsverhältnissen. Sozialismus ist die zentralisierte, demokratische Kontrolle über die gesamte Wirtschaft durch die Arbeiterklasse, um die Wirtschaft als Ganzes zu entwickeln und die Interessen der Arbeiterklasse als Ganzes zu gewährleisten – und nicht nur die Gewährleistung des individuellen Eigeninteresses einer einzelnen Fabrik oder eines Industriezweigs. Das Problem Jugoslawiens war nicht so sehr, dass die Macht über die Fabriken an Selbstverwaltungskomitees übergeben wurde. Dies wäre sogar ein sehr progressiver und demokratischer Schritt nach vorne gewesen, solange die Wirtschaft nach einem zentralisierten demokratischen Plan organisiert gewesen wäre – unter der Kontrolle der Arbeiterklasse, in einem echten Arbeiterstaat. Das Problem war, dass die Kontrolle über die Wirtschaft dezentralisiert und die Wirtschaft den Interessen der individuellen Firmen überlassen wurde. Dieses Profitstreben und das Eigeninteresse der Firmen resultierten in der Kontrolle der Manager und Spezialisten über die Selbstverwaltungskomitees.
Das Ergebnis dieser Reformen war vorhersehbar: In den 1960ern nahm die Ungleichheit zwischen Firmen gleicher Industriezweige, zwischen verschiedenen Branchen, zwischen Stadt und Land und zwischen ganzen Regionen zu. Mitte bis Ende 1960er Jahre war das Einkommensniveau in Slowenien sechsmal größer als im Kosovo. Die Reichen wurden reicher und wie vorherzusehen war, sank der Einfluss der Arbeiter im Verhältnis zu den Experten in den Betrieben. Mit dem Profit als wirtschaftlichem Ziel tendierten die Arbeiter zunehmend dazu, sich auf die Spezialisten und Manager zu verlassen. Wäre die Wirtschaft zentralisiert geblieben und zum Nutzen aller demokratisch geplant worden, so wäre der Einfluss der Arbeiterinnen und Arbeiter im Verhältnis zu den Experten gestiegen. Die Expertise und das Wissen der Spezialisten wären zum Vorteil der Wirtschaft als Ganzes nutzbar gemacht worden anstelle der Befriedigung begrenzter Eigeninteressen. Arbeiterdemokratie hätte den Markt als ein Mittel zur Regulierung der Wirtschaft ersetzen können.
Ein weiterer bedeutender Schritt in Richtung Kapitalismus war der Abbau staatlicher Investitionen und der staatlichen Zentralbank. Für staatliche Investitionen akkumulierte Mittel wurden abgezogen und in selbstverwaltete Banken investiert, die dann wiederum profitorientiert Geld an Unternehmen verliehen.
All diese Maßnahmen führten in den späten 1960ern und frühen 1970ern zu Aufständen gegen den Markt – angeführt von Studenten, der Jugend und der Bevölkerung der ärmeren Regionen. Es gab einen allgemeinen Angriff gegen den Markt, die wachsende Ungleichheit und die signifikant zunehmende Macht der Banken und der Manager über die Betriebe.
1974 wurde der „Marktsozialismus“ angesichts massiver Arbeiterunruhen verworfen, welche in einer siebentägigen Besetzung der Universität von Belgrad unter dem Slogan „Nieder mit der Roten Bourgeoisie“ gipfelten. Schlussendlich wurde die Planung erneut eingeführt, aber es war weder das bürokratische Sowjetmodell noch eine wirklich demokratische Planung. Individuelle Firmen verhandelten fünfjährige „Investitionsdeals“ mit dem Staat.
Betrachtet man die Geschichte Jugoslawiens, so sieht man ein ständiges Ringen zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung, wie auch einen Kampf zwischen der Kaste der Manager und der Kaste der Staatsbürokraten. Der Stalinismus scheiterte fundamental daran, die regionalen Ungleichgewichte in Jugoslawien aufzulösen. Als die Dezentralisierung und Marktreformen in den 1950ern eingeführt wurden, wurde es als ein Sieg der verschiedenen nationalen Bürokraten betrachtet. Ihre begrenzten nationalen Interessen drückten sich darin aus, ihre eigenen Nationalökonomien gegeneinander zu entwickeln. Dies führte ebenfalls zu einer größeren Machtkonzentration in den Händen der Manager. Als der Zentralstaat in den 1970ern versuchte, Maßnahmen der Zentralisierung wiedereinzuführen, widersetzten sich die nationalen Bürokraten und Managern (vor allem in Slowenien und Kroatien). Es war ein Kampf zwischen verschiedenen Teilen der Bürokratie, welche unterschiedliche Interessen repräsentierten. Auf der einen Seite kämpften die national-bürokratischen Cliquen und die Managerkaste für mehr Dezentralisierung, um ihre Interessen und ihre Macht zu fördern, während sich der Zentralstaat um mehr Zentralisierung bemühte (in den 1970ern). Die Abschaffung des „Marktsozialismus“ war ein Versuch der Staatsbürokraten angesichts der Bedrohung der eigenen Macht durch die Marktreformen ihren Einfluss über die Manager und die regionalen bürokratischen Cliquen wiederherzustellen. Wenn zum Beispiel die Löhne in Slowenien sechsmal höher als im Kosovo waren, ist es einfach zu sehen, warum die slowenischen Bürokraten, deren begrenzte, nationale Sichtweise all ihre Entscheidungen beherrschte, ein Interesse an der Dezentralisierung hatten – sie konnten so die Vorteile ihres regionalen Reichtums ernten, statt ihn mit ihren Nachbarn teilen zu müssen.
Das jugoslawische Modell der Selbstverwaltung hatte große Probleme, die eine wesentliche Rolle im brutalen Auseinanderbrechen des Landes spielten. Weil jede einzelne Firma auf dem Markt konkurrierte, waren die selbstverwalteten Firmen vom Eigeninteresse geleitet. Sie waren daran interessiert, die Profite des Betriebs zu maximieren, so dass ein Teil des Profits (der Teil, der nicht den Unkosten oder weiteren Investitionen zugedacht war) zur Hebung der Einkommen der Arbeiterinnen und Arbeiter verwendet werden konnte. Dies gab alle Macht den Managern und Spezialisten, nicht den Selbstverwaltungskomitees der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken. Wir werden dieselben Probleme vorfinden, wenn wir die Arbeiterkontrolle in Venezuela diskutieren. Weil sie in einer kapitalistischen Wirtschaft arbeiten stehen die Kooperativen dort unter dem Druck, ihre Profite zu maximieren. Dies verursacht Widersprüche in den Unternehmen und schiebt die Macht in die Hände der Manager, statt in die der Arbeiterkomitees. Das Profitstreben führt zu Wettbewerb zwischen den Firmen, zwischen den Arbeiterinnen und Arbeiter und auch zu internen Differenzierungen in den einzelnen Fabriken, da die Manager und Spezialisten versuchen, ihren Einfluss zu stärken um Macht und Zugang zu Profiten zu gewinnen. Das ist genau der Grund, warum es notwendig ist, die verstaatlichten Industriezweige in eine demokratische Planung zu integrieren und warum es essentiell ist, dass alle verstaatlichten Industriezweige unter die Kontrolle der Arbeiter, der Gewerkschaften und des Staats gestellt werden.
Um der Ungleichheit zwischen den Firmen in Jugoslawien Einhalt zu gebieten, versuchten die armen Firmen die Löhne zu erhöhen. Dies ließ ihnen weniger Geld für Investitionen, sofern sie ihre Lohnkosten decken wollten, was ihrem wirtschaftlichen Wachstum schadete und damit ihre Löhne schmälerte. Folglich begannen sie Geld von selbstverwalteten Banken zu leihen, sich schwer zu verschulden, was die Inflation antrieb.
Ein weiteres Problem war die Arbeitslosigkeit. Generell entließen oder suspendierten die selbstverwalteten Betriebe niemanden. Allerdings schufen sie auch nicht viele Jobs. Warum? Weil die Einkommen der Arbeiter direkt an die Profite gebunden waren – also je mehr Arbeiter eingestellt wurden, desto geringer fiel der Lohn pro Kopf aus. Das bedeutet, dass arme Menschen aus ländlichen Regionen gezwungen waren, in Westeuropa Arbeit zu suchen. 1971 betrug die Arbeitslosenquote 7%, jedoch arbeiteten unglaubliche 20% der Erwerbsbevölkerung außerhalb des Landes.
Ein weiteres Hauptproblem war die Atomisierung der Arbeiterklasse. Die jugoslawische Führung beharrte darauf, dass ihr Modell der Selbstverwaltung zu einer Entwicklung von sozialistischen Produktionsverhältnissen führen würde. Wenn aber sozialistische Produktionsverhältnisse das Ziel sind, dann können Investitionsentscheidungen nicht den einzelnen Firmen überlassen werden, weil sie keine Einsicht in die Bedürfnisse der Gesellschaft oder der Wirtschaft als Ganzes haben. Nochmals: Die Macht lag bei den individuellen Betrieben und nicht der Arbeiterklasse. In Wahrheit waren die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter den Interessen der Firmen untergeordnet, die vor allem eines wollten: investieren um mehr Profite zu machen. Weil das Verhältnis von Lohn zu Profit festgesetzt war, war der einzige Weg zu Lohnerhöhung die Profitsteigerung, was eine noch intensivere Ausbeutung der Arbeiterklasse bedeutete. Dazu kam, dass die Arbeiter den Widerspruch zwischen dem angeblichen Sinn der Arbeiterselbstverwaltung und dem was sie wirklich war, erkannten, was zu Demoralisierung und Desinteresse führte und einer beachtlichen Zunahme von Fehlzeiten in den 1970ern.
Dieses System wiederum glich eher der Anarchie des Kapitalismus als dem Einklang der sozialistischen Produktionsverhältnisse. Die jugoslawischen Bürokraten lösten auch das Außenhandelsmonopol des Staates auf, was die einzelnen jugoslawischen Betriebe dem direkten Kontakt mit dem Weltmarkt aussetzte. Dies ließ die direkte Intervention des Kapitalismus und des Imperialismus in die jugoslawische Ökonomie ohne zentrale Kontrolle oder Beaufsichtigung zu.
In den 1970ern nahmen selbstverwaltete Betriebe enorme Kredite bei westlichen Banken auf. Die ursprüngliche Idee war, dieses Geld in den Ausbau und die Modernisierung der einzelnen Firmen zu investieren, mit der Hoffnung, dass sie dann nach Westeuropa exportieren könnten, um die Darlehen zurückzuzahlen. Die internationale Rezession von 1979 zerstörte jedoch diese Hoffnungen. Für die einzelnen Firmen war es schwierig ihre Kredite zurückzuzahlen. Außerdem wusste niemand, wie groß die gesamte Auslandsverschuldung war, weil das Staatsmonopol auf dem Außenhandel fehlte. Schlussendlich musste Jugoslawien als Nation die Schuld bezahlen und damit brach der Lebensstandard zusammen. Zwischen 1982 und 1989 fiel dieser um 40%, die Inflation schoss in die Höhe – im Jahr 1987 betrug die Inflationsrate 150%, um 1989 erreichte sie 1950%.
1988 hatte Jugoslawien die höchste Auslandsverschuldung pro Kopf in ganz Europa, zusammengefasst über 20 Milliarden US-Dollar. Zwischen 1984 und 1988 zahlte Jugoslawien 14 Milliarden US-Dollar an Schuldzinsen, was die Wirtschaft lähmte.
In den 1980ern zwang der IWF Jugoslawien strikte Bedingungen für eine Darlehensverlängerung auf. Natürlich bedeutete dies die Kürzung des „Sozialwesens“. Der IWF zwang selbstverwaltete Banken zur Umwandlung in Privatbanken und selbstverwaltete Betriebe zu Firmen mit klarem Eigentumsstatus zu werden – d.h. zu kapitalistischen Unternehmen.
Es ist wichtig zu unterstreichen, dass all dies ein unmittelbares Resultat der Politik des „Marktsozialismus“ war und direkt zum brutalen Auseinanderbrechen Jugoslawiens führte. Tatsächlich war es kein großer Aufwand, sich von selbstverwalteten Betrieben und Banken hin zu privaten kapitalistischen Firmen zu bewegen. Die Manager der sogenannten selbstverwalteten Firmen übernahmen die Eigentumsrechte der Firmen und erhielten jetzt Profite anstelle höherer Löhne.
Die Wirtschaftskrise, die Jugoslawien in den 1980ern erfasste, führte zur politischen Krise. Die herrschenden bürokratischen Cliquen der verschiedenen Regionen wandten sich dem Nationalismus und der alten Taktik, dem Nachbarn die Schuld in die Schuhe zu schieben, zu. Angesichts der Möglichkeit einer echten Arbeiterrevolution wandten sie sich dem fanatischen Nationalismus zu – wir alle kennen das Resultat.
Es scheint offensichtlich, dass das Staatseigentum an den Schlüsselsektoren der Wirtschaft und das staatliche Außenhandelsmonopol notwendig sind. Das Absterben des Staats geschieht nicht einfach indem verstaatlichte Industriezweige und Betriebe den Arbeitern und Managern übergeben und diese zu Anteilseignern gemacht werden. Da in Jugoslawien die Manager ohnehin die Selbstverwaltungskomitees kontrollierten, führte das einfach zur Atomisierung der Arbeiterklasse. Die Arbeiterinnen und Arbeiter zu den Eigentümern der einzelnen Betriebe zu machen, bedeutet noch kein vergesellschaftetes Eigentum: Die (von Managern kontrollierten) Selbstverwaltungskomitees verhielten sich wie private Eigentümer, das führte zur vollumfänglichen Restauration des Kapitalismus. Der Schlüssel zur sozialistischen Transformation und dem Absterben des Staates in den degenerierten Arbeiterstaaten wäre echte Arbeiterkontrolle gewesen. Sozialismus ist nicht einfach, sich um die Interessen der in lokalen vereinzelten Betrieben zu kümmern. Sozialismus bedeutet, sich um die Interessen der Arbeiterklasse, der Wirtschaft und der Gesellschaft als Ganzes zu kümmern. Dafür braucht es Staatseigentum. Das Staatseigentum verteidigt den vergesellschafteten Charakter der Ökonomie, aber es bedeutet kein vergesellschaftetes Eigentum. Eine verstaatlichte, unter demokratischen Planung zentralisierte Wirtschaft mit Betriebsvorständen aus 1/3 lokaler Arbeiter, 1/3 Gewerkschaft und 1/3 Staatsrepräsentanten (oder einer Variation daraus) verteidigt die Interessen der Arbeiterklasse als Ganzes und ist fähig, die Bedürfnisse der Ökonomie und der Gesellschaft insgesamt auf eine Art und Weise zu erkennen, wie es atomisierte Selbstverwaltungskomitees nicht waren. Auf dieser Basis kann die Produktivität gesteigert und das volle Potential der Wirtschaft von den Zwängen des Privateigentums und des Nationalstaats befreit werden. Die Ungleichheiten einer Gesellschaft können in solchem Maße überwunden werden, dass das Staatseigentum zu einem echt vergesellschafteten Eigentum wird.
Eine weitere wichtige Lehre aus Jugoslawien ist der Internationalismus. Die Auflösung der Sowjetunion und der Kollaps des Ostblocks waren Ergebnis der engstirnigen, nationalistischen Perspektive der herrschenden Bürokratie in jedem Land. Sie wurden bei der Organisation ihrer rückständigen Wirtschaft und dem Handel untereinander sich selbst überlassen. Auf der Grundlage echten Bolschewismus und Internationalismus wäre es möglich gewesen, die verschiedenen nationalen Ökonomien einzugliedern und eine integrierte, demokratisch geplante Wirtschaft aufzubauen unter Nutzbarmachung der Ressourcen und Arbeitskraft aller Länder von Havanna bis Beijing. Das hätte die Produktivkräfte all dieser Länder entfesselt, die sozialistische Entwicklung der Wirtschaft gefördert und zur Entwicklung sozialistischer Produktionsverhältnisse und einem genuin vergesellschafteten Eigentum an den Produktionsmitteln geführt.