Pflege: Mit Kommunismus aus der Krise

Für die österreichischen Pflegedienstleistungen in den kommenden Jahren wird eine stark steigende Nachfrage prognostiziert. Bereits 2030 braucht es mindestens 20 % mehr Leistungen, 2050 mehr als doppelt so viel, so das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO in einer aktuellen Studie. Von Tamara Belyus.
Die erste Auffälligkeit ist, dass es nicht möglich ist, eine Einschätzung für ganz Österreich zu geben, weil Pflegemodelle (stationär, mobil, informell), die Selbstkosten der Pflegebedürftigen und Dienstleistungen der Pflegekräfte über die Bundesländer hinweg stark variieren. Statt professioneller Haltung zu einer gesellschaftlichen Problemstellung herrscht hier politisches Chaos. Was jedenfalls gemeinsam ist: Unser Sektor ist weiblich (87 % der professionellen Pflege, 73 % der informellen), die Arbeitszufriedenheit ist gering und die Langzeitpflege unterbesetzt: pro 100 älteren Personen (65+) gibt es 4,1 Pflegerinnen. Nur Länder, in denen das Pflegesystem aus historischen Gründen schwach entwickelt ist (Kanada, Irland), oder durch den Kapitalismus zerstört wurde (Osteuropa, Ex-JU) haben einen niedrigeren Anteil als wir.
Kompensiert wird dies durch Pflege in der Familie, unterstützt von mobilen Leistungen, die in Vorarlberg und Wien besonders hoch sind. „Die Inanspruchnahme von mobilen Diensten zögert im besten Fall die für den öffentlichen Haushalt wesentlich kostenintensivere stationäre Pflege hinaus“ (WIFO). Aber „das vorherrschende Pflegemodell der Familie in Österreich (…) wird stark unter Druck kommen. Wir wissen, dass Frauen im Bereich der Bildung stark aufgeholt haben (…). Dies erhöht die Arbeitsmarktintegration von Frauen, sowohl aufgrund der höheren Anzahl an Frauen, die sich am Arbeitsmarkt beteiligen, aber auch durch ein erhöhtes Stundenausmaß.“ Frauen haben heute weniger Kinder (durchschnittlich 1,5 statt 2,7 Kinder 1960) und gleichzeitig steigt die Pflegebedürftigkeit, weil die Babyboomer-Generation (geboren ab 1960) alt wird. Die Frauen machen scheinbar nie was richtig: mal zu viel, dann zu wenig Kinder, mal zu viel in der Familie, dann zu viel Bildung und am Arbeitsmarkt aktiv…
Im Juni 2024 nutzten bereits 9.000 Studierende das vom AMS angebotene Pflegestipendium, welches erstmals ein gesichertes Einkommen bietet, 78 % sind Frauen. Eine neue soziale Zusammensetzung der Studierenden an Fachhochschulen wird bemerkbar – das Stipendium richtet sich ausschließlich an beim AMS gemeldete Arbeitslose und kann frühestens zwei Jahre nach der Matura bezogen werden. Die anderen Studierenden bekommen eine monatliche Ausbildungsprämie von 600 €, den Lebensunterhalt kann man davon jedoch nicht bezahlen. In meiner eigenen FH-Klasse gibt es Leute, die im Handel, Deutschlehrer, Sanitäter, Mechatroniker, PFAs, Behindertenbetreuer, Studienabbrecher, Ordinationsassistenzen, Buchhalter waren. Viele nutzen das Stipendium für eine Umschulung bzw. einen Quereinstieg und wollen nicht nur einen sinnvollen, sondern auch einen „sicheren“ Beruf.
Wir genießen eine sehr hochwertige Ausbildung, in der uns die realen Zustände des Gesundheitssystem nicht verschwiegen werden. Mit einer eleganten Warnung vor der „Kluft zwischen Theorie und Praxis“ wurden wir ins erste Praktikum geschickt, wo viele die Probleme gleich erlebt haben. Doch welche Lösungen bietet uns der Lehrplan an? Es gilt die Devise „macht es später im Beruf selbst einfach besser“. Aber was nützen einem die besten Pflegetheorien, wenn die Voraussetzungen sie praktisch anzuwenden nicht gegebenen sind? Außerdem arbeiten wir nicht alleine, sondern in Teams – wir brauchen einen gemeinsamen Plan und eine gemeinsame Vorgehensweise!
Die Regierung hat weder den Pflegekräften noch den Patienten etwas zu bieten, weil sie keine massive gesellschaftliche Umverteilung von Reichtum zugunsten menschlicher Bedürfnisse machen will. Die „Lösungen“ der Regierung sind nur Kleinigkeiten, um einen Kollaps des öffentlichen Gesundheitssystems hinauszuzögern. Den Druck auf Privatisierung und der Ausbreitung von „Pflege für Profit“-Modellen kann man so nicht vermeiden, im Gegenteil: Überall wird spürbar, dass öffentliche Pflege und medizinische Leistungen verknappt werden.
Der gute Wille der Pflegekräfte wird nicht reichen, die Krise und den Sparzwang aus unserem Arbeitsalltag herauszuhalten. Ein kommunistisches Programm, das für ein voll ausfinanziertes öffentliches und qualitätsvolles Gesundheitssystem inkl. flächendeckender bezahlter Ausbildung kämpft, muss an den Unis und Ausbildungsstätten seinen Platz finden. Denn nur ein ehrliches kommunistisches Programm spricht aus, was alle denken: Die Rettung der Profite sollte nicht mit der Gesundheit der Patienten und Pflegekräfte bezahlt werden.
Kolleginnen und Kollegen schließt euch uns an!
Für die RKP-Studierenden an der FH-Campus Wien kandidieren: Tamara Belyus & Marcel Pamperl