Vor 500 Jahren entlud sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine bis dahin nie dagewesene Explosion von Klassenhass. Die Bauern und armen Städter bildeten 1524/1525 sogenannte „Haufen“ von bis zu 30.000 Kämpfern, um ihre Forderungen gewaltsam durchzusetzen. Einer ihrer bedeutendsten Anführer war Thomas Müntzer. Dieser geniale Ideologe predigte in einer Zeit, als der Kapitalismus gerade erst das Licht der Welt erblickte, von einer kommunistischen Revolution. Von Laura Höllhumer.
Innerhalb eines Jahres wurden 1.000 Burgen und Klöster zerstört oder geplündert. In der Region Bamberg zerstörten die aufständischen Bauern in nur zehn Tagen 200 Burgen! Die lokale Zersplitterung versuchten die Bauern durch überregionale Geheimbünde zu überwinden. Diese revolutionären Organisationen, wie der Bundschuh oder der Arme Konrad, waren in riesigen Gebieten aktiv und bereiteten in Schwaben und Franken zu einem im Vorhinein festgesetzten Datum einen gemeinsamen Aufstand vor.
An Zähigkeit und Kampfesmut mangelte es den Bauern nicht, die mit Piken bewaffnet gegen professionelle Söldnerheere in die Schlacht zogen. Zur Niederlage führte meist ihre Leichtgläubigkeit. Ihnen wurden Zugeständnisse versprochen, sie legten die Waffen ab und wurden sofort von den Fürsten hinterrücks angegriffen und niedergemetzelt.
Woher kam eine derartige Welle an Empörung, die die Bauern in den Kampf trieb? Darauf gibt uns Thomas Müntzer in einer Polemik gegen den Reformator Martin Luther Wider das geistlose, sanftlebende Fleisch zu Wittenberg eine Antwort:
„Im selbigen verschweigt er (Luther) aber den Ursprung aller Dieberei. (…) Sieh zu, die Grundsuppe des Wuchers, der Dieberei und Räuberei sein unser Herrn und Fürsten, nehmen alle Kreaturen zum Eigentum: die Fisch im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden muß alles ihr sein (Jes. 5). Darüber lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen unter die Armen und sprechen: »Gott hat geboten: Du sollst nicht stehlen.« (..) Da saget denn der Doktor Lügner: Amen.
Die Herren machen das selber, dass ihnen der arme Mann feind wird. Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun. Wie kann es die Länge gut werden? So ich das sage, muss ich aufrührisch sein! Wohlhin!“
Müntzer klagt eine Gesellschaft an, in der die Prunksucht und Verschwendung der herrschenden Klassen, also der Adeligen, Fürsten, Patrizier und des Klerus, keine Grenzen kannte. Maßlos wurden die Bauern ausgepresst. Neben Abgaben wie dem „Großzehnt“ und dem „Kleinzehnt“ wurden die Bauern mit immer weiteren Steuern, Zöllen und Zinsen belastet und zu Fron- und Arbeitsdiensten verpflichtet. Wer seinen „Pflichten“ nicht nachkam, dem drohte die Leibeigenschaft. Oft wurden Bauern auch einfach von einem regionalen Adeligen in den Kerker geworfen, um ihren Familien Lösegeld abzupressen.
Schon vor den Bauernkriegen kam es deshalb immer wieder zu Widerstand. Einer dieser Vorläufer war das sogenannte Pfeiferhänslein. Er zog durchs Land und predigte, ihm sei die Jungfrau Maria erschienen und habe ihm gesagt, dass die Kirche und die Feudalherren all ihren Reichtum aus den Armen herauspressen. Und er verkündete: Es wird dazu kommen, dass die Fürsten und Herren noch um einen Taglohn müssen arbeiten. Und: Wenn das, was die hohen weltlichen und geistlichen Herren besitzen, verteilt würde, so hätten alle genug.
Die Kirchenmänner standen den weltlichen Herrschern um nichts nach, was Luxus und Exzesse anging, weshalb sich der Widerstand der Bauern nicht zuletzt gegen sie richtete. Die neu entstandenen Drucktechniken ermöglichten es, dass überall politische Karikaturen kursierten. Darauf wurden die Pfaffen als Diebe, Lügner und die Kirche als Hurenhaus gezeigt.
Gesellschaft im Umbruch
Im 15. Jahrhundert war der Kapitalismus entstanden und brachte eine tiefgreifende Umwälzung der Gesellschaft. Der Bergbau blühte auf und der Handel florierte. In den Städten entstand eine neue Klasse: das Bürgertum. Die sogenannten Patrizierfamilien waren als Kaufleute zu enormem Reichtum gekommen. Die Geldwirtschaft übte einen zersetzenden Einfluss auf die alte soziale Ordnung aus. Alles wurde käuflich, selbst die Moral und die Liebe.
Die Feudalordnung wurde zur Fessel der wirtschaftlichen Entwicklung. Zölle machten Waren extrem teuer. Die wichtigste Stütze des alten Systems war die katholische Kirche. Jeder, der die herrschende Ordnung angriff, musste die Kirche angreifen. Deshalb wurden diese erbitterten Klassenkämpfe zuerst in der Sprache der Theologie ausgefochten. Diese Bewegung nennt man die Reformation.
Durch die marxistische Analyse können wir hinter den verschiedenen Bibelauslegungen Klasseninteressen freilegen. In seinem Buch „Der deutsche Bauernkrieg“ hat Friedrich Engels diese historisch-materialistische Methode meisterlich vorgezeigt. Die Klasseninteressen waren damals bei weitem nicht so einfach und übersichtlich, wie im heutigen Kapitalismus. Innerhalb der komplizierten Feudalordnung existierten dutzende Stände mit widersprüchlichen Interessen.
So waren zwar die Kirche, Bischöfe und der Papst das Objekt allen aufgestauten Hasses. Aber auch viele der Anführer der Aufstände kamen aus dem Priesterstand. Denn die Dorfpriester waren selbst arm und standen den Leiden der Bauern nahe.
Als Luther die Bibel zum ersten Mal aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzte, wirkte das wie ein Zündholz, das in einen Haufen trockenes Stroh fällt. Die Bauern begannen ihre Interessen mit Bibelzitaten zu untermauern und wollten beweisen, dass die herrschenden Zustände gegen die „göttliche Ordnung“ verstießen. Das „Reich Gottes“ aus der Bibel wurde als Forderung ins Hier und Jetzt verlegt. Die Gleichheit der frühchristlichen Gemeinden sollte wiederhergestellt werden.
Luther selbst stand jedoch vor allem dem neu entstandenen Bürgertum nahe, das den Kapitalismus weiterentwickeln wollte. Die radikalen, kommunistischen Ideen der Armen und Bauern gingen dieser neuen Klasse von Besitzenden natürlich zu weit. Luther hatte zwar mit seiner derben Agitation den Klassenhass angefacht, aber als die Bauern eigenständig in Aktion traten und den Worten Taten folgen ließen, ruderte er zurück und forderte die gewaltsame Unterdrückung der Bauernaufstände.
So wurde der einstige Luther-Anhänger Thomas Müntzer zu dessen Gegenspieler, denn er artikulierte die Forderungen der verarmten Bauern und Städter. In den „12 Artikeln der Bauernschaft“ forderten die Bauern ein Ende der Leibeigenschaft und etablierten eine Art verfassungsgebender Versammlung. Hier wurden 250 Jahre vor der Französischen Revolution die bürgerlichen Verhältnisse und Menschenrechte vorweggenommen. Müntzer aber ging weiter: Er forderte die Gütergemeinschaft, den Kommunismus, und nicht nur rechtliche Gleichstellung auf dem Papier, sondern echte, soziale Gleichheit.
Müntzer kam in Mühlhausen dann tatsächlich an die Macht. Es gab aber damals noch keine materielle Grundlage für die Umsetzung seiner Ideen, weshalb er nicht weiter gehen konnte, als die Schaffung bürgerlicher Rechtsverhältnisse und der Einführung sozialer Fürsorge, wie einer Armenspeisung.
Heute bieten die hochentwickelte Industrie und die Wissenschaft tatsächlich die Möglichkeit, eine Gesellschaft des Überflusses, ein Paradies auf Erden zu schaffen. Die Arbeiterklasse ist heute so stark und gebildet wie noch nie in der Geschichte.
Wie damals produziert auch heute die Krise des Systems enormen Klassenhass. Die Wurzeln der revolutionären Bewegung reichen weit zurück. Als Kommunisten von heute können wir von Müntzer lernen, an diesem neu entstehenden Klassenhass anzusetzen. Wir müssen ihn mit einem wissenschaftlichen Programm verbinden: dem Marxismus, der die Erreichung des Kommunismus durch die bewusste Machtübernahme und Planung der modernen Wirtschaft durch die Arbeiterklasse erreichen wird.
(Funke Nr. 225/8.07.2024)