Marxismus und die USA wurde von Alan Woods zu einer Zeit geschrieben, als George W. Bush Präsident war, einer Zeit, in der viele in der Welt – auch viele Linke – die USA als einen reaktionären Block ohne Klassenkampf oder revolutionäres Potenzial ansahen. Das Ziel war es, diese falschen Vorstellungen zu zerstreuen. Anhand der Geschichte der USA weist das Buch nach, dass die amerikanische Arbeiterklasse starke, revolutionäre Traditionen hat, die sie angesichts der Tiefe der aktuellen Krise wiederentdecken wird.
Inhalt
- Einleitung
- Die USA und die Welt
- Europa und Amerika
- Eine „unamerikanische“ Idee
- Die vergessene Geschichte Amerikas
- Revolution und die USA
- Klassenkampf und die amerikanische Revolution (1786)
- Arm und Reich
- Die zweite amerikanische Revolution (1861 – 1865)
- Wie der Kapitalismus die Befreiung der Schwarzen verhinderte
- Die Arbeiterbewegung in den USA
- Märtyrer von Chicago und der 1. Mai (1886)
- Die amerikanischen Sozialisten
- Gewerkschaftertum
- Industrial Workers of the World (IWW)
- Joe Hill
- Literatur und Revolution
- Nein zum Krieg
- Die CIO und die Sitzstreiks
- Die Gewerkschaften nach 1945
- Die Diktatur der großen Konzerne
- Wachsende Unzufriedenheit
- Sozialismus und Demokratie
- Religion und Revolution
- Marxismus und die Zukunft
Einleitung
Ausgehend von der These, dass die meisten AmerikanerInnen den Marxismus als eine (dem Menschen) fremde Ideologie betrachten, wollen wir anhand der Geschichte Amerikas aber auch der gegenwärtigen Situation in den USA die Relevanz und Aktualität des Marxismus aufzeigen.
Wir wollen mit einer Analyse des Charakter des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs und des Bürgerkriegs bzw. einem Abriss der Geschichte der Arbeiterbewegung in den USA zeigen, wie überraschend reich die revolutionäre Tradition in diesem Land ist.
Die Geschichte der USA ist faszinierend und in unseren Breiten leider viel zu wenig bekannt. Viele Linke haben die USA als Bastion des Weltimperialismus bereits abgeschrieben. Ja, viele Linke vertreten sogar offen antiamerikanische Positionen. Dieser oberflächlichen Stimmung wollen wir mit diesem Text bewusst entgegentreten. Als MarxistInnen sind wir InternationalistInnen. Wir stehen für die Einheit aller arbeitenden Menschen gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Wir lehnen die Zuschreibung einer Art Kollektivschuld „der AmerikanerInnen“ an den Verbrechen des US-Imperialismus dezidiert ab.
Die Bevölkerung der USA und vor allem die amerikanische Arbeiterklasse kann auf eine lange Geschichte des Klassenkampfes zurückblicken. Und aufgrund großer historischer Ereignisse wird sie lernen, an diese Traditionen wieder anzuknüpfen. 1776 und 1860 spielte Amerika bereits die Rolle einer Lokomotive des revolutionären Prozesses. Die Zukunft der gesamten Menschheit hängt auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts definitiv von der Perspektive ab, dass die USA wieder Schauplatz großer revolutionärer Bewegungen werden. Vielen unserer LeserInnen wird dies aus heutiger Sicht mehr als unmöglich erscheinen. Man möge sich aber bewusst sein, dass die Geschichte alle nur denkbaren und undenkbaren Wendungen kennt. Um bei einer historischen Analogie zu bleiben. Vor 1917 stellte das zaristische Russland, ähnlich wie heute die USA, die Bastion der internationalen Reaktion dar. Und viele Linke waren davon überzeugt, dass die Idee einer sozialistischen Revolution in Russland völlig aus der Luft gegriffen sei. Die Geschichte belehrte sie eines Besseren. In gleichem Maße könnte uns schon sehr bald die amerikanische Arbeiterklasse überraschen…
Die USA und die Welt
Die schrecklichen Ereignisse vom 11. September 2001 markieren einen Wendepunkt in der Geschichte der USA. Mit einem Schlag wurde der amerikanischen Bevölkerung vor Augen geführt, dass ihr eigenes Leben ganz eng mit den Entwicklungen in der Welt verwoben ist. Die amerikanische Seele war plötzlich von einem generellen Gefühl der Unsicherheit und der Verletzlichkeit geprägt. Die Welt erschien von einem Tag auf den anderen als ein feindlicher und gefährlicher Platz. Diese Erfahrung hat viele AmerikanerInnen in gewisser Hinsicht politisiert. Die Menschen suchen nach Antworten auf die Frage, wie es kommen konnte, dass ihr Land Schauplatz eines derartigen Horrorszenarios wurde. Viele AmerikanerInnen fragen sich, warum ihrem Land ein solcher Hass entgegen schlägt?
Als MarxistInnen verurteilen wir diesen Terror, der unzähligen unschuldigen ZivilistInnen das Leben gekostet hat, als unmenschliches Verbrechen. Die AmerikanerInnen wären jedoch gut beraten die Ursachen für diesen Terror zu sehen. Die Ziele der Terroranschläge vom 11. September waren sehr symbolträchtig. Das World Trade Center sowie das Pentagon stehen für die ökonomische und militärische Macht der USA, mit der sie sich die ganze Welt Untertan machen wollen. Das Vorgehen des Weißen Hauses, der US-Armee und in deren Fahrwasser die multinational agierenden US-Konzerne hat weltweit eine tiefe Antipathie und eine antiamerikanische Grundstimmung hervor gebracht. Die Rolle des US-Imperialismus bereitet den Nährboden, auf dem Antiamerikanismus und Terrorismus gedeihen können.
Lange Zeit hindurch war die Außenpolitik der USA eine des selbst gewählten Isolationismus. Es ist jedoch eine Tatsache, dass sich in der modernen Welt kein Land, ganz egal wie groß und stark es auch sein mag, vom Rest der Welt abnabeln kann. Der Charakter der Epoche, in der wir leben, wird ganz entscheidend durch die alles bestimmende Vorherrschaft des Weltmarktes bestimmt. Genau darin liegt die Essenz dessen, was als „Globalisierung“ bezeichnet wird. Dieses Phänomen ist jedoch nichts wirklich Neues. Schon vor über 150 Jahren erklärten Marx und Engels im Kommunistischen Manifest, das in seinen Grundaussagen aktueller denn je ist, dass die Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Systems die Tendenz zur Herausbildung eines Weltmarktes umfassen.
In den letzten 100 Jahren wurde die Integration der USA in die Weltwirtschaft und die Weltpolitik kontinuierlich gesteigert. Alle Versuche, die USA in eine selbst auferlegte Isolation zurückzuführen, sind seither kläglich gescheitert. Dieser Politikansatz kann unter den gegenwärtigen Bedingungen kapitalistischer Entwicklung nur scheitern. Dies musste auch George W. Bush, der im letzten Präsidentschaftswahlkampf einer isolationistischen Politik das Wort redete, sehr schnell herausfinden.
Die USA haben im Zuge des Zweiten Weltkriegs von Großbritannien die Rolle des Weltpolizisten übernommen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren sie sogar als einzige globale Supermacht übrig geblieben. Großbritannien hatte diese Vormachtstellung jedoch in einer Phase inne, als sich der Kapitalismus noch im Aufstieg befunden hat. Im Gegensatz dazu befindet sich das kapitalistische System heute weltweit in der Sackgasse. Die Abfallprodukte dieser Krise haben ein gewaltiges zerstörerisches Potential. Die schreckliche Katastrophe vom 11. September ist nichts anderes als eine Manifestation dessen.
Der weit verbreitete Anti-Amerikanismus ist nichts anderes als eine Reaktion auf die Vormachtstellung der USA in der Welt. Wir lehnen diesen Anti-Amerikanismus entschieden ab. Als MarxistInnen kämpfen wir gegen alle nationalistischen und chauvinistischen Einstellungen, die Hass und Konflikte zwischen Menschen verschiedener Nationalitäten säen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir die Vorgangsweise von Konzernen, imperialistischen Regierungen und Armeen, deren vorrangiges Ziel die Ausübung von Herrschaft zur Durchsetzung ökonomischer und politischer Interessen ist, gutheißen können. Wir sprechen uns jedoch gegen die Gleichsetzung der herrschenden Klasse mit den von ihr unterdrückten und ausgebeuteten Menschen eines Landes aus. Dies muss auch für die USA gelten.
Das Phänomen des Anti-Amerikanismus tritt am stärksten in den vom Imperialismus ausgepressten Ländern Asiens, Lateinamerikas und des Nahen Ostens auf. Die zentrale Ursache dafür liegt auf der Hand: die massive Ausbeutung der natürlichen und menschlichen Ressourcen dieser Länder durch die nach Profit lechzenden Multis, die, unterstützt vom US-Militär und dem CIA, massiv zur Verelendung der Menschen, der Zerstörung der Umwelt und zur Destabilisierung der Währungen, Ökonomien und politischen Systeme beitragen. Mit einem solchen Vorgehen wird man nicht unbedingt zum Sympathieträger in der Welt.
Vor einigen Jahren schrieb der Economist, dass die Preise für Rohstoffe auf dem niedrigsten Niveau seit 150 Jahren liegen. Die Überausbeutung in der so genannten „Dritten Welt“ durch westliche (in ihrer Mehrzahl US-amerikanische) Konzerne ist die wahre Ursache für die anti-amerikanische Stimmung in Afrika, Asien und Lateinamerika. Dieses Phänomen äußert sich oft in einer Ablehnung gegen alles „Amerikanische“ und kann leicht Wasser auf die Mühlen reaktionärer politischer Kräfte werden. Gleichzeitig kann es aber eben auch der Ausgangspunkt für einen anti-imperialistischen Protest darstellen. Welche Form dieser berechtigte Unmut annimmt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es in diesen Ländern MarxistInnen gelingt eine politische Alternative darzustellen. Der beste Weg, der Ausbeutung und der Armut in der so genannten „Dritten Welt“ ein Ende zu setzen, liegt im Kampf für die Enteignung der großen Multis und im Sturz der imperialistischen Herrschaft.
Europa und Amerika
Der Anti-Amerikanismus ist aber durchaus auch in Europa weit verbreitet. Diese gegen die USA gerichtete Stimmung in der „Alten Welt“ spiegelt in erster Linie die im Vergleich zu den USA untergeordnete Rolle Europas in der Welt wider. Der europäische Imperialismus hat ganz offensichtlich nicht die Kraft und die Ressourcen, um der kolossalen ökonomischen und militärischen Dominanz des transatlantischen Giganten etwas entgegenzuhalten. Zwischen den „Verbündeten“ aus dem Kalten Krieg herrscht eine komplizierte und widersprüchliche Beziehung. Handelskonflikte und diplomatische Grobheiten treten seit geraumer Zeit in immer kürzeren Abständen auf und legen die unterschiedlichen ökonomischen und politischen Interessen der beiden imperialistischen Zentren offen.
Viele EuropäerInnen sehen ihre eigene kulturelle Identität durch die amerikanische Kultur, die sie als roh und oberflächlich wahrnehmen, bedroht. Hinter den kulturellen Vorurteilen so mancher europäischer Intellektueller liegt jedoch in Wirklichkeit ein tief sitzendes Minderwertigkeitsgefühl, das sich hinter einem kulturellen Snobismus zu verstecken versucht. Diese Haltung hat natürlich eine materielle Grundlage.
Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass die Geschichte der letzten hundert Jahre durch den Niedergang Europas und den Aufstieg der USA gekennzeichnet war. Schon der russische Revolutionär Leo Trotzki meinte, dass der mediterrane Raum (lateinisch für „Zentrum der Welt“) zu einer bedeutungslosen Lacke verkommen wird, und dass zuerst der Atlantik und schließlich der Pazifik zum Mittelpunkt des Weltgeschehens würden. Diese geographische Stellung als Riese zwischen den beiden mächtigen Ozeanen trägt natürlich auch zur globalen Vormachstellung der USA bei. Die tatsächliche Beziehung zwischen Europa und Amerika wird sehr schön durch das Verhältnis zwischen George W. Bush und Tony Blair verdeutlicht. Es handelt sich um eine Beziehung zwischen einem Herren und seinem Diener. Und wie es sich für einen anständigen britischen Diener geziemt, versucht Tony Blair alles Erdenkliche, um den Stil und das Verhalten seines Herren zu kopieren. Dies ändert jedoch nichts am realen Charakter dieser Beziehung.
Die Überheblichkeit von Teilen des britischen Establishments in Bezug auf die amerikanische Kultur ist fast schon bühnenreif. Diese Allüren gleichen jenen der verarmten englischen Aristokraten im 19. Jahrhundert, die im Schatten der aufstrebenden Bourgeoisie ihr Dasein fristeten. Dies hinderte diese Adeligen jedoch nicht, ihre Töchter so schnell wie möglich an die Söhne der aufstrebenden Geldgräber zu verkaufen. Dieses Phänomen wurde, so nebenbei, sehr gut in den Novellen von Jane Austen und anderen beschrieben.
Die ablehnende Haltung vieler EuropäerInnen gegenüber der amerikanischen Kultur basiert auf einem völlig verkürzten Kulturbegriff. Wer an Amerika denkt, der denkt an Exporte „made in the USA“, die die Weltmärkte mit schlechter Musik, überteuerten Markenkleidern, die natürlich mit Sklavenarbeit in der exkolonialen Welt produziert werden, und an cholesterinhaltiges Fast Food, das einen fett macht und überdies mit Sklavenarbeit am hiesigen Markt hergestellt wird. Es ist diese billige und hässliche Kommerzialisierung, die den Kapitalismus in seiner Altersschwäche kennzeichnet. Die Ablehnung dieser Fast Food-Kultur ist absolut verständlich.
Kultur ist jedoch in einer so modernen Welt ein weitaus vielschichtigeres Phänomen als Popmusik, Coca Cola und McDonald´s. Die wissenschaftlich-technologische Entwicklung (u.a. Computer, Internet) birgt ein gewaltiges Potential für eine Hebung des kulturellen Niveaus der gesamten Gesellschaft. Die USA spielen in dieser Hinsicht die Rolle einer Lokomotive des Fortschritts. Dieser wissenschaftliche Fortschritt legt den Grundstein für eine beispiellose kulturelle Revolution. Unter den Bedingungen der kapitalistischen Ordnung kann sich dieses Potential jedoch nicht im ganzen Maße entfalten.
Die Produktivkraftentwicklung in den USA würde beim Aufbau einer zukünftigen sozialistischen Weltordnung eine entscheidende Rolle spielen. Gegenwärtig wird dieses Potential jedoch von den Profitinteressen der großen Multis, welche Amerika beherrschen, in Fesseln gehalten und für zerstörerische Zwecke missbraucht. Wir sind glühende Bewunderer des wahren Amerikas und unverwüstliche Gegner des Amerikas der großen Banken und Monopole, die weltweit Feinde des Fortschritts und der Freiheit sind.
Eine „unamerikanische“ Idee?
Die in den USA vorherrschende Vorstellung vom Marxismus ist in erster Linie durch die Erfahrung mit der stalinistischen Sowjetunion und der dort vertreten Karikatur des Marxismus geprägt.. Marxismus (Kommunismus) wird von der überwältigenden Mehrheit der US-AmerikanerInnen mit einem fremden, totalitären Regime identifiziert, in dem Frauen und Männer von einer übermächtigen Bürokratie kontrolliert und jegliche Eigeninitiativen und Freiheit erstickt und negiert wurden. Der Zusammenbruch der Sowjetunion bestätigte nur die Vorstellung von der Unzulänglichkeit des „Sozialismus“ und der Überlegenheit der „freien Marktwirtschaft“.
Der Standpunkt von MarxistInnen zu dieser Frage ist unzweideutig. Das ungeheuerliche bürokratische Regime in der UdSSR hat nichts mit den Ideen von Marx und Lenin zu tun, die immer für eine demokratische sozialistische Gesellschaft eintraten, wo Frauen und Männer endlich selbst frei über ihr Leben bestimmen können.
Der Zusammenbruch des Stalinismus in Russland bedeutet nicht das Scheitern des Sozialismus, sondern das Scheitern seiner bürokratischen Karikatur. Und gewiss bedeutet es nicht das Ende des Marxismus, der uns mit seiner wissenschaftlichen Methode das notwendige analytische Werkzeug in die Hand geben kann, um die vor unseren Augen ablaufenden gesellschaftlichen Prozesse verstehen zu können.
Eine ernsthafte Barriere für den Marxismus in den USA war immer die Vorstellung, dass es sich dabei um eine Importware handle, die nichts mit der Geschichte, Kultur und den Traditionen der USA zu tun habe. Auch wenn das berüchtigte House Un-American Activities Committee und der damalige Senator Joseph McCarthy mittlerweile nur mehr böse Schattengespenster der Vergangenheit sind, deren antikommunistisches Erbe lebt weiter.
Dabei hat der Kommunismus durchaus auch in Amerika stärkere Wurzeln als man oberflächlich betrachtet annehmen könnte. Während der Kapitalismus in Amerika noch keine zwei Jahrhunderte existiert, lebten die amerikanischen UreinwohnerInnen lange bevor die ersten EuropäerInnen ihren ersten Schritt auf dem Boden der „Neuen Welt“ machten, für Tausende von Jahren in einer kommunistischen Gesellschaft.
Die UreinwohnerInnen kannten kein Privateigentum, keinen Staat, kein Geld, keine Polizei oder Gefängnisse. Kategorien wie Lohnarbeit und Kapital waren ihnen derart fremd, dass sie nie in das sich entwickelnde kapitalistische System integriert werden konnten. Erst auf der Grundlage einer militärischen Niederlage und einem wahren Genozid wurde ihre alten Lebensweisen und ihre Kultur zerstört, ihres eigenen Landes beraubt und in eine unvorstellbare Armut gedrängt. All das im Namen der christlichen Zivilisation.
Das wirklich fremde System war der Kapitalismus mit seiner Gier, dem Fehlen jeglicher Solidarität, einem System, in dem in erster Linie das Gesetz des Dschungels gilt. Zweifelsohne wurde durch die Unterwerfung der UreinwohnerInnen erst der Grundstein für den Aufstieg Amerikas gelegt. Die kolossale Entwicklung der Industrie, Landwirtschaft, Wissenschaft und Technologie haben aus den USA die größte ökonomische Macht aller Zeiten gemacht.
Aus marxistischer Sicht liegt der Schlüssel für jede menschliche Entwicklung in der Weiterentwicklung der Produktivkräfte. So sehr wir diese Entwicklung aus diesem Gesichtspunkt heraus als fortschrittlich betrachten, so muss jedoch betont werden, dass für diesen Fortschritt aufgrund der Anarchie des Kapitalismus und dem freien Spiel der Marktkräfte ein gewaltiger Preis gezahlt werden musste. Die kapitalistische Zurichtung Amerikas zerstörte nicht nur die Kultur der UreinwohnerInnen sondern bedroht im Zuge der systematischen Vernichtung der Umwelt das Leben aller. Das kapitalistische Profitsystem stellt für die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken und die Nahrungsmitteln, die wir essen, eine enorme Gefahr dar. Und diese Bedrohung nimmt trotz des bzw. (unter kapitalistischen Bedingungen) gerade aufgrund des beachtlichen Fortschritts in der Wissenschaft und Technik weiter zu.
Bevor der „weiße Mann“ kam, war Amerika das Land der unberührten Prärien und Wälder, der kristallklaren Wasserfälle und Seen. Ein Land, in dem Frauen und Männer frei atmen konnten. Den UreinwohnerInnen Amerikas war dieses Land heilig und sie verehrten die Natur. Aber die großen Multis, die jetzt Amerika dominieren, tragen keine Sorge für die dieses gemeinschaftliche Erbe. Alles wird auf die Frage des Profits für einige wenige reduziert.
In den berühmten Westernfilmen wurden die UreinwohnerInnen als blutrünstige Wilde und der „weiße Mann“ als Träger der Zivilisation dargestellt, der dazu bestimmt war, das Land zu erobern und die „Wilden“ in die Reservate zu zwingen, wo sie von der christlichen Nächstenliebe erfahren dürften. Heutzutage wird dieses rassistische Bild nicht mehr akzeptiert. Nichtsdestotrotz gibt es keine echte Auseinandersetzung mit dem Lebensstil und der Kultur der UreinwohnerInnen.
Der Mann, der mehr als alle anderen über das Leben und die Zivilisation dieser Menschen schrieb, war der große amerikanische Anthropologe Lewis Henry Morgan. Sein berühmtes Buch „Die alte Gesellschaft“ eröffnete ein neues revolutionäres Kapitel in der Geschichte der Anthropologie und der Erforschung der alten Gesellschaften. Er gab als erster eine wissenschaftliche Erklärung der Rolle der Stämme und Clans als der Grundeinheit der menschlichen Gesellschaft in der Vorgeschichte.
Morgan fand heraus, dass diese Gesellschaften zutiefst demokratisch organisiert waren. Alle erwachsenen Männer und Frauen verfügten über das Stimmrecht. Häuptlinge und Priester wurden gewählt. Alle hatten die gleichen Rechte, niemand verfügte über Privilegien. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gehörten zu den Grundprinzipien dieser Gesellschaften.
Marx und Engels studierten mit großem Interesse Morgans Erkenntnisse, welche zum Ausgangspunkt ihrer Arbeiten über den Urkommunismus wurden. Morgans Aufzeichnungen zu den Irokesen und anderen Stämmen dienten Friedrich Engels als Grundlage für seine Schrift „Der Ursprung der Familie, des Staates und des Privateigentums“, die bis heute eine der zentralsten Arbeiten des Marxismus darstellt. Dieses Buch wiederum war die Basis für Lenins Werk „Staat und Revolution“, das 1917 geschrieben wurde und in dem Lenin das Model einer sozialistischen Demokratie darlegt, wobei der alte repressive bürgerliche Staat zerschlagen und durch eine von der Arbeiterklasse getragene direkte Demokratie ersetzt werden soll. Die Eckpunkte einer solchen sozialistischen Demokratie sind laut Lenin:
- Freie Wahlen und das Recht auf jederzeitige Abwahl aller FunktionärInnen
- Facharbeiterlohn für FunktionärInnen
- Kein stehendes Heer, sondern Volksbewaffnung
- Schritt für Schritt sollen nach einem Rotationsprinzip alle Menschen in die Verwaltung der Gesellschaft eingebunden werden. Frei nach dem Motto: „Wenn jeder ein Bürokrat ist, dann ist keiner ein Bürokrat.“
Es ist wohl eine Ironie der Geschichte, dass die Quelle der marxistischen Staatstheorie gerade in Amerika liegt. MarxistInnen stehen natürlich für eine Rückkehr zur urkommunistischen Ordnung der UreinwohnerInnen sondern für eine klassenlose Gesellschaft auf der Basis moderner Industrien, Technologien und Wissenschaften. Anders als in den alten Gesellschaften würde nicht der mit der Abhängigkeit von der Natur zusammenhängende Mangel herrschen, sondern auf der Grundlage hoch entwickelter Produktivkräfte könnten in dieser neuen sozialistischen Gesellschaft die materiellen und kulturellen Bedürfnisse der gesamten Menschheit befriedigt werden.
Die vergessene Geschichte Amerikas
Im 17. Jahrhundert zähmten die Pilgerväter die amerikanische Wildnis und zeigten auch in den schwierigsten Situationen einen unbezwingbaren Willen. Wer waren diese Menschen? Viele waren politische Flüchtlinge, die vor dem repressiven Regime in England fliehen mussten. In England hatte sich nach dem Tod Oliver Cromwells die Konterrevolution durchgesetzt, als sich die Bourgeoisie mit der Reaktion auf einen faulen Kompromiss einigte und Charles II von Frankreich zurückkehren ließ.
Zum Verständnis dieser Epoche müssen wir voraussetzen, dass zu dieser Zeit der Staat und die Religion unauflösbar miteinander verbunden waren. Jede der unzähligen Kirchen oder religiösen Sekten repräsentierte nicht nur verschiedene Evangelien, sondern stand auch für eine bestimmte politische Meinung und vertrat somit die Interessen bestimmter sozialer Klassen. Die Katholische Kirche etwa war das Sprachrohr der feudalen Reaktion. Die Presbyterianer vertraten die reichen Kaufleute der Stadt London, die bereit waren, mit der Monarchie ein Bündnis einzugehen. Die Unabhängigen von Cromwell wiederum repräsentierten die radikaleren Teile des Kleinbürgertums.
Auf Seite der radikalen Linken gab es eine Hülle und Fülle an Sekten, von den revolutionären Demokraten bis hin zu den Kommunisten. Die Fifth Monarchy Men, Anabaptisten oder die Quakers hatten ihre Basis in den unteren Schichten des Kleinbürgertums, den Künstlern und den halb-proletarischen Massen. Die Levellers und vor allem die Diggers hinterfragten offen das Recht auf Privateigentum. All diese Gruppen zeichneten sich durch ihren starken Wunsch nach Demokratie und ihren ebenso starken Hass auf die Reichen und Mächtigen und ihren Kampf für Gleichheit aus. Die Herrschenden waren aus ihrer Sicht Agenten des Satans. Das war der Geist, von dem die englische Revolution im 17. Jahrhundert beseelt war.
Die revolutionären Massen glaubten daran, das Himmelreich Gottes auf Erden errichten zu können. Wir wissen, dass dies eine Illusion war. Das Niveau der historischen Entwicklung war damals noch nicht reif genug für die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft. Die wahre Funktion des englischen (und später des amerikanischen) Bürgerkriegs war es, den Boden für die kapitalistische Entwicklung zu bereiten. Dies wäre jedoch ohne aktive Beteiligung der Massen niemals möglich gewesen.
Mit Hilfe der revolutionären, halbproletarischen Massen war Cromwell an die Macht gekommen. Aus dieser Position heraus unterdrückte er aber brutal den linken Flügel der Bewegung und bereitete somit der Rückkehr der verhassten Monarchie und den ihr hörigen Bischöfen den Weg. Die Hinterbliebenen des linken puritanischen Flügels wurden aufgrund ihrer politischen und religiösen Einstellungen verfolgt. Deshalb wanderten die Pilgerväter nach Amerika aus, um ihre eigenen Gemeinden aufzubauen. Wie de Tocqueville zeigte: “Der Puritanismus war nicht nur eine religiöse Doktrin, sondern korrespondierte in vielen Punkten mit den reinsten demokratischen und republikanischen Theorien.“ (de Tocqueville, Democracy in America, S. 35.)
Die Pilger organisierten ihre Gemeinschaften nach sehr strengen demokratischen und egalitären Regeln: „In Connecticut bestand die Wahlkommission ursprünglich aus allen Bürger und Bürgerinnen; und das ist auch einfach zu erklären, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass alle die gleichen Rechte und Freiheiten genossen und eine große Vielfalt an Meinungen herrschte. In Connecticut wurden in dieser Zeit alle ausführenden Funktionen gewählt, inklusive des Staatsgouverneurs. Alle Bürger über 16 Jahre mussten Waffen tragen; sie bildeten eine nationale Miliz, ernannten die eigenen Offiziere und standen jederzeit in Bereitschaft, um ihr Land zu verteidigen.“ (a.a.O., S 37-8.)
Wenn wir auf die Substanz und nicht nur die religiöse Form schauen, dann waren die Pilgerväter eine ziemlich fortschrittliche Bewegung. Ein gutes Beispiel liefert ihre Bildungspolitik. In nahezu jedem Dorf und jeder Stadt wurden Schulen errichtet, und die BewohnerInnen müssten sie unter Androhung schwerer Strafen unterstützen. Die Stadtbehörde musste die Anwesenheit in den Schulen kontrollieren und bestrafte Eltern, die ihre Kinder nicht in die Schule schickten. Das alles passierte zwei Jahrhunderte bevor ähnliche Gesetze in Europa erlassen wurden.
Zu dieser Zeit bauten die Einwanderer schon eine Art republikanischer Ordnung auf, obwohl – lasst uns dies nicht vergessen – Amerika formal noch unter britischer Herrschaft stand und somit Teil einer Monarchie war. Sie errichteten eine Art von Doppelherrschaft, mit einer Republik, einer Bürgerdemokratie, einer Volksmiliz, der Wahl der Offiziere und Vollversammlungen, die es in allen Städten und Dörfern gab. Zur dieser Zeit herrschten in Europa noch absolutistische Monarchien, die die Rechte der Menschen mit Füßen traten.
Revolution und die USA
„[W]hat country can preserve its liberties, if its rulers are not warned from time to time that [the] people preserve the spirit of resistance? Let them take arms…The tree of liberty must be refreshed from time to time, with the blood of patriots and tyrants„. (Thomas Jefferson, letter to Col. William S. Smith, 1787.)
„This country, with its institutions, belongs to the people who inhabit it. Whenever they shall grow weary of the existing government, they can exercise their constitutional right of amending it, or their revolutionary right to dismember or overthrow it.“ (Abraham Lincoln – 4 April 1861.)
Heutzutage assoziiert die amerikanische Öffentlichkeit mit „Revolution“ Begriffe wie Angst und Hass. Wie der Kommunismus wird sie als „unamerikanisch“ empfunden, als etwas Fremdes und Bedrohliches. Dabei verdanken die USA ihre Existenz einer Revolution.
Amerika gehörte seit dem 16. Jahrhundert zu den zentralen Objekten der kolonialistischen Begierden Großbritanniens. Das britische Bürgertum suchte hier nach neuen Rohmaterialquellen und Absatzmärkten. Die zweite Triebkraft der Kolonisation sind die EinwandererInnen aus England, die aus ihrer alten Heimat vor politischer, religiöser Verfolgung bzw. sozialer Verelendung flohen. Sie bilden die eigentliche soziale Basis der Kolonialisierung. Ihr Bild von einer neuen Gesellschaft ist das eines demokratischen Gemeinwesens, das sich auf freie Bauern und Handwerker stützt. Diese Kolonialbevölkerung strebt mit der Zeit nach immer größerer Selbstbestimmung und gerät dadurch in Konflikt mit der britischen Krone. Die zentralen Streitpunkte sind Fragen der Mitbestimmung bei der Gesetzgebung, der Steuerbelastung, der Finanzkontrolle und der Entscheidungsgewalt über die in den Kolonien formierte Miliz.
Mitte des 18. Jahrhunderts spitzt sich der Konflikt massiv zu nachdem Großbritannien die Produktion in den Kolonien gesetzlich einzuschränken versucht. Als dann noch die Kolonien die finanziellen Folgen des Siebenjährigen Krieges mit Frankreich in Form höherer Steuern tragen sollten, beginnen die Kolonien die Machtfrage zu stellen. Ihre Losung lautet: „Keine Steuern ohne Vertretung im Parlament!“. Zwischen 1765 und 1772 bilden sich mehrere Widerstandsorganisationen, deren Ziel die Unabhängigkeit vom britischen Empire ist. Sie nennen sich „Sons of Liberty“, „Daughters of Liberty“, “Committees of Correspondence“. 1773/4 beginnt der bewaffnete Widerstand der antikolonialen Bewegung mit der Boston Tea Party und der Gründung der Minutemen.
An der Spitze der so genannten Kontinentalarmee, die der alten Kolonialmacht England de facto den Krieg erklärt, steht George Washington, ein Sklavenhalter aus dem Süden. Er ist Mitglied der Whigs, welche die Unabhängigkeit anstreben, gehört dort aber dem gemäßigten Flügel an. Seine Gegenspieler vom linken Flügel sind Benjamin Franklin, Thomas Jefferson und Thomas Paine, die von den Ideen der europäischen Aufklärung stark beeinflusst waren.
Militärisch war die Unabhängigkeitsbewegung anfangs klar unterlegen. Erst die Verbreitung ihrer Massenbasis und die aktive politische Mobilisierung der Massen brachten die Wende. Der radikale Flügel hat mit seinen politischen Ansätzen, die etwa in Paines Common Sense (Der gesunde Menschenverstand) oder Jeffersons Unabhängigkeitserklärung, welche das Recht auf Widerstand und Revolution proklamiert, ihren Niederschlag fanden, wesentlichen Beitrag zum Sieg der neuen politischen Ordnung. Die Unabhängigkeitserklärung spricht dem Volk das Recht zu, „jede Form der Regierung zu ändern oder abzuschaffen, wenn sie diesem Zweck (Schutz von Leben, Freiheit und Streben nach Glück, Anm.) entgegenwirkt und eine neue Regierung einzusetzen.“ Dies ist eine mehr als deutliche Kampfansage an die europäischen Feudalstaaten und deren Herrscher „von Gottes Gnaden“.
Mit dem Unabhängigkeitskrieg wurden die USA als kapitalistischer Staat begründet. Der Kampf der amerikanischen Kolonien findet aber international ein gewaltiges Echo unter den fortschrittlichen Kräften. Amerika wird so zum Fanal für die bürgerliche Revolution. Die Unabhängigkeitsbewegung verdient auf alle Fälle die Bezeichnung Revolution, denn ohne den aktiven Kampf der Massen gegen die britische Kolonialarmee und die konterrevolutionären Kräfte in den Kolonien selbst, wäre sie nie und nimmer siegreich zu führen gewesen.
Eine Revolution ist durch die Intervention der Massen auf der politischen Bühne gekennzeichnet. Ihre Ziele kann sie nur in dem Ausmaß erreichen, wie es gelingt, die Massen zu aktivieren und zu mobilisieren. Dies gilt auch für die amerikanische Revolution. Wenn die offizielle Gehschichtschreibung immer wieder die Rolle von Persönlichkeiten vom Schlage eines George Washington betont (und überbetont), der Faktor, der den Erfolg der Revolution ermöglichte, war die direkte Beteiligung der Massen. Diese Revolution wurde von Zimmerleuten, kleinen Farmern, Fallenstellern und Teilen des Kleinbürgertums, wie Anwälten und Journalisten gemacht.
Die Klassenzusammensetzung der amerikanischen Revolution war auch dem britischen Kolonialisten General Thomas Gage, der die britischen Truppen in Amerika befehligte, nicht entgangen. Er schrieb am 21. Dezember 1765 dem königlichen Staatssekretär voller Besorgnis:
„The Plan of the People of Property has been to raise the lower Classes to prevent the execution of the Law […] with the view to terrify and frighten the people of England into a Repeal of the Act. And the Merchants, having Countermanded the Goods they had written for unless it was repealed, they make no Doubt that many Trading Towns and principal Merchants in London will assist them to accomplish their Ends.
„The Lawyers are the Source from whence the Clamors have flowed in every Province. In this Province, nothing Publick is transacted without them, and it is to be wished that even the Bench was free from blame. The whole body of Merchants in general, Assembly Men, Magistrates, etc., have been united in this Plan of Riots, and without the influence and Instigation of these the inferior People would have been very quiet. Very great Pains were taken to rouse them before they stirred. The Sailors are the only People who may be properly Stiled Mob, are entirely at the Command of the Merchants who employ them.“
Diese Zeilen beinhalten natürlich einen Fehler. Es ist typisch für hohe Polizei- oder Militärbeamte, Streiks, Aufstände und Revolutionen irgendwelchen „Agitatoren“ zuzuschreiben. Diese würden die sonst demütig ihrer Arbeit nachgehenden Massen aufwiegeln. Natürlich gab es Agitatoren, sehr gute sogar, wie Sam Adams. Aber zu glauben, diese könnten eine Revolution auslösen, ist einfach nur dumm. Die relativ kleine Anzahl der in illegalen Zusammenschlüssen organisierten Agitatoren, wie die „Sons of Liberty“, waren nur deshalb erfolgreich, weil die Massen auf der Basis ihrer eigenen Lebenserfahrung bereit waren, für ihre Interessen zu kämpfen.
Die offizielle Geschichtsschreibung versucht, wie immer, die Bedeutung der Massen herunterzuspielen und konzentrieren sich auf die Oberschicht, die reichen Händler in Boston oder feudalen Grundbesitzer wie George Washington, die ihre eigenen Interessen verfolgten, was auch Gage sehr gut verstanden hat. Aber um ihren Kampf gegen die Kolonialverwaltung überhaupt führen zu können, waren sie gezwungen sich auf die Massen zu stützen, die auch die gesamte Arbeit verrichteten. Es waren die Arbeiter in den Städten, die – organisiert in den „Sons of Liberty“ – die Häuser der verhassten Steuereintreiber stürmten und sie mitsamt ihren Möbeln auf die Straße warfen. Sie teerten und federten Spione. Später spielten die kleinen Farmer und Fallensteller eine entscheidende Rolle beim militärischen Erfolg über die britische Besatzungsarmee.
Die reichen Kaufleute brachten durch ihren Konflikt mit London wegen der Handelssteuern den revolutionären Prozess erst ins Laufen. Sie zogen sich aber schnell von der Revolution zurück, als sie sahen, dass die Massen aktiv wurden und ihr Leben selbst in die Hand nahmen. Die Kaufleute hatten Angst, die Massen würden „zu weit“ gehen und drängten daher auf einen Kompromiss mit den Briten. In der Stunde der Wahrheit hatten die reichen amerikanischen „Patrioten“ also mehr mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern gemein als mit den sozialen Unterschichten im eigenen Land.
Der Klassenkampf und die amerikanische Revolution
Von Beginn an waren die Vereinigten Staaten von Amerika aber eine Klassengesellschaft. Zwischen Theorie und Praxis herrschte in der amerikanischen Demokratie immer schon eine große Kluft. Während die Massen für die Menschenrechte kämpften, waren die Kaufleute und Landbesitzer nur über ihre Vorrechte als soziale Oberschicht besorgt. Gouverneur Morris brachte die Sache auf den Punkt:“ Die Bewegung wird für den Adel gefährlich und die Hauptfrage für uns ist, wie man sie wieder besänftigen kann“. Und das ist und bleibt bis heute die zentrale Frage aus der Sicht der herrschenden Klasse in den USA.
Bereits 1772, also vor Ausbruch des Konflikts mit England, schrieb der große amerikanische Revolutionär Sam Adams in The Boston Gazette: „Für die Menschen dieses Landes ist es nicht allerhöchste Priorität, explizit zu deklarieren, ob man Sklave oder ein freier Mensch sein wird […] Lasst uns zur Ruhe kommen, um herauszufiltern, was nun am besten zu tun ist. Lasst es das Thema in jedem Club, bei jedem sozialen Treffen sein. In jeder Stadtversammlung. Gründen wir Vereinigungen und Zusammenschlüsse, um zu beraten und unsere Rechte zurückzuholen“
Das ist nichts anderes als ein Aufruf zur Bildung von etwas, das in der russischen Revolution später Sowjets („Rat“) genannt werden sollte? Die amerikanischen Revolutionäre gründeten revolutionäre Komitees über hundert Jahre bevor die russischen ArbeiterInnen daran dachten. Sie errichteten ihre Liberty Clubs und Committees of Correspondence, um die kämpfenden revolutionären Gruppen miteinander zu vernetzen.
Nachdem die Massen gegen die britische Herrschaft gekämpft hatten, akzeptierten sie nur schwer die neue privilegierte Oligarchie. In New Hampshire etwa kam es zu Demonstrationen von mehreren hundert Menschen, die mit Stöcken, Steinen und Waffen von der neuen Verwaltung Steuersenkungen forderten. Ähnliche Bilder von Aufständen wurden aus Massachusetts berichtet. Angriffsziele der Demonstranten waren vor allem die Gerichte, wo die Geldverleiher ihre Räumungsklagen gegen verschuldete Farmer einbrachten. In der New York Picket vom 11 September 1786 steht zu lesen: “Am 29. August, dem ausgemachten Gerichtstermin, versammelten sich 400-500 Menschen aus dem ganzen Land. Einige waren mit Gewehren andere mit Knüppeln bewaffnet. Allesamt waren sie wild entschlossen, das Gericht bei der Ausübung seiner Arbeit zu hindern.
Diese Bewegung gipfelte im so genannten „Shays-Aufstand“. Daniel Shays war ein Veteran aus dem Unabhängigkeitskrieg. An die 1000 mit Musketen, Schwerter und Knüppeln bewaffnete Menschen konnten unter seiner Führung die Schließung eines Gerichts für sieben Monate bewirken. Leo Huberman schreibt dazu: “ Das Großbürgertum im gesamten Land befand sich wegen dem Ausstand der armen Menschen in großer Angst. Nachdem zu wenig Geld in den Schatzkammern war, um die staatlichen Truppen zu bezahlen, sprangen reiche Leute ein und spendeten. Shays und seine Anhänger wollten gerade ein öffentliches Lagerhaus in Springfield stürmen, in dem 7000 Musketen, 13000 Barrels Sprengstoff und andere Waffen lagerten. Sie wurden von den Regierungstruppen gestoppt, einige Schüsse wurden abgefeuert und der Mob lief auseinander.“ (Leo Huberman, We the People, p. 94.)
Die wahre Bedeutung dieser Shay Rebellion kann nur mit Hilfe der Klassenanalyse verstanden werden. Einiges später schrieb General Knox an George Washington, um ihn auf den gefährlichen Inhalt der Ideen dieses Aufstandes aufmerksam zu machen. Vor allem sagte Knox, die Rebellen glauben, dass “das Eigentum der USA durch den gemeinsamen Kampf beschützt wurde und deshalb das Eigentum auch gemeinschaftlich sein muss“.
Solche Vorfälle kommen in jeder Revolution der Menschheitsgeschichte vor. Wenn die Menschen fühlen, dass ihnen die Macht, für die sie gekämpft haben und für die viele andere gestorben sind, aus den Händen gleitet, kommt es zu verzweifelten Versuchen wieder die Initiative zu ergreifen. Aber der Klassencharakter der amerikanischen Revolution im 18. Jahrhundert war objektiv bürgerlich. Bestimmt durch die damalige kapitalistische Produktionsweise konnte der Prozess nicht weiter gehen. Als Konsequenz war der Versuch von Shays von vorhinein zum Scheitern verurteilt, genauso wie das Vorhaben der englischen Levellers und des linken Flügels der Puritaner ein Jahrhundert zuvor in England.
Das Vorhaben von Shays muss die Oligarchie, die still und leise versuchte die politische und ökonomische Macht in ihren Händen zu konzentrieren, sehr erschüttert haben. Sofort verstanden sie die Notwendigkeit einer starken Staatsmacht, um ein Bollwerk gegen die Massen zu haben. Gleichzeitig verspürten sie Druck von den sozialen Unterschichten. Als 1787 die 55 Delegierten zur Unterzeichnung der Verfassung zusammenkamen, war kein einziger von ihnen aus der Arbeiterklasse oder der Bauernschaft. Die Klassen, die am vehementesten für die Revolution eingetreten waren, wurden vom weiteren Entscheidungsprozess im neuen Amerika ausgeschlossen. Die Delegierten, die die amerikanische Verfassung beschlossen, waren alles Geldhändler, Kaufleute, Fabrik-, Aktien- oder Sklavenbesitzer.
Die Auseinandersetzungen um die neue Verfassung dauerten Monate. Es gab zahlreiche „heiße Punkte“: Haben die größeren Staaten mehr Mitspracherecht, als die kleineren? Sollten die Schwarzen gleich behandelt werden? Und so weiter. Bei einer Frage aber gab es einen Konsens: Diejenigen, mit wenig oder gar keinem Eigentum sollten nicht zu viel Macht haben. Letztendlich wurde die Verfassung der USA nach heftigen Debatten abgestimmt und nur durch eine kleine Mehrheit angenommen, wie die unten angeführten Zahlen belegen.
dafür | | dagegen | |
---|---|---|
New York | 30 | 27 |
New Hampshire | 57 | 47 |
Massachusetts | 187 | 168 |
Virginia | 89 | 79 |
Die in der Verfassung niedergeschriebenen Rechte und Ideale waren für diese Zeit äußerst revolutionär. Die Einleitungsworte lauten: „Wir glauben an die offensichtliche Wahrheit, dass alle Menschen gleich sind“. In den Ausführungen der berühmten Deklaration gab es allerdings einen Unterschied. In früheren Dokumenten wurden als unveräußerliche Menschenrechte „Leben, Freiheit und Eigentum“ definiert. Der letzte Punkt war vor allem für die reichen Kaufleute und Landbesitzer von Interesse, die nun an der Spitze der Republik standen. Thomas Jefferson ersetzte die Phrase mit „Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück“, ohne Bezug auf das Eigentum zu nehmen. Diese Änderung ist nur mit dem Druck von unten zu erklären.
In der Tat setzte die Regierung dann auch Maßnahmen, mit denen sie das heilige Eigentum angriff. So wurden die Ländereien pro-englischer Landbesitzer konfisziert, aufgeteilt und an kleine Farmer verkauft. In Massachusetts und New Hamshire wurde auch die Sklaverei verboten. Das Bildungswesen wurde demokratisiert. Kirche und Staat wurden getrennt. Die amerikanische Republik war eine revolutionäre Macht, die ihre Existenz den sozialen Unterschichten verdankte und zumindest anfangs unter deren Druck stand. Später, als die Lava der Revolution ausgeglüht war, gewannen die Händler und Großgrundbesitzer die Überhand. Aber am Anfang war die amerikanische Revolution ein Hoffnungsschimmer für die Unterdrückten der ganzen Welt.
Die internationale Bedeutung der amerikanischen Revolution war viel größer, als die meisten heute vermuten würden. Die Verbindung zwischen der amerikanischen und der französischen Revolution war sehr stark. Der bekannte amerikanische Revolutionär Thomas Paine lebte in Frankreich und war auch dort ein wichtiges Sprachrohr der revolutionären Bewegung. Menschen wie Thoma Paine waren die fortschrittlichsten Demokraten ihrer Zeit. Die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, für die sie eingestanden sind, schockten die herrschende Klasse in ganz Europa.
Was ebenfalls stark unterschätzt wird, ist der Einfluss der revolutionären Bewegung Amerikas auf die britische Arbeiterbewegung. Tom Paines Werke kursierten in den im Untergrund agierenden Arbeitergruppen, die sich Corresponding Societies nannten. Heutzutage gibt sich das britische Establishment gerne demokratische. In Wirklichkeit bekämpfte die herrschende Klasse alle demokratischen Bestrebungen mit Zähnen und Klauen.
In dieser dunklen Ära, als die britischen ArbeiterInnen ihrer elementarsten Rechte beraubt und die Gewerkschaften unter Pitts Combination Act verboten waren, wurde die Glut der Freiheit nicht nur durch das Vorbild des revolutionären Frankreichs sondern auch durch Thomas Paines revolutionär-demokratische Ideen am Brennen gehalten. Paine wurde so für Generationen von britischen ArbeiterInnen zum Helden.
Arm und Reich
Das Erreichen der amerikanischen Unhabhändigkeit war sicher ein großer Schritt vorwärts, bedeutete aber nicht automatisch den endgültigen Sieg für die Demokratie. Die Macht war nämlich nun in den Händen einer reichen Oligarchie: „Das folgenschwerste Problem, das von der Revolution vererbt worden war, war das Versagen die Deklaration der Gleichheit aller Menschen durchzusetzen. Wir zeigten auf, dass halb bewusst die FührerInnen der revolutionären Periode die Anwendung von Gleichheit auf die Menschen beschränkten, die als Vertreter ihrer Klassen und als Mitglieder der politischen Gemeinschaft betrachtet werden. Aber sogar unter diesen, konnte sich der Gleichheitsgedanke nie behaupten. Ein Vermögensnachweis, um wählen zu können und eine ungleiche Verteilung der gesellschaftlichen Sektion in der Staatslegislative gaben deutlich den reicheren Menschen und Region den Vorteil. Das Eigentum als Voraussetzung, um wählen zu dürfen, wurde durch die Fähigkeit lesen und schreiben zu können ersetzt, um der Entrechtung der Armen entgegen zu steuern, doch hatte dies den selben Effekt. Diese Ungleichheiten ziehen sich bis heute durch, nun um bei den Wahlen den Weißen einen Vorteil gegenüber Schwarzen zu verschaffen und der Stadt gegenüber den ländlichen Räumen.“ (Dan Lacy, The Meaning of the American Revolution, pp. 282-3.)
Die Eroberung der formalen Demokratie und der Proklamation der Menschenrechte verhinderte nicht die Konzentration der ökonomischen und politischen Macht in den Händen einiger weniger. Die Situation der jungen amerikanischen Arbeiterklasse verschlechterte sich zusehends, wie der folgende Aufruf „Appeal to the Working People of Manayuk to the Public“ vom 28. August 1833 zeigt: „Wir sind unseren Arbeitgebern verpflichtet in dieser Saison ab fünf Uhr morgens 14 und eine halbe Stunde mit einer kurzen halbstündigen Mittagspause und einer einstündigen Abendpause, an einem ungesunden, schmutzigen und heißen Arbeitsplatz zu arbeiten und sind ständig überhitzt und dem Ersticken nahe. Wir sehen die Sonne nur aus einem kleinen Fenster heraus und atmen die Luft, angefüllt von Schmutz und Wollfasern, sodass uns der Appetit vergeht und unsere Gesundheit stark angriffen wird.“
“Oft sind wir so müde, dass wir kaum arbeiten können und wegen der zu knapp bemessenen Zeit sind wir gezwungen, die langen und heißen Tage im Sommer in der schwülen und ungesunden Luft der Fabriken durchzuarbeiten. Den kleinen verbleibenden Rest der Nacht bekommen wir zu wenig Schlaf, um uns physisch zu regenerieren und wir kommen morgens im gleichen Zustand, in dem wir die Fabrik verlasen haben, zu unserer Arbeit zurück. Und trotzdem müssen wir, so, wie wir sind, weiterarbeiten, oder unsere Familien würden schnell verhungern. Denn schon jetzt reicht der Lohn kaum für das Lebensnotwenige für uns alle. Wir können uns nicht gegen Krankheiten oder andere Schwierigkeiten Geld auf die Seite legen, da wir jeden Dollar, den wir erhalten, ausgeben müssen, um uns überhaupt am Leben zu erhalten. Und wenn wir für eine längere Zeit wegen Krankheit ans Bett gefesselt sind, bedeutet das oft den totalen Absturz in die Armut und den Ruin.“
“Unsere Anstrengungen sind wahrscheinlich noch größer als die der anderen Arbeiter, weil wir vom Lohn der gesamten Familie, die arbeiten muss (außer der einem kleinen Mädchen, das den Haushalt führt und kocht), abhängig sind, um unsere täglichen Bedürfnissee befriedigen zu können. So können die Frauen auch nicht ihre eigene Kleidung oder die der Kinder herstellen, sondern müssen alle Waren kaufen.“ (J. Kuczynski, A Short History of Labor Conditions under Industrial Capitalism, vol.2, p. 25.)
Besonders erschütternd war die Situation der Kinder: „Wenn Kinder schon dazu verdammt sind in diesen Gefängnissen zu arbeiten,“ so ein Delegierter der oben erwähnten New Haven Convention, „lasst wenigstens das Gesetz sie vor exzessiver Ausbeutung beschützen und ihrem düsteren Geist ein paar Sonnenstrahlen schenken. Arbeiter! Es ist bitter, dass das Brot, das eure kleinen Kinder unter Schmerzen und Tränen verdienen müssen, den Weg für einen frühen Tod bereiten, ohne je das Leben, sondern nur die Not kennen gelernt zu haben.“
Der Klassenkampf begleitete die amerikanische Republik seit ihrer Geburtsstunde. 1778 traten die Drucker von New York City erstmals zusammen und forderten höhere Löhne. Der erste Streik von Lohnabhängigen fand 1786 in Philadelphia statt, wo wiederum Drucker für einen Mindestlohn kämpften. Der erste Generalstreik, der eine beachtliche Anzahl an Arbeitern der verschiedensten Branchen einschloss, ging 1827 wieder in Philadelphia über die Bühne. Zu dieser Zeit wurden auch viele Gewerkschaften gegründet.
Die Bosse bekämpften entschlossen die Versuche der Arbeiter sich in Gewerkschaften zu organisieren und zu streiken. 1806 wurden Mitglieder der Philadelphia Journeymen Cordwainers, die einen Streik für höhere Löhne anführten, wegen Verschwörung verurteilt. Aufgrund der Gerichtsurteile war die Gewerkschaft bankrott und wurde aufgelöst. Dies war kein Einzelfall. In unzähligen Fällen engagierten die Unternehmen Streikbrecher und zogen gegen die Gewerkschaften vor Gericht. Die Organisierung in Gewerkschaften galt als „Verschwörung“. Über Jahrzehnte waren Streiks und andere Formen des Klassenkampfs auf der Grundlage dieses „Verschwörungsparagraphen“ als illegal erklärt.
Die zweite amerikanische Revolution
Jenes Amerika, das die „heiligen Prinzipien“ der Freiheit verkündet hatte, hielt aber nach wie vor an der Sklaverei fest. Männer und Frauen wurden von ihren Heimatländern in Schwarzafrika verschleppt und in Amerika wie Vieh verkauft und gekauft. Es handelte sich um den gewaltigsten Menschenhandel der Geschichte. Betrieben wurde dieser von christlichen „Ehrenmännern“, die am Sonntag den Herren im Himmel priesen, aber jeden Tag Sklaven schlugen, vergewaltigten und töteten.
Obwohl der Sklavenhandel bereits für illegal erklärt worden war, importierten die Großgrundbesitzer der Südstaaten auch nach 1808 noch unzählige Sklaven. Es gibt belegte Zahlen, wonach jedes Jahr 150.000 Sklaven in die Neue Welt verschifft wurden, im Vergleich zu 45.000 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Den Plantagenbesitzern des Südens war es 1787 gelungen, die Aufnahme eines Artikels gegen die Sklaverei in die neue Verfassung der USA zu verhindern. Trotzdem fehlte es der Sklavenwirtschaft damals noch an der materiellen Basis. Die Baumwollproduktion war noch zu ineffizient, um Sklaven im großen Stil dafür einzusetzen. Erst die Erfindung der Baumwollentkörnungsmaschine im Jahre 1793 löste einen Boom des Baumwollanbaus aus. Dank der neuen Technologie war nun der Anbau profitträchtig. Wurden 1792 nur 6000 Ballen à 500 Pfund hergestellt, so erreichte die Baumwollproduktion 1859 4.300.000 Ballen. Damit einhergehend explodierte der Sklavenhandel. Gab es 1772 „nur“ 460.000 Sklaven, waren es 1860, kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs, 4 Millionen.
Die Sklaven wurden als Vieh betrachtet, wie die folgende Beschreibung eines Sklavenverkaufs zeigt: „Rund ein Dutzend Interessenten war versammelt, während die arme Gestalt auf der Bühne sich ihrer Kleider entledigte. Und als die Gestalt dann von Kopf bis Fuß nackt dastand, begann eine äußerst gewissenhafte Untersuchung. Die reine, schwarze Haut wurde – hinten und vorne – nach Anzeichen von Krankheiten untersucht. Kein Teil des Körpers blieb ohne Untersuchung. Der Mann musste seine Hände öffnen und zusammenklappen, wurde gefragt, ob er Baumwolle tragen könnte, und jeder einzelne Zahn im Mund wurde untersucht.“
Im Charleston Courier vom 12. April 1828 war folgendes zu lesen: „Eine ganze Familie preisgünstig abzugeben, bestehend aus einer ca. 35-jährigen Köchin, ihrer 14-jährigen Tochter und 8-jährigen Sohn. Entweder einzeln oder als gesamte Familie, wie es der Käufer wünscht.“
Der Klassenstandpunkt der Sklavenhalter wurde auch sehr gut in den Kommentaren des Senators Hammond aus South Carolina ausgedrückt: „In jedem sozialen System muss es eine Klasse geben, welche die grundlegenden Pflichten erledigt, welche die Schufterei übernimmt […], wir nennen sie Sklaven. Jawohl, wir Südstaatler sind eher vom alten Schlag; dieses Wort wird heutzutage eher nicht so gerne gehört; die Klasse im Norden würde ich nie so bezeichnen, dennoch gibt es sie dort genauso. Es gibt sie überall, es wird sie ewig geben! Der Unterschied ist nur, dass unsere Sklaven lebenslang von uns gekauft werden und dafür versorgt werden. Es gibt keinen Hunger, keine Bettelei, keine Arbeitslosigkeit, aber auch keine Überbeschäftigung bei unseren Leuten. Eure „Sklaven“ werden Tag für Tag gekauft, man kümmert sich nicht um sie, sie sind eher schlecht versorgt. Dies kann man sehr leicht zeigen, wenn man sich nur die Straßen eurer großen Städte anschaut, zu jeder Stunde des Tages. Warum nur trifft man in jeder einzelnen Straße von New York an einem einzigen Tag mehr Bettler, als man im Süden während des gesamten Lebens treffen würde? Unsere Sklaven sind schwarz, von einer minderwertigen Rasse […] eure Sklaven sind weiß, von eurer eigenen Rasse, von eurem eigenen Blut.“
Diese Sätze sind äußerst aufschlussreich, weil sie den wahren Charakter der herrschenden Klasse bloßlegen. Anstatt zu verteidigen, was nicht zu verteidigen ist, zeigen die Sklavenhändler der Südstaaten mit dem Finger auf die Kapitalisten der Nordstaaten. Der Versuch den Sklavenhandel zu rechtfertigen, ist natürlich völlig absurd. Aber diese Sätze beinhalten dennoch ein Körnchen Wahrheit. Die Unterstützer der Sklaverei sagten: „Warum schwärzt ihr uns an, wenn ihr nicht viel besser seid als wir? Unsere Sklaverei ist für alle offensichtlich, wir verstecken sie nicht. Aber eure Sklaverei ist mindestens ebenso schlecht, wenn nicht sogar schlechter, weil versteckt und verlogen.“ Wir müssen nicht die Logik der Sklavenhalter akzeptieren, um zu verstehen, dass die Haltung der herrschenden Klassen jeder historischen Periode – Sklavenhalter, feudale Fürsten, Kapitalisten – gegenüber den Ausgebeuteten immer dieselbe war. Die Manufakturbesitzer des Nordens waren angesichts einer möglichen Aufhebung der Sklaverei im Süden eher wenig begeistert, weil sie nicht ohne Grund fürchteten, dass eine Änderung der Besitzverhältnisse im Süden auch die Arbeiterklasse im Norden ermutigen könnte, Forderungen zu stellen.
Ein paar Tausend Familien kontrollierten den Süden, während über 4 Millionen schwarzer Sklaven die Arbeit verrichteten. Zwischen den beiden Extremen gab es aber noch die Millionen armer, weißer Farmer, auf die sich die herrschende Klasse jedoch zur Aufrechterhaltung des Status quo stützen konnte. Die Weißen waren bereits beschäftigt genug die Schwarzen einzuschüchtern und ihnen Angst und Ergebenheit vor ihren „Herren“ einzuimpfen. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wurde versucht die Schwarzen – sowohl Freie, als auch Sklaven – an ihrem Platz am Ende der gesellschaftlichen Hierarchie zu halten.
Um diesem unmenschlichen System ein Ende zu setzen und die bürgerliche Revolution von 1776 zu vollenden, war eine zweite Revolution notwendig. Sie sollte die Form eines blutigen Bürgerkriegs annehmen. Eng mit diesem Kampf für Demokratie und Menschenrechte verbunden, ist der Name eines Mannes – Abraham Lincoln. Die Initiative jedoch kam von unten, den militanten VertreterInnen der Sklavenbefreiung und natürlich von den Sklaven selbst. Eine Bewegung, welche als Minderheit begann und als „subversiv“ und „extremistisch“ bezeichnet wurde, schaffte es trotz der Verachtung durch den „moderaten Mainstream“ Amerika umzukrempeln.
Es kam immer wieder zu Sklavenrevolten, die aber mit äußerster Brutalität niedergeschlagen wurden. Die militante Bewegung gegen die Sklaverei setzte auf revolutionäre Methoden zur Befreiung der Sklaven. Der Kampf zwischen Sklavenhaltern und deren Gegner mündete in einem offenen Bürgerkrieg, als John Brown seine Truppe der militanten Sklavenbefreier nach Kansas führte, um die Sklavenhalter zu bekämpfen. Im Oktober 1859 führte John Brown 18 Männer – davon 4 Schwarze – an, um das staatliche Waffenarsenal in Harpers Ferry, Virginia, zu besetzen. Der Coup platzte und Colonel Robert E. Lee, der zukünftige Befehlshaber der konföderierten Truppen des Südens, ließ Brown von US-Marines festnehmen. John Brown wurde zum Tod durch den Strang verurteilt, kurz darauf wurde das Urteil vollstreckt. Die Exekution von John Brown brachte das Fass zum Überlaufen und im ganzen Norden fanden Massendemonstrationen gegen die Sklaverei im Süden statt. Und durch diese Massenmobilisierungen wurde ein Jahr darauf auch Abraham Lincoln zum Präsidenten gewählt.
Die Niederlage des Südens – dem Hort der Reaktion – und die Emanzipation der Sklaven war ohne jeden Zweifel ein progressiver Schritt. Aber die Bürgerlichen im Norden versuchten bis zuletzt einen Kompromiss mit den Südstaaten zu schließen. Die Logik des Sklavenhaltersystems, das permanente Expansion erforderte, machte aber einen solchen Kompromiss unmöglich. Karl Marx erklärte, dass die auf Sklaverei beruhende Produktionsweise nur profitabel ist, „solange sie mit großen Gängen von Sklaven, auf massenhafter Stufenleiter und auf weiten Flächen eines natürlich fruchtbaren Bodens, der nur einfache Arbeit erheischt, ausgeführt wird. Intensive Kultur, die weniger von der Fruchtbarkeit des Bodens als von Kapitalanlagen, Intelligenz und Energie der Arbeit abhängt, widerspricht dem Wesen der Sklaverei.“ Daraus resultierte auch die Expansionsstrategie der Südstaaten innerhalb der Union. Der Bürgerkrieg war nur eine Frage der Zeit. Als mit Lincoln ein Gegner der Sklaverei überraschend zum Präsidenten gewählt wurde, war die Zeit gekommen.
Die ersten Schüsse fielen bei Fort Sumter am 12. April 1861. Für Marx und Engels, die sich als Journalisten für die „New York Daily Tribune“ und die Wiener Tageszeitung „Die Presse“ intensiv mit dem Bürgerkrieg in den USA auseinandersetzten, war ziemlich schnell, das es sich um einen „Kampf zweier sozialer Systeme, des Systems der Sklaverei und des Systems der freien Arbeit“ handelte.
Zu Beginn, als South Carolina und 10 andere Sklavenstaaten sich unabhängig erklärten, war es Lincolns vorrangigstes Ziel den weiteren Zerfall der Union zu verhindern. So versicherte er zum Beispiel den Sklavenhaltern, dass seine Regierung „in jenen Staaten, welche Sklaven halten, die Verhältnisse nicht zu ändern gedenke“. Damit brachte er die Meinung großer Teile der bürgerlichen Klasse im Norden zum Ausdruck, welche den Konflikt zu verhindern suchten. Im Laufe des Bürgerkriegs änderte Lincoln aber seine Meinung. Von einem Versuch die politische Einheit der USA zu erhalten, wurde der Bürgerkrieg zu einem revolutionären Krieg gegen die Sklaverei.
Marx und Engels waren aber nicht nur Beobachter dieser Ereignisse. Da ein Sieg des Südens einen unvorstellbaren gesellschaftlichen Rückschritt dargestellt hätte, ergriffen sie unmissverständlich auf Seiten des Nordens Partei. Lincolns anfängliche Strategie war aus ihrer Sicht zum Scheitern verurteilt. Die militärischen Niederlagen des Nordens in der ersten Phase des Bürgerkriegs bestätigten ihre Perspektive. Laut Marx würden die Ereignisse aber von selbst „zur Verkündung der entscheidenden Parole – der Sklavenemanzipation“ drängen.
Schon 1862 entwickelte Engels in einem Artikel in der „Presse“ eine Strategie, welche den Norden zum Sieg verhelfen sollte. Der talentierte Militärtheoretiker Engels nahm damit die Kriegstaktik von General Sherman aus dem Jahre 1864 vorweg, welche den Nordstaaten schlussendlich den Sieg bescheren sollte. Hätte sich Engels Linie schon früher durchgesetzt, dann hätten viele Menschenopfer vermieden werden können.
Abgesehen davon, hatten Marx und Engels aber auch mit der Perspektive Recht, dass die Sklavenfrage der entscheidende Punkt in diesem Krieg werden würde. Unter dem Druck von unten erließ Lincoln im September 1862 eine Proklamation, in welcher er die Befreiung der Sklaven verkündete. Die reaktionäre Klasse des Südens wurde außerdem für enteignet erklärt, ohne auch nur einen Cent Entschädigung zu erhalten. Besitztümer im Wert von 2 Milliarden Dollar! Wurden dabei enteignet. Da soll noch jemand sagen, entschädigungslose Enteignungen seien „un-amerikanisch“!
Damit war der Bürgerkrieg zu einem revolutionären Krieg geworden. Ehemalige Sklaven erhielten nun ebenfalls das Recht, in die Armee der Union einzutreten. 185.000 Schwarze sollten diesem Ruf nachkommen. Im Süden scheiterten hingegen alle Versuche, Schwarze in die Armee zu pressen. Ein entscheidender Anteil am Sieg des Nordens sollte aber der Arbeiterklasse im Norden zufallen. Rund die Hälfte der 900.000 Industriearbeiter trat in die Armee ein. Ganze Einheiten rekrutierten sich aus Arbeitern deutscher, polnischer oder italienischer Herkunft. Die Arbeiter des Nordens nahmen enthusiastisch am Krieg gegen die Südstaaten teil. Viele lokale Gewerkschaftsorganisationen waren während des Bürgerkrieges geschlossen, weil alle ihre Aktivisten an der Front waren. Im Konflikt des nördlichen Industriekapitalismus gegen den feudalen Süden, war es klar auf welcher Seite die MarxistInnen zu stehen hatten. Auch Mitglieder des Bundes der Kommunisten kämpften deshalb in der Armee des Nordens. 1865 musste der Süden kapitulieren.
Der Bürgerkrieg hatte den Charakter einer bürgerlich-demokratischen Revolution. Er legte die Basis für die weitere Entwicklung des Kapitalismus in den USA und beseitigte mit dem Sklavensystem eine der großen historischen Barrieren, die dem revolutionären Kampf des amerikanischen Proletariats im Weg standen. Das brachte auch Marx im „Kapital“ auf den Punkt: „In den Vereinigten Staaten von Nordamerika blieb jede selbständige Arbeiterbewegung gelähmt, solange die Sklaverei einen Teil der Republik verunstaltete. Die Arbeit in weißer Haut kann sich nicht dort emanzipieren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird.“
In diesem Krieg gegen die Reaktion, stand die Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA, die Erste Internationale, Anm.) uneingeschränkt auf der Seite der Nordstaaten. Karl Marx verfasste in ihrem Namen einen Brief an Abraham Lincoln anlässlich seiner Wiederwahl zum Präsidenten, in dem er seine Zustimmung und Unterstützung im Kampf gegen die Sklaverei ausdrückte. Darin betont er auch, dass die europäische Arbeiterklasse instinktiv von Beginn des Bürgerkriegs an gefühlt hatte, „dass an dem Sternenbanner das Geschick ihrer Klasse hing.“ Lincoln beantwortete diese Grußadresse der IAA ausführlich und würdigte dabei ihre deutliche Parteinahme für den gerechten Kampf der Nordstaaten. Als Lincoln kurz nach Ende des Bürgerkriegs einem Attentat zum Opfer fiel, richtete der Zentralrat der IAA eine Adresse an dessen Nachfolger, Präsident Andrew Johnson, in der Lincolns historische Bedeutung betont und dieses Verbrechen schwer kritisiert wurde.
Lincoln war ein Bürgerlicher, aber er hat einige durchaus interessante Stellungnahmen zur Arbeiterbewegung getätigt: „Alles was der Arbeit (der Arbeiterbewegung, Anm.) Schaden zufügt, ist ein Verrat an Amerika. Zwischen den beiden kann es keine Trennung geben. Wenn dir jemand, der die Arbeiter hasst, erzählt, er liebe Amerika, dann lügt er. Wenn er sagt er vertraut auf Amerika, er fürchte jedoch die Arbeiter, dann ist er ein Idiot.“
Ebenso verteidigte er das Streikrecht als Grundrecht der Arbeiterschaft: „Ich bin froh zu sehen, dass sich ein System entwickelt, wo es Arbeitern erlaubt wird zu streiken, wann immer sie wollen … Ich wünsche mir ein System, wo jeder kündigen kann, wenn er will, und ich wünsche, dass es ausgebaut wird.“
Der Amerikanische Bürgerkrieg war durchaus auch von internationaler Bedeutung. Dies galt vor allem für Großbritannien. Zur Zeit des Bürgerkrieges hatte das britische Kapital Unsummen in amerikanische Unternehmen, vor allem in Eisenbahnen, Banken, Kohlebergwerken, Holzindustrie und in Landbesitz, investiert. Während die herrschende Klasse durchaus mit den Südstaaten sympathisierte, stand die britische Arbeiterklasse auf der Seite der Nordstaaten. Dies ist vor allem deswegen beachtenswert, weil der Ausgang des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges eine Rezession in den Baumwolle verarbeitenden Betrieben in England verursachte und eine große Arbeitslosigkeit dadurch erzeugt wurde. Marx, der selbst an den Massenversammlungen der britischen Gewerkschaften teilgenommen hatte, schrieb dazu: „Die englische Arbeiterklasse hat dadurch unsterbliche geschichtliche Ehre geerntet, das sie den wiederholten Versuch der herrschenden Klasse zur Intervention für die amerikanischen Sklavenhalter durch enthusiastische Massenmeetings niederschlug, obgleich die Fortdauer des Amerikanischen Bürgerkriegs einer Million englischer Arbeiter die furchtbarsten Leiden und Entsagungen aufbürdet.“
Wie der Kapitalismus die Befreiung der Schwarzen verhinderte
Die zweite amerikanische Revolution war zwar ein Riesenschritt nach vorne, erfüllte aber nie jene Versprechen, welche sie der schwarzen Bevölkerung machte. Die wahren Sieger des Bürgerkrieges waren die KapitalistInnen des Nordens, welche eine Öffnung der Märkte und neue, billige Arbeitskräfte erhielten. Knapp eineinhalb Jahrhunderte nach der formellen Befreiung der Sklaven in den USA sind wir weit von einer Situation entfernt, in der von wahrer Gleichheit zwischen den Menschen unterschiedlicher Hautfarbe gesprochen werden kann. Die Kämpfe der Schwarzen in den 1960ern brachten zwar einige Verbesserungen mit sich, prinzipiell blieb die Ungleichheit jedoch erhalten. Michael Moore, der vor allem durch „Stupid White Man“ und den Film „Bowling for Columbine“ weltweite Bekanntheit erlangte, zeigt dies anhand einer Reihe von Beispielen auf:
Rund 20 Prozent der schwarzen Jugendlichen zwischen 16 und 24 besucht weder eine Schule bzw. arbeiten. Der Vergleichswert bei weißen Jugendlichen liegt bei 9 Prozent. Trotz des „wirtschaftlichen Booms“ in den 90ern veränderten sich diese Zahlen nicht wirklich.
1993 investierten dreimal so viele weiße Haushalte in Aktien und Versicherungfonds als schwarze Haushalte. (seit diesem Jahr verdoppelte sich im Durchschnitt der Wert der Aktien)
Schwarze PatientInnen, die wegen Herzattacken eingeliefert werden, bekommen mit einer niedrigeren Wahrscheinlichkeit einen Bypass gesetzt, wie weiße PatientInnen, egal welche Hautfarbe der Arzt hat. Im Vergleich zwischen weißen und schwarzen PatientInnen, bekamen weiße PatientInnen mit 40 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit diese Operation.
Schwarze Frauen sterben vier mal häufiger während der Geburt, als Weiße
Die Arbeitslosigkeit bei Schwarzen liegt seit 1954 durchschnittlich mindestens 2mal so hoch wie bei Weißen.
In den ersten 9 Monaten von 2002 betrug die durchschnittliche Arbeitslosenrate in den USA 5,7 Prozentpunkte, im Vergleich zu 4 Prozentpunkten in den ersten 9 Monaten 2000. 2,5 Millionen ArbeiterInnen sind arbeitslos geworden. Aber bei den afro-amerikanischen ArbeiterInnen stieg die Arbeitslosigkeit um 60 Prozent schneller. 400.000 schwarze ArbeiterInnen sind zusätzlich arbeitslos, im Vergleich zu 2000, ein Anstieg um 30 Prozent!
Das kapitalistische System hat es nicht geschafft die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen, außer vielleicht die einer kleinen Schicht, welche die Produktionsmittel besitzt und das Land und die Regierung als ihren Privatbesitz sieht. Die größten Verlierer hingegen sind jene 20 Prozent der amerikanischen Bevölkerung, die am unteren Ende der Gesellschaft stehen, und zu einem großen Teil entweder Schwarze oder Latinos sind. Obwohl dies durch eine Scheingleichheit verdeckt werden soll, die es ermöglicht, dass Leute wie Colin Powell in mächtige Positionen aufsteigen, hat sich die Situation der Arbeiterklasse und vor allem der schwarzen ArbeiterInnen nicht verbessert.
Die Antwort darauf ist klar: Um Rassismus ein für allemal zu beseitigen, muss man das Problem an der Wurzel packen. Die Sklaven der Südstaaten wurden als billige Arbeitskraft für die Großgrundbesitzer ins Land geholt. Als Resultat der 2. amerikanischen Revolution sind sie zwar formell frei, bleiben aber weiterhin billige Arbeitskräfte für das „Big Business“.
Die Verbindung von Kapitalismus und Rassismus wurde von Malcolm X und der „Black Panther“-Bewegung sehr gut aufgezeigt. Sie versuchten die Frage von einem Klassenstandpunkt aus zu lösen und den Kampf der Emanzipation von Schwarzen mit dem generellen Befreiungskampf der amerikanischen Bevölkerung zu verbinden. Dies war eine riesige Gefahr für das Establishment, welches lange Zeit die Politik des „Teilen und Herrschen“ verfolgte. Daher wurden die Black Panthers auch zu Tode gejagt und umgebracht.
Als MarxistInnen sollten wir den großen Fortschritt, den die amerikanische Revolution brachte, anerkennen, wir müssen jedoch immer dazusagen, dass diesen Prinzipien nur Leben eingehaucht werden kann, wenn die großen Banken und Monopole entschädigungslos enteignet werden. Diese waren es nämlich, die das Wort Demokratie zu einer leeren Hülle werden ließen. Der Sturz dieser Herrschaft benötigt völlige Einheit im Kampf – von Schwarzen und Weißen, Ureinwohner und Iren, Amerikanern, Latinos und Juden, Arbeitern und Angestellten, Männern und Frauen, Alt und Jung. Es gibt keine Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Hautfarbe, Geschlecht oder Glaubensbekenntnis. Es ist notwendig all jene zu vereinen, welche unterdrückt, unterprivilegiert und ausgebeutet sind. Sie sind es, die dieses System unter dem Banner der Arbeiterbewegung und des Sozialismus besiegen können.
Das Land der Einwanderer
Die Pilgerväter hatten die erste Einwanderungswelle nach Nordamerika im Zuge einer niedergeschlagenen Revolution gebildet. In den folgenden Jahrhunderten sollten wir dieses Phänomen mehrmals beobachten können. Nach jeder niedergeschlagenen Revolution in Europa folgte eine Einwanderungswelle in die USA. Dieses Menschengemisch, welches das moderne Amerika aufbauen sollte, umfasste Polen, Ungarn, Deutsche, Italiener, Russen, Juden, Iren und natürlich die Nachkommen der früheren Sklaven aus Afrika und in späterer Folge MigrantInnen aus Zentral- und Lateinamerika.
Viele Einwanderer waren also politische Flüchtlinge, die entweder vor einer siegreichen Konterrevolution oder vor nationaler Unterdrückung flohen. Die Niederlage der polnischen Aufstände von 1830 und 1863, die Niederschlagung der deutschen Revolution 1848, die Verfolgung von Juden und Revolutionären durch den russischen Zarismus, die Zerschlagung der unzähligen Aufstände der Iren gegen ihre britischen Unterdrücker – all dies sicherte Amerika einen permanenten Zufluss an Menschen, welche es zu dem machten, was es heute ist.
Um die großen Weiten des amerikanischen Nordens zu besiedeln, die dichten Wälder zu roden und die Gefahren der Wildnis zu meistern, benötigte es eine spezielle Art von Menschenschlag, mit einem speziellen Geist. Die Erschließung des Westens war historisch gesehen eine progressive Entwicklung. Viele AmerikanerInnen beziehen sich noch heute auf diesen Pioniergeist, der dies ermöglichte. Aber woher kam dieser Pioniergeist? Er ging in erster Linie von Menschen aus, die bereits in ihrer alten Heimat viel Mühen und Leid auf sich genommen haben, um die Welt rund um sich zu verändern. Frei von politischer oder religiöser Unterdrückung sahen sie nun in Amerika die Chance ein neues Leben zu beginnen und ihre Träume von einer besseren Welt wahr zu machen. Die Energien, die sie einst zur Bekämpfung der alten Regime in Europa aufwandten, konnten sie nun für die Eroberung dieses riesigen Kontinents leiten. Dieser so sehr gepriesene amerikanische „Pioniergeist“ ist nichts anderes als das Produkt revolutionärer Psychologie, welche unter den neuen Bedingungen einen anderen Ausdruck fand.
Hegel sagte einmal, dass die französische Revolution nie stattgefunden hätte, wenn Frankreich über die Weiten der nordamerikanischen Prärien verfügen würde. Damit lässt sich auch die Psychologie des „amerikanischen Traums“ erklären, wonach jeder alles erreichen könne. Es braucht nur ausreichend Eigeninitiative und den Willen hart zu arbeiten. In einer Phase, wo Amerika aus einem riesigen, fast nicht erschlossenen Land bestand, hatte diese Vorstellung auch durchaus eine materielle Basis. Die im Westen scheinbar unbeschränkten Möglichkeiten bedeuteten, dass die revolutionären Ideen kanalisiert und absorbiert werden konnten. An die Stelle des Klassenkampfs trat hier der individuelle Kampf von Frauen und Männern gegen die Natur, Das Ziel der Einwanderer war es ein Stück Land zum Leben zu finden. Darin liegt die Wurzel des Individualismus, der immer als „der“ Charakterzug der amerikanischen Gesellschaft gesehen wird.
Im 19. Jahrhundert schrieb der berühmte französische Soziologe Alexis de Tocqueville sein bekanntes Werk „Über die Demokratie in Amerika“. Seine grundlegende These war, dass die amerikanische Demokratie deswegen so in der Gesellschaft verwurzelt sei, weil der Unterschied zwischen Reich und Arm verglichen mit den Ländern Europas gering ist. Ebenso hätten die Reichen alle selber bei Null begonnen und sich alles erst erarbeiten müssen. Als Tocqueville dieses Buch verfasste, hatte diese These durchaus noch seine Berechtigung. Mit der großen Ausnahme des Südens, wo eine kleine weiße Oberschicht über die Sklaven herrschte, herrschte in den meisten Staaten der jungen USA eine bemerkenswerte Gleichheit unter den Bürgern. Natürlich gab es auch schon damals soziale Ungleichheit. Aber auch die ärmsten Familien spürten, dass der soziale Aufstieg möglich wäre. Die amerikanische Gesellschaft war auch nicht völlig frei von Klassenkämpfen. Man denke nur an die so genannten „Range wars“, den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Großgrundbesitzern und kleinen Farmbesitzern. Aber generell blieb das Klassenkampfniveau in Amerika bis in die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts relativ niedrig.
Infolgedessen war zum Beispiel der Staatsapparat lange Zeit relativ schwach entwickelt. Amerika wurde daher auch nicht durch die großen Ausgaben für Bürokratie und Militär belastet, wie dies bei den europäischen Staaten der Fall war. Dies änderte sich aber schnell mit der raschen Entwicklung des Kapitalismus Ende des 19. Jahrhunderts. Die Herausbildung von Konzernen, die Suche nach neuen Märkten und der Beginn einer amerikanischen Interventionspolitik im Ausland mit dem Spanisch-Kubanisch-Amerikanischen Krieg von 1892-1898 veränderten die USA grundlegend. Der Aufstieg zur stärksten imperialistischen Supermacht der Welt hatte begonnen.
Die Arbeiterbewegung in den USA
Der amerikanische Kapitalismus des 19. Jahrhunderts war historisch betrachtet eine progressive Kraft. Der Sieg des Nordens hatte die Grundlage für die ökonomische Expansion und weltweite Vorherrschaft der USA gelegt. Für die kapitalistischen Unternehmen war ein riesiges Arbeitskräftereservoir freigelegt worden. Das machte die Vorherrschaft einer Handvoll von Industriellen möglich, die den Weg für die Trusts und Monopole der 1890er Jahre ebneten. Während die Arbeiter im Krieg gegen die Sklaverei kämpften und ihr Leben dafür gaben, bereicherten sich nun die zukünftigen Monopolisten mit ihrer lukrativen Kriegsindustrie. Ihr erstes Vermögen machten Carnegie, Mellon, Armour, Gould, Rockefeller, Fisk, Morgan, Cooke, Stanford, Hill und Huntington zu eben dieser Zeit.
Bis 1860 war die Regierung der Vereinigten Staaten weitgehend in den Händen der Landbesitzer des Südens. Ab 1865 übernahm aber die kapitalistische Oligarchie des Nordens die Macht. Die Haltung dieser Männer wird in den Worten des Kommodore Vanderbilt deutlich: „Das Gesetz! Was kümmert mich das Gesetz? Hab ich denn nicht die Macht?“ Tatsächlich hatten all die Vanderbilts und Konsorten die Macht in der Hand. Und sie haben sie bis heute.
Der Sieg des Kapitalismus in den USA löste ein nie zuvor gesehenes Wachstum der Produktivkräfte aus. Diese Entwicklung ist sehr schön am Beispiel des Eisenbahnenbaus zu sehen: Gab es im Jahr 1860 in den USA 30.000 Meilen an Eisenbahngleisen, so hatte sich ihre Zahl 1880 mit 90.000 Meilen verdreifacht. 1930 waren es bereits 260.000 Meilen.
Der Fortschritt war gewaltig, seine Früchte wurden allerdings extremungleich verteilt. 1892 schrieb die People’s Party folgendes: „Die Früchte aus den Mühen Tausender Menschen werden hemmungslos gestohlen, um gewaltigen Reichtum für wenige zu horten (…) Reichtum gehört jenen, die ihn schaffen, und jeder Dollar, der ohne Gegenleistung von der Industrie genommen wird, ist Diebstahl. Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen (…) Wir glauben, dass die Zeit gekommen ist, in der entweder die Eisenbahn-Corporation die Menschen besitzen werden, oder die Menschen die Eisenbahnen (…) Als Kommunikationsmittel und im Zentrum öffentlichen Interesses sollten Transportmittel dem Staat gehören und von ihm im Interesse der Menschen betrieben werden…“
Gleichzeitig mit dem Anwachsen der wirtschaftlichen Macht der USA stieg auch die Macht des Big Business an. 1904 kontrollierte die Standard Oil Company mehr als 86% des gesamten raffinierten Leuchtgases. 1890 kontrollierten riesige Konzerne alle wichtigen Industrien. Die Aluminium Company stellte 100% der Aluminiumproduktion der Vereinigten Staaten. Die Autohersteller Ford und General Motors produzierten drei von fünf Autos. Die Telefongesellschaft Bell besaß vier von fünf Telefonen. Der Singer-Konzern produzierte mindestens vier von fünf in den USA verkauften Nähmaschinen.
Die gewaltige Polarisierung zwischen Arbeit und Kapital und zwischen Arm und Reich war die Grundlage für die Entwicklung des Klassenkampfs in den USA. Als der französische Liberale Alexis de Tocqueville 1831 die USA bereiste, war er noch beeindruckt von der großen sozialen Gleichheit, die er antraf. Über 80% der Produzenten besaßen ihre Produktionsmittel noch selbst. Das war die materielle Basis für die Vorstellung einer Gesellschaft von freien und gleichen Eigentümern. Die Gesetze des Kapitalismus machten aber vor der amerikanischen Gesellschaft nicht Halt. Schon ein halbes Jahrhundert später war die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Besitzenden und Besitzlosen unübersehbar. Der amerikanische Traum, der Millionen EinwandererInnen anzog, entpuppte sich für die meisten plötzlich als Alptraum von schwerer Arbeit und sozialer Armut.
Schon 1828 entstand an der amerikanischen Ostküste die erste Arbeiterpartei. Bei den Bürgermeisterwahlen in New York erhielt sie beim ersten Anlauf sogar ein Drittel der Stimmen. Diese ersten Formen der Arbeiterorganisation waren aber nur von kurzer Dauer, weil ihre Mitglieder so schnell wie möglich gegen Westen weiter zogen, um dort billiges Land zu übernehmen und Farmer zu werden. Dazu kam die harte Repression gegen alle Zusammenschlüsse von Arbeitern.
Der Sozialismus hat in Amerika ebenfalls eine lange Tradition. So gab es schon im frühen 19. Jahrhundert eine Reihe von utopisch-sozialistischen Projekten nach dem Vorbild des Briten Robert Owen. Der wissenschaftliche Sozialismus kam mit der Flüchtlingswelle nach der niedergeschlagenen bürgerlichen Revolution des Jahres 1848 nach Amerika. 1857 wurde in New York die erste kommunistische Organisation gegründet. Einer ihrer Mitglieder war Joseph Weydemeyer, ein enger Mitstreiter von Marx und Engels.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte die amerikanische Arbeiterbewegung jedoch einen gewaltigen Schritt vorwärts. Unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise der 1870er Jahre kam es zu einem ungeahnten Aufschwung des Klassenkampfes. Die Gewerkschaften wurden zu echten Kampfinstrumenten gegen die Folgen der Krise. William Sylvis war einer der ersten Gewerkschafter und Gründer der Gewerkschaft der Eisengießer (Iron Molder’s Union) und Mitglied der Internationalen Arbeiterassoziation, in der Marx eine führende Rolle innehatte. In dem er die Probleme der „schwarzen ArbeiterInnen“ thematisierte, war er seiner Zeit weit voraus. Ungeachtet des großen Widerstands auch in den eigenen Reihen wollte er, dass auch Schwarze den Gewerkschaften beitreten können. Sylvis wird für immer als große Verfechter der Einheit der Arbeiterklasse über alle künstlich geschaffenen Grenzen hinweg, einen Platz in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung haben. Er starb in völliger Armut im Alter von nur 41 Jahren.
Die Versuche der Arbeiterklasse, sich gegen die profitgierigen Unternehmer zur Wehr zu setzen, wurden mit extremer Brutalität beantwortet. Ein zeitgenössischer Gewerkschaftsaktivist schrieb dazu: „Gegen die Gewerkschaftsorganisationen ist mit viel Bitterkeit vorgegangen worden, die Leute sind so zahlreich auf die schwarze Liste gesetzt worden, wie man es noch nie gesehen hat.“
Schon 1869 hatte sich angesichts der enormen Unterdrückung und Ausbeutung in Philadelphia eine geheime Gewerkschaft, The Noble Order of the Knights of Labor, gegründet. Das Programm der Knights of Labor war für ihre Zeit extrem fortschrittlich. Sie forderten den 8-Stunden-Tag, gleichen Lohn für Frauen, die Abschaffung von Sträflings- und Kinderarbeit. Sie vertraten aber keinen wirklichen Klassenstandpunkt. Ihre Hoffnung war es durch die Förderung von Produktionsgenossenschaften den Monopolisierungsprozess stoppen und die Arbeiter wieder in freie Produzenten zurückverwandeln zu können. Diese Strategie drückte sich auch darin aus, dass die Knights of Labor nicht nur Arbeiter sondern auch kleine Unternehmer in ihre Organisation aufnahmen.
Trotz dieser theoretischen Schwächen haben die Knights of Labor das Verdienst erstmals in der Geschichte der USA Massenmobilisierungen der Arbeiterklasse organisiert zu haben.
Die Märtyrer von Chicago und der 1.Mai
1881 hatte sich unter der Führung von Samuel Gompers von der Gewerkschaft der Zigarrenmacher ein neuer Gewerkschaftsverband gebildet, aus dem fünf Jahre später die American Federation of Labor (AFL) entstehen sollte. Diese Gewerkschaftsinitiative verfolgte in erster Linie den Kampf um unmittelbare Forderungen der Arbeiterschaft: Lohnfragen, Arbeitszeiten, die unkontrollierte Macht der Meister und Aufseher usw.
Besonders bemerkenswert war ihre Kampagne für den Achtstundentag, welche die AFL zu einer echten Massenorganisation werden sollte. Die Knights of Labor und die ebenfalls ziemlich einflussreichen Anarchisten lehnten diese Forderung anfangs ab, weil sie darin die Gefahr sahen, man würde den Arbeitern dadurch das Lohnsystem als prinzipiell akzeptabel darstellen. Die Arbeiterschaft nahm diese Losung jedoch begeistert auf. 1886 kam es in etlichen größeren Städten zu Streiks und Demonstrationen, worauf sich auch die Anarchisten und die Knights der Bewegung anschließen mussten, wollten sie sich nicht völlig von den Massen isolieren. In Cincinnati, Baltimore, New York u.a. kam es zu echten Straßenschlachten zwischen der Polizei und den Arbeitern.
Friedrich Engels beobachtete mit großem Interesse die Entwicklung der amerikanischen Arbeiterbewegung. In einem Briefwechsel mit dem deutschen Sozialisten Sorge, der in die USA emigriert war, und in einem eigenen Vorwort für die amerikanische Ausgabe seines Buches „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ setzte er sich mit den Kämpfen der noch jungen Arbeiterklasse in der „neuen Welt“ auseinander. Engels zeigt sich darin begeistert, dass den amerikanischen Arbeitern endlich „Flügel wuchsen“. Die Art und Weise, wie das Proletariat zum ersten Mal die Bühne der Geschichte betreten hat, „ist völlig einmalig. Noch vor sechs Monaten hat kein Mensch irgendetwas geahnt, und jetzt stehen plötzlich organisierte Massen da, die der kapitalistischen Klasse Schrecken einflößen.“ Im Vordergrund stand für ihn die Bewunderung angesichts der „ungeheuren Masse schlummernder, potentieller Energie (…), die im Begriff steht, sich langsam aber sicher in lebendige Kraft umzusetzen.“ Dabei war ihm durchaus bewusst, dass diese junge Bewegung noch viele Schwächen hatte: „In der Praxis sind sie allen anderen voraus, in der Theorie liegen sie noch in den Windeln.“ Dies änderte aber nichts an seiner Begeisterung für dieses machtvolle Erwachen der amerikanischen Arbeiterklasse im Jahre 1886.
Die Liste der Märtyrer in der amerikanischen Arbeiterbewegung ist endlos. Das Schicksal der Führer der Bewegung für den Achtstundentag in Chicago vom Mai 1886 erlangte auch internationale Bedeutung. Ihr Kampf war die Geburtsstunde des 1.Mai als Kampftag der internationalen Arbeiterklasse. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass der „Tag der Arbeit“ in den USA heute Anfang September gefeiert wird. Dadurch versucht die herrschende Klasse in den USA alles nur erdenklich Mögliche, damit die Arbeiterklasse ihre eigene Geschichte und ihre Traditionen vergisst.
Am 1. Mai 1886 führte Albert Parsons, der Vorsitzende der Chicago Knights of Labor, eine Demonstration mit 80.000 TeilnehmerInnen an. In den darauf folgenden Tagen begannen die Arbeiter in 1200 Fabriken im ganzen Land die Arbeit nieder zu legen. Die Unternehmer mussten angesichts dieser machtvollen Bewegung Zugeständnisse machen. Gleichzeitig versuchten sie aber die Arbeiter durch gewaltsame Übergriffe auf die Demos zu provozieren. Nach einer Gewaltorgie der Chicagoer Polizei riefen Parsons & Co. zu einer Protestkundgebung am 4. Mai auf. Diese Demonstration auf dem Haymarket verlief anfangs völlig friedlich, bis die Polizei plötzlich die Versammlung auflösen wollte. In diesem Moment explodierte eine Bombe und tötete einen Polizisten. Wer die Bombe tatsächlich geworfen hat, wurde nie geklärt. Die Polizei reagierte jedoch ungeschaut, eröffnete das Feuer und richtete unter den Arbeitern ein Massaker an. Diesen Zwischenfall nutzten die Unternehmer und ihr Staat, um die Bewegung zu zerschlagen. Streiks wurden gerichtlich verboten, die bekanntesten Arbeiterführer landeten im Gefängnis.
Am 21.Juni 1886 standen acht Gewerkschafter, unter ihnen Parsons, vor Gericht. Sie wurden beschuldigt, die Bombe vom Haymarket geworfen zu haben. Der Prozess war gespickt mit Lügen und Widersprüchen. Der Staatsanwalt appellierte an die Geschworenen mit den Worten: „Sprecht diese Männer schuldig, macht sie zu einem Präzedenzfall, lasst sie hängen, um unsere Institutionen zu schützen.“
Obwohl nur zwei während des Bombenattentats am Tatort waren (Parsons war in eine nahe gelegene Kneipe gegangen), wurden sieben zu Tode verurteilt, einer bekam 15 Jahre Gefängnis. Einige Jahre später begnadigte der Gouverneur John P. Altgeld alle acht. Er lies die drei Überlebenden frei (zweien wurde das verhängte Todesurteil in Lebenslang umgeändert). Am 11. November 1886 wurden vier Anarchisten gehängt. Louis Lingg hatte wenige Stunden zuvor Selbstmord begangen. Auf ihre Beerdigung kamen 200.000 Menschen, die den Straßenrand säumten und dem Leichenzug folgten. Von diesem Schlag sollte sich die anarchistisch orientierte Arbeiterbewegung in den USA nie mehr richtig erholen.
Beim Gründungskongress der Zweiten Internationale im Jahre 1889 wurde der Beschluss gefasst, den 1. Mai in Gedenken an die Märtyrer vom Haymarket als internationalen Kampftag zu begehen. An jedem 1. Mai sollten die Arbeiter in allen Ländern der Welt für den Achtstundentag demonstrieren. Der 1. Mai 1890 war in ganz Europa ein Erfolg, allen voran in Österreich. Victor Adler schrieb im Nachhinein, dass ganze Schichten der Arbeiterklasse aus ihrer Lethargie gerüttelt wurden, zu denen ansonsten kein Kontakt herzustellen gewesen wäre.
Mit dem 1. Mai wurde die Arbeiterbewegung international zu einer echten Massenkraft. Seinen Ursprung hat dieser für unsere Bewegung so wichtige Tag jedoch in den USA.
Die amerikanischen Sozialisten
Im Sog der Gewerkschaften wurde auch die Socialist Labor Party (SLP) stärker. Erstmals konnte sie sich nun auch unter den englischsprachigen Arbeitern verankern. Ihr wichtigster Führer wurde Daniel de Leon, der den Ideen von Karl Marx sehr nahe stand. Durch sein sektiererisches Herangehen an die Gewerkschaften verbaute er der SLP jedoch den Weg zu einer echten Massenkraft.
Viele Sozialisten waren trotzdem in der AFL aktiv und propagierten dort eine revolutionäre Position. Ihre Losung nach der Verstaatlichung wichtiger Schlüsselindustrien als erster Schritt zur Kollektivierung der Produktionsmittel bekam 1894 sogar eine Mehrheit in der AFL. Gompers hatte in seiner Gewerkschaft gewaltig an Terrain verloren und wurde abgewählt. Aufgrund des Sektierertums der Parteispitze gelang es den Sozialisten aber nicht die AFL zu übernehmen, und Gompers konnte seine Position wieder festigen. Unter seiner Führung wurde die AFL immer mehr zu einem exklusiven Verband der meist weißen Facharbeiter.
In dieser Zeit stieg auch die Stahlindustrie zu einer echten Schlüsselindustrie auf. Die Stahlwerke wurden nun zum Schauplatz gewaltiger Klassenkämpfe. Die Unternehmer antworteten auf die starke Stahlarbeitergewerkschaft, indem sie private Schlägertrupps auf die Arbeiter hetzten. Die Sicherheitsfirma Pinkerton Agency, die über eine Art Privatarmee verfügte, die größer war als die reguläre US-Armee stellte den Konzernen Streikbrecher, Spione und Mörder zur Verfügung, um die Arbeiterbewegung zu schwächen. In den 1880ern und 1890ern griff diese Agentur über hundert Mal auf Seiten der Kapitalisten gegen Streiks ein. In fast jedem dieser Fälle kam es zu Blutvergießen mit Toten.
Den Unternehmern standen zudem die Streitkräfte des Staates zur Verfügung. Arbeiter wurden eingesperrt, verprügelt und umgebracht, weil sie das „Verbrechen“ begingen, für ihre Rechte zu kämpfen.
1892 endete der Homestead-Streik von der Amalgamated Assoziation für Eisen-, Stahl- und Zinnarbeitern von der Carnegie-Stahlfabrik in Homestead mit dem Tod vieler Streikender und Streikposten. Die Arbeiter konnten die Pinkertons zuerst zwar abwehren und ihnen eine blutige Abreibung verpassen. Dem Einsatz der Bundestruppen konnten sie aber nichts mehr entgegensetzen. Der Streik endete mit einer schweren Niederlage, woraufhin die Arbeiter der meisten Fabriken im Gebiet Pennsylvania gefeuert wurden.
Der Kampf der amerikanischen Arbeiterbewegung ging trotzdem erbittert weiter. Die starke Solidarität und hohe Kampfmoral reichten aber nicht aus, um den Unternehmern große Zugeständnisse abzuringen. Die Konzerne waren längst national organisiert und hatten den bürgerlichen Staatsapparat im Petto. Mit lokalen Arbeitskämpfen kam man gegen diese Macht nicht an. Vor diesem Hintergrund wurden die Stimmen lauter, die eine Organisierung der Gewerkschaften nach dem Industrieprinzip forderten. Alle Arbeiter einer Industrie sollten unabhängig von ihrem Beruf in einer Gewerkschaft sein. Außerdem sollten auch ungelernte Arbeiter organisiert werden.
Der große Streik 1894 in Pullmann (Ohio) sollte erstmals eine Gelegenheit dazu bieten. Die Arbeiter der dortigen Waggonfabrik waren gegen Lohnverluste in den Streik getreten. Ihnen schlossen sich die Mitglieder der American Railway Union unter Eugene V. Debs an. Diese Eisenbahngewerkschaft war die erste Industriegewerkschaft. Der Streik bei Pullmann hatte enorme Symbolwirkung, denn Pullmann stand stellvertretend für all das was die Arbeiter hassten: verheerende Arbeitsbedingungen und eine arrogante Konzernmacht, die den Arbeitern keine Rechte ließ. Im ganzen Land kam es zu Solidaritätsstreiks. Daraufhin ging die Staatsmacht auf Initiative des Justizministers, der selbst Eigentümer von Eisenbahnen war, gegen den Streik vor. Als die Streikleitung verhaftet wurde, drängte die Gewerkschaftsbasis auf einen Generalstreik, den die AFL-Führung aber ablehnte. Gegen den Willen der eigenen Führung konnten die Arbeiter diesen Streik aber nicht gewinnen.
Die Eisenbahnbosse, insbesondere Asa Packer, der Gründer der Lehigh Valley-Eisenbahn, und Franklin Gowen von der Philadelphia- und Reading-Eisenbahn, gemeinsam mit den Kohleunternehmern waren federführend bei den Versuchen, die jungen Arbeiterorganisationen zu zerschlagen.
Im Gefängnis, wo die Führer des Puullmann-Streiks genügend Zeit hatten, ihre politischen Perspektiven zu überdenken, wurde Debs dann Sozialist. Dies ist nicht zuletzt auf Diskussionen mit Keir Hardie, dem Gründer der britischen Labour Party, und dem aus Österreich eingewanderten Sozialdemokraten Victor Berger, zurückzuführen. Debs und Berger waren in der Folge zentrale Figuren der jungen Sozialdemokratie in den USA, die sich als „klassenbewusste und revolutionäre Organisation“ verstand. Die Socialist Party unter Debs & Co. fehlte es jedoch an einer klaren programmatischen Grundlage. Es gab keine Vorstellung, wie der Weg zum Sozialismus aussehen könnte. Eine Analyse des bürgerlichen Staates hatte die SP ebenfalls nicht. Ihr Programm glich sehr stark den Programmen der europäischen Sozialdemokratie mit einer Trennung in Minimal- und Maximalforderungen. Eine Verbindung zwischen dem Kampf um soziale und demokratische Reformen und dem sozialistischen Endziel war aus diesem Programm nicht abzulesen.
1912 hatte die SP ihren Höhepunkt erreicht. Sie zählte nun 126.000 Mitglieder und brachte 5 englisch- und 8 fremdsprachige Tageszeitungen sowie etwa 300 Wochenzeitungen heraus. Victor Berger, der den reformistischen Flügel der Partei repräsentierte, zog als erster sozialistischer Abgeordneter sogar in den Kongress ein. Debs erlangte bei den Präsidentschaftswahlen immerhin 900.000 Stimmen, das sind 6% der Wählerschaft. In diese Phase fällt aber auch das Aufbrechen eines destruktiven Fraktionskampfes zwischen den Reformisten und dem linken, syndikalistisch orientierten Flügel, an dem die SP schlussendlich zerbrechen sollte.
Gewerkschaftertum
Ende des 19. Jahrhundert entwickelten sich die USA zu einer Weltmacht. Damit verbunden war eine enorme Entwicklung der Produktivkräfte. Die schnell wachsende Industrie, die hohe Profite verzeichnete, machte den Facharbeitern weit reichende Zugeständnisse, damit der soziale Frieden aufrechterhalten und der Produktionsprozess nicht gestört wird. Vor diesem Hintergrund entstand eine „Arbeiteraristokratie“, wie es Lenin ausdrückte, welche die soziale Basis für das reine Gewerkschaftertum der AFL darstellte.
Die AFL geht auf das Jahr 1881 zurück, als sich unter der Führung von Samuel Gompers und Adolph Strasser sechs bedeutende Gewerkschaften zu einem Verband zusammengeschlossen hatten. Anfangs stand diese AFL, wie sie ab 1886 hieß, noch im Schatten der Knights of Labor. Doch auf der Grundlage des Aufschwungs des amerikanischen Kapitalismus setzten sich Gompers Vorstellungen der Klassenversöhnung in der Gewerkschaftsbewegung Schritt für Schritt durch. Die AFL stützte sich in erster Linie auf traditionelle Berufsverbände.
Der Aufstieg dieser Form der Gewerkschaftsarbeit kam nicht gerade zufällig, sondern ist vielmehr auf die materiellen Bedingungen jener Epoche zurückzuführen. Der US-Kapitalismus befand sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer sehr privilegierten Position und war gerade dabei, Großbritannien als stärkste Industrienation abzulösen. Der gesellschaftliche Reichtum wuchs schnell genug, um zumindest Teilen der Arbeiterklasse Zugeständnisse zu machen. Das Kapital kaufte sich somit eine Arbeiteraristokratie. Ähnlich war die Entwicklung der Arbeiterbewegung in Großbritannien, Österreich und Deutschland in den Jahren vor 1914, was in der national-reformistischen Degeneration der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften gipfelte. Bis zum Ersten Weltkrieg verzeichnete die AFL zwei Millionen Mitglieder.
Diese zahlenmäßige Stärke der Gewerkschaften wurde jedoch durch die Bürokratisierung an der Spitze dieser Organisationen kontrastiert. Zu dieser Zeit wurde die Grundlage für die Politik der Klassenkollaboration und der unpolitischen Gewerkschaftsarbeit gelegt, die die Spitze der AFL schon von Beginn an auszeichnete. Wichtige Funktionäre wie Gompers und Meany passten sich dem Kapitalismus an und predigten die Einheit der Interessen zwischen Kapital und Arbeit. Die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Arbeiter fand in diesen Gewerkschaften keinen Platz und blieb unorganisiert.
Trotz dieser gemäßigten Positionen der AFL-Spitze forderten viele Kapitalisten ein aggressiveres Vorgehen gegen die Gewerkschaftsbewegung. Es wurden Bürgerwehren finanziert, um die Gewerkschaften einzuschüchtern. Die Gerichte entschieden sich fast immer gegen die Arbeiterbewegung. Hierbei handelt es sich um den ewigen Widerspruch reformistischer Politik. Das von Kompromisssucht geprägte und nachgiebige Auftreten der Gewerkschaftsspitzen lädt die Bürgerlichen zu einer noch aggressiveren Vorgangsweise ein.
Die Industrial Workers of the World (IWW)
Bei der Kremlmauer in Moskau liegen neben den Gräbern berühmter russischer Revolutionäre auch die letzten Ruhestätten von zwei außergewöhnlichen Amerikanern: „Big“ Bill Haywood und John Reed, dem gefeierten amerikanischen Schriftsteller und Journalisten, dem mit „Reds“ sogar ein filmisches Denkmal gesetzt wurde. Reed war schon vor dem Ersten Weltkrieg in der sozialistischen Bewegung aktiv. Berühmt wurde er aber vor allem dank seines großartigen Buches „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“, einem Augenzeugenbericht über die Russische Oktoberrevolution. Lenin bezeichnete dieses Werk, das er laut eigenen Angaben „mit größtem Interesse und nicht erlahmender Aufmerksamkeit las“, als „wahrheitsgetreue und äußerst lebendige Darstellung der Ereignisse, die für das Verständnis der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats von größter Bedeutung sind.“ Nach Trotzkis Geschichte der Russischen Revolution ist es wohl das beste Buch zu diesem Thema. Die Krupskaja, Lenins Gattin, schrieb über ihn: „John Reed war kein gleichgültiger Beobachter, er war ein leidenschaftlicher Revolutionär, ein Kommunist. (…)“ Er „hat sich mit der russischen Revolution ganz verbunden. Sowjetrussland wurde ihm vertraut und nahe. Er starb hier am Thyphus und wurde unter der Roten Mauer bestattet. Derjenige, der die Bestattung der Opfer der Revolution so geschildert hat wie John Reed, ist dieser Ehre würdig.“
John Reed war jedoch keineswegs eine Ausnahme. In den stürmischen Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg war die Arbeiterbewegung in den USA voll im Aufwind. Die zentrale Persönlichkeit jener Tage war sicher Eugene Debs, der „gute alte Mann“ der amerikanischen Arbeiterbewegung. Debs war in Terre Haute geboren worden und verließ mit 14 Jahren sein Zuhause, um in der Eisenbahnindustrie zu arbeiten. 1893 wurde Debs zum Präsidenten der amerikanischen Eisenbahnergewerkschaft gewählt. Wegen seiner Teilnahme am Pullman-Streik wurde Debs 1895 zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt. Zwischen 1900 und 1920 kandidierte er fünf Mal als Präsidentschaftskandidat. 1905 nahm er an der Gründung der Industrial Workers of the World (IWW) teil. 1918 wurde Debs der Volksverhetzung beschuldigt, nachdem er den Spionage-Akt von 1917 angeprangert hatte. Seine letzte Wahlkampagne zum Präsidenten führte er vom Gefängnis aus und erhielt ohne offentliches Auftreten 915.000 Stimmen. 1921 wurde Debs nach einer Amnestie durch den Präsidenten freigelassen.
Die bedeutendste Entwicklung dieser Zeit war die Gründung der IWW. 1905 trafen sich auf Debs Initiative die radikalsten Vertreter der Arbeiterbewegung in Chicago: „Big“ Bill Haywood von der Western Federation of Miners, de Leon, Debs, Lucy Parsons usw.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die Massenproduktion stark ausgeweitet. Nur wenige Industriearbeiter waren gewerkschaftlich organisiert. Die AFL weigerte sich diese vielen ungelernten oder nur angelernten Arbeiter zu organisieren. Die Industrial Workers of the World (I.W.W.), die auch unter dem Namen Wobblies bekannt waren, lehnten diese Haltung entschieden ab. Sie wurden rasch zur radikalsten und kämpferischsten Bewegung, welche Amerika je hervorgebracht hat.
Das Gedankengebäude der IWW stellte eine eigenartige Mischung aus Anarchosyndikalismus und Marxismus dar. Bei ihrem Gründungskongress im Jahre 1905 nahmen die IWW eine Präambel an, die eine mitreißende Erklärung für den Klassenkampf war: „Die Arbeiterklasse und die Unternehmerklasse haben nichts gemein. Es kann keinen Frieden geben, solange Hunger und Not unter Millionen von Arbeitern herrschen und gleichzeitig ein paar wenige Unternehmer alles besitzen. Zwischen diesen Klassen muss der Kampf fortgesetzt werden, bis alle Arbeiter im politischen und gewerkschaftlichen Kampf vereint sind und in einem Wirtschaftssystem der Arbeiterklasse ohne Parteizugehörigkeit das nehmen und kontrollieren, was sie mit ihren eigenen Händen produzieren.“
Die IWW erklärten dem reinen Gewerkschaftertum der AFL den Krieg: „Die schnelle Anhäufung von Reichtum und die Macht des Industriemanagements in immer weniger Händen macht die Gewerkschaften unfähig, mit der ständig wachsenden Macht der Unternehmer fertig zu werden. Denn die Gewerkschaften fördern eine Situation, die erlaubt, dass Arbeiter entlassen und gegen Arbeiter derselben Industrie ausgespielt werden und somit zu den Niederlagen im Lohnkampf beitragen.“
Die IWW standen für den Aufbau von Industriegewerkschaften nach dem Motto „One Big Union“. Mit diesem Konzept befanden sich die IWW zweifelsohne auf dem richtigen Weg. 1908 wurde eine weitere Präambel angenommen, die mit dem Aufruf zur Abschaffung des Kapitalismus endete: „Anstatt des konservativen Mottos ‚Gerechter Lohn für gerechte Arbeit’ müssen wir auf unser Banner die revolutionäre Parole „Abschaffung des Lohnsystems“ schreiben. Es ist die historische Aufgabe der Arbeiterklasse, den Kapitalismus zu überwinden. Das Heer der Produzierenden muss organisiert werden, nicht nur um den tagtäglichen Kampf mit den Kapitalisten führen zu können, sondern vielmehr um die Produktion fortsetzen zu können, sobald der Kapitalismus überwunden ist.“
Von ihrem Selbstverständnis aus sollten die IWW bereits im Rahmen der alten Gesellschaft die Strukturen der neuen Gesellschaft aufbauen. Tatsächlich stellen die Organisationen der Arbeiterbewegung in den USA als auch in jedem anderen Land den Embryo der neuen Gesellschaft dar, der im Mutterleib der alten Gesellschaft heranreift und Gestalt annimmt. Dies ist auch der Grund, weshalb die Kapitalisten seit jeher den Gewerkschaften mit bitterer Feindseeligkeit gegenüberstanden und warum sie jeden Organisierungsversuch der Arbeiter im Keim ersticken wollen. Mit den fortschrittlichsten, resolutesten und revolutionärsten Elementen der amerikanischen Arbeiterklasse in seinen Reihen führten die IWW vor dem Ersten Weltkrieg eine Vielzahl kämpferischer Streiks an, auf die die Unternehmer mit ihrem Staatsapparat aufs Bitterste mit Repressionen antworteten. Neben vielen anderen Großaktionen organisierten die IWW 1912 in Massachusetts einen hervorragenden und erfolgreichen Streik von TextilarbeiterInnen. Die Wobblies setzten im Kampf gegen das Kapital auf die verschiedensten Waffen, unter anderem auf Kunst, Poesie und Musik. Einer der Beteiligten erinnert sich: „Es war der erste Streik, den ich gesehen hatte, der sang. Ich werde niemals das mächtige Aufbäumen vergessen, das eigentümliche, plötzliche Feuer der vermischten Nationalitäten auf den Streikversammlungen, als diese in Gesang ausbrachen. Sie sangen nicht nur auf den Versammlungen, sie sangen in den Suppenküchen und auf den Straßen. An einer Raststation sah ich eine Gruppe von streikenden Frauen beim Kartoffelschälen, die plötzlich die Internationale anstimmten. Sie haben ein ganzes Gesangsbuch voll mit Liedern, die zu jeder Situation passen: Der 8-hours-Song, The Banners of Labor, Shall the Masters Rule Us? Aber ihr Lieblingslied war die Internationale.“ (Ray Stannard Baker, The Revolutionary Strike, in: The American Magazine, May, 1912.)
Die IWW setzten immer wieder auch auf die tödlichste Waffe des Proletariats, die besonders in den USA von großer Bedeutung ist: den Humor. Dazu ein kleines Beispiel: „Eines Tages betrat ein gewerkschaftlich unorganisierter Mann eine Metzgerei, um einen Kalbskopf zu kaufen. Als der Metzger daran ging, den Kalbskopf für den Kunden einzupacken, bemerkte dieser den Mitgliedsausweis der Gewerkschaft. „Sagen Sie, ist das ein Gewerkschafts-Kalbkopf?“, fragte er. Der Metzger bejahte dies. Der Kunde erwiderte: „Ich bin kein Gewerkschaftler, also will ich auch kein Gewerkschafts-Fleisch.“ „Ich kann ihn auch gewerkschaftsfrei machen“, sagte der Metzger, nahm es und verschwand im Hinterzimmer. Nach ein paar Minuten kehrte er zurück und legte den Kalbskopf auf die Theke mit der Bemerkung: „Nun ist alles in Ordnung.“ „Was haben Sie gemacht, dass er nicht mehr gewerkschaftlich ist?“, fragte der erstaunte Kunde. „Ich habe ihm das Hirn raus genommen.““
Joe Hill
„Morgen werde ich wahrscheinlich auf den Mars reisen. Falls tatsächlich, werde ich sofort mit der Organisierung der Kanalarbeiter des Mars bei den IWW beginnen und ich werde ihnen lernen, unsere guten alten Lieder so laut zu singen, dass die Sternegucker auf der Erde ein und für alle Mal einen Beweis haben, dass der Planet Mars tatsächlich bewohnt ist.(…) Ich habe nichts über mich zu sagen, außer dass ich immer versucht habe, diese Welt ein bisschen besser für diese großartige produzierende Klasse zu machen. Es macht mir nichts aus, als der große Unbekannte von dannen zu gehen, denn ich besitze die wohltuende Gewissheit, niemals einen Mann, eine Frau oder ein Kind betrogen zu haben.“ (Joe Hill zum Herausgeber Ben Williams, Solidarity, October 9, 1915.)
Am 19. November 1915 wurde ein 33 Jahre alter Wobbly-Schreiberling von einem Exekutionskommando im Gefängnis für Todeshäftlinge, Utah State Penitentiary, ermordet. Damit endete das Leben von Joe Hill, einer der größten Persönlichkeiten in der Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung.
Joe Hill war im schwedischen Gavle am 7. Oktober 1879 geboren. Joe und auch unter den Namen Joseph Hillstrom und Joel Hagglund bekannt. Er war ein amerikanischer Arbeiterliedermacher und Märtyrer. 1902 war er an die untere Ostküste, Bowery Sektion von New York City via Ellis Island, gezogen. Wegen der schlechten Arbeitsbedingungen und der Ausbeutung der Immigranten, die er am eigenen Leib verspürte, wurde sein naiver Idealismus über die amerikanische Gesellschaft jedoch bald erschüttert. Joe Hill wurde Wanderarbeiter, er arbeitete in Bergwerken, in der Holzindustrie und als Hafenarbeiter. Außerdem führte er manchmal das Leben eines Landstreichers, reiste in Güterzügen und wohnte im freien Gelände.
Ca. 1910 trat Joe Hill den IWW bei und wurde der Wobbly-Barde, da er außerordentliche Fähigkeiten als Dichter und Liedermacher unter Beweis stellte. Er wurde zum Autor unzähliger Wobbly-Songs, die in den Zeitschriften Industrial Worker, Solidarity und in dem kleinen Roten IWW-Liederbuch veröffentlicht wurden. Die Texte entstanden aus seinen eigenen Erfahrungen als einfacher Arbeiter. Seine bekanntesten Lieder, darunter „Rebel Girl“, „The Preacher and the Slave“ und „Casey Jones“, erlangten weltweite Berühmtheit und wurden auf vielen Kundgebungen, zur Mitgliederwerbung und bei Streiks und bei deren Solidaritätskundgebungen gesungen. Sie waren nicht nur zur Unterhaltung geschrieben, sie waren Waffen im Klassenkampf.
1913 kam Joe Hill nach Utah, wo er Arbeit im Bergwerk Park City bekam und die schwedische Communitiy in Murray (Utah) kennen lernte. 1914 wurde er des Mordes an dem Geschäftsinhaber John A. Morrison beschuldigt. Die „Beweise“, die zu seiner Verurteilung führten, standen auf mehr als schwachen Beinen. Darauf hin wurde eine internationale Kampagne organisiert, um seine Hinrichtung durch den Staat Utah zu verhindern. Hills Unterstützer erklärten, dass die Kupferunternehmer von Utah den Mord angeheuert hätten. Was tatsächlich genau geschah, wird niemals geklärt werden können. Die Unternehmer kämpften aber mit den schmutzigsten Methoden gegen die Arbeiterbewegung. Nach den heutigen Gesetzen wäre Joe Hill niemals bei solch schlechter Beweislage zu Tode verurteilt worden. Präsident Woodrow Wilson intervenierte zwei Mal, um die Hinrichtung zu verhindern. Dennoch wurde Hill am 19. November 1915 im staatlichen Gefängnis von Utah in Sugar House hingerichtet.
Nach seiner Hinrichtung wurde Joe Hill zu einem Volkshelden und Märtyrer der Arbeiterbewegung, zu einem Symbol der revolutionären Tradition und des Kampfes für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit für die Armen. Einer seiner letzen Sätze – „Klagt nicht, organisiert euch!“ – wurde zu einem Demospruch, der bis heute auf Demos skandiert wird. Es gibt nur wenige derart bewegende Dokumente der Weltliteratur wie Joe Hills letzten Willen, den er kurz vor seiner Hinrichtung in der Todeszelle schrieb:
„My will is easy to decide,
For there is nothing to decide.
My kin don’t need to fuss and moan –
‚Moss does not cling to a rolling stone.
„My body? – Oh! – If I could choose,
I would to ashes it reduce,
And let the merry breezes blow
My dust to where some flowers grow.
„Perhaps some fading flower then
Would come to life and bloom again.
This is my last and final will.
Good luck to all of you.
Joe Hill.“
Über die Jahrzehnte hinweg gab es zahlreiche Versuche, Joe Hills Leben in Biographien, Romanen, Liedern, Theaterstücken und Filmen darzustellen. „I Dreamed I Saw Joe Hill Last Night“ von Alfred Hayes und Earl Robinson wurde zu einem amerikanischen Folksong von höchster Güte. Heute gehören die Lieder von Joe Hill, dem Wobbly-Sänger, Klassenkämpfer und Märtyrer der amerikanischen Arbeiterbewegung, weltweit zu den besten Liedern unserer Bewegung.
Literatur und Revolution
Joe Hill zeigte, dass Musik und Poesie mächtige Waffen im Klassenkampf sein können. Seinem Beispiel folgten viele andere, darunter auch der große Woody Guthrie, der als Landstreicher und Liedermacher ein neues Genre radikaler Folksongs etablierte, in denen die alten Lieder des amerikanischen Westens mit den Traditionen des revolutionären Klassenkampfs vermischt wurden. Er war ein Sprachrohr der Arbeiterklasse, einer der größten amerikanischen Liedermacher, der bis heute auf Musiker, wie zum Beispiel Bob Dylan, Einfluss ausübt. Fast alle AmerikanerInnen kennen das Lied „This Land is Your Land“, aber nur wenige wissen, dass dies ein sozialistisches Lied ist. So lautet eine Textzeile „this land was made for you and me“!
Leider sind sich viele junge AmerikanerInnen dessen nicht bewusst, dass Amerika eine lange Tradition an linken Schriftstellern hat, angefangen mit Jack London, der ein engagierter und aktiver Sozialist war. Am bekanntesten sind seine Romane wie „Ruf der Wildnis“ und „White Fang“, die bis heute bei jungen Lesern sehr beliebt sind. Aber kaum jemand liest seine begeisternden Essays wie „Krieg der Klassen“, „Revolution“ und „Wie ich Sozialist wurde“. Fast am interessantesten ist seine autobiographische Skizze „Was mir das Leben bedeutet“.
„So ging ich in die Arbeiterklasse zurück, in der ich geboren war und zu der ich gehörte. Ich hatte nicht länger Interesse aufzusteigen. Das mächtige Gebäude der Gesellschaft über mir reizte mich nicht mehr. Nur für die Grundmauern interessiere mich noch. Es befriedigt mich, dort mit der Brechstange in der Hand Schulter an Schulter mit Intellektuellen, Idealisten und klassenbewussten Arbeitern zu arbeiten und von Zeit zu Zeit das ganze Gebäude zu erschüttern. Eines Tages, wenn wir einige Hände mehr sein und einige Brechstangen mehr haben werden, werden wir es umstürzen mit all seinem morschen Leben und den unbegrabenen Toten, mit seiner monströsen Selbstsucht und seinem aufgeschwemmten Materialismus. Dann werden wir den Keller reinigen und der Menschheit ein neues Wohnhaus bauen, in dem es keinen Salon geben wird, wo alle Zimmer hell und luftig sind und wo die Luft zum Atmen rein, edel und lebendig sein wird.
Dies ist meine Vorstellung von der Zukunft. Ich sehe eine Zeit vor mir, in der die Menschen nach etwas Wertvollerem und Höherem streben als bloß der Sättigung ihres Magens, wo schönere Motive die Menschen zu Taten anspornen werden als heute, da der Bauch regiert. Ich behalte meinen Glauben an das Edle und Hervorragende im Menschen. Ich glaube, dass die geistige Feinfühligkeit und Selbstlosigkeit die grobe Gefräßigkeit von heute besiegen werden. Und letzten Endes ruht meine Zuversicht in der Arbeiterklasse. Wie es ein Franzose einmal gesagt hat: „Die Treppe der zeit hallt beständig wider von hinaufgehenden Holzschuhen und herabkommenden Lackstiefeln.“
Ein anderes ausgezeichnetes Werk aus der Feder von Jack London ist sein politischer Roman „Die eiserne Ferse“, der auch von Lenin und Trotzki hoch geschätzt wurde. In diesem Roman sagt Jack London den Aufstieg des Faschismus voraus und schildert den heroischen Kampf der amerikanischen ArbeiterInnen für den Sozialismus. Dies war noch lange bevor die Russische Revolution und der Aufstieg Hitler den Beweis für Jack Londons korrekte Perspektiven lieferten.
In seiner Einleitung schreibt Trotzki: „Beim Lesen traut man seinen eigenen Augen nicht: Das ist genau das Bild des Faschismus, seiner Ökonomie, seiner Regierungstechnik, seiner politischen Psychologie! Man kann es nicht bestreiten: Schon 1907 sah Jack London das faschistische Regime voraus und beschrieb es als unvermeidliches Ergebnis der Niederlage der proletarischen Revolution.“
John Steinbeck war der Autor verschiedener Romane, in denen das Leben und der Kampf einfacher amerikanischer Arbeiter während der Weltwirtschaftskrise beschrieben werden, wie „The Grapes of Wrath“, „Cannery Row“, „Of Mice and Men“. „The Grapes of Wrath“ („Jenseits von Eden“) erschien 1939 zu einem Zeitpunkt als Amerika die Weltwirtschaftskrise noch nicht überwunden hatte und Millionen von Menschen in großer Armut lebten. John Steinbeck gewann 1940 den Pulitzer-Preis mit seiner ergreifenden Beschreibung der Lebensbedingungen der Armen und Unterdrückten und ihres Kampfes, menschliche Würde zu bewahren. In diesem Roman beschreibt Steinbeck lebhaft die Rücksichtslosigkeit der Großkonzerne, die mit Panzerraupen die kleinen Anbauflächen und Hütten niederwalzen ließen, in die die Kleinbauern so viel Zeit und Jahre Arbeit gesteckt hatten. Männer, Frauen und Kinder wurden über Nacht vertrieben und waren plötzliche keine Kleinbauern mehr sondern eigentumslose Landstreicher.
Das Bemerkenswerteste an dem Roman ist, dass es keine Beschreibung der Massen von außerhalb ist. Dem Autor ist es vielmehr gelungen, in die Haut der „Oakies“ zu schlüpfen und in ihrer Sprache die innersten Gedanken, Gefühle und Hoffnungen auszudrücken.
Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer sozialistischer Romane aus Amerika. Der Roman „The Jungle“ von Upton Sinclair ist eine lebhafte Enthüllung der entsetzlichen Arbeitsbedingungen in den Schlachthäusern Amerikas. Der Roman endet mit meinem kompromisslosen sozialistischen Appell. Seine tief greifende Verurteilung des Kapitalismus ist angesichts der aktuellen Entwicklungen noch immer treffend:
„There was no heat upon the killing beds; the men might exactly as well have worked out of doors all winter. For that matter, there was very little heat anywhere in the building, except in the cooking rooms and such places – and it was the men who worked in these who ran the most risk of all because whenever they had to pass to another room they had to go through ice-cold corridors, and sometimes with nothing on above the waist except a sleeveless undershirt. On the killing beds you were apt to be covered with blood, and it would freeze solid; if you leaned against a pillar, you would freeze to that, and if you put your hand upon the blade of your knife, you would run a chance of leaving your skin on it. The men would tie up their feet in newspapers and old sacks, and these would be soaked in blood and frozen, and the soaked again, and so on, until by night-time a man would be walking on great lumps the size of the feet of an elephant. Now and then, when the bosses were not looking, you would see them plunging their feet and ankles into the steaming hot carcass of the steer, or darting across the room to the hot-water jets. The cruelest thing of all was that nearly all of them – all of those who used knives – were unable to wear gloves, and their arms would be white with frost and the hands would grow numb, and then, of course, there would be accidents. Also the air would be full of steam, from the hot water and the hot blood, so that you could not see five feet before you; and then, with men rushing about at the speed they kept up on the killing beds and with butcher’s knives, like razors, in their hands – well, it was to be counted as a wonder that there were not more men slaughtered than cattle.“
Nicht zuletzt ist in der Reihe herausragender amerikanischer Schriftsteller des Proletariats John dos Passos mit seinem Werk „USA“ zu erwähnen. Dieses literarische Meisterwerk enthält drei Romane: „The 42nd Parallel“, „1919“ und „The Big Money“. In „1919“ wird mit außerordentlicher Lebendigkeit die Eigenheit und die Atmosphäre der Zeit nach der Russischen Revolution beschrieben. In einer äußerst authentischen Form geschrieben, kombinierte dos Passos Zeitungsmeldungen und telegraphische Episode mit realen und fiktiven Geschichten, womit ein sehr klarer Eindruck von der Atmosphäre dieser Zeit vermittelt wird. Der berühmtberüchtigte Vertrag von Versaille, in dem 1919 Deutschlands Niederlage besiegelt wurde, war von den USA, Großbritannien und Frankreich aufgesetzt worden. Es gibt wohl kein vergleichbares Beispiel an zynischer Machtpolitik und imperialistischem Raubzug. Dos Passos beweist mit seiner Beschreibung der puren Heuchlerei der führenden Köpfe der „zivilisierten christlichen Welt“, dass er ein Meister seines Fachs war:
“Clemenceau,
Lloyd George,
Woodrow Wilson.
Drei alte Männer mischen die Karten,
teilen:
Rheinland, Danzig, Polnischer Korridor, Ruhrgebiet, Selbstbestimmung der kleinen Nationen, Saargebiet, Völkerbund, Mandate, Mesopotamien, Freiheit der Meere, Transjordanien, Schantung, Fiume und die Insel Yap.
Maschinengewehrfeuer und Brandstiftung,
Hungersnot, Läuse, Cholera, Typhus, Erdöl –
Das waren die Trümpfe.”
“Am 28.Juni war der Vertrag von Versailles fertig, und Wilson musste nach Hause fahren, um den Politikern, die inzwischen im Senat und im Weißen Haus gegen ihn intrigiert hatten, und der nüchternen öffentlichen Meinung und dem Gott seiner Väter zu erklären, wie er sich hatte übers Ohr hauen lassen, und wie weit es ihm gelungen war, der Welt die Demokratie und die Neue Freiheit zu sichern.“
Ob dies nun Deutschland 1919 oder der Irak 2002 ist, die diplomatischen Vertreter der Großmächte werden niemals zugeben, dass ihr Vorgehen von blanken Wirtschaftsinteressen (Öl war und ist noch immer Trumpf!) diktiert ist. Ihre Beweggründe sind aber immer rein und edel („die Welt reif für die Demokratie zu machen“). Ausgerechnet der Vertrag von Versaille, der die Welt reif und sicher für den Frieden machen sollte, zog noch weit größere Instabilität nach sich und erwies sich als sicherer Weg in den Zweiten Weltkrieg. Genauso machen auch die heutigen Kriege gegen Afghanistan oder gegen den Irak, die darauf abzielen, die „Welt zu einem sicheren Ort zu machen“, die Welt instabiler und gefährlicher als je zuvor. George W. Bush glaubt inbrünstig an Gott. Zu ihm betet er, während er den Befehl zur Bombardierung irakischer Städte gibt. Hinter all der Rhetorik bleibt aber das Öl der größte Trumpf.
Die Beschreibung der Arbeiterbewegung in den USA während den stürmischen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg ist mit seinem rauen und kompromisslosen Realismus herausragend. Es waren die Jahre, als die Unternehmer und die Regierung aus Furcht vor den Auswirkungen der Russischen Revolution auf die amerikanische Arbeiterklasse zu den Methoden der Lynchjustiz griffen, um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen. Die wahre Geschichte über das brutale Schlachten des Kriegsveteranen und Wobbly Wesley Everett ist eines der am meisten bewegenden Episoden dieses Buches.
„Der Waffenstillstandstag war rauh und kalt; der Nebel wälzte sich vom Puget Sund herein, träufelte von den schwarzen Fichtenästen und den blanken Geschäftsfassaden. Warren O. Grimm befehligte im Demonstrationszug die Abteilung Centralia.
Die ehemaligen Soldaten trugen ihre Uniformen.
Als der Zug an dem Gewerkschaftshaus vorübermarschierte, ohne anzuhalten, atmeten die Holzfäller erleichtert auf; auf dem Rückmarsch ertönte plötzlich ein schriller Pfiff. Eine Stimme schrie: „Los… ran, Jungs!“ Sie stürzten auf das Lokal los.
Drei Mann schlugen die Tür ein. Schüsse knallten. Warren O. Grimm und noch ein ehemaliger Soldat wurden getroffen. Der Zug löste sich in Unordnung auf, aber die mit Flinten bewaffneten Männer sammelten sich wieder und erstürmten das Lokal. Sie fanden in einem alten Eisschrank versteckt ein paar unbewaffnete Männer und oben an der Treppe einen jungen Burschen in Uniform, der die Arme über den Kopf hielt. Wesley Everest hatte das Magazin seiner Flinte leer geschossen, die Flinte weggeschmissen und die Flucht ergriffen. Laufend bahnte er sich einen Weg durch die Menschenmenge im Hintergrund des Saales, hielt sie mit einer blauen Pistole in Schach, kletterte über einen Zaun und jagte eine schmale Gasse entlang. Der Mob setzt ihm nach, die Kerls warfen die Stricke weg, mit denen sie den Sekretär Britt Smith hatten lynchen wollen, Wesley Everest lockte den Pöbel auf seine Spur und rettete damit seinem Kameraden das Leben. Zweimal blieb er stehen, um mit ein paar Schüssen den Mob zurückzuscheuchen, dann lief er zum Fluss und begann ans andere Ufer zu waten. Als ihm das Wasser bis an die Hüften ging, blieb er stehen und drehte sich um.
Wesley Everest blickte dem Mob entgegen und lächelte ein komisches, stilles Lächeln. Er hatte seinen Hut verloren, seine Haare troffen von Wasser und Schweiß. Sie wollten auf ihn losstürzen.
„Zurück“, rief er. “Wenn die Polizei unter euch ist, lasse ich mich verhaften.”
Der Pöbel stürzte auf ihn los. Er schoss viermal von der Hüfte aus, dann hatte er eine Ladehemmung. Er drückte auf den Abzug, zielte kaltblütig und erschoss den vordersten seiner Gegner. Das war Dale Hubbard, auch ein ehemaliger Soldat, Neffe eines der großen Waldbesitzer von Centralia. Dann warf Wesley Everest die Waffe weg und wehrte sich mit den Fäusten. Der Pöbel fing ihn. Einer schlug ihm mit dem Kolben einer Schrotflinte die Zähne ein. Jemand brachte einen Strick, und sie wollten ihn hängen. Eine Frau drängte sich durch die Menge und löste den Strick von seinem Hals.
Wesley Everest sagte: „Ihr habt nicht den Mut, einen Menschen am helllichten Tag aufzuhängen.“
Sie schleppten ich ins Gefängnis und warfen ihn in eine Zelle. Inzwischen wurden die anderen Holzfäller gefoltert.
In der Nacht erloschen plötzlich die Lichter der Stadt. Eine Menschenmenge schlug das Gefängnistor ein. „Nicht schießen, Jungens, ich bin euer Mann“, sagte der Wachtposten. Wesley Everest empfing sie stehend. „Sagt den Kameraden, ich habe mein Bestes getan“, flüsterte er den Männern in den anderen Zellen zu.
Sie fuhren mit ihm in einer Limousine zu der Brücke über den Chelahis-Fluß. Während Wesley Everest betäubt auf dem Boden des Autos lag, schnitt ihm ein Geschäftsmann aus Centralia mit einem Rasiermesser den Penis und die Hoden ab. Wesley Everest stieß einen Schmerzensschrei aus. Jemand hat sich erinnert, dass er nach einer Weile flüsterte: „Um Gottes willen, Leute, erschießt mich… lasst mich nicht so leiden.“ Dann hängten sie ihn im Schein der Autolichter am Brückengeländer auf.“
Nach der gnadenlos detaillierten Ausführung des blutigen Lynchens greift dos Passos auf kalte und erschütternde Ironie zurück:
Der gerichtlichte Leichenbeschauer fand die Sache äußerst spaßig.
Er meldete, Wesley Everest sei aus dem Gefängnis ausgebrochen und zu der Brücke über den Chehalis-Fluß gelaufen, habe sich einen Strick um den Hals gebunden und sei dann hinuntergesprungen; da der Strick zu kurz gewesen sei, sei er wieder hinaufgeklettert und habe einen längeren Strick am Geländer befestigt, sie wieder hinunter gesprungen, habe sich das Genick gebrochen und sich den Körper mit Kugeln gespickt.
Sie verpackten das verstümmelte Wrack in einer Kiste und verscharrten sie.
Niemand weiß, wo der Leichnam Wesley Everests begraben liegt, aber die sechs Holzfäller, die sie erwischten, wurden im Gefängnishof und Walla Walla begraben.“
Nein zum Krieg
Als in Europa der Erste Weltkrieg tobte, bedeutete dies für die amerikanische Wirtschaft fette Profite. Offiziell blieben die USA anfangs neutral, in Wirklichkeit unterstützte Washington aber bereits die Westmächte. Für die amerikanische Arbeiterklasse, die angesichts von Fraktionskämpfen, einer starren Bürokratisierung und programmatischen Schwächen bei Ausbruch des Krieges stark geschwächt war, fand plötzlich wieder bessere Bedingungen vor. Die Arbeitslosigkeit ging zurück und die Facharbeiter verdienten gut. Die AFL-Führung nutzte diese Situation für eine offene Unterstützung der Kriegstreiber in der US-Regierung. Alles natürlich unter dem Deckmantel, man wolle in Europa die demokratischen Kräfte unterstützen.
Es ist das Verdienst der IWW diesen Krieg als das darzustellen, was er in Wirklichkeit war: ein Raubzug der imperialistischen Mächte, ein Krieg um die Neuaufteilung der Welt. Die IWW kritisierte auch die Kriegsbegeisterung der sozialdemokratischen Parteien der „alten Welt“. Eugene Debs schrieb in diesem Zusammenhang in der Wochenzeitung „Appeal to Reason“: „Ich bin ein Gegner jeden Krieges außer einem, und für diesen Krieg trete ich mit Leib und Seele ein, nämlich für den weltweiten Krieg für die soziale Revolution!“
1917 stiegen die USA in den Krieg ein, obwohl Präsident Wilson noch kurz zuvor im Wahlkampf eine pazifistische Position vertrat. Im ganzen Land entwickelte sich nun eine starke Antikriegsbewegung. Während die Führung der AFL mit dem Kapital und der Regierung einen offenen Burgfrieden schloss und die Löhne einfror, schlossen sich immer mehr GewerkschafterInnen der Antikriegsbewegung an.
Die SP, welche nun unter dem Druck der Linken, gegen den Krieg auftrat, erlebte einen zweiten Frühling. Bei den Kommunalwahlen 1917 erzielte sie in New York 22% und in Chicago sogar 34%. Viele EinwandererInnen v.a. aus Osteuropa schlossen sich nun der SP an.
Die Bürgerlichen führten den Krieg aber nicht nur nach außen. Zahlreiche Grundrechte wurden während des Kriegs massiv beschnitten, darunter die Meinungs- und Pressefreiheit. Insgesamt wurden 2000 Sozialisten und Gewerkschafter wegen ihrer Opposition zum Krieg eingekerkert. Gegen Kriegsende brach der Klassenkampf wieder offen aus. Streiks erschütterten das ganze Land. Dabei kämpften die ArbeiterInnen nicht nur für höhere Löhne sondern auch gegen die Intervention amerikanischer Truppen im russischen Bürgerkrieg auf Seiten der Konterrevolution. In Seattle wurde sogar ein Arbeiterrat gebildet.
Dank der Arbeit von Trotzki, Bucharin und Alexandra Kollontai, die sich während des Kriegs in den USA im Exil befunden hatten, bildete sich 1916/7 in der SP ein starker linker Flügel heraus. Nachdem die Rechten zu bürokratischen Manövern und Ausschlüssen griffen, gründete die Parteilinke unter der Führung von John Reed die Communist Labor Party.
Schicksalsschmiede der Menschheit
Fast alle Klassiker waren fasziniert von der Idee, die zahlenmäßig so starke Arbeiterklasse könne sich mächtige Organisationen geben, um die Welt nachhaltig zu verändern. Wir zitierten bereits Friedrich Engels angesichts der großen Streikwelle in den 1880ern. Lenin erwartete sich von den Wahlerfolgen der Sozialistischen Partei 1912 den lange erhofften Durchbruch. Trotzki sah in den USA sogar die „Schicksalsschmiede der Menschheit“. Die Streikwelle Mitte der 1930er verfolgte er voller Bewunderung.
Mehrere Faktoren hemmten jedoch immer wieder die Entwicklung der amerikanischen Arbeiterbewegung. Amerika hatte von Anfang an eine Sonderstellung im Vergleich zu Europa. Feudalismus und Absolutismus existierten in den USA schon lange nicht mehr, als sich die amerikanische Arbeiterklasse herausbildete. Anders als in Europa konnte sich somit in der bürgerlich-demokratischen Revolution kein proletarischer Flügel herausbilden. Der Kampf um das allgemeine Wahlrecht wurde in vielen europäischen Staaten zu einer zentralen Kampagne beim Aufbau von Massenparteien der Arbeiterklasse. In den USA wurde das Wahlrecht schon 1832 von oben eingeführt.
In Europa war das Bürgertum im 19. Jahrhundert nirgends mehr keine revolutionäre Kraft. Ganz im Gegenteil, es war in vielen Fällen zu einem schwachen Anhängsel des Feudaladels verkommen, das keine eigenständige politische Rolle spielen konnte. In Amerika hatte die Bourgeoisie mit den unzähligen kleinkapitalistischen Farmern eine soziale Massenbasis. Demokratische Rechte sah sie daher nicht in der Dimension als Bedrohung ihrer Vormachtstellung, wie dies bei ihren europäischen Gegenübern der Fall war.
Die Existenz einer breiten Schicht freier und wohlhabender Bauern wirkte sich auch im Bewusstsein der Arbeiterklasse aus. Die Existenz als Lohnabhängige war für viele nur ein Durchgangsstadium, der soziale Aufstieg schien durchaus greifbar. Das Land war riesig und dünn besiedelt. Überall schienen sich Möglichkeiten aufzutun, eine selbständige Existenz aufzubauen. Aufgrund der hohen Mobilität mussten die Unternehmer relativ hohe Löhne zahlen, um qualifizierte Arbeitskräfte an der Stange halten zu können. Auf dieser Basis florierten auch reformistische Illusionen in der Arbeiterbewegung. Das Klassenbewusstsein hinkte somit immer der objektiven Situation hinterher. Ein entscheidender Faktor war zweifelsohne auch die tiefgehende Spaltung der amerikanischen Arbeiterklasse nach Religion, Hautfarbe und Herkunftsland. Der Rassismus war eine gewaltige Bremse in der Entwicklung einer schlagkräftigen Arbeiterbewegung. Die reformistischen Kräfte in der AFL oder SP sahen in „Negern und Mulatten niedrigere Rassen“. Die Linke lehnte die künstliche Rassentrennung entschieden ab, mangels einer ernsthaften antirassistischen Programmatik schaffte sie es aber auch nie, die Spaltung der Klasse zu überwinden.
Zu alledem kam die massive Repression durch die Unternehmer, die sich auf Privatarmeen und nötigenfalls auf den bürgerlichen Staatsapparat stützen konnten.
Die CIO und die Sitzstreiks
„The American Plan; automotive prosperity seeping down
From above; it turned out there were strings to it.
But that five dollars a day
paid to good, clean American workmen
who didn’t drink or smoke cigarettes or read or think,
and who didn’t commit adultery
and whose wives didn’t take in boarders,
made America once more the Yukon of the sweated
workers of the world;
made all the tin lizzies and the automotive age, and
incidentally,
made Henry Ford the automobilieer, the admirer of Edison,
the birdlover,
the great American of his time.“
(John dos Passos, The Big Money.)
Die so genannten “Goldenen Zwanziger” waren durch einen Boom gekennzeichnet, der durchaus mit dem Boom der 1990er zu vergleichen ist. Die Produktion lief auf vollen Touren, die Börsen erklommen schwindelerregende Höhen. Am 1. September 1929 ließ sich der damalige Präsident der AFL, William Green, angesichts der stark rückläufigen Streikziffern über das vorangegangene Jahrzehnt zu der Aussage hinreißen, dass die „Kollektivvertragsverhandlungen mehr und mehr als Präventivmaßnahme gegen Arbeitskämpfe akzeptiert werden“.
In der Realität basierte der Boom der 1920er wie jeder andere Boom im Kapitalismus auf der Überausbeutung der Arbeiterklasse. Die Arbeitskräfte in der Massenproduktion der wichtigsten Industriezweige (Stahl, Autos, Gummi, Textil, Erdöl, Chemie,…) waren gewerkschaftlich nicht organisiert, rechtlos und somit atomisiertes Rohmaterial für die kapitalistische Ausbeutung.
Im Zuge des Crashs von 1929 verlangten die Unternehmer massiven Lohnverzicht. Die AFL widersetzte sich diesen Forderungen nicht und erklärte sich bereit, auf das Mittel des Streiks zu verzichten. Man sprach von einem „Gentleman’s agreement“ zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmern. In der Praxis waren die Gewerkschaften zu allen Zugeständnissen bereit, die Unternehmer wollten jedoch ihr volles Programm durchziehen und auf Kosten der Arbeiterklasse einen Ausweg aus der Krise suchen. Im Zeitraum Juni-Juli 1930 wurden in 60 Industriezweigen die Löhne gesenkt, und die AFL schaute einfach zu. Die Folge war ein spürbarer Rückgang der Mitgliedschaft in den Gewerkschaften. 1931 verlor die AFL jede Woche rund 7000 Mitglieder. Hatte sie 1920 noch 4,029,000 Mitglieder, sank diese Zahl bis 1933 auf 2,127,000. So viel zu den Perspektiven, welche das Nur-Gewerkschaftertum zu bieten hat.
Vor diesem Hintergrund erlebten die USA jedoch einen neuerlichen Aufschwung des Klassenkampfes. Wo immer ArbeiterInnen den Widerstand gegen diese massiven Einschnitte organisierten, antwortete der bürgerliche Staat mit brutaler Repression. Art Preis schreibt in seinem Buch Labor’s Giant Step: „Nahezu alle Streikposten wurden mit blutiger Gewalt von der Polizei, den Truppen und bewaffneten, berufsmäßigen Streikbrechern zerschlagen.“ Die von der Kommunistischen Partei organisierten Massendemos von Arbeitslosen wurden ebenfalls gewaltsam aufgelöst. Viele AktivistInnen verhaftet, verletzt, ja es gab sogar Tote. Am 7. März 1932 wurden bei einer Arbeitslosendemo vor der Ford Rouge Plant 4 Arbeitslose mit Maschinengewehren erschossen. Auf den direkten Befehl von Präsident Hoover hinauf befehligte General Douglas MacArthur auf seinem Schimmel die Truppen gegen eine 25.000 TeilnehmerInnen zählende Demo von Kriegsveteranen und deren Familien. Dabei wurden Tränengas, Maschinengewehre und Bayonette zum Einsatz gebracht. Solche „Vorkommnisse“ gab es während der ganzen 1930er Jahre – selbst in der Phase von Roosevelts „New Deal“. 1937 wurden z.B. bei einem Zusammenstoß zwischen Polizisten und Mitgliedern des Steel Working Organizing Committees bei der Republican Steel Co. im Süden Chicagos zum Memorial Day 10 Menschen getötet und 80 verletzt.
Mehrere Gewerkschaften der AFL schlossen sich unter dem Druck dieser Ereignisse zum Committee for Industrial Organization (CIO) zusammen. Ihr Ziel war es vor allem die bisher noch nicht organisierten Industrien zu organisieren. Vor allem in der Gummi-, Stahl- und Autoindustrie stieß dieses neue Projekt auf ein gewaltiges Echo. Der interne Streit über die Frage, ob man diese neuen Industrien organisieren sollte oder nicht, gipfelte 1938 aber in der Entscheidung der AFL die Gewerkschaften, welche sich zur CIO vereinigt hatten, auszuschließen. Die ausgeschlossenen Gewerkschaften gründeten nun ihre eigene Gewerkschaftszentrale unter dem Namen Congress of Industrial Organizations. John L. Lewis von den United Mine Workers wurde der erste Präsident der CIO.
Die Gründung der CIO stellte für die amerikanische Arbeiterklasse einen gewaltigen Schritt vorwärts dar. Eine nicht zu vernachlässigende Rolle dabei spielten die amerikanischen Trotzkisten, die vor allem in Minneapolis an der Spitze des großen Streiks der Teamsters standen. Eine Schlüsselrolle nahm dabei Farrell Dobbs ein, der sich binnen kürzester Zeit von einem Republikaner zu einem Revolutionär weiter entwickelte. Ein kleines Beispiel wie schnell sich die Stimmung unter gewissen Bedingungen verändern kann.
Wenig bekannt ist auch die Tatsache, dass damals in den 1930ern die US-amerikanischen ArbeiterInnen die Methode der Fabrikbesetzungen entwickelten. Diese Bewegungen lief unter dem Namen der so genannten „sit-down strikes”. Dabei gingen die ArbeiterInnen an ihren Arbeitsplatz, wo sie sich dann jedoch weigerten, die Arbeit aufzunehmen. Das erste Mal wurde diese Kampfstrategie 1937 erfolgreich in Flint, Michigan, angewandt, als die United Auto Workers in einer Fabrik von General Motors die Arbeit niederlegten. Diese Methode erwies sich als äußerst effektiv. Die United Rubber Workers (CIO) gewannen dadurch z.B. die gewerkschaftliche Anerkennung von der Goodyear Tire and Rubber Co. Nicht jeder Streik endete jedoch erfolgreich. So zum Beispiel in der Stahlindustrie, wo die Unternehmer einen fünfwöchigen Streik aussitzen konnten.
Die Gewerkschaften nach 1945
Die Traditionen der CIO aus ihrer Anfangszeit sind durchaus wert, von einer neuen Generation junger AmerikanerInnen studiert zu werden. Mit den beiden Filmen Hoffa und FIST, dem einzigen guten Film, den Sylvester Stallone jemals gedreht hat, wurde diesem wichtigen Kapitel der amerikanischen ArbeiterInnenbewegung auch durch Hollywood Tribut gezollt. Wichtig für unser Verständnis aber ist, dass der Klassenkampf nicht nur etwas aus der fernen Vergangenheit ist sondern auch seit den 1930ern, wenn auch mit Hochs und Tiefs, weiterging. Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpften die amerikanischen ArbeiterInnen an die besten Traditionen einer kämpferischen Gewerkschaftsbewegung an. Zwischen 1936 und 1955 gab es gezählte 78,798 Streiks in den USA, an denen 42,366,000 Streikende beteiligt waren.
Anzahl der Streiks und der Streikenden (pro Jahrzehnt)
Jahre Anzahl der Streiks Anzahl der Streikenden
1923-32 9.658 3.952.000
1936-45 35.519 15.856.000
1946-55 43.279 26 510 000
1949 kam es zu riesigen Streiks in der Kohle- und Stahlindustrie, 1952 ebenfalls, 1959 streikten die Stahlarbeiter ganze 116 Tage, der längste Streiks in der Geschichte der USA. Als Reaktion auf diese militante Gewerkschaftsbewegung führte die Regierung 1947 unter dem Druck des Kapitals den Taft-Hartley Act ein, der Streiks gesetzlich erschweren sollten.
Das Kapital und ihr Staat stehen der Gewerkschaftsbewegung extrem feindlich gegenüber. Gewerkschaften sind heutzutage nicht mehr verboten, aber der Staat zögert nicht, das Kapital vor einer zu kämpferischeren ArbeiterInnenbewegung zu schützen, wenn es sein muss. Alles natürlich im Interesse der „nationalen Sicherheit“, wie es im Taft-Hartley Act heißt. Allein zwischen 1947 und 1963 wurde diese Anti-Gewerkschaftsgesetzgebung in 23 Fällen zur Anwendung gebracht.
Und diese Vorgangsweise ist heute lebendiger denn je. US-Präsident Ronald Reagan stützte sich im zentralen Konflikt mit der Gewerkschaft der Bediensteten in der Luftraumüberwachung auf dieses Gesetz. Im Protest gegen Reagans Politik zur nachhaltigen Schwächung der Gewerkschaften demonstrierten in den 1980ern 400.000 GewerkschafterInnen aus Protest gegen die Politik der Administration unter Reagan. Erst jüngst wandte auch George W. Bush dieses Gesetz gegen den Streik der Hafenarbeiter an der Westküste an.
Im Krieg zwischen Arbeit und Kapital ist der Staat kein Unparteiischer. Er war es nie und er wird es nie sein! Der Kampf für Gewerkschaftsrechte und gegen die ungerechten Anti-Gewerkschaftsgesetze ist eine brennende Frage für die US-amerikanische Arbeiterklasse. Daraus ergibt sich auch die Bedeutung einer politischen Perspektive für alle GewerkschaftsaktivistInnen.
Der Klassenkampf in den USA ist alles andere als tot. Ein markantes Beispiel liefert der Bergarbeiterstreik aus dem Jahre 1989. Im April 1989 rief die UMW (United Mine Workers) zu einem Streik gegen die unfairen Arbeitsbedingungen bei der Pittston Coal Group. Diese Arbeiter mussten 14 Monate im vertraglosen Zustand arbeiten. Der Streik wurde in Virginia, Kentucky und West Virginia geführt. Unterstützt wurden die Bergarbeiter dabei von ihren Familien. Der Streik ist bis heute ein Lehrbeispiel wie eine Arbeitsniederlegung in Verbindung mit einer Kampagne des zivilen Ungehorsams gegen ein Unternehmen geführt werden soll. Natürlich setzten die Unternehmer auch in diesem Fall auf den Einsatz staatlicher Sicherheitskräfte. Die Bergarbeiter schlugen jedoch in beeindruckender Art und Weise zurück und setzten Dynamit ein. Die „freie“ Presse schwieg diesen Arbeitskampf nahezu völlig tot und berichtete lieber über einen Bergarbeiterstreik, der zur gleichen Zeit stattfand – in Russland!
Die amerikanische ArbeiterInnenbewegung hat auch in den letzten Jahren mehrmals ihre Stärke im Kampf um die eigenen Interessen unter Beweis gestellt. Man denke nur an die Arbeitskämpfe bei UPS oder bei den Hafenarbeitern. Dass es nicht mehr Widerstand gegen die Kapitaloffensive gegeben hat, liegt in erster Linie an der Gewerkschaftsbürokratie, welche eine gewaltige Bremse für die Entwicklung des Klassenkampfes bilden.
Die Krise der Schwerindustrie im Norden und Osten der USA, wo die Gewerkschaften eine ihrer wichtigsten Machtzentren hatten, spiegelt sich auch in einem deutlichen Rückgang der Mitgliedszahlen wider. Die Führung der Gewerkschaften zeigte sich angesichts der neuen Herausforderungen absolut unfähig. Mit der Herausbildung neuer industrieller Zentren im Süden und Westen der Staaten sind heute Millionen ArbeiterInnen gewerkschaftlich unorganisiert. Die Organisierung dieser Schichten der Arbeiterklasse ist eine der wichtigsten Aufgaben für die amerikanische ArbeiterInnenbewegung dieser Tage. Dies wird aber nur möglich sein, wenn die Gewerkschaften zu ihren Wurzeln in Form der militanten Traditionen der CIO aus den 1930ern zurückkehren.
Die Gewerkschaften stellten immer schon die Grundorganisationen der Klasse dar. Sie befinden sich an vorderster Front, wenn es um die Verteidigung der grundlegenden Rechte der Arbeiterklasse geht. Ohne den tagtäglichen Kampf um Verbesserungen im Kapitalismus wird die sozialistische Veränderung der Gesellschaft eine reine Utopie bleiben. Daher sehen wir in der Veränderung und Demokratisierung der Gewerkschaften hin zu echten und klassenkämpferischen Sprachrohren und Kampfinstrumenten der arbeitenden Menschen eine zentrale Vorbedingung für den Kampf für eine sozialistische Gesellschaft, in welcher die Gewerkschaften eine wichtige Rolle bei der Verwaltung der Wirtschaft einnehmen werden.
Die Diktatur der großen Konzerne
„Alle Regierungen sind mehr oder weniger Vereinigungen gegen die Menschen…und da die Herrschenden nicht mehr Tugend als die Beherrschten haben… kann die Macht der Regierung nur innerhalb ihrer konstitutionellen Schranken erhalten werden durch die Entfaltung ihrer Macht und dem gesammelten Gefühl der Menschen (Benjamin Franklin Bache 1794 in einem Editorial der Philadelphia Aurora)
Das Wachstum der Produktivkräfte hat in den USA im letzten Jahrhundert schwindelerregende Ausmaße erreicht. Industrie, Landwirtschaft, Wissenschaft und Technik wurden bis zu einem Punkt entwickelt, wo die Menschheit einen gewaltigen Schritt vorwärts machen könnte. Alleine das produktive Kapital der USA würde ausreichen, um weltweit Armut, Analphabetismus und Krankheiten zu überwinden. Dies würde jedoch voraussetzen, dass diese Ressourcen unter den Bedingungen eines demokratisch beschlossenen Produktionsplans zielgerichtet eingesetzt werden.
Trotz dieses enormen Potentials vergrößert sich aber im Kapitalismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Kluft zwischen Reich und Arm. Die Spaltung der Gesellschaft in Klassen, die es den offiziellen Thesen der Bürgerlichen zufolge schon längst nicht mehr geben dürfte, hat in den USA ein nie gekanntes Ausmaß erreicht. Selbst in Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs verschärft sich die soziale Ungleichheit in der US-amerikanischen Gesellschaft. Die obersten 20% in den USA nennen heute 50% des Reichtums ihr Eigen, während die untersten 20% ganze 6% besitzen.
Schon im Kommunistischen Manifest schrieben Marx und Engels, dass der freie Wettbewerb zwangsläufig zu einer Monopolbildung führen würde. Diese von Marx und Engels vorausgesagte Kapitalkonzentration wurde von den meisten bürgerlichen Ökonomen in Frage gestellt. Besonders in den letzten beiden Jahrzehnten erlebten Theorien, welche von einer Tendenz zu kleineren Wirtschaftseinheiten ausgingen, unter dem Schlagwort „small is beautiful“ einen Aufschwung.
In Wirklichkeit hat sich aber der Prozess der Kapitalkonzentration in der letzten Periode voll entfaltet. Der gesamte Welthandel wird heute von nicht mehr als 200 Konzernen dominiert. Der Großteil dieser Multis hat seinen Sitz in den USA beheimatet. Das Schicksal von Millionen Menschen wird durch die Entscheidungen einer Handvoll von Unternehmen bestimmt, die wiederum im Eigentum einiger weniger Super-Reicher sind. Die einzige Absicht dieser modernen Raubritter ist es, sich selbst zu bereichern und die Macht ihrer Unternehmen zu vergrößern. Die Interessen der überwiegenden Mehrheit der US-BürgerInnen, vom Rest der Weltbevölkerung ganz zu schweigen, spielen in ihren Erwägungen keine Rolle.
In seinem Bestseller „Stupid White Men“ bringt Michael Moore dazu einige Zahlen, die wohl für sich selbst sprechen:
-) Von 1979 bis heute ist das Einkommen des reichsten Hundertstel der US-Bevölkerung um 157 Prozent gestiegen; die ärmsten 20 Prozent dagegen verdienen (inflationsbereinigt) tatsächlich 100 Dollar weniger als zu Beginn der Reagan-Ära.
-) Die Profite der reichsten 200 Konzerne sind seit 1983 um 362,4% gestiegen; ihr gemeinsamer Umsatz ist inzwischen höher als das gemeinsame Bruttosozialprodukt aller Länder der Erde mit Ausnahme der zehn reichsten.
-) In den letzten Jahren, für die Zahlen verfügbar sind, bezahlten 44 der 82 größten Konzerne in den USA nicht den Standardsteuersatz von 35 Prozent. 17 von ihnen bezahlten ÜBERHAUPZ KEINE Steuern und weitere 7, z.B. General Motors, jonglierten solange mit den Geschäftszahlen herum, dass am Ende der Staat ihnen Millionen Dollar schuldete.
-) Weitere 1279 Unternehmen mit Vermögen von 250 Millionen Dollar oder mehr gaben an keine Einnahmen zu haben und zahlten keine Steuer
Es sind die Damen und Herren an der Spitze dieser Konzerne, welche in den USA das Sagen haben. Die von Toqueville beschriebene amerikanische Demokratie ist zu einer Diktatur der großen Konzerne verkommen. Es ist ziemlich belanglos, wen die AmerikanerInnen ins Weiße Haus wählen, solange alle wichtigen Entscheidungen von dieser winzigen, unrepräsentativen Clique, die nur sich selbst verantwortlich ist, getroffen werden.
Die wirtschaftlichen Interessen dieser herrschenden Schicht werden von der mächtigsten Militärmaschinerie in der Geschichte abgesichert. Die außenpolitische Doktrin der USA sieht vor, dass sich ihre Armee überall auf der Welt einmischen kann, um demokratisch gewählte Regierungen zu stürzen, Kriege und Bürgerkriege anzuzetteln, und alles im Namen der Verteidigung „amerikanischer Interessen“.
Es ist wohl kaum verwunderlich, dass dieses Amerika mit seiner aggressiven Außenpolitik den Hass von Millionen Menschen auf der ganzen Welt erntet? Wo ist das Amerika geblieben, das zunächst dem britischen Empire die Stirn geboten hat, um seine Freiheit zu erlangen, und einen Bürgerkrieg führte, um diese neu erlangten Freiheiten auf alle BürgerInnen unabhängig von ihrer Hautfarbe auszuweiten?
Doch Illusionen sterben nur langsam. Für viele AmerikanerInnen bleiben die USA trotz alledem das „Land der Tapferen und der Freien“. Die gesellschaftliche Hegemonie der Bürgerlichen hält noch weitgehend. Doch selbst in den USA scheint diese langsam aber sicher aufzubrechen. Erst kürzlich veröffentlichte die Business Week eine Studie, dass 74% der AmerikanerInnen der Meinung sind, die Konzerne hätten zu viel Macht über ihr Leben. Auch der Rest der Studie zeigt, das es unter der scheinbar ruhigen Oberfläche ein wachsendes Gefühl der Unzufriedenheit gibt. Die großen antikapitalistischen Demonstrationen, die vor einigen Jahren in Seattle ihren Ausgangspunkt genommen haben, führten diesen Stimmungsumschwung auch der herrschenden Klasse in den USA vor Augen.
Wachsende Unzufriedenheit
„Der Geist des Widerstands ist der Regierung zu bestimmten Zeiten so wertvoll, dass ich hoffe, dass er immer am Leben bleibt. Er wird oft ausgeübt werden wenn es falsch ist, aber das ist besser als er wird nicht ausgeübt. Ich mag kleine Rebellionen hin und wieder.“ (Thomas Jefferson in einem Brief an Abigail Adams, 1787)
Der lange Wirtschaftsaufschwung in Folge des Zweiten Weltkriegs brachte auch eine völlig neue Ausgangslage für die Entwicklung des Klassenkampfes. Unter den günstigeren ökonomischen Bedingungen erlebte der Reformismus in der ArbeiterInnenbewegung einen zweiten Frühling. Zu Beginn des neuen Jahrtausends steckt der Kapitalismus in den USA einmal mehr in der Krise. Millionen sind von Arbeitsplatzabbau und Kürzungen betroffen. Dies setzt die Basis für eine neuerliche Verschiebung des Bewusstseins der Massen. Die USA verzeichnen Arbeitslosenzahlen, wie man sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat. Die Arbeitslosenrate beträgt jetzt circa 6 % und es gibt keine Aussicht auf Besserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt. Dabei nimmt auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen zu. Das Problem wird noch dazu durch die wachsende Zahl an Teilzeitarbeitskräften, die eigentlich einen Vollzeitjob suchen, verschleiert.
Selbst während des Booms in den 1990er Jahren wurde die Schere zwischen Arm und Reich größer. In der Rezession beschleunigt sich dieser Trend. Die Ungleichheit steigt, und der Gegensatz zwischen den Geldsäcken ganz oben und den Habenichtsen ganz unten ist größer denn je.
Die Reichen haben genügend Schlupflöcher, um ihre Steuerlast möglichst gering zu halten. Der Großteil der Steuern wiegt somit schwer auf den Schultern der Mittelschichten und der Arbeiterklasse. Ein gutes Beispiel für die Ungerechtigkeit des Steuersystems liefert die Erbschaftssteuer, die überwiegend Wohlhabende zu entrichten haben. 1999 zahlten nur 2% der Erben Steuern, die Hälfte des Steueraufkommens wurde von nur 3300 Personen, also 0,16% aller, bezahlt. Der Mindestwert der Hinterlassenschaften betrug 5 Millionen Dollar, der Durchschnittswert 17 Millionen.
Paul Krugmann schrieb im Oktober 2002 einen Artikel in der NY Times mit dem bezeichnendem Titel „Die Klassenkriege: Das Ende der amerikanischen Mittelklasse“:
„Die Einkommensungerechtigkeit im heutigen Amerika ist auf das Niveau der 1920er Jahre zurückgekehrt. Vererbter Wohlstand spielt noch keine große Rolle in unserer Gesellschaft, aber mit der Zeit werden wir uns eine Erbelite züchten. Und diese Elite wird – wie die alte – enorme politische Macht haben.“
Ein Job allein ist heutzutage aber noch lange keine Garantie für Glück und Zufriedenheit. Vielen Beschäftigten fehlt es an Vertrauen in die Zukunft. Unsicherheit ist in der gesamten Gesellschaft spürbar. Wohin man blickt, herrscht eine Stimmung der Kritik und der Unzufriedenheit. Die zunehmende Entfremdung zwischen den AmerikanerInnen und denen, die an den politischen und wirtschaftlichen Machthebeln sitzen und dadurch ihr Leben kontrollieren, ist offensichtlich. Und eine wachsende Zahl von AmerikanerInnen wird sich dieses Zustandes auch bewusst. Vielleicht wissen die meisten nicht genau was sie wollen, aber sie wissen ganz sicher was sie nicht wollen. Das Ausmaß dieser Entfremdung mit dem System spiegelt sich nicht zuletzt in der großen Anzahl an NichtwählerInnen wider.
Die Unzufriedenheit von Millionen Frauen und Männer hat konkrete materielle Ursachen: die langen Arbeitszeiten, der unbarmherzige Druck am Arbeitsplatz, die ständige Unsicherheit. Längst hat diese Stimmung auch auf die Mittelschichten übergegriffen. Die Behauptung, der Markt funktioniere, weil er Leistung belohne, entbehrt jeglicher Grundlage. Die überwältigende Mehrheit der Menschen, die Tag ein Tag aus unter ungeheurem Druck arbeiten, und oft sogar zwei oder drei Jobs annehmen müssen, um genügend für den Unterhalt ihrer Familien zu verdienen, kann davon nur träumen. In den letzten 20 Jahren ist die Produktivität in den USA stark angestiegen und riesige Profite wurden aus den Arbeitskräften gepresst. Die Arbeitswoche wurde durchschnittlich von 40 auf 50 Stunden angehoben. Die Menschen spüren die permanente Belastung, die ihre physische und psychische Gesundheit untergräbt und ihr Familienleben zerstört. Das ist auch bei gebildeten Mittelschichtleuten und dem unteren Management vermehrt der Fall. Was sie „motiviert“ ist nicht die freie Entscheidung oder der Anreiz auf der Karriereleiter aufsteigen zu können, sondern der erbarmungslose Druck nach Resultaten (also Profiten für die Bosse) und die Angst, den Job zu verlieren. Immer mehr Menschen aber hinterfragen diese Ellbogengesellschaft, in der das Recht des Stärkeren herrscht.
J.K.Galbraith schrieb vor ein paar Jahren das Buch „Die Politik der Zufriedenheit“, in dem er Amerika warnte: „Rezession und Depression sowie militärische Interventionen könnten längerfristig zu einer wachsenden Unzufriedenheit in den städtischen Slums führen. Jetzt könnte tatsächlich beides zusammentreffen. Die tiefe Rezession könnte die Unzufriedenheit in den trostlosen Gegenden im Zusammenspiel mit einem militärischen Misserfolg weiter steigern, da es in der Natur moderner Kriegsführung liegt, dass sich die Armee zum Großteil aus den untersten Schichten zusammensetzt.“
Bis jetzt konnte Amerika die von Galbraith vorausgesagte tiefe Rezession noch abwenden. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die derzeitige Erholung der US-Ökonomie basiert nur auf dem Privatkonsum und auf einer weiteren Verschuldung nicht aber auf produktiven Investitionen. Sie kann daher auch keine dauerhafte Dynamik auslösen und ist mit aller Wahrscheinlichkeit nur das Vorspiel zu einem noch tieferen Fall. Auf jeden Fall sind die Zukunftsperspektiven des Kapitalismus in den USA wie auch weltweit alles andere als rosig. Neue Schocks sind unvermeidlich und werden unvorhersehbare Konsequenzen haben. Denn niemand wird die in den letzten zehn bis zwanzig Jahren entfesselten Kräfte des freien Marktes unter seine Kontrolle bekommen können. Die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus wurden nicht abgeschafft, wie uns die meisten US-amerikanischen Ökonomen mit ihren Theorien vom Neuen Ökonomischen Paradigma Glauben machen wollten. Im Gegenteil, sie haben sich nur auf einer höheren Ebene reproduziert und stellen somit eine noch größere Gefahr dar. Der anarchische, ungeplante Charakter des Kapitalismus wird dieser Krise ein bislang noch unvorstellbares Ausmaß geben. Die Globalisierung zeichnet sich bereits jetzt immer mehr als globale Krise des Kapitalismus aus.
George Soros, der alles andere als ein Marxist ist, hat einmal festgestellt, dass der Markt nicht wie ein Pendel sondern wie eine Abrisskugel funktioniert – er demoliert alles, was sich ihm in den Weg stellt.
Das verrottete Herz des Corporate America
Der Fall ENRON und die darauf folgende Welle von Bilanzfälschungsskandalen haben mit dem Märchen aufgeräumt, dass der freie Markt das effizienteste und beste System zur Vorbeugung vor Bürokratismus und Korruption sei.
Die Konzerne, die in diese Skandalwelle involviert waren, lesen sich wie ein „Who is Who“ der US-Wirtschaft. In diesem Zusammenhang wurde der wahre Charakter der US-amerikanischen Wirtschaftsführer offen gelegt. Es zeigte sich, dass sich Top-Manager mit den unvorstellbarsten Geldsummen, die in keinerlei Bezug zu ihrer eigenen Leistung und Produktivität stehen, selbst belohnten. Eine Handvoll von Menschen, die fast nichts tun, machen in diesem System riesige Vermögen. Sogar in Zeiten der Rezession, in der die Profite der Firmen fallen und es zu Massenentlassungen und Kürzungen kommt, plündern diese Geldsäcke weiterhin gnadenlos Amerikas Reichtum. Neben ihren hohen, von der tatsächlich erbrachten Leistung völlig entkoppelten Salären genießen diese Spitzenmanager noch eine breite Palette von „Vergünstigungen“. Das ist ein System der Korruption in Reinkultur. Das beste Beispiel dafür ist das Modell der Aktienoptionen. So erhielten die Manager von AOL-Time Warner trotz Rezession z.B. solche Aktienbezugsrechte im Wert von 40 Millionen Dollar pro Kopf und Nase.
Viele der für Manager vorgesehenen Vergünstigungen tauchen normalerweise gar nicht in den Einkommensstatistiken auf. Coca Cola etwa lässt seinen Chef und dessen Frau immer im Firmenjet fliegen, was dem Unternehmen allein im letzten Jahr 103.898 Dollar gekostet hat. Bei AOL-Time Warner bekommen Gerald Levin und Richard Parkins, seinem designierten Nachfolger, jeweils 97.500 Dollar für „finanzielle Dienste“, was auch immer das heißen mag.
Die Bürgerlichen halten dem entgegen, dass mittlerweile die Spitzenmanager von US-Konzernen sehr wohl Gehaltseinbussen hinnehmen mussten. Ein angeblicher Beweis für die Selbstreinigungskräfte des kapitalistischen Systems. Konkret sieht das aber so aus: Stanford Weill, der CEO von Citigroup, verzeichnete kürzlich eine 83prozentige Lohnsenkung, welche den armen Kerl mit 36,1 Millionen Dollar zurückließ. Der Economist (6.4.2002) kommentierte diese Praxis folgendermaßen:
„Eine Sorge ist, das die Managementgehälter solche Höhen erreicht haben, dass die schlechten Zeiten gleich aussehen wie die guten, an die sie gewöhnt sind: die durchschnittliche Gesamtentlohnung laut der Mercer Umfrage (eine Studie über 100 große Unternehmen von William M. Mercer und dem Wall Street Journal) lag immer noch bei 2,16 Millionen Dollar. Auch sind die Managementgehälter nicht annähernd so stark zurückgegangen wie die Profite: die Gesamtkompensation der CEO ist letztes Jahr um 2,9%, die Gewinne nach Steuern aber sind im letzten Jahr um nahezu 50% gesunken.“
Und weiter: „Manche der Financial Services, die amerikanische Firmen an ihre Top-Manager zahlen, würden normale Banken in den Ruin treiben. Der Computerhersteller Compaq erließ Michael Capellas einen Kredit in der Höhe von 5 Millionen Dollar und bot ihm sogar einen neuen an. Bernie Ebbers, der CEO von WorldCom, einem in Schwierigkeiten befindlichen Telekom-Unternehmen, borgte sich fürstliche 341 Millionen Dollar aus. Und zwar von seinem Arbeitgeber, dem er nur etwas über 2% Zinsen zahlt.“
Diese Manager, die in Wirklichkeit niemandem verpflichtet sind, bereichern sich schamlos an dem, was die Arbeiterklasse mit ihrer unbezahlten Arbeit an Mehrwert produzieren. Wenn ein Arbeiter gefeuert wird (was einem Manager ohnedies nur selten passiert) oder in Pension geht, erhält er wenn überhaupt eine magere. Aber diese Damen und Herren bedienen sich sogar dann noch fürstlich, wenn sie formal schon zurückgetreten sind.
„Jack Welch, der zurückgetretene Chef von General Electric, bekam für den Rest seines Lebens 17.000 Dollar täglich (ja, wirklich pro Tag!) für die Beratung des Unternehmens zugesichert – und das zusätzlich zu seiner regulären Pension von über 9 Millionen Dollar jährlich.“
Worin diese Beratung genau besteht, wird nicht erwähnt. Aber man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir es hier nicht mit dem von den Anhängern der freien Marktwirtschaft so oft beschworenen, unternehmungslustigen „self made“-Unternehmer zu tun haben. Ganz im Gegenteil. Es handelt sich dabei um die hemmungslose Plünderung der amerikanischen Wirtschaft durch eine kleine, unrepräsentative und vor allem unproduktive Schicht von Unternehmern.
Falls jemand glaubt, das sei alles nur marxistische Propaganda, lassen wir noch einmal den „Economist“, einen der größten Verfechter der freien Marktwirtschaft, zu Wort kommen: „Beim derzeitigen Trend wird 2021 eine amerikanische Firma auftauchen, deren Boss mehr verdient als der gesamte Absatz ausmacht. Wenn das die Marktkräfte sind, dann sollten Marktkräfte besser verworfen werden.“
Sozialismus und Demokratie
Sozialismus und Demokratie seien unvereinbar, so die Befürworter des Kapitalismus, die sich wie Tintenfische verteidigen, indem sie eine große Menge Tinte herausspitzen, um ihre Feinde zu verwirren. Die USA seien die Heimat der bürgerlichen Demokratie. In Wirklichkeit haben wir es aber mit einer Diktatur einer Handvoll mächtiger Konzerne zu tun, die wiederum von winzigen Cliquen geführt werden, die niemandem rechenschaftspflichtig sind. Die Kapitalisten besitzen und kontrollieren nicht nur das Vermögen Amerikas, sie kontrollieren auch die Presse, das Fernsehen und alle anderen Kanäle zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Zwischen den beiden staatstragenden Parteien, den Republikanern und den Demokraten, gibt es nur minimale Unterschiede.
Beide Parteien stehen für die Interessen der großen Konzerne. Bei den Wahlen hat nur jemand eine Chance, der über riesige Geldsummen verfügt. Und wie das Sprichwort lautet: Wer zahlt bestimmt die Musik. Der ENRON-Skandal bestätigte lediglich, was jeder schon immer gewusst hat: Die große Mehrheit der Senatoren und Kongressabgeordneten hängen am Gängelband der Konzerne. Die Unternehmensführung von ENRON stand in derart engem Kontakt zu den Spitzen der US-Regierung, dass dies sogar die Lösung dieses Kriminalfalls in seiner gesamten Dimension verhinderte.
MarxistInnen verteidigen jede demokratische Errungenschaft. Aber wir fordern eine echte Demokratie, mit einer Karikatur derselben werden wir uns nicht zufrieden geben. Und die Voraussetzung für den Aufbau einer echten Demokratie in den USA ist der Sturz des Big Bussiness. Die Macht der Banken und Konzerne muss gebrochen werden, und die Schalthebel der Wirtschaft müssen unter der demokratischen Kontrolle und Verwaltung der Arbeiterklasse vergesellschaftet werden.
Wenn erst der private Profit nicht mehr das alles bestimmende Prinzip ist, wäre der Weg frei für eine einzigartige Explosion an Entwicklungen und Innovationen aller Art. Vor allem die Männer und Frauen in den Fabriken und Betrieben hätten erstmals einen echten Anreiz sich an Diskussionen und Debatten über die Weiterentwicklung des Produktionsprozesses zu beteiligen. Die Talente der Ingenieure, der Manager, der Wissenschaftler und Techniker würden in einer sozialistisch geplanten Wirtschaft natürlich ebenfalls eine Schlüsselrolle spielen. Auf diese Art und Weise hätten alle Menschen die Möglichkeit, die Zukunft der Gesellschaft mitzubestimmen.
Diese Zukunftsvision widerspricht den amerikanischen Idealen von Demokratie und persönlicher Freiheit in keiner Weise. Ganz im Gegenteil, unter den Bedingungen einer sozialistischen Gesellschaft könnten sie sich auf qualitativ höherem Niveau weiterentwickeln.
Ist Bürokratie unvermeidlich?
Niemand geringerer als Adam Smith warnte vor der Gefahr der Monopolisierung als er in seinem Hauptwerk, „Eine Untersuchung über Ursachen und Natur des Volkswohlstandes“, schrieb: „Von den Direktoren solcher (Aktien)unternehmen, (…) die viel mehr Manager über das Geld andere Manschen denn über ihr eigenes sind, kann nicht wirklich erwartet werden, dass sie mit der gleichen ängstlichen Wachsamkeit wie die Partner in einem Privatunternehmen schauen (…) Nachlässigkeit und Überfülle müssen deshalb in den Unternehmensführungen herrschen.“
Die Lösung dieses Problems kann aber nicht in der Rückkehr zu kleinen Wirtschaftseinheiten liegen, wie dies von nicht wenigen Ökonomen propagiert wird. Diese Periode des Kapitalismus ist Geschichte, und das Rad der Geschichte kann auch nicht mehr zurückgedreht werden. Die moderne kapitalistische Wirtschaft wird von den großen Monopolen kontrolliert und nichts kann diese Tendenz umkehren. Jeder der das bezweifelt muss sich nur die Geschichte der Anti-Trust Gesetze in den USA anschauen. Die praktischen Auswirkungen dieser Gesetze, die lange Zeit existierten, waren kaum spürbar. Beweis dafür ist das derzeitige Gerangel zwischen Bill Gates und den Behörden. Niemand bezweifelt das Herr Gates das größte Monopol der Welt geschaffen hat und damit die Entwicklung in einem äußerst vitalen Bereich hemmt. In der Praxis stellt sich heraus dass es unmöglich ist die Positionen zu verschieben.
Da es unmöglich ist die unaufhaltsame Tendenz zur Monopolisierung zu stoppen bleibt nur eine Alternative: diese großen Konzerne unter demokratische Kontrolle zu bringen. Aber hier stoßen wir auf ein anderes unüberwindbares Hindernis. Es ist nicht möglich etwas zu kontrollieren was einem nicht gehört. Die Antwort ist eindeutig: um die Monopole zu kontrollieren müssen sie aus den privaten Händen gerissen, also nationalisiert, werden. Nur dann wird es möglich sein sicherzustellen, dass die Kernbereiche der Wirtschaft Diener und nicht Beherrscher der Gesellschaft sind.
Aber würde das nicht die Gefahr einer Bürokratisierung, wie sie im stalinistischen Russland passiert ist, erzeugen? Das scheint ein sehr ernstzunehmender Einspruch zu sein, ist es aber eigentlich nicht. Die bürokratische Degeneration der russischen Revolution war nicht das Resultat der Nationalisierung sondern der Isolation der Revolution unter dem besonderen Umstand der enormen Rückständigkeit. Es sollte nicht vergessen werden dass Russland 1917 ein extrem rückständiges halbfeudales Land war. Von 150 Millionen Einwohnern waren nur 4 Millionen Industriearbeiter. In bemerkenswert kurzer Zeit veränderte die nationalisierte geplante Wirtschaft Russland von einem rückständigen Land, wie es heute zum Beispiel Pakistan ist, zur zweitmächtigsten Nation der Erde. Für einige Jahrzehnte erreichte die Sowjetunion wirtschaftliche Ergebnisse die niemals wieder von irgend einem anderen Land erreicht wurden. Genauso wenig sollten wir die Tatsache vergessen dass diese Wirtschaft im zweiten Weltkrieg eine schreckliche Zerstörung erlebte als 27 Millionen SowjetbürgerInnen umkamen.
Es ist nicht möglich das, was in der UdSSR passierte zu verstehen ohne diese Fakten zu berücksichtigen. Genauso wenig ist es sinnvoll eine Analogie zwischen dem Schicksal der nationalisierten Planwirtschaft des rückständigen Russlands und den Aussichten einer geplanten Wirtschaft in der USA ziehen. Bürokratie ist ein Produkt ökonomischer und kultureller Rückständigkeit. Es ist nicht schwierig das zu beweisen. Wenn wir uns den Zustand jener Länder, die manchmal „Dritte Welt“ genannt werden – die Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas – anschauen, dann wir augenblicklich klar das Bürokratismus ein gemeinsamer Bestandteil jedes einzelnen ist – egal ob die Produktion nationalisiert ist oder nicht.
Es ist möglich graphisch darzustellen, dass der Grad der Bürokratisierung einer bestimmten Gesellschaft umgekehrt proportional zu ihrer ökonomischen und kulturellen Entwicklung ist. Das selbe trifft auf Phänomen wie Korruption und Ineffizienz, die normalerweise mit Bürokratie verbunden werden, zu. Die Gesellschaft tendiert dazu sich von diesen Dingen zu befreien im selben Grad wie sie sich das Niveau der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung und das kulturelle Niveau der Bevölkerung erhöht.
Wenn eine Bürokratie zur verfestigten herrschenden Kaste aufsteigt, wie dies in Russland nach Lenins Tod passiert ist, wird sie natürlich ihre Macht und Privilegien festhalten sogar wenn das Niveau der Entwicklung sie gänzlich unnötig macht. Aber in diesem Fall wird die Bürokratie und Planwirtschaft zerstören – genau das ist in der Sowjetunion passiert. Aber exakt das ist der Punkt. Die Existenz der Bürokratie in Russland war nicht nur nicht das Produkt der national geplanten Wirtschaft, sondern stand in genauem Gegensatz dazu. Trotzki erklärte, das eine geplante Wirtschaft Demokratie benötigt wie der menschliche Körper Sauerstoff.
Das Herz Amerikas
Im ersten Kapitel unseres Buches „Aufstand der Vernunft“ gehen wir auf den Widerspruch zwischen den unglaublichen Fortschritten der Wissenschaft und dem im Vergleich dazu beängstigend rückständigen Bewusstsein der Menschheit. In keinem anderen Land ist dieser Widerspruch so augenscheinlich wie in den USA. In dem Land, das wie kein anderes zum wissenschaftlichen Fortschritt beiträgt, glaubt die überwältigende Mehrheit der Menschen an Gott oder bezeichnet sich als religiös. 36% der AmerikanerInnen glauben, die Bibel stimme Wort für Wort. Die Hälfte der US-BürgerInnen glaubt, Amerika genieße den Schutz Gottes. Nach dem 11. September waren 78% der Meinung, dass der religiöse Einfluss auf das öffentliche Leben weiter zunehmen würde. Bücher über die Apokalypse wurden zu Bestsellern. Die amerikanische Gesellschaft wird in nicht zu vernachlässigendem Ausmaß von Religion, Aberglauben und Mystizismus bestimmt.
Dabei vertraten die Gründerväter der USA eine absolut kritische Position gegenüber der Religion im Allgemeinen und dem Christentum im Besonderen. So schrieben etwa George Washington und John Adams in einer diplomatischen Botschaft an Malta: „Die Vereinigten Staaten basieren in keiner Art und Weise auf der christlichen Religion“
John Adams ging in einem Brief an Thomas Jefferson sogar noch weiter, als er schrieb: „Die beste aller möglichen Welten wäre jene, in der keine Religion existiert.“
Thomas Jefferson kommentierte 1814: „In jedem Land und zu jeder Zeit waren die Priester Feinde der Freiheit. Sie bilden immer eine Allianz mit den Despoten und unterstützen sie, um im Gegenzug ihren eigenen Schutz zu garantieren.“
Und der selbe Thomas Jefferson schrieb 1823: „Der Tag wird kommen, an dem die mystische Geburt Jesu durch ein höheres Wesen im Leib einer Jungfrau genauso beurteilt wird wie die Sage der Geburt Minervas aus dem Gehirn Jupiters“. Und weiter: “Ich finde im orthodoxen Christentum keine einzige gute Eigenschaft.“
Auch Abraham Lincoln vertrat diese Einstellungen: „Die Bibel ist nicht mein Buch und das Christentum nicht meine Religion.“
Diese Ansichten stützen sich auf den Rationalismus, der fortschrittlichsten Strömung in der Aufklärung des 18.Jahrhunderts. Die Ablehnung der Religion war immer der erste Schritt zu einer vernunftbestimmten Sicht der Natur und Gesellschaft. Es war der Beginn jedes modernen Fortschritts, der Beginn sowohl der amerikanischen als auch der französischen Revolution. Und es war genauso der Ausgangspunkt für die Entwicklung einer moderner Wissenschaft und Technologie, der eigentlichen Basis von Amerikas Macht. In Sachen wissenschaftlicher und technischer Fortschritt sind die USA weltweit federführend. Die USA liefern uns damit einen Blick auf eine Zukunft, in der das Potential menschlicher Entwicklung voll ausgespielt werden kann. Das Fortbestehen reaktionärer Ideologien vor diesem Hintergrund des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts ist einer der größten Widersprüche unserer Epoche.
Dieser Fortbestand religiöser Ideen ist nur damit zu erklären, dass die Menschen fühlen, dass sie keine Kontrolle über ihr Leben haben, das scheinbar von einer seltsamen, unsichtbaren Kraft bestimmt wird. Die Menschen fühlen sich nicht als Herren ihres eigenen Schicksals, sie fühlen sich unfrei. Tatsächlich ist es so, dass unser Leben von Kräften bestimmt wird, die außerhalb unseres Einflusses liegen. Der anarchische Charakter des Kapitalismus bestimmt weltweit ob Millionen einen Job haben oder nicht. Die unkontrollierbaren Bewegungen auf den Aktienmärkten können in Tagen oder sogar Stunden Millionen in den Ruin treiben. Es ist diese allgegenwärtige Instabilität und Unbeständigkeit auf der ganzen Welt, die sich in nicht enden wollenden Kriegen, Terroranschlägen und anderen Formen der Barbarei ausdrückt. Das schafft ein allgemeines Klima der Angst und der Unsicherheit. Das ist die so genannte „Neue Weltordnung“.
Wenn sich ein sozioökonomisches System im Niedergang befindet, dann wird sein Abstieg von einer allgemeinen Krise der Moral, der Familie, des Glaubens usw. begleitet. Die Ideologie der herrschenden Elite verliert zusehends an Schwäche. Die Menschen glauben nicht mehr an die alten Werte, die immer mehr mit Skepsis und Ironie betrachtet werden. Schließlich entsteht ein neues Ideengebäude, das den Standpunkt der aufstrebenden revolutionären Klasse widerspiegelt. Im 18. Jahrhundert hatte die Bourgeoisie diese Rolle inne. Im 21. Jahrhundert kann nur die Arbeiterklasse auf der Basis des wissenschaftlichen Sozialismus, des Marxismus, diese Funktion übernehmen.
Wenn eine Gesellschaft in der Sackgasse steckt, gibt es für die Menschen zwei Möglichkeiten zu reagieren. Entweder sie wenden sich nach innen und versuchen von der schrecklichen Realität zu flüchten oder sie blicken derselben ins Gesicht und streben danach sie zu verstehen und in der Folge zu verändern. Erstere Variante birgt das Problem, dass die Welt draußen eine unangenehme Art hat sich in das Leben eines jeden einzudringen.
Hegel meinte einst, wirkliche Freiheit sei die Erkenntnis in die Notwendigkeit. Mit anderen Worten: Wollen wir unsere Lebensumstände verändern, müssen wir sie zuerst verstehen. Der Marxismus ist ein wichtiges Werkzeug, mit dem wir die Welt, in der wir leben, begreifen können, mit dem wir verstehen können, woher wir kommen und wohin wir gehen. Anders als die Religion, welche dem Menschen Trost spendet, indem sie die Vision einer glücklichen und erfüllten Zukunft nach dem Tod bietet, lenkt der Marxismus unser Augenmerk nicht gen Himmel sondern auf das hiesige Leben und hilft uns die offenbar mysteriösen Kräfte, die unser Leben beeinflussen, zu verstehen.
In den letzten Jahren gab es einige spektakuläre wissenschaftliche Entdeckungen, allen voran die Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Diese Ergebnisse haben die Positionen des genetischen Determinismus, die wir schon in unserem Buch „Aufstand der Vernunft“ kritisierten, ein für allemal widerlegt. Außerdem wurden dadurch pseudowissenschaftlichen, rassistischen Theorien, wonach Schwarze eine genetische Disposition zu Unverstand und Armut hätten, der Boden unter den Füssen entzogen. Das Human Genome Project stellt weiters den Todesstoß für die Schöpfungslehre dar, die an immer mehr amerikanischen Schulen Darwins Evolutionstheorie verdrängt.
Viele AmerikanerInnen lehnen den Marxismus aufgrund seiner kritischen Position zur Religion ab. Hat Karl Marx nicht die Religion als „Opium des Volkes“ bezeichnet? Marx schrieb in diesem Zusammenhang: „Religiöses Elend ist zugleich Ausdruck wirklicher Bedrängnis und Protest gegen wirkliche Verzweiflung. Die Essenz von Religion ist die Sehnsucht nach einer besseren Welt und der Glaube, dass es im Leben mehr gibt als das Jammertal, durch das wir in der allzu kurzen Zeit zwischen Wiege und Bahre gehen.“
Viele Menschen sind mit ihrem Leben unzufrieden. Es ist aber nicht nur eine Frage materieller Armut. Es ist auch eine Frage der geistigen Armut. Die Leere des menschlichen Lebens; die stumpfsinnige Routine der täglichen Arbeit, die unser Leben bestimmt; die Entfremdung, die Männer und Frauen voneinander trennt; der Mangel an menschlichen Beziehungen und gelebter Solidarität. Diese geistige Armut ist das direkte Produkt der kapitalistischen Gesellschaft, in der nur die Stärksten überleben. In dieser Welt stellt sich nicht die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, sondern ob es ein Leben vor dem Tod geben kann.
Das kapitalistische System ist ein zutiefst unmenschliches System, welches für Millionen von Menschen nur unsagbares Leid, Unterdrückung, Krankheiten und Tod bedeutet. Es sollte unser aller Aufgabe sein, den Kampf für eine bessere Welt zu unterstützen. Dieser Kampf kann jedoch nur auf der Grundlage korrekter Perspektiven und eines politischen Programms erfolgreich sein. Genau darin liegt die Bedeutung des wissenschaftlichen Sozialismus.
MarxistInnen haben mit der Religion ein grundsätzliches Problem: Der Mensch hat nur ein Leben und er sollte danach trachten, dieses Leben so schön und erfüllend wie nur möglich zu gestalten. Wir glauben daher, dass wir für die Veränderung der Gesellschaft kämpfen sollten. Unser Ziel muss die Schaffung einer wirklich menschlichen Welt sein, in welcher es unserer Art erlaubt ist, zu ihrer wahren Größe emporzusteigen. Wenn man so will, kämpfen wir für das Paradies auf Erden, weil wir nicht glauben, dass es ein anderes gibt.
Marxismus und Religion sind miteinander unvereinbar. Dennoch lehnen wir die Unterdrückung der Religion ab. Wir verteidigen das Recht auf freie Religionsausübung. Wir stehen aber auch unmissverständlich für eine radikale Trennung zwischen Kirche und Staat ein. Die Kirche darf weder direkt noch indirekt aus Steuermitteln finanziert werden. Genauso wenig soll es an Schulen einen konfessionellen Religionsunterricht geben. Religion ist eine Privatsache und sollte dementsprechend behandelt werden.
In dem Ausmaß, in dem die Menschen in der Lage sind, ihr eigenes Leben zu kontrollieren und sich als menschliche Wesen zu verwirklichen, wird auch das Bedürfnis für religiöse Erklärungen zurückgehen. Natürlich muss niemand mit dieser Voraussage übereinstimmen. Die Zeit wird zeigen, ob wir Recht haben oder nicht. In der Zwischenzeit sollte aber dieser Meinungsunterschiede ehrliche ChristInnen nicht davon abhalten Hand in Hand mit uns MarxistInnen für eine bessere Welt zu kämpfen.
Religion und Revolution
Das Christentum selber begann vor etwa 2000 Jahren als revolutionäre Bewegung. Das Urchristentum war eine Massenbewegung der ärmsten und am meisten unterdrückten Schichten der Gesellschaft. Die Römer bezeichneten die Christen als eine Bewegung von Sklaven und Frauen. Die frühen Christen waren in gewisser Hinsicht KommunistInnen. Das geht aus den Apostelgeschichten deutlich hervor. Der Bibel zufolge wirkte Christus selbst im Sinne der Armen und Besitzlosen und er kritisierte auf das Schärfste die Reichen. Er soll gesagt haben, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr ginge als ein reicher Mann in das Reich Gottes komme.
Der Kommunismus der frühen Christen zeigt sich auch in der Tatsache, dass in ihren Gemeinden das gesamte Vermögen gemeinschaftlich war. Wer der christlichen Gemeinde beitreten wollte, musste zuerst alle seine weltlichen Güter aufgeben. Natürlich war diese Form des Kommunismus noch von sehr naiven Vorstellungen geprägt. Mit diesem Urteil wollen wir diese Frauen und Männer aber nicht abschätzig behandeln, denn das waren äußerst couragierte Menschen, die im Kampf gegen den übermächtigen römischen Sklavenstaat sogar ihr Leben zu opfern bereit waren. Es fehlten unter den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen jedoch die materiellen Voraussetzungen für eine kommunistische, d.h. eine klassenlose, Gesellschaft. Der Kommunismus der frühen Christen sah daher nur eine gemeinschaftliche Konsumtion von Essen, Kleidung usw. vor.
Marx und Engels entwickelten den Kommunismus von einer Utopie zu einer Wissenschaft und erklärten, wie die Emanzipation der Massen vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte (Industrie, Landwirtschaft, Wissenschaft und Technologie) abhängt. Darin liegt die generelle Voraussetzung für die Verkürzung der Arbeitszeit, die wiederum notwendig ist, um den Menschen den Zugang zur Kultur zu ermöglichen. Auf dieser Grundlage kann sich ein neuer Mensch entwickeln.
Von den Traditionen des frühen Christentums ist jedoch in den heutigen Kirchen nicht viel übrig geblieben. Im 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung ist das Christentum mit der Anerkennung als Staatsreligion in ein Instrument der Herrschenden verwandelt worden. Seither stand die Kirche immer auf Seiten der Reichen und Mächtigen. Heute sind die Kirchen extrem reiche Institutionen, die über enge Verbindungen zum Big Business verfügen.
Politisch haben die Kirchen systematisch die Reaktion unterstützt. Katholische Priester haben die Armeen Francos gesegnet, bevor diese die spanische Revolution im Blut ertränkten. Der Papst unterstützte Hitler und Mussolini im Kampf gegen den „Bolschewismus“. In den USA versucht die religiöse Rechte mit Unsummen die öffentliche Meinung und das politische Establishment zu beeinflussen.
Marxismus und die Zukunft
Der Marxismus ist eine Philosophie, aber er unterscheidet sich von anderen Philosophien, weil er nicht nur eine Methode darstellt, um die Vorgänge in der Natur und der Gesellschaft zu verstehen, sondern er ist auch eine Handlungsanleitung im politischen Kampf. Der junge Marx drückte es folgendermaßen aus: “Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es geht aber darum sie zu verändern“
Der Marxismus sieht die Welt als ein dynamisches System, als einen nie endenden Prozess, der von Widersprüchen angetrieben wird, die früher oder später die Dinge in ihr Gegenteil verkehren. Entwicklung ist kein geradliniger Prozess, sondern wird von plötzlichen Sprüngen und Explosionen unterbrochen, die Quantität in Qualität verwandeln. Mit diesem Grundverständnis können wir das Funktionieren sowohl der Natur als auch der menschlichen Geschichte verstehen lernen.
Den meisten Menschen erscheint die Welt, in die sie hineingeboren wurden, als etwas Unveränderbares. Sie hinterfragen nur in den seltensten Fällen ihre Wert- und Moralvorstellungen, ihre Religion, ihre politischen Ansichten und die staatlichen Institutionen. Diese geistige Trägheit wird durch Traditionen, Gebräuche und Routine noch verstärkt. Das ist der Kitt, der es Gesellschaftsordnungen zu überleben erlaubt, obwohl sie längst zu einer Fessel für die weitere Entwicklung der Produktivkräfte geworden sind. In den USA ist diese Trägheit wahrscheinlich noch stärker als in vielen anderen Ländern ausgeprägt.
In Wahrheit ist die Gesellschaft aber nichts Starres. Die gesamte Geschichte lehrt uns das. Die Entwicklungsstufen sozioökonomischer Systeme sind durchaus vergleichbar mit jenen eines menschlichen Individuums. Sie werden geboren, sie altern, erreichen den Höhepunkt ihrer Entwicklung und treten ab einem gewissen Punkt in die Phase des Verfalls und des Niedergangs ein. Wenn eine Gesellschaft nicht mehr imstande ist eine progressive Rolle zu spielen, d.h. wenn sie unfähig ist die Produktivkräfte weiterzuentwickeln, hat das auf alle Menschen schwerwiegende Auswirkungen. Die Krise findet dann in allen Bereichen des Lebens, nicht nur in der Wirtschaft, ihren Ausdruck. Dies trifft auch auf die gegenwärtige Krise des Kapitalismus zu.
Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen begonnen haben Fragen über die Welt, in der sie leben, zu stellen. Und Fragen zu stellen ist nie schlecht. Die schlimmen Ereignisse vom 11. September 2001 haben viele AmerikanerInnen dazu gebracht über Dinge nachzudenken, für die sie sich vorher nur wenig interessierten. Sie haben plötzlich erkannt, dass mit der Welt nicht alles in Ordnung ist, und das Amerika tief in eine weltweite Krise, vor der niemand flüchten kann, verstrickt ist. Die Zerstörung der Twin Towers wirft einen dunklen Schatten über Amerika. Für einige Zeit haben Bush und der reaktionärste Flügel der herrschenden Klasse dieses Ereignis als Rückenwind für ihre eigenen Projekte nutzen können. Aber das wird nicht so bleiben. Früher oder später wird sich der dichte Nebel der Propaganda und der Lügen auflösen.
Auch wenn viele Menschen in ihrem Innersten spüren, dass in dieser Gesellschaft etwas gewaltig schief läuft, finden sie keine logische Erklärung dafür. Das sollte uns nicht verwundern. Die ganze Art zu denken, wie sie uns von klein auf beigebracht wird, lässt uns Gedanken daran, dass mit der Gesellschaft, in der wir leben, etwas falsch sei, zurückzuweisen. Der Mensch schließt lieber seine Augen vor den Problemen und versucht unangenehme Schlussfolgerungen so lange wie möglich hinauszuschieben.
Das ist natürlich. Es ist für die Menschen alles andere als leicht, die Gedanken, mit denen sie aufgewachsen sind, zu hinterfragen. Aber früher oder später werden konkrete historische Ereignisse sie dazu zwingen über Dinge nachzudenken, die sie vorher als gegeben und unveränderlich sahen. Und wenn so ein Moment eintritt, werden die gleichen Menschen, die sich zuvor hartnäckig gegen alles Neue wehrten, das eifrig studieren, was sie noch gestern für Ketzerei hielten. Sie werden nach Erklärungen und nach Alternativen suchen.
Heute gilt der Marxismus als solch eine Ketzerei, die keine reale Basis habe, in der Praxis versagt habe bzw. nicht mehr zeitgemäß sei. Aber wenn das wirklich der Fall ist, warum machen sich die Verteidiger des Kapitalismus so viel Mühe, den Marxismus noch immer zu bekämpfen? Wenn er so tot und irrelevant ist, könnten sie ihn einfach ignorieren. Die Macht marxistischer Ideen ist die, dass sie – und sie allein – eine kohärente und wissenschaftliche Erklärung der Welt in der wir leben geben. Deshalb ist der Marxismus für die Herrschenden so gefährlich.
Viele Menschen, besonders in den USA, haben gegenüber dem Marxismus dieselbe Einstellung wie die Repräsentanten der römisch-katholischen Kirche zu Galileos Teleskop. Als Galileo sie bat mit ihren eigenen Augen zu schauen und selbst den Beweis zu liefern, verweigerten sie starrköpfig. Galileo musste einfach falsch liegen, und damit Schluss der Debatte. Genauso sind viele Menschen der festen Überzeugung, der Marxismus sei einfach falsch, und sie sehen keinen Grund sich näher damit zu befassen. Wir sind jedoch der festen Überzeugung, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Sozialismus, ausgehend von den Werken von Marx, Engels, Lenin und Trotzki, eine enorme Bereicherung für all jene darstellen würde, die sich zum Ziel gesetzt haben, den Kampf für eine andere, eine bessere Welt zu führen.