Die SJÖ lud gestern Mitglieder und interessiertes Publikum zu einer Expertendiskussion mit hochrangigem Podium. Der SJ-Verbandsvorsitzende Wolfgang Moitzi sah in diesem Forum die Möglichkeit zur Meinungsbildung, die angesichts eines grundlegenden Politikwechsels der Sozialdemokratie mehr als nur angebracht sei. Er machte auch klar, dass die SJÖ diese Schuldenbremse ablehne.
Diese Haltung wurde auch am Podium Tenor. Bernhard Funk war geladen um die juristischen Aspekte der Schuldenbremse zu beleuchten, Christa Schlager von der Volkswirtschaftlichen Abteilung der AK und Stefan Schulmeister, der bekannteste wirtschaftpolitische Kritiker Österreichs, bildeten das wissenschaftliche Rückgrad der Veranstaltung. Das Podium wurde abgerundet durch politische Vertreter der SPÖ und der Grünen. Über 40 SJlerInnen kamen zu dieser Diskussionsveranstaltung.
Schulmeister eröffnete die Runde und argumentierte, dass eine Schuldenbremse die kommende Rezession, die zwar nicht so tief werden würde wie die Große Depression der 1930er Jahre aber über Jahre anhalten werde, noch weiter vertiefen würde. Er verglich die aktuelle Politik mit jener des Reichskanzlers Brüning und des US-Präsidenten Hoover nach dem Crash von 1929, als Rezept zur Vertiefung der Krise und zur Verringerung des Steueraufkommens. Bernhard Funk erläuterte seine juristische Expertise, deren Kern darin besteht, dass im Kontext der österreichschen Rechtspflege einer verfassungsmäßigen Schuldenbremse eher nur symbolischer Charakter zukäme. Kollegin Schlager lehnte die Schuldenbremse aus ähnlichen wirtschaftspolitischen Argumenten ab wie Schulmeister, und brachte dankenswerter eine sozialpolitische Dimension in die Diskussion ein, indem sie auf die Auswirkungen einer solchen Sparpolitik auf arbeitende Menschen verwies. Außerdem ging sie auf die Welle von Generalstreiks in Europa ein. Sie befürchtete eine demokratiepolitische Destabilisierung Europas und zeigte sich mit einem Anflug von Fatalismus sehr enttäuscht, dass die politische Konsequenz aus der wissenschaftlichen Arbeit ihrer Abteilung im ÖGB-Präsidium im „sozialpartnerschaftlichen Reflex“ auf die sehr abgeschwächte Formel „skeptisch bis ablehnend“ reduziert wurde.
Nun waren die Politiker am Wort. Der Grüne Werner Kogler betonte, dass die anfängliche Zustimmung der Grünen zur Schuldenproblematik nur aus taktischen Erwägungen erfolgt sei. Man wollte sich damit Vorteile verschaffen um Vermögenssteuern in die politische Diskussion zu bekommen. In der jetzigen Form werden die Grünen die Schuldenbremse sicher ablehnen. In Replik auf Bernhard Funk bezeichnete er zudem das Finanzrahmengesetz als viel besseres Instrument der Finanzplanung. Langfristig sieht Kogler ein Potential von 5-6 Mrd. € Vermögenssteueraufkommen in Österreich.
Christian Horner von der SPÖ OÖ analysierte, dass wir in der Diktatur der Finanzmärkte leben würden, und dass die Landespartei geschlossen gegen die Schuldenbremse und für die Regulierung der Finanzmärkte stehe.
Dann war das Publikum an der Reihe. Funke-Redakteur Emanuel Tomaselli ergriff das Wort. Er stellte fest, dass er keine einleuchtende Erklärung der Krisenursachen gehört habe und dass es sich seiner Meinung nach um eine klassische Überproduktionskrise in Marxschen Sinne handle. Er wandte sich an Schulmeister mit dem Hinweis, dass die Krise der 1930er Jahre sowohl in Deutschland als auch in den USA in erster Linie durch die Produktion von Panzern, Bombern und Kriegsschiffen überwunden worden sei, und dass er überzeugt sei, dass sich eine Krise dieses Ausmaßes wie es sich heute darstelle nicht „wegbesteuert“ werden könne.
Dann wandte er sich an die anwesenden Politiker, und forderte den Vertreter der SPÖ auf, seiner Überzeugung im Parlament einen Ausdruck zu geben: „Wenn man sich einer Diktatur der Finanzmärkte gegenüber sehe, dann müsse man sein freies Mandat ernst nehmen und dagegen stimmen. Dies könne und müsse man sich nun von den Abgeordneten der SPÖOÖ und der FSG erwarten.”
Tomaselli verwies darauf, dass die österreichischen Banken mit einem einstimmigen Beschluss gerettet worden seien, und daher jeder einzelne Parlamentarier sich mitschuldig gemacht hat, wenn heute z.B. der Betrieb des Wiener AKH aufgrund von einer Unterfinanzierung in der Höhe von 9 Mio. Euro vor dem Kollaps stehen würde, während bereits 750 Mio. Euro in der Hypo Alpen Adria verbrannt worden seien. Das trifft ebenso auf die Zustimmung zur “Griechenlandrettung” zu. Wer dem zugestimmt habe, hat sich direkt verantwortlich gemacht, dass es in griechischen Krankenhäusern an Medikamenten fehlt, dass SchülerInnen keine Schulbücher mehr bekommen, dass 100.000 Haushalte vom Strom abgeschaltet wurden.
Daher sei es eine durchsichtige Sache wenn man auf Parteiveranstaltungen gegen die Finanzmärkte wettere und gleichzeitig diese Politik permanent umsetze. Dieses Doppelspiel sei nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Zahlreiche weitere Wortmeldungen und Fragen aus dem Publikum zeigten, dass es in der SJ viele informierte und interessierte GenossenInnen gibt. Michi Gogola von der SJ Schwechat brach dann eine scharfe politische Lanze, als er aus dem Gundsatzprogramm der SJ zitierte: „Wir wollen nicht der Arzt am Bett des Kapitalismus sein, sondern sein Totengräber.“ Stefan Jagsch, ehemaliger Vorsitzender der SJ Wien, replizierte direkt auf die Aufforderung in der parlamentarischen Abstimmung mit Nein zu stimmen, dass es so einfach nicht sei, blieb aber jede Erklärung, warum die Ausübung eines freien Mandates denn so schwierig sei, schuldig. Gleichzeitig stellte er fest, dass die SJ nicht gegen diese Schuldenbremse spezifisch sei, sondern die politische Freiheit Schulden zu machen zu den politischen Grundsteinen der Sozialdemokratie gehöre.
Julia Eder von der SJ Alsergrund arumentierte das Programm aus dem Initiativantrag ihrer Bezirksorganisation und stellte die Frage, welche Alternativen denn am Podium vertreten würden. Sie selbst plädierte für das Streichen aller Staatsschulden, die Verstaatlichung der Banken unter Kontrolle der Arbeitenden und Konsumenten und die Errichtung einer Zentralbank, die ein wichtiges Instrument zur Umgestaltung der Ökonomie weg vom privaten Profitprinzip hin zur Bedürfnisbefriedigung darstelle.
Von einem informierten Publikum abgeklopft, war die zweite Podiumsrunde erhellender als die erste.
Werner Kolger zeigte, dass auch die Grünen heute eine etablierte politische Kraft sind und erging sich in Winkelzügen, die beweisen sollten, dass sie immer gegen alles gestimmt hätten und wenn nicht, warum es dafür gute Gründe gab.
Der Vertreter der SPÖ wiederum gab tiefe Einblicke in die Realität der österreichischen Bundesregierung. Er sagte, dass es Tage gebe, wo man sich als Sozialdemokrat kaum mehr in den Spiegel sehen könne. Nur noch aus „Staatsräson“ müsse man in der Koalition mit der ÖVP, mit der man nichts anfangen könne, bleiben. Es gäbe jedoch keine anderen Mehrheiten und man hoffe nach den nächsten Wahlen eine rot-grüne Regierung machen zu können. Mittlerweile müsse man sich mit dieser „Notgemeinschaft“ begnügen. Er stimmte der Meinung zu, dass nun die Zeit reif sei der ÖVP einige Vermögenssteuern abringen zu können. Weiters machte er deutlich, dass die Frage, ob die oberösterreichischen Abgeordneten und jene der Gewerkschaft für oder gegen die Schuldenbremse stimmen, zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht geklärt sei.
Bernhard Funk zeigte sich, entgegen dem Rest des Podiums, aufgeschlossen gegenüber der Lesart, dass es sich um eine Überproduktionskrise handeln könne. Auch die Ikone Schulmeister überraschte, allerdings negativ. Er sei kein Linker, weil diese nichts politisch Tragfähiges hervorgebracht habe. Fast ehrfurchtsvoll erklärte er den Aufstieg des Neoliberalismus als das Produkt von einigen fleißigen Intellektuellen, die in den 1950er Jahren begonnen haben ihr intellektuelles Vernebelungsprojekt energisch voranzutreiben. Auch sei er kein Keynesianer, denn man könnte tatsächlich nicht alles durch Staatsverschuldung regeln. Er wolle einen anderen Kapitalismus und keinesfalls seine Überwindung. Wie der andere Kapitalismus aussehe, an diesem Modell arbeite er bereits seit 1982 und dieses Modell sei im „Probelauf“. Die Grundlage seiner Alternative sind staatliche Preis- und Zinsfestsetzungen innerhalb einer Volkswirtschaft und zwischen ökonomischen Blöcken (etwa zwischen den Golfstaaten und der EU). Das ganze Modell werde er aber erst auf den Tisch legen, wenn der weitere Verlauf der Krise ihm weiter wie bisher recht gäbe. Wer seine Kapitalismus-Utopie durchsetzen soll, blieb er dem staunenden Publikum schuldig, ebenso die sich aufdränge Frage, warum denn nur das Kapital so blöd sein kann, sich von einigen Chicago-Boys eine dem Kapitalismus schädliche Ideologie aufdrängen zu lassen.
Christa Schlager betonte noch insbesondere den Aspekt, dass Sparmaßnahmen eine Zunahme an unbezahlter Arbeit bedeuten, und dass insbesondere Frauen unter der Krise leiden werden. Die Frage, ob der ÖGB nun auch wie andere Gewerkschaften mit Generalstreiks reagieren werde, könne sie nicht beurteilen, da sie nur wissenschaftlich zuarbeite. Und dann noch eine interessante Aussage: Ihr sei klar, dass man die Krisenkosten keinesfalls durch Reichen- und Vermögenssteuern allein abfedern könne.
Am Schluss der Veranstaltung rief die Moderatorin von der Sektion 8 auf am Mittwoch vor dem Präsidium gegen die Schuldenbremse zu demonstrieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Die ExpertInnen sind sich einig, dass wir vor einer langen Krise stehen, aber sie haben keinerlei realistisches Konzept wie diese Krise bekämpft werden könnte, oder Lohnabhängige schadlos gehalten werden können. Den einzigen Weg, nämlich die bestehenden Eigentumsverhältnisse anzugreifen, wird von ihnen politisch abgelehnt.
Die politische Bewertung ist jedem/jeder SJlerIn überlassen, für uns MarxistInnen ist jedoch klar:
Niemand hindert uns daran ein realistisches klassenkämpferisches Programm anzunehmen und frei von „Expertenmeinungen“ und “Staatsräson” die sozialen Interessen der Jugend zu vertreten. Die “Experten” haben versagt, weder haben sie die Krise vorausgesehen noch haben sie ein Rezept dagegen. Die Staatsräson der SPÖ ist in letzter Konsequenz nur der politische Wille der Raiffeisenbank und anderer großer Kapitalgruppen. Wir sollten mit dieser Logik ein für allemal brechen. Wir sollten alle Abgeordneten und Funktionäre der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften auffordern es uns gleich zu tun.
Das sozialistische Programm zur Überwindung der Krise muss in jedem Schritt zum unmittelbaren Leitfaden unseres politischen Handelns werden. Wir stellen konkret die Frage an alle Abgeordneten der SPÖ:
Stimmst du für oder gegen die Schuldenbremse und all ihre sozialen und politischen Konsequenzen, die unserer Generation die Zukunft raubt?
Erwarten wir uns von den “großen Männern” keine Lösung. Wie schrieb so schön der Vater der russischen Sozialdemokratie Georgi Plechanow:
“Nicht (…) allein vor den „großen“ Männern liegt ein breites Feld der Tätigkeit offen. Dieses Feld steht allen offen, die Augen haben, um zu sehen, Ohren, um zu hören, und ein Herz. um ihre Nächsten zu lieben. Der Begriff groß ist ein relativer Begriff. Im sittlichen Sinne ist jeder groß, der, um mit den Evangelisten zu reden, ‘sein Leben lässet für seine Freunde’.”
Die klassenkämpferischen Strömungen der organisierten ArbeiterInnenjugend waren die treibenden Kräfte, die den Jännerstreik 1918 ermöglicht haben. 1934 waren es die GenossInnen der SAJ, die zu den vorwärtstreibensten Kräften zählten. In diese Tradition müssen wir uns als SJ auch heute stellen.
Ob wir wie die Jugendorganisation der PASOK auf dem Misthaufen der Geschichte landen oder als Vorkämpfer einer besseren Zukunft in die Geschichtsbücher eingehen, entscheidet nur unser Programm und seine konsequente Anwendung im Hier und Jetzt.
Wien, 30.11.2011