Gestern demonstrierten in Wien spontan Hunderte gegen die Verhaftung und drohende Abschiebung der Spieler des „FC Sans Paiers“.
Die Spieler des FC Sans Papiers waren gerade beim Training auf der Marswiese, als sie gestern von mehr als 100 Polizeibeamten festgenommen wurden. Spontan organisierte sich Widerstand und es kam zu Demos bei den Schubhaftgefängnissen Hernalser Gürtel und Rossauer Lände. 42 DemonstrantInnen wurden festgenommen bzw. angezeigt. Hier ein Bericht von „No racism.net“:
Der Fahrer des Polizeibusses kurbelte das Fenster herunter. „Das ist jetzt aber nicht euer Ernst!?!“ rief er zu den 5 Leuten hinaus, die er im Schritttempo vor sich her den zur Stoßzeit stark befahrenen Gürtel hinunter drängte. Bei der Kreuzung Alserstraße musste er dann einsehen, dass es den Leuten doch ernst war. Er wurde mittels Handy gefilmt und wollte wohl keine Verletzten riskieren. Also stoppte er den Wagen und telephonierte um Verstärkung. Das taten wir auch. In den folgenden Minuten tauchten noch ein paar mehr Menschen auf, die großteils von der Kundgebung „Amerlinghaus bleibt!“ am Rathausplatz aufgebrochen waren, um gegen die Verhaftung der Mitglieder des Sans Papiers Fußballteams vor den Schubgefängnis Hernalser Gürtel zu protestieren.
Einige Mitglieder des Fußballteams waren am Vormittag beim Training auf der Marswiese von einem absurd großen Polizeiaufgebot, das von allen 4 Seiten auf den Fußballplatz stürmte, festgenommen worden. Im Laufe des Tages wurden dann einige Spieler wieder freigelassen. Die Sorgen wegen einer möglichen Abschiebung konzentrierten sich zunehmend auf C., Trainer und Herz des Sans Papiers-Fußballteams. Via email und SMS machte die Nachricht von der Verhaftung der Sans Papiers die Runde. Die Empörung über den unsportlichen Polizeieinsatz sorgte für die Bereitschaft zu einer spontanen Kundgebung beim Schubgefängnis Hernalser Gürtel. Allerdings wäre uns die Polizei fast zuvorgekommen: C. wurde bereits in einem Polizeibus weggebracht, als erst 10 AktivistInnen vor Ort waren. Zum Glück spähte C. hinten durch die Gitter des Wagens und wurde erkannt. Die AktivistInnen liefen dem Bus nach, der im Stoßverkehr am Gürtel um ca. 19.30h nur stockend vorankam, konnten den Bus einholen und schließlich bei der Alserstraße stoppen.
In der Folge trafen immer mehr AktivistInnen ein und sie alle liefen zu dem gestoppten Bus. Bald war der Bus von 30 Leuten umringt. Die Verstärkung der Polizei ließ auch nicht lange auf sich warten. Bald waren rund 10 PolizistInnen den beiden im Bus eingekesselten Kollegen zu Hilfe gekommen. Aber die neu hinzukommenden OrdnungshüterInnen schienen die Sache ebenfalls nicht ganz Ernst zu nehmen. Nach einer Phase der Beratung trat schließlich ein noch relativ jovial gestimmter Einsatzleiter an uns mit der Frage heran, wer denn unser Sprecher sei. Natürlich hatten wir keinen Sprecher, woraufhin der Einsatzleiter meinte, wir könnten gerne demonstrieren, aber den Bus sollten wir fahren lassen, sonst würde er in einer Minute den Befehl geben, uns wegzudrängen. Er bekam zur Anwort, dass es uns genau darum ginge, dass der Bus nicht weiterfahre. Um unseren Standpunkt zu verdeutlichen und einer Wegdrängung zuvorzukommen, setzten wir uns vor dem Bus auf die Straße. Wiederum telephonierten beide Seiten um Verstärkung. Immer mehr Leute kamen. Wir waren beim Mobilisieren in dieser Phase deutlich schneller. Bald musste eine zweite Fahrspur des Gürtels gesperrt werden.
Bei einem Verhältnis von ca. 20 PolizistInnen zu 60 DemonstrantInnen kam es zu einer ersten heißeren Phase in der Auseinandersetzung. Zunächst versuchte der Bus, nach hinten auszubrechen, was jedoch prompt unterbunden wurde, indem einige Leute beherzt hinter den Bus liefen und sich dort ebenfalls hinsetzten, was die Fahrt des Busses nach nicht einmal 10 Metern wieder zum Erliegen brachte. In dieser Szene war schon zu bemerken, dass manchem Ordnungshüter der Geduldsfaden riss. So griff sich ein Polizist die Krücken eines auf ebendiesen erschienenen Aktivisten mit Gipsbein, wohl um sie in einem Anfall von kindlichem Trotz irgendwo weit wegzuwerfen, was jedoch prompt von einem anderen Aktivisten unterbunden wurde, der dem Polizisten die Krüken abnahm und sie seinem auf einem Bein hüpfenden Kollegen zurückbrachte.
Wenig später folgte der nächste Schachzug der Staatsmacht. Die PolizistInnen gruppierten sich hinter dem Bus, holten C. heraus, um ihn in ein 10 Meter entferntes Polizeiauto zu stecken, das in Gegenrichtung abfahrbereit war. Aber wieder hatte die Polizei nicht mit unserer Entschlossenheit gerechnet. Es wurde eine Drängelei von ca. 30 Körpern, die einem guten Punk-Konzert alle Ehre gemacht hätte. Da wurden schon vereinzelt Schlagstöcke gezückt und es kam im Getümmel zu Ruppigkeiten, die auch ins Auge hätten gehen können. Das Manöver der Polizei war nicht schwer zu durchschauen. Die Türen des Polizeiautos wurden durch die Drängelnden blockiert, sodass der Ordnungsmacht nichts anderen übrigblieb, als sich zurückzuziehen und C. wieder in den Bus zu sperren. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde den Einsatzleitenden klar, dass ohne massives Aufgebot an Ordnungskräften hier nichts auszurichten war.
Wieder wurde allseits heftig um Verstärkung telephoniert. Wir bekamen eine tolle Trommelgruppe und die Polizei bekam ein paar Kollegen mit schwarzen Helmen und 4 Hunde mit Beißkorb. Angelockt durch die Trommeln und die Parolen fand sich immer mehr Publikum auf der leicht erhöhten Rasenfläche neben der Gürtelfahrbahn und auf der anderen Seite der Alserstraße ein. Um ca. 20.00h dürfte sich die Gruppe der Demonstrierenden auf rund 150 verstärkt haben. Das Polizeiaufgebot umfasste zu dieser Zeit etwa 50 Einsatzkräfte. Tendenz auf beiden Seiten weiter steigend. Mittlerweile machte das Gerücht die Runde, dass der Abschiebeflieger um 22.45h losfliegen sollte. Die Polizei ließ sich Zeit. Sie hatte ja noch genug Zeit. Langsam aber sicher verschob sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Polizei. Unsere kurzfristige Mobilisierungsfähigkeit erreichte bei etwa 200 Menschen offenbar ihren Höhepunkt.
Schließlich kam ca. um 20.45h ein Polizeiauto vorgefahren, aus dem heraus irgendetwas via Megaphon verlautbart wurde, das aber aufgrund des Pfeifens und Trommelns und auch wegen der miserablen Qualität des Megaphons unterging. Für demonstrationserfahrene Menschen war zu ahnen, dass dieses dröhnende Genuschel eine Durchsage und wohl die formelle Auflösung der Demonstration durch die Polizei hätte sein sollen. Ob sie beim Publikum angekommen ist, ist schwer zu sagen. Allerdings gruppierte sich nun die Polizei in einer Keilformation mit der eindeutigen Absicht, den Weg für den Bus freizumachen. In dieser Situation bildete sich ein enger Kern von entschlossenen AktivistInnen rund um den Bus, während der größere Teil der DemonstrantInnen sich eher unentschlossen auf den 4 Fahrspuren, am Gehsteig sowie auf der Wiese neben der Fahrbahn bewegte und sich nicht formierte.
Das nutzte die Polizei, indem sie direkt zur Gruppe vor und neben dem Bus vorstieß. Die DemonstrantInnen rund um den Bus hatten sich auf den Boden gesetzt und sich eingehakt, sodass sie eine stabile Menschenkette bildeten. Ihnen gegenüber wurde die Polizei nun sehr handgreiflich. Während einzelne Schwarzhelme AktivistInnen aus der Kette rissen und zu den ums Eck parkenden Polizeibussen wegschleppten oder schleiften, hielt die Hundestaffel und der weniger martialische Teil der Einsatztruppe die umstehenden DemonstrantInnen auf Abstand. Es bildete sich ein leerer Korridor, durch den die Aktivist_Innen weggeschleppt oder -geschleift werden konnten; jedes mal unter den wütenden bzw. vorwurfsvollen Parolen der Umstehenden.
Es war nicht möglich, mit den Umstehenden eine zweite äußere Kette zu organisieren, um das Wegschleppen der Herausgerissenen zu unterbinden oder doch zumindest zu erschweren. Diesbezügliche Versuche wurden von dem nun zahlenmäßig zur Beherrschung des Raumes ausreichenden Polizeiaufgebot unterbunden, das die DemonstrantInnen immer weiter zurückdrängte. Trotzdem ist zu kritisieren, dass es den Umstehenden wohl auch an Entschlossenheit, Ideen und Organisation mangelte. Allerdings ist den Teilnehmenden zugute zu halten, dass sie spontan zusammengekommen sind und kaum jemand mehr als 10 andere versteut stehende Personen wirklich kannte, sodass eine Organisierung in diesem Moment denkbar schwer war, zumal Aktionen des zivilen Ungehorsams in der jüngeren österreichischen Geschichte nur alle paar Jahrzehnte mal vorkommen.
Unter diesen Umständen wurde der engere Kreis rund um den Bus langsam aber sicher ausgedünnt, bis die Polizei den Raum um den Bus vollständig zurückerobert hatte. Irgendjemand hatte noch die geniale Idee, dem Bus links vorne durch Aufschrauben des Ventils die Luft aus dem Reifen zu lassen. Trotzdem konnte der nunmehr aus der Sitzblockade befreite Bus langsam hinter einer Polizeiphalanx um die Ecke in die Alserstraße fahren und dann nochmal um die Ecke die Zimmermanngasse hinunter, womit sich der Bus der Reichweite der Demonstration entzog. Die etwas dezimierte Trommelgruppe nahm ihren Betrieb wieder auf. Die Demonstration blieb dann noch eine Weile nach 22.00h an der Ecke Gürtel und Alserstraße stehen und marschierte dann zur Rossauer Lände, um die Freilassung der Festgenommenen zu fordern.
Auch wenn wir die Weiterfahrt des Busses letztlich nicht verhindern konnten, womit ohnehin niemand ernsthaft gerechnet hat, so war diese spontane Aktion doch ein großer Erfolg der hoffentlich Schule macht. Die Kosten, die durch solche Aktionen für das menschenrechtswidrige Abschiebesystem entstehen, sind beträchtlich. Wir können hoffen und dazu ermuntern, dass mehrere unserer Freunde und HelferInnen an diesem Abend eine erkleckliche Anzahl an Überstunden verrechnen und auch sonstige Zulagen seien ihnen vergönnt, weil wir diesmal nicht ganz einfach zu besiegen waren. Außerdem hat sich gezeigt, dass spontaner ziviler Ungehorsam auch in der Anonymität der Großstadt möglich ist. Unsere
Netzwerke funktionieren offenbar nicht schlecht. Für alle, die an diesem Abend dabei waren, wird das sicher eine der eindrucksvollerenDemoerfahrungen in ihrem Leben.
Leider können wir trotz aller Friedlichkeit unseres Widerstandes nicht mit Sportlichkeit seitens des Staates rechnen. Die Abschiebeindustrie ist offenbar ein lukratives Geschäft, die Notwendigkeit von Abschiebungen wird von der Mehrheit noch immer nicht hinterfragt, und der wachsende Widerstand gegen Abschiebungen v. a. von sozial integrierten Menschen gibt den staatlichen EntscheidungsträgerInnen Anlass, Härte zu zeigen. In diesem Sinne ist mit einem unfairen Nachspiel dieser Aktion zu rechnen. Solidarität mit den Festgenommenen
wird in nächster Zeit gefragt sein.