Auf der ganzen Welt nehmen Lohnabhängige und Jugendliche diese (sprachlich jeweils leicht angepasste) Losung her, um angesichts der Weltwirtschaftskrise ihre Interessen im Kampf gegen Stellenabbau, Lohnkürzungen, Sparpakete zu verteidigen. Auch in Österreich wird dieser Slogan durch eine bundesweite Demo am 28. März erstmals zu einer materiellen Kraft. Was verstehen wir MarxistInnen konkret unter „Eure Krise zahlen wir nicht“?
Was wir heute sehen, ist eine klassische kapitalistische Krise: Es gibt zu viel Kapital, als dass es noch profitträchtig angelegt werden könnte. Die Märkte sind übersättigt, die Produktion wird zurückgefahren, Kapital wird vernichtet.
Dabei ist es längst nicht so, dass die menschlichen Bedürfnisse befriedigt wären: eine Milliarde Menschen hungern, Millionen sterben an einfach behandelbaren Krankheiten, sind obdachlos, haben keinen Zugang zu Trinkwasser, über der Menschheit hängt das Damoklesschwert einer verheerenden Klimaerwärmung usw. Auch in den entwickelten kapitalistischen Ländern ist Armut längst wieder ein Massenphänomen geworden. Eine Ökonomie, die sich rein an der Bedürfnissicherung der Menschen orientiert, hätte also keinen Anlass in eine tiefe Systemkrise zu stürzen.
Der Kapitalismus funktioniert aber nach anderen Regeln. In diesem System entscheidet letztendlich das Prinzip der Profitmaximierung. Investiert und produziert wird nur dort, wo das Kapital sich Profite erwartet, und das setzt voraus, dass die Waren verkauft werden und der Mehrwert realisiert wird. Die Ursache der heutigen Krise liegt darin, dass das Kapital nicht mehr in ausreichendem Maße profitabel verwertbar ist. Durch politische Entscheidungen (Deregulierung, Privatisierung, Flexibilisierung der Arbeitsmärkte,…) haben die Regierungen und die, jeder demokratischen Legitimation entzogenen Zentralbanken, versucht seit Ende der 1970er Jahre wieder profitablere Kapitalverwertungsbedingungen herzustellen – zu einem hohen Preis. Diese Politik des „Neoliberalismus“ hat dazu geführt, dass in den letzten Jahren die Widersprüche in diesem System ein unvorstellbares Ausmaß erlangt haben. Das Aufbrechen dieser Widersprüche hat zu einer Weltwirtschaftskrise ähnlich der Großen Depression 1929-33 geführt, der sich niemand mehr entziehen kann.
Wer zahlt nun die Krise?
Die zentrale Frage, entlang der sich gesellschaftliche Umbrüche in der kommenden Periode ergeben werden, ist genau diese. Unsere Antwort lautet: WIR NICHT! Wen meinen wir mit „Wir“? In erster Linie die Lohnabhängigen und die Jugendlichen. Sie können für diese Krise gar nichts – nicht einmal ultrareaktionäre KapitalvertreterInnen trauen sich heute dies zu behaupten.
Und es stimmt nicht nur im „Abstrakten“, in einer theoretischen Betrachtung der kapitalistischen Krise, sondern dies entspricht auch der konkreten Erfahrung aller Menschen. Nehmen wir etwa Österreich. Der „Reallohn“, also das was wir uns mit unseren Löhnen effektiv kaufen können, ist heute gleich hoch wie im Jahr 1991. D.h. wir haben seit 17 Jahren keine Erhöhung unserer Kaufkraft. Gleichzeitig ist die Wochenarbeitszeit durch Ausweitung von Überstunden angestiegen, und durch die Pensionsreform müssen wir auch mehr Lebensjahre unsere Haut zu Markte tragen. Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen sinkt seit den 1970er Jahren unaufhörlich. Gleichzeitig sind wir gezwungen intensiver („Stress“) und flexibler zu arbeiten. Als Jugendliche tun wir uns schwer zu unserer gewünschten Ausbildung überhaupt zugelassen zu werden und haben immer geringere Chancen uns am Arbeitsmarkt zu etablieren. Unsere Arbeitsverträge sind schlechter und immer mehr können von einer Arbeit allein nicht leben. Wir haben von der Hochkonjunktur der vergangenen Jahre nicht profitiert – im Gegenteil die erhöhte Ausbeutung der Ware Arbeitskraft war neben der „Globalisierung“ die zentrale Schraube um die Profite fürs Kapital zu maximieren.
Es ist augenscheinlich, was die Ursachen für diese Krise sind und wer dafür verantwortlich ist. Dennoch wäre es illusorisch zu glauben (und tatsächlich tut dies auch niemand) – dass das Kapital sich voller Schuldbewusstsein und schlechtem Gewissen die Krise selbst finanzieren würde.
Bereits jetzt laufen alle Mechanismen diese Krise auf unsere Schultern abzuwälzen: Durch Kurzarbeit (Mitte Februar betrifft dies in Österreich bereits 28.000 KollegInnen, eine Erhöhung auf über 40.000 ist angekündigt) und Stellenabbau (v.a. bei LeiharbeiterInnen und zeitlich befristeten Arbeitsverträgen). Doch das ist erst der Anfang.
Die KapitalistInnen werden (und müssen aus ihrer Sicht) noch stärker versuchen die Ware Arbeitskraft billiger zu machen. Sie werden darauf drängen den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und Kollektivverträge auszuhöhlen, was in Italien bereits ein zentrales Konfliktfeld zwischen der Regierung und der Gewerkschaft ist. Die Arbeitgeber des Druck-KV haben den Vertrag bereits gekündigt, weigern sich seit Wochen einen neuen aus zu verhandeln und fordern eine 10prozentige Senkung der Personalkosten. Wenn das auch nicht mehr hilft, werden sie daran schreiten Fabriken zu schließen und somit Kapital in großem Stil vernichten. Wenn diese Pläne, die heute bereits in den meisten Konzernen präsentiert werden, durchgehen, dann gehen dadurch weltweit Hunderttausende Jobs verloren.
In ihrem verzweifelten Versuch einen Weg aus der Krise zu finden, wenden sich die KapitalistInnen, die gestern noch den „freien Markt“ gehuldigt haben, hilfesuchend an die Regierungen. Die ersten waren die Banken gefolgt von angeschlagenen Industriekonzernen (z.B. aus der Autoindustrie), die alle Staatshilfe einfordern.
Bald schon werden wir für das riesige Budgetdefizit, das durch Subventionen und Garantien für die Banken und Konzerne aufgerissen wird, aufkommen müssen. Österreichs Banken stehen vor dem Bankrott. Während die französische Societe General 20 Prozent ihrer Osteuropagelder bereits abgeschrieben hat – sind die Bilanzen der österreichischen Banken allesamt Phantasiegeschichten. Die Erste Bank etwa veranschlagt in ihrer Februar-Bilanz ihre eigene Aktien zu einem Preis von 30 €, während sie an den Börsen zu einem Preis von sieben € gehandelt werden. (lustiger Weise entdecken Banker in ihren Beteiligungen nun „innere Werte“ (sic!) und bilanzieren diese). Die Erste Bank ist heute ein Drittel billiger als es allein ihre Rumänientochter vor wenigen Wochen noch war. Ein Abschreibebedarf von 20 Prozent würde bedeuten, dass Österreichs Banken in Osteuropa 55 Mrd. Euro versenkt haben – bereits ein Viertel dieser Summe genügt um diese Institute über die Klippe zu ziehen. Die Zeche nach der Ostparty sollen nun wir berappen!
Selbst dort, wo die Verstaatlichung von Banken auf der Tagesordnung steht, wird dies so vollzogen, dass nicht die für die Krise verantwortlichen Zocker sondern die Bevölkerung die Kosten zu tragen hat. Eine Mitübernahme der Schulden dieser Banken im Zuge der Verstaatlichung würde angesichts der gewaltigen Summen, die hier im Spiel sind (18,3 Billionen Euro, d.h. 44 Prozent der gesamten Vermögenswerte aller europäischen Banken, bestehen aus „hochgiftigen“ Schrottpapieren), ganze Staaten an den Rande des Bankrotts führen. Island und Ungarn sind die ersten Beispiele, welch verheerende Folgen eine solche Situation für den Lebensstandard der Menschen haben würde.
In Irland wird bereits das erste Krisensparpaket geschnürt – alle anderen Regierungen werden auf diesem Weg folgen. Auch Österreich wird sich dieser Krise nicht entziehen können und wird daher keine Ausnahme darstellen. Neben dem Rückgang der Steuereinnahmen durch den Gang der Konjunktur, den neuen Steuerzuckerln für das Kapital und die Kirche in der aktuellen Steuerreform, werden die vom österreichischen Parlament einstimmig (!) und ohne parlamentarische Diskussion beschlossen Staatsgarantien für Österreichs Banken die Explosion der österreichischen Staatsverschuldung bedeuten. Allein der Beschluss dieses Gesetzes erhöhte die Zinsbelastung der bereits bestehenden Staatsschulden um 20 Prozent – einige internationale Rating-Agenturen halten aufgrund der Position österreichischer Konzerne in Osteuropa sogar den Bankrott der Republik für möglich. Österreichische Staatsanleihen finden am internationalen Kapitalmarkt nur aufgrund kräftiger Risikoprämien noch Abnehmer, was den Staatshaushalt weiter belastet.
Die zentrale Bedeutung unserer Losung
Aus der Sicht des Kapitals gibt es nur einen Ausweg aus der Krise: Die Wiederherstellung profitabler Verwertungsbedingungen auf Kosten der Lohnabhängigen und der Jugend. Die Hebung der Profitrate ist aber nur möglich, wenn die Arbeitsbedingungen weiter verschlechtert und die Löhne gesenkt werden, wenn öffentliche Dienstleistungen, Bildung und Gesundheit privatisiert werden, damit das Kapital neue Investitionsfelder vorfindet.
Wer den Kapitalismus akzeptiert, muss auch mit dieser Logik leben. Dieser Weg aus der Krise bedroht aber die Lebensperspektiven von Millionen. Die sozialen Interessen der Lohnabhängigen und der Jugend stehen somit in einem unüberbrückbaren Widerspruch den Profitinteressen des Kapitals entgegen. „Wir zahlen eure Krise nicht!“ bedeutet, dass wir uns weigern weitere Angriffe auf unseren Lebensstandard hinzunehmen. Auf betrieblicher und politischer Ebene werden wir die nötige Gegenwehr organisieren, damit die KapitalistInnen und die Regierung mit ihren Plänen nicht durchkommen. Konsequent angewandt führt diese Losung zu dem Punkt, wo sich die Frage stellt, wer in den Betrieben und in der Gesellschaft das Sagen hat. Dieser Kampf wäre also von Anfang an mit einer klar antikapitalistischen, revolutionären Perspektive verbunden.
Die Rolle der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsführung
Wo die Sozialdemokratie in der Regierung vertreten ist, steht sie voll und ganz für die Interessen des Kapitals. Dies gilt auch für Österreich. Mit den Bankenrettungspaketen spielt die Sozialdemokratie den Erfüllungsgehilfen des Finanzkapitals. Dies darf uns nicht verwundern, hat die Sozialdemokratie doch in den letzten zehn Jahren alle Weichen zur Deregulierung der Finanzsysteme gestellt. Die Sozialdemokratie will das Privateigentum und das Primat des Marktes auf keinen Fall in Frage stellen. Selbst vor einer symbolhaften Maßnahme, wie einer gesetzlichen Begrenzung von Managergehältern, schreckt sie bisher zurück. Unter den gegenwärtigen Bedingungen spiegelt die Führung der Sozialdemokratie nur den Druck des Kapitals wider. Mit ihrem Gerede von der nun steigenden Bedeutung des Staates in Zeiten der Krise und vom Ende des Neoliberalismus verschleiert sie nur den tatsächlichen Charakter der Krisenpolitik des bürgerlichen Staates, dem die Rolle des ideellen Gesamtkapitalisten (Friedrich Engels) zukommt.
Die Gewerkschaftsführung hat sich ebenfalls der Verwaltung der Krise verschrieben. Dies gilt nicht zuletzt für Österreich. Gegen Umstrukturierungsmaßnahmen in den Betrieben auf Kosten der Belegschaft organisiert sie keinen Widerstand. Sie akzeptiert die Spaltung in Stammbelegschaften und prekär Beschäftigte. Ihre Aufgabe sieht sie in der Mitgestaltung von Kurzarbeitsregelungen, Stiftungen zur Weiterbildung von LeiharbeiterInnen usw. Die Gewerkschaften verschmelzen in dieser Situation mit dem Staatsapparat. Der Kampf für demokratische und kämpferische Gewerkschaften, die mit der sozialpartnerschaftlichen Logik brechen, ist heute einer der Hauptaufgabe für MarxistInnen.
Die Krise und ihre Folgen werden in den Gewerkschaften und traditionellen reformistischen Parteien aber keinen Stein auf dem anderen lassen. Selbst während des Booms haben große Teile der Klasse schon eine Verschlechterung des Lebensstandards erfahren. Dies wird in der kommenden Periode ein wichtiger Ausgangspunkt für eine Radikalisierung in den Betrieben sein. Die Herausbildung linksreformistischer und zentristischer (zwischen Revolution und Reformismus schwebenden) Strömungen in der ArbeiterInnenbewegung werden dann auf der Tagesordnung stehen.
Schon heute ist der Wunsch nach einem linken Kurswechsel deutlich spürbar. Oft ist dies jedoch noch verbunden mit der Vorstellung von einem „Goldenen Zeitalter“ vor dem Neoliberalismus.
Kapital braucht Profite und muss wachsen
Im Kapitalismus wird Kapital nur investiert, wenn es Profit verspricht. Unter Kapital verstehen wir dabei (in vorangegangen Produktionsprozessen) akkumulierte menschliche Arbeitskraft, die wieder investiert werden soll. Kapital kann unterschiedliche Formen annehmen und ist tatsächlich einem permanenten Formenwechsel unterzogen (Marx nennt sprach von „Metamorphosen“). Kapital kann in Form von Geld, Waren oder Produktionsmitteln auftreten und transformiert sich im Produktionszyklus in neue Waren und neues Geld. Kapital kann auch (scheinbar) gelöst von der Produktion allein in der Zirkulationssphäre als Finanzkapital auftreten – und dort aus Geld wieder Geld machen, ohne sich dem riskanten und langwierigen Verfahren der Produktion, des Transports und des Vertriebs zu unterziehen.
Heute steht das Finanzkapital im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Bank- und FondsmanagerInnen sind heute unbeliebter als es PolitikerInnen, ImmobilienmaklerInnen und AutohändlerInnen jemals waren. Sie gelten als gierig und egoistisch und als die Hauptverantwortlichen der Weltwirtschaftskrise. Kritik am Kapitalismus richtet sich meist gegen das Finanzkapital allein und stellt demgegenüber die schützenswerte Realwirtschaft entgegen. Eine genauere Analyse der kapitalistischen Entwicklung ab den 1970ern zeigt, dass dieser Ansatz zu kurz greift und zu falschen Schlussfolgerungen führt.
Kapital ist Kapital
– egal ob es nun in Form von Hochöfen oder Finanzpapieren angelegt ist. Die Idee aller nicht-marxistischen Reformvorschläge angesichts der Krise orientiert sich an Zeiten, in denen das Kapital „gezähmt“ war und sich auf die reale Produktion beschränkte. Oft sind diese Vorstellungen vom „gezähmten Kapital“ mit einem romantischen Weichzeichner überformt. Christian Felber von ATTAC, wohl der bekannteste österreichische Vertreter dieser Denkrichtung, bezieht sich auf längst verflossene Zeiten, in denen das Kapital im 19. Jahrhundert aufgrund seiner Beschränkung auf lokale Märkte moralisch gezähmt war. Dieses Bild hat mit den historischen Tatsachen wenig gemein, stand am Anfang des Kapitalismus doch die massenhafte Enteignung von Kleinbauern, Kolonialismus und Sklavenarbeit, staatlich geförderte Piraterie sowie Zwangsarbeit in den neu errichteten Fabriken, deren Arbeitsbedingungen so unmenschlich waren, dass kein Mensch freiwillig dort Arbeit angenommen hätte. Der Kapitalismus kam „von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend“ auf die Welt, wie es Karl Marx treffend formulierte.
Als zweites und näher liegendes „Goldenes Zeitalter“ des Kapitals gilt die Nachkriegszeit bis in die 1970 Jahre. Hier waren die Märkte reguliert, die internationalen Währungen waren in festen Wechselkursen verbunden und durch den Goldstandard unterlegt. Hohe Wachstumsraten und soziale Verbesserungen, Entkolonialisierung und rechtliche Gleichstellung der Frauen kennzeichnen diese historische Periode. Doch dann kamen plötzlich Milton Friedmann & Co. und stürzten den alten Keynes vom Sockel. Dieser neoliberale Urknall aus dem „Nichts“ (oder besser gesagt aus der ideologischen Sphäre) veränderte die Parameter kapitalistischer Ökonomie seither, und nun gelte es vor diesen Punkt zurück- und in ein neues Goldenes Zeitalter hineinzurudern. So die gängige Meinung von linken ReformistInnen aller Schattierungen.
Zurück auf den Boden der Realität
Wir glauben, dass diese Ideengeschichte die historische Realität von den Füßen auf den Kopf stellt. Warum sollte das Kapital, obwohl es ihm gut gegangen ist, auf einmal die politischen Rahmenbedingungen umstellen? Genauso wenig wie man im Restaurant eine Speise, die einem mundet nicht zurück in die Küche schickt, oder eine Beziehung, in der man sich wohl fühlt, nicht einfach beendet, hätte das Kapital in den 1970er Jahren nicht auf den „Neoliberalismus“ gesetzt, wenn es dafür nicht eine reale wirtschaftliche Notwendigkeit gegeben hätte.
Durch die Zerstörungen des 2. Weltkrieges fand das Kapital nach 1945 viele hochprofitable Investitionsmöglichkeiten in der Produktion vor. Die Profitrate war hoch. Bereits Ende der 1960er Jahre zeigte diese weltweite Hochkonjunktur jedoch erste Risse und 1973 war dieser ein Vierteljahrhundert andauernde Run gegessen. Die Extrakonjunktur durch den 2. Weltkrieg war konsumiert und der Kapitalismus zeigte sich wieder als krisenhaftes System. Dies war die objektive Grundlage für die neoliberale Wende. Das Kapital brauchte neue Betätigungsfelder, die „Realwirtschaft“ allein genügte nicht mehr um Kapital ausreichend zu reproduzieren und zu akkumulieren. Die Finanzmärkte erhielten nun eine entscheidende Bedeutung in der Entwicklung des Kapitalismus.
Politische Faktoren des vergangenen Booms
Politische Faktoren wie der Zusammenbruch des Stalinismus, der leichte Sieg im 1. Golfkrieg, einschneidende Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung in Britannien, den USA und anderen europäischen Ländern waren wichtige Faktoren die den neoliberalen Siegeszug beförderten. Durch die Eröffnung neuer Märkte in Russland, China und Indien sowie eine massive Ausweitung der Verschuldung wurde eine neue Wachstumsdynamik ausgelöst. Alle Faktoren, die das Wirtschaftswachstum beflügelten, verstärken nun die Krise: Weltmarktausweitung und Verschuldung. Wir sind am Anfang einer Krise, die selbst jene der 1930er Jahre überschatten könnte. Und vergessen wir nicht: die Weltwirtschaftskrise von 1929 wurde erst durch Investitionen in den kommenden Krieg (bekannt als 2. Weltkrieg) überwunden. Wie ein Ausweg aus der jetzigen Krise aussehen könnte, ist allen gesellschaftlichen Akteuren noch völlig unklar.
Rinanzkapital und Fealkapital sind nicht zu unterscheiden!
Als der deutsche Familieunternehmer Merckle sich aufs Gleis legte, staunte die Öffentlichkeit nicht schlecht, was mit dem soliden, erfolgsverwöhnten Familienunternehmer denn passiert sei. Ganz einfach: er hat sich an der Börse „verspekuliert“. Sein Unternehmen „Ratiopharm“ hat er damit an den Rand des Ruins geführt. Und nicht nur das, der Nachlass offenbarte, dass seine „Wachskerzenfabrik“ in Wirklichkeit eine Briefkastenfirma ist, und zwar nicht die einzige, die sich in seinem Firmengeflecht befand. Was hier öffentlich wurde, ist der kapitalistische Normalfall. Nicht nur kann man die Finanzzirkulationssphäre nicht von der warenzirkulierenden Kapitalsphäre trennen, man kann nicht mal einzelne Unternehmen der einen („guten“) oder der anderen („schlechten“) Sphäre kapitalistischer Reproduktion exakt zuordnen. Die Porsche AG etwa weist in ihrem Geschäftsbericht 2008 Gewinne in der Höhe von 8 Mrd. € aus, davon wurden 7 Mrd. durch Finanzgeschäfte und 1 Mrd. durch den Verkauf von Autos lukriert. Als einer der letzten Taten Bushs ist uns die Subvention an die US-amerikanische Autoindustrie vermacht. Doch dieses Geld ging an die Banken der US-Autokonzerne. Die ÖBB verspekulierten 650 Mio. € in Kreditgeschäften, der größte australische Anbieter von Kinderbetreuungseinrichtungen ging an der Börse flöten,…. Die Liste ließe sich munter weiterführen: Finanz- und Realkapital sind zwei Seiten einer Medaille, und aufgrund der Geschwindigkeit, in der sie von einer in die andere Sphäre wechseln, kann man heute oft gar nicht sagen, was „real“ oder „fiktiv“ ist.
Das Problem an der Wurzel packen!
Wir wollen hier keinem wirtschaftspolitischen Fatalismus im Sinne der Neoliberalen das Wort reden, sondern einem revolutionären Realismus jenseits reformistischer Utopien. Wer immer gegen das Finanzkapital zu Felde ziehen möchte, der muss die Verstaatlichung des Bank- und Finanzsystems fordern. Nicht Kosmetik, sondern eine tiefgreifende Operation ist hier notwendig. Die Frage des Eigentums an Banken und Produktionsmitteln ist die entscheidende in dieser Situation. Wir plädieren für Verstaatlichungen der Schlüsselbereiche der Ökonomie unter Kontrolle der Beschäftigten. Die zerstörerische Kraft des Marktes muss von der bewussten, planmäßigen, und demokratischen Entwicklung der Ökonomie und der menschlichen Gesellschaft ersetzt werden. TrägerInnen einer solchen Demokratisierung der Wirtschaft müssen die organisierten Lohnabhängigen selbst sein.
Die Idee durch politische Interventionen „gutes“ und „schlechtes“ Kapital voneinander zu trennen und in produktive Kanäle zu schleusen, damit auch noch krisenfreie Entwicklungen des Kapitalismus zu ermöglichen, halten wir jedoch für völlig illusorisch.
Daher sagen wir MarxistInnen:
Das Kapital muss für die Krise zahlen!
Das heißt:
– Offenlegung der Geschäftsbücher von allen Unternehmen, die Entlassungen oder Kurzarbeit beantragen.
– Manager sind keine Supermänner, sondern oft sogar Versager, nicht wenige agieren kriminell: Für die Wahl und jederzeitige Abwählbarkeit der Manager durch die Belegschaft. Facharbeiterlohn für Manager.
– Statt Kurzarbeit und Lohnverzicht: Aufteilung der Arbeit auf alle – bei vollem Lohnausgleich.
– Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf die volle Höhe des Letztbezuges.
– Statt staatlicher Profitsubvention an Banken und Industrie: Verstaatlichung des Eigentums unter der Kontrolle der Beschäftigten.
– Öffentliche Aufträge nur an Unternehmen, die ihre Geschäftsbücher offen legen. Wir müssen sicherstellen, dass öffentliche Gelder in Investitionen und Arbeitsplätze fließen.
– Entschädigungslose Verstaatlichung aller Systembanken (Raiffeisen, Erste, Uni-Credit); Investitionen und Konsumkredite an Lohnabhängige und Kleinbetriebe unter der Kontrolle der Belegschaften.
– Eine staatlich finanzierte Offensive im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich und in die Infrastruktur.
– Es gibt keine Interessensgleichheit zwischen Lohnabhängigen und Kapital: Ablehnung aller „Gesprächsangebote“ an BetriebsrätInnen und Gewerkschaften, die darauf abzielen die Kosten der Krise auf die Lohnabhängigen abzuwälzen! Für demokratische und kämpferische Gewerkschaften.
– Bei Sparpaketen: Bilden wir an Universitäten, Schulen und Lehrstellen Komitees zur Verteidigung der öffentlichen Bildung! Widerstand braucht Organisation – Für eine starke Sozialistische Jugend mit einem marxistischen Programm.
– Bau mit uns in Schule, Uni und Betrieb eine starke internationale, marxistische Strömung auf.
– Jeder Schritt aus der Krise muss mit der Perspektive der Überwindung des Kapitalismus verbunden werden. Warum sollen wir Banken mit 100 Mrd. subventionieren, wenn wir zu einem viel geringeren Preis die Banken übernehmen könnten? Her mit dem öffentlichen Eigentum! Her mit der demokratischen Planung der Wirtschaft nach den Bedürfnissen der Menschen! Für den Sozialismus im 21. Jahrhundert!