Am 18. Februar finden in Pakistan Wahlen statt. In mehreren Wahlkreisen kandidieren linke Gewerkschaftsführer und Sozialisten mit einem klar sozialistischen Programm. Wir interviewten Lal Khan, den internationalen Sekretär der Pakistan Trade Union Defence Campaign (PTUDC).
F.: Am 18. Februar sollen in Pakistan endlich die Parlamentswahlen stattfinden. Wie läuft der Wahlkampf?
LK.: Bis jetzt hatten wir einen Abgeordneten in der Nationalversammlung, Genosse Manzoor Ahmed, der Vorsitzende der PTUDC. Er gewann 2002 die Wahlen im Wahlkreis von Kasur im Punjab. Seither hat er konsequent das (machtlose) Parlament als Bühne benutzt, um dort den Interessen der werktätigen und unterdrückten Massen eine Stimme zu geben. Dadurch hat er nicht nur seine Stellung in seinem eigenen Wahlkreis gefestigt, wie die jüngsten Mobilisierungen gegen den von Präsident Musharraf verhängten Ausnahmezustand und aus Protest gegen die Ermordung von Benazir Bhutto gezeigt haben. Heuer kandidiert er gegen eine der reichsten Frauen Pakistans, die direkt für die Ausbeutung von Tausenden ArbeiterInnen und die Umsetzung von rigiden Anti-Gewerkschaftsgesetzen verantwortlich zeichnet. Seine Wiederwahl ist aber mehr als wahrscheinlich.
Darüber hinaus konnten wir nicht zuletzt durch seine Arbeit unsere Position in der Pakistan Peoples Party (PPP) weiter ausbauen. Wir werden diesmal in mehreren Wahlkreisen Kandidaten stellen.
F.: Wie sieht Euer Wahlkampf aus?
LK.: Zentral ist für uns vor allem der Wahlkampf in Karachi. Karachi ist die Industriemetropole in Pakistan, nicht zufällig hat es in der Linken traditionell den Beinamen „das Petrograd von Pakistan“. Hier sind wichtige Industriebetriebe wie die Stahlindustrie beheimatet, und dann der große Hafen, die Halsschlagader der pakistanischen Ökonomie. In dieser Stadt leben 15 Millionen Menschen, es ist ein Schmelztiegel aller ethnischen und nationalen Gruppen in Pakistan. Hier stellen wir mit Genossen Riaz Lund den Kandidaten der PPP. Riaz Lund arbeitete früher selbst in der Stahlindustrie und wurde aufgrund seiner gewerkschaftlichen Arbeit mehrmals entlassen, später studierte er Jus und wurde Rechtsanwalt. Er hat sich sowohl als führender Gewerkschafter im Kampf gegen die Privatisierung der Stahlwerke wie auch als Vorsitzende der Rechtsanwältevereinigung im Kampf gegen die Militärherrschaft einen Namen gemacht.
Riaz Lund steht seit langem im Visier der faschistischen MQM, die in Karachi bisher an den Hebeln der Macht sitzt. Schon im letzten Frühjahr führte er im Rahmen der Protestbewegung der Rechtsanwälte eine Großdemo gegen die Militärdiktatur an, die von faschistischen Killern der MQM beschossen wurde. Damals wurde er von zwei Kugeln verletzt, mehrere andere Demoteilnehmer starben. Genossen Lunds Kandidatur hat die politische Stimmung in Karachi grundlegend verändert. Sein Wahlkampfslogan lautet in Anlehnung an die traditionelle Losung der PPP „Jetzt werden alle aufstehen und kämpfen – roti, kapra, makan (Brot, Kleider Wohnen)“. Auf seinem zweiten Plakat steht „Wir arbeitenden Massen sind aufgestanden, um den Kapitalismus herauszufordern“. Davon wurden bereits 20.000 Stück im Wahlkreis plakatiert. Unzählige Menschen haben sich als Freiwillige zur Unterstützung des Wahlkampfes gemeldet. Wir haben außerdem GenossInnen auch aus anderen Landesteilen nach Karachi geschickt, um die ArbeiterInnen alles nationalen Gruppen bestmöglich ansprechen zu können. Außerdem organisieren wir einen eigenen Frauenwahlkampf. Die proletarische Frau muss endlich eine Stimme in dieser Gesellschaft erhalten. Regelmäßig fahren unsere Lautsprecherwägen durch den Wahlkreis, von denen aus wir revolutionäre Lieder und Gedichte verbreiten.
Dies erklärt auch, warum die MQM verstärkt auf Einschüchterung und zuletzt auch auf offenen Terror setzt, um die Wahl zu sabotieren.
F.: Wie hat sich die Ermordung von Benazir Bhutto, der Vorsitzenden der PPP, auf den Wahlkampf ausgewirkt?
LK.: Benazir Bhutto kam ja auf der Grundlage eines Abkommens mit Präsident (und damals noch Armeechef) Musharraf nach Pakistan zurück. Diesen Deal hat ganz klar Washington eingefädelt. Das erklärt auch, warum Benazir Bhutto in Teilen der Linken als Marionette de US-Imperialismus gesehen wurde. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille.
Die Mobilisierung von 2-3 Millionen Menschen am Tag ihrer Rückkehr in Karachi hat gezeigt, dass der Name Bhutto noch immer mit der Vorstellung vom Kampf für eine bessere Welt verbunden ist. Wir erhielten dort einen großen Response auf unsere Ideen. Riaz Lund führte dort unsere Delegation an und verteilten Zehntausende Stück eines Flugblattes, in dem wir eine sozialistische Perspektive vorgaben. Als ein Selbstmordattentat diese Massenkundgebung zerstörte, beteiligten wir uns aktiv an der Versorgung der Verletzten und versuchten die Menge zusammenzuhalten. Um 4 Uhr in der Früh wurde noch eine öffentliche Versammlung abgehalten, an der sich Tausende Menschen beteiligten. Dort wurde auch der Text unseres Flugblattes verlesen.
Nach der Aufhebung des Ausnahmezustands kam der Wahlkampf richtig in Schwung. Die Menschen spürten, dass nun der Anfang vom Ende des Militärregimes gekommen war. Die Ermordung von Benazir Bhutto hat der ganzen Situation ein weiteres explosives Element hinzugefügt. Die spontane Protestbewegung hat das Regime schwer erschüttert. Über drei Tage lang waren Polizei und Militär de facto von der Bildfläche verschwunden. In vielen Fällen, z.B. in Karachi kam es zu gewaltsamen Wutausbrüchen. Banken, Polizeistationen, Gerichte usw. wurden als Symbole der Macht in Brand gesteckt. Ich war zu dem Zeitpunkt gerade in Karachi. Wir entschieden uns eine Delegation zu den Stahlwerken zu schicken. Ich und Riaz Lund fuhren mit dem Auto zum Werk. Auf dem Weg dorthin jubelten Menschen als sie unser Auto mit der Fahne der PPP sahen. In dieser Nacht organisierten die Genossen spontan eine Versammlung der Stahlarbeiter. Um 8 Uhr morgens erschienen mehr als 200 Arbeiter um mit uns zu diskutierten. Nach der Diskussion wurde der Beschluss gefasst, für jede Schicht ein Aktionskomitee zu gründen. Unser Ziel war es wo immer möglich, dass die ArbeiterInnenklasse in organisierter Form sich an die Spitze dieser Protestbewegung stellt. Wo dies geschah, wie z.B. in Kasur unter der Führung von Genossen Manzoor, kam es auch zu keinen sinnlosen Gewaltexzessen.
F.: Kannst Du mehr über Eure Rolle in dieser Bewegung erzählen?
LK.: Diese Bewegung erinnerte einen an die Schilderungen von den revolutionären Ereignissen am Blutigen Sonntag im Jänner 1905, als die russische ArbeiterInnenklasse erstmals auf den Plan trat. Die Ermordung von Benazir Bhutto brachte bei vielen das Fass zum Überlaufen. Überall im Land kann es zu aufstandsähnlichen Entwicklungen. In etlichen Städten kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen. Banken, Gerichte, Polizeistationen wurden dem Erdboden gleichgemacht. Der Staatsapparat war in den drei Tagen nach Benazirs Ermordung von der Bildoberfläche verschwunden.
Unsere GenossInnen intervenierten im ganzen Land. In vielen Fällen ist es uns gelungen, dieser wütenden Stimmung eine Perspektive zu geben. Waren am Anfang nur Trauer und Wut, so herrschten in vielen Städten dann revolutionäre Entschlossenheit vor.
Wir nahmen auch an den Trauerfeierlichkeiten in Naudero teil, dem Heimatort der Bhuttos, wo unter der Teilnahme von Hunderttausenden Benazir bestattet wurde. Unsere GenossInnen beteiligten sich an den Feierlichkeiten mit Slogans wie z.B. „“Benazir tere khoon se, Inqilaab aye ga“ [„Benazir, aus deinem Blut wird die Revolution strömen“], welche von der Masse begeistert aufgenommen wurden.
Gleichzeitig präsentierten wir ein eigenes Flugblatt mit einer revolutionären Perspektive in den Sitzungen der PPP und bei Gewerkschaftsversammlungen, wie etwa bei der Pakistanischen Fluglinie, wo wir überall auf ein großes Echo stießen. In der Pakistanischen StudentInnenföderation PSF kam es zu einem massiven Linksruck und im Punjab wurde einer unserer Genossen zum Vorsitzenden gewählt. Unsere Stoßrichtung war klar: nicht Trauer sondern Rache steht auf der Tagesordnung, und Rache kann in erster Linie nur Revolution bedeuten. Zehntausende Menschen folgten in diesen Tagen unseren Demoaufrufen im gesamten Land.
F.: Die PTUDC und „The Struggle“ sind mittlerweile landesweit aktiv. Wie sieht die Arbeit in den Regionen zur Grenze zu Afghanistan aus?
LK.: Auch hier stellen wir im Wahlkreis Wana mit Genossen Ali Wazir einen Kandidaten zur Parlamentswahl. Doch die Bedingungen in diesem Fall sind extrem schwierig. Waziristan ist traditionell Stammesgebiet. Das Gebiet war noch nie unter einer wirklichen staatlichen Verwaltung. Es gehörte zu den rückständigsten Gebieten in Pakistan. Diese Gesellschaft ist völlig durchmilitarisiert, die wichtigsten Wirtschaftsfaktoren sind der Drogenhandel und die Herstellung von Handfeuerwaffen. Jedes Dorf hat seine eigene Festung. Frauen wird noch immer das Wahlrecht vorenthalten. Die eigentliche politische Macht liegt in den Händen der Taliban. Prominenteste Figur ist der international bekannte Terrorchef Mehsud. Doch selbst in Waziristan sehen wir die Wirksamkeit des Gesetzes von der ungleichen und kombinierten Entwicklung. Seinen sozialen und politischen Ausdruck findet dies in der Tatsache, dass ein Marxist echte Chancen hat, diesen Wahlkreis zu gewinnen. Der Wahlkampfslogan von Genossen Ali Wazir lautet „Brot, Frieden und Arbeit – Bildung, Gesundheit und Wohlstand“. Dass er in der Bevölkerung ein so großes Echo bekommen konnte, liegt vor allem daran, dass er sowohl die Taliban wie auch das pakistanische Regime und den US-Imperialismus scharf kritisiert. Die Antwort der Taliban war, dass sie einen neuerlichen Stammeskrieg anzettelten, dem bereits etliche Menschen zum Opfer gefallen sind. Genosse Wazir muss derzeit aus dem Untergrund heraus den Wahlkampf fortsetzen, weil sein Leben in Gefahr ist. Auf alle Fälle sind wir in der Region die einzige politische Alternative zur Herrschaft der Taliban.
Bei den letzten Wahlen im Jahr gewann Maulana Abdul Malik mit Unterstützung von Fazl-ur Rehman, einem der bedeutendsten Vertreter der Taliban, diesen Sitz. Fazl-ur-Rehman war der Führer der islamistischen Opposition in der Nationalversammlung und leitet selbst eine Reihe von Madrassen, den berüchtigten Koranschulen, welche als Nachwuchsschmiede für die Taliban gelten.
Doch diesmal gibt es eine glaubwürdige Alternative zu den Mullahs, deren Kritik am Regime immer unglaubwürdiger wird. Die Teuerungswelle bei Mehl hat den Lebensstandard der Menschen in diesem Gebiet weiter verschlechtert. Der Hunger wird zu einem zentralen Problem in der Region. Unter diesen Umständen stoßen unsere revolutionären Ideen auf einen fruchtbaren Boden.
Aber ist es klar, dass sowohl die Taliban wie auch der Geheimdienst ISI alles daran setzen, diese Wahlen unmöglich zu machen. Dies ist der wahre Grund für die jüngsten Angriffe auf die Forts von Sararogha und Sipla Toi.
F.: Welche Perspektiven habt Ihr für Pakistan und für Eure Arbeit?
LK.: Pakistan steuert zielstrebig auf eine vorrevolutionäre Situation zu. Unsere derzeitige Aufgabe ist es, die Grundlage zu schaffen, um in der kommenden Bewegung die Revolution zum Sieg führen zu können. Die Teilnahme an der jetzigen Wahlbewegung soll uns die Möglichkeit geben, dass wir in der kommenden Nationalversammlung möglichst stark vertreten sind und von dieser Bühne aus den Massen eine revolutionäre, eine sozialistische Alternative zu geben. Wir stützen uns dabei auf das Gründungsdokument der PPP unter Zulfikar Ali Bhutto aus dem Jahre 1970, wo ganz klar das Ziel einer klassenlosen, sozialistischen Gesellschaft angestrebt wurde.
Natürlich kann es auch sein, dass die Wahlen wieder nicht stattfinden, doch dann würde es wohl zu einer sozialen Explosion kommen. Ähnlich wäre die Reaktion der Massen bei offensichtlichem Wahlbetrug. Finden die Wahlen statt, dann rechnen wir mit einem deutlichen Sieg der PPP. Und das würde die Karten in Pakistan neu mischen. Die PPP-Führung käme sofort unter den Druck der großen Erwartungshaltung, dass die neue Regierung eine Antwort auf die großen sozialen Probleme geben wird.
Gleichzeitig wollen wir unsere Organisation auf allen Ebenen stärken. In den Gewerkschaften würde es zu einem massiven Linksruck kommen, wodurch die GenossInnen der Pakistan Trade Union Defence Campaign (PTUDC) in eine führende Rolle kämen. Schon jetzt haben wir bei der Eisenbahn, Post, Telekom, der Fluglinie, den Banken usw. eine wichtige Position inne. Darauf bereiten wir uns nun vor.
Wichtig ist uns aber außerdem eine internationalistische Perspektive. Pakistan ist ein künstliches Gebilde. Eine siegreiche Revolution in Pakistan müsste das Ziel einer sozialistischen Föderation auf dem gesamten indischen Subkontinent sein.
F.: Danke für das Gespräch.
Veranstaltung:
Jenseits von Militärs und Mullahs –
Pakistan erhebt sich
Pakistan ist eines der ärmsten Länder der Welt, in dem Kinderarbeit und mittelalterliche Frauengesetze herrschen. Die Gewerkschaften werden massiv unterdrückt. Doch in den letzten Monaten ist die von den USA unterstützte Militärdiktatur immer stärker ins Wanken gekommen. Die Ermordung von Benazir Bhutto (Vorsitzende der PPP) hat gezeigt, dass die alte herrschende Elite, von der Teile eng mit islamischen Fundamentalisten verbunden sind, mit allen Mitteln an der Macht festhalten will. Dieser politische Mord löste jedoch eine Massenrevolte aus. Bei den Wahlen am 18. Februar werden eine Reihe von linken Gewerkschaftsführern der Pakistan Trade Union Defence Campaign (PTUDC) und revolutionären Sozialisten kandidieren, die sich in und rund um „The Struggle“, die marxistische Strömung in der PPP, organisiert haben. Diese Wahlen könnten der Anfang vom Ende der Militärherrschaft sein und eine Phase revolutionärer Bewegung auslösen.
Wir diskutieren an diesem Abend Perspektiven für Pakistan und berichten über die Arbeit der pakistanischen MarxistInnen.
Wann: Donnerstag, 21. Februar 2008, um 19 Uhr
Wo: Lustkandlgasse 10/1, 1090 Wien (Nähe Volksoper/Währingerstr.)
Anschließend gibt es eine Soli-Party mit der Pakistan Trade Union Defence Campaign (PTUDC).