Um 5% sind die Preise in der Euro-Zone im Dezember im Jahresgleich gestiegen. Energie und unverarbeitete Lebensmittel sind die Hauptpreistreiber. Emanuel Tomaselli analysiert.
Die Prognose für das Jahr 2022 liegt bei 3,2%, aber die Europäische Zentralbank unterschätzt die Preissteigerungen systematisch. Dies hat auch politische Gründe. Die lockere Geldpolitik der Zentralbanken sollte die beschleunigte Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums zu den Reichen unterstützen und gleichzeitig die Finanzierung der Staatsschulden ermöglichen, ohne die Arbeiterklasse direkt anzugreifen. Erstmals angewandt zur Bewältigung der Bankenkrise 2008 wurde dieselbe Strategie der Geldflut nun in der Corona Krise intensiviert.
Die Resultate sind erstaunlich. Das Vermögen der US-Milliardäre stieg in den vergangen 19 Monaten um durchschnittlich 70%. Amazon-Chef Bezos ist heute 80 Mrd. Dollar „schwer“ (er musste allerdings auch seine Ex-Frau ausbezahlen), reichster Mensch ist heute aber Elon Musk, der sein Vermögen in der Zeit auf 185 Mrd. Dollar verachtfachen konnte. Durch die Geldflut entstehen Märkte von immer wahnwitzigeren und sich schnell verflüchtigenden Spekulationsobjekte. So wurde letzthin ein Katzen-GIF um 600.000 Dollar verkauft. Ein weiteres Beispiel: Die Ex-Blockchain-Expertin und Influencerin Stephanie Matto etwa erzielte 200.000 Dollar durch den Verkauf ihrer Fürze im Glas (Fartjar).
Die Preissteigerungen auf den Märkten habe keine singuläre, sondern vielfältige Ursachen, die sich gegenseitig befeuern. Grundlegend ist aber, dass die Geldschwemme Preissteigerungen nur unterstützt sie aber nicht direkt verursacht. Dies ist eine schlechte Nachricht für Herrschenden, da dies auch bedeutet, dass sie noch weniger Spielraum haben die Preissteigerungen (etwa durch die Erhöhung der Zinsen) zu dämpfen. Einfach gesagt: die Herrschenden verlieren die Kontrolle über ihr System, die Krise ist nicht das Resultat falscher Politik, sondern der Funktionsweise des Kapitalismus.
Aus der Coronakrise resultieren Lieferprobleme und Warenengpässe, etwa bei Microchips. Im vergangenen Sommer jedoch begannen auch die Energiepreise sprunghaft anzusteigen. Erdgas etwa vervierfachte seinen Preis im Jahresabstand. Steigende Energiepreise verteuern die gesamte Warenproduktion inklusive des Transportes, da ohne Energieumsatz keine Waren produziert werden können.
Da im Kapitalismus nur produziert wird, um Profite zu erzielen, sind die Preissteigerungen mehr als nur ein additives Problem entlang der Warenproduktionskette. Der hohe Preis von Energie führte etwa dazu, dass weltweit viele Düngermittelproduzenten ihre Produktion einstellten oder einschränkten, da sie sich nicht sicher sind, ob sie den teuer produzierten Dünger tatsächlich profitabel verkaufen können. Großhändler lagern keinen Dünger mehr ein und liefern nur gegen Vorauskassa, der Landwirt kauft keinen Dünger, weil er hofft, dass er bald billiger wird etc. Diese Profiterwägungen der Eigentümerklasse führen dazu, dass das Warenangebot, hier von Dünger und dann von Nahrungsmitteln, tatsächlich verknappt wird und die Preise dadurch weiter steigen werden.
Geopolitische Spannungen (Sanktionen gegen Belarus, dem Hauptproduzenten von Pottasche – ein wichtiges Mineral zur Düngerproduktion), der Umbau auf erneuerbare Energiegewinnung, Naturkatastrophen, Transportprobleme etc. sind hier nur Zugaben. Bauernverbände in den USA streben aktuell Kartellverfahren gegen Düngemittelproduzenten an, weil sie vermuten, dass die Großkonzerne die Preise „manipulieren“. Dies ist durchaus möglich, aber das grundlegende Problem lautet schlicht: Der Markt ist kein effizientes Instrument zur Befriedigung der Bedürfnisse der Menschheit – er macht nur einige unvorstellbar reich.
Anhaltende Preissteigerungen werden den Klassenkampf weltweit anheizen, Kasachstan ist hier nur der Anfang. Wenn es der Arbeiterklasse gelingt in diesen Kämpfen nicht nur eine Regierung zu stürzen, sondern auch die Herrschenden zu enteignen, können wir alle Werkzeuge, die Technik, die Wissenschaft sowie die menschliche Kreativität und Arbeitskraft einsetzen, um planmäßig die Bedürfnisse aller Menschen zu erfüllen. Die Auswüchse des kapitalistischen Systems können wir dann fest in einem Fartjar zustöpseln und auf den Misthaufen der Geschichte werfen.
(Funke Nr. 200/20.1.2022)