Uns erreichte folgende Zusendung eines Funke-Lesers über den Zustand an Mittelschulen in Österreich.
Vielfach wurde ich schon gefragt, wie die Situation an Schulen derzeit wirklich ist. Ich habe viele FreundInnen und Bekannte mit schulpflichtigen Kindern, wo ich mir in Eigeninitiative interessenshalber Informationen aus anderen Schulen zusammengeholt habe. Die Conclusio: In vielen Schulen funktioniert das „Distance Learning” perfekt. In vielen Schulen sind die Eltern nach wie vor mit „Home Schooling” zugedeckt, obwohl die Verantwortung des Unterrichts bei der Lehrkraft liegt, wobei ich hier weder pauschalisiere noch den PädagogInnen mangelndes Engagement vorwerfen will. Warum gibt es an den Systemen gerade jetzt so viel Kritik, obwohl wir sie gerade erst „erproben“? Geht es bei der immer wieder aufkeimenden „Schulthematik“ wirklich nur um teilweise fehlgeschlagenes Distance Learning/Homeschooling? Werfen wir einen kritischen Blick darauf!
Um die Probleme der Schulen, die durch die vielen Hin-und-Her-Entscheidungen im Schulwesen während der Corona-Pandemie entstanden sind, zu verstehen, muss man den Blick weg von der Corona-Thematik richten. Wir sehen hier keine plötzlich auftretenden Probleme, sondern das Ergebnis einer mittlerweile mindestens zwei Jahrzehnte andauernden verfehlten Bildungspolitik. Seit Anfang der 2000er hat es noch jede Regierung unabhängig von der politischen Färbung geschafft, weniger in das Bildungssystem zu investieren, als die Vorgänger. Was ist da nicht alles versprochen worden, von den zwei Bildungsmilliarden (noch in Schilling) bis zu den gratis Endgeräten für Kinder, die nun doch mit 25% Selbstbehalt für die Eltern behaftet sind, falls die Schule sich für die Digitalisierungspläne überhaupt bewirbt und dann alle Schulpartner zustimmen.
In Wahrheit hat in den letzten Regierungen jede zuständige Institution nur für ihre Periode gedacht. Die Pflichtschullaufbahn eines Kindes dauert aber neun Jahre – so lange sollte ein Schulversuch schon dauern, damit man messbar evaluieren kann, damit man etwas reformieren kann und nicht einfach nur umbenennen, damit man dann sagen kann, dass jetzt alles besser ist. Der technologische Fortschritt und die Arbeitswelt schaffen neue Herausforderungen! Herausforderungen, auf die die Kinder nicht mehr adäquat vorbereitet werden können – und so viel sei gesagt, dass das großteils nicht an den Lehrkräften liegt. Wir müssen hier auch einmal die „schwarzen Schafe”, womöglich älteren Semesters, ausblenden, die das System schon zur Resignation gezwungen hat.
Was ist also nun der Status Quo? Wir haben ein Bildungssystem, in das viele hochmotivierte junge Lehrkräfte drängen – falls sie überhaupt einen Job bekommen. Sie sind vermeintlich gut ausgebildet, kennen die neusten Konzepte und haben Ideen. Junglehrkräfte finden nun zum Beispiel in den Pflichtschulen eine Infrastruktur vor, als hätte selbige jahrzehntelang nicht existiert, vor allem am Land. Wir haben heuer im Februar erstmals Computer in die Klassen bekommen und WLAN im Schulhaus, das Klassenbuch schreiben wir mit der Hand. Die Verwaltungstätigkeiten übernehmen wir bzw. der Direktor, weil es kein Personal dafür gibt. Um jede Anschaffung muss gestritten werden, obwohl die Gemeinde als Schulerhalter Budget vom Land bekommt, welches es vom Staat bekommt – es ist doch alles dasselbe Steuergeld! Eine Verordnung zur digitalen Grundbildung gibt es auch seit heuer – zwanzig Jahre zu spät! Die Ausbildung der Lehrkräfte hinkt dahingehend auch weit hinterher! Wenn nun, von einem Tag auf den anderen, plötzlich Plattformen benutzt werden müssen, wo das Wissen um den Computer die Officeanwendungen nie überstiegen hat, dann ist das fatal!
Um jeden Schüler muss gerungen werden, damit die Zahlen passen, obwohl Gruppen schon lange verkleinert werden müssten und das Personal aufgestockt, um die Kinder besser betreuen, fordern und fördern zu können. Heutzutage arbeiten meistens beide Elternteile und der Stundenplan und die Schule reagieren darauf gar nicht, weil man dann mehr Personal bräuchte, aber das kostet Geld. Wir diskutieren die Missstände im Schulsystem zu Tode, anstatt dass ein Politiker oder eine Politikerin in seiner oder ihrer Zuständigkeit einmal den Mut hätte und sagen würde, dass es jetzt das Geld gibt und sofort mit der Instandsetzung der Infrastruktur, mit der Ausbildung von Personal und mit dem Ausbau der Betreuungsplätze begonnen wird. Die Diskussion wird vom falschen Standpunkt aus von Leuten geführt, die vom Schulsystem wenig bis gar keine praxisnahe Ahnung haben. Dieses immer so hart kritisierte Schulsystem hat einen eindeutigen, immens wichtigen Auftrag zu erfüllen und der lautet nicht, dass es jetzt gerade einem politischen Couleur gefällig sein muss, sondern die Zukunft unseres Landes, nämlich unsere Kinder, unter bestmöglichen Voraussetzungen auszubilden! Es geht in der öffentlichen Diskussion meist nur um „faule“ oder „fleißige“ LehrerInnen, aber nie um diejenigen, die im Endeffekt die Hauptleidtragenden sind, nämlich die Kinder. Die haben nämlich keine Lobby und so heißt es weiterhin: Bildung? Jein, danke!
Es gibt also viele Probleme, die zurzeit im Distance Learning oder Home Schooling entstehen oder vorhanden sind. Das ist ein Corona-Unikum. Sind die Resultate ein plötzlich entstandener Missstand? Wohl kaum!
Mag. Hermann Angerer, Lehrer an einer Mittelschule
(Funke Nr. 189/10.12.2020)