Vor einem Jahr habe ich begonnen in meiner aktuellen Firma zu arbeiten. Damit ihr euch das etwas vorstellen könnt: Wir arbeiten dreischichtig im Akkordsystem – ich in der Dauernachtschicht. Aufgrund meiner Arbeitserfahrung bin ich so einiges gewohnt, doch hier wird die übliche Dreistigkeit noch überboten.
Seit letztem Herbst sollte ich an einer neuen Maschine arbeiten. Monotonie, schwere Teile, viel Stress. Dies sollte durch ein angemessenes Entlohnungsschema ausgeglichen werden, da unsere Vorgesetzten meinten, der Akkord würde der Anstrengung dieser Arbeit nicht gerecht. Doch als sie sahen, was wir aus uns herausholen, beließen sie es doch beim Akkord-System. Immerhin, es war bald machbar, den maximalen Akkord zu erreichen (133%). Die Maschine gibt den Takt vor, was unsere Gestaltungsmöglichkeiten ohnehin begrenzt – 43 Teile, genau so viel ist machbar. Ein Teil mehr pro Schicht, also unter Opferung der Pause, wären 137%. Ein schwacher Trost dafür, dass auch die jungen, kräftigen Mitarbeiter schnell über Rückenschmerzen klagten. Ich selbst habe schon einen chronischen Tennisarm und meine Schultern schmerzen stets.
Doch so sehr wir drei, die normalerweise an dieser Maschine arbeiten, auch gemeinsam unter der Arbeit zu leiden haben, das wichtigere Thema war bis jetzt stets der Zwist untereinander. Meine Kollegen nehmen ihre religiös-nationalen Vorurteile mit an den Arbeitsplatz, was es ihnen im Arbeitsalltag unmöglich machte sich als Leidensgenossen verbunden zu fühlen. Hinzu kommt noch ein vierter Kollege, der gelegentlich als Springer an der Maschine ist und der sich üblicherweise sehr mit der Arbeit und den Interessen der Geschäftsführung identifiziert. Andere, die nicht seine Motivation haben, behandelte er respektlos.
Das sind gute Voraussetzungen für die Chefitäten, um uns auszupressen. Mit einer Änderung im Betriebsablauf sahen diese nun ihre Chance gekommen. Einige Sekunden konnten pro Teil eingespart werden. Zwar wurde die Maschine nicht schneller, aber unsere Bewegungen wurden optimiert. Doch schwupps, auch der Akkord war nun so eingestellt, dass wir dieses eine Teil, also das 44ste mehr machen mussten, um das 133%-Akkordniveau zu erreichen. Dies bedeutet, dass wir zwingend also auch in der Pause arbeiten mussten, um am Ende des Monats das gleiche Geld im Sack zu haben. Auf Nachfrage meinten unsere Vorgesetzten, das habe schon seine Richtigkeit.
Einer meiner Kollegen zog sofort denselben Schluss wie ich, dass es jetzt nötig sei weniger zu machen. Der Dritte im Bunde war schnell überzeugt. Und auch der vierte Mann war außer sich, beschwerte sich ebenfalls. 40 Teile, nicht mehr!
Nach eineinhalb Wochen nahm der Spuk dann doch ein jähes Ende. Denn damit war – aller weltanschaulichen Meinungsverschiedenheiten zum Trotz – die Einheit in der Praxis hergestellt. Das gab den Optimierern den Rest. Sie wussten, niemand ist bereit sich derart verarschen zu lassen. Die Umstellung des Akkords stellte sich als Versehen heraus. Dass niemand sich bei uns entschuldigt hat, versteht sich. Doch die zusätzlichen Sekunden, vor allem aber die Pausen gehören uns. Unsere Schultern tragen also doch gemeinsam leichter.
Kurt