Sozialwirtschaft. Die Kollektivvertragsverhandlungen für über 100.000 Beschäftigte in privaten Gesundheits- und Sozialberufen (außer Vorarlberg) haben begonnen. Eine starke Streikbewegung im Februar 2018 wurde von den Gewerkschaftsführungen mit einem Abschluss 2,5 % und mehreren Verschlechterungen versemmelt. Wird es heuer anders sein? Von Emanuel Tomaselli.
Die Arbeitsbedingungen in den Gesundheits- und Sozialeinrichtungen werden ständig verschlechtert. Der Arbeitsdruck ist immens, die Löhne halten mit der Teuerung nicht mit, falsche Einstufungen und Vordienstzeitenanrechnungen bedeuten selbst für hochqualifizierte KollegInnen wie TherapeutInnen Lohnarmut. Permanent verdichten Geschäftsleitungen die Arbeitszeit, akzeptieren gefährliche Arbeitsbedingungen (etwa im mobilen Bereich, wo die Einsatzkräfte normalerweise alleine vor Ort arbeiten sollen und den verschiedensten Gefahren ausgesetzt sind), splitten Arbeitszeiten in mehrere Blöcke pro Tag, fahren eine immens dichte Personalplanung ohne Springerdienste, sodass Beschäftigte ständig aus der Freizeit in die Arbeit gerufen werden.
Immer mehr Beschäftigte wehren sich in ihren Betrieben gegen diese Bedingungen, schließen sich zusammen und sprechen sich untereinander ab, um solidarisch die weitere Erosion der Arbeitsbedingungen zu stoppen. Die jahrelang von den Geschäftsführungen sorgsam gepflegte Kultur der Selbstausbeutung der Beschäftigten („Wir helfen Menschen“) wird vermehrt in Frage gestellt.
Denn im Gegensatz zu den Niedrigstlöhnen der Beschäftigten langen die Geschäftsführungen der „gemeinnützigen Sozialvereine“ bei den eigenen Löhnen kräftig zu, und immer mehr Bereiche werden direkt in den Profitsektor ausgelagert. Dabei gibt es interessante Modell, wie etwa Geschäftsführungen von Sozialvereinen, die persönlich Gesellschafter in profitorientieren Firmen sind und Fremdleistungen an den eigenen Verein verkaufen.
Gewinnen geht, aber Gewerkschaft will nicht
Erinnern wir uns zurück. Am 15. und 16.2. streikten rund 40.000 Beschäftigte, rund achtmal mehr, als von den Gewerkschaften nach den ersten vier ergebnislosen Verhandlungsrunden erwartet wurde. Doch anstatt diese Kraft zu nutzen, um die eigenen Forderungen durchzusetzen und es auf eine weitere Zuspitzung ankommen zu lassen, schaltete sich die Gewerkschaftsführung ein, um eine weitere Eskalation des Arbeitskonfliktes zu verhindern. Das kleine Verhandlungsteam der Gewerkschaften (16 Betriebsräte und Hauptamtliche, die auf fünf Jahre bestellt sind) der GPA-djp und vida wurden durch einen Verhandler aus der Führung der GPA-DJP ergänzt, der die sozialen Forderungen der Beschäftigten deutlich zurückschraubte und gleichzeitig enormen Druck auf die BetriebsrätInnen machte, auf alle Fälle abzuschließen, ganz egal was der Inhalt des Abkommens sei.
Diesem Manöver konnte das sogenannte „Große Verhandlungsteam“, dem 60 BetriebsrätInnen angehören, nichts entgegensetzen. Eine Minderheit von 8 bis 10 KollegInnen widersetzte sich dem von oben erzwungenen Abschluss durch ihre Gegenstimmen. Es ist schwierig, einen heißen sozialen Konflikt zu gewinnen, wenn die sozialpartnerschaftliche Führung mit dem Feuerwehrschlauch die Stimmung löscht, und den Weg für den „Kompromiss“ freispritzt. Einmal mehr obsiegte die sozialpartnerschaftliche Orientierung des Gewerkschaftsapparates, der die stabile Zusammenarbeit mit den Unternehmen immer über die sozialen Interessen der Beschäftigten stellt, wenn diese Frage konkret gestellt wird. Nur wenn gar nichts geht, darf man in den Augen der „Sozialpartner“ kurz streiken und Mitglieder für die Gewerkschaft rekrutieren.
Neuer Anlauf
Heuer bereitete sich der kritische Sektor der Betriebsräte, der mit Basisinitiativen aus der Branche kooperiert, noch besser als gewöhnlich auf die KV-Verhandlungen vor. Im großen Verhandlungsteam wurden so bereits im Herbst die Forderungen formuliert:
– 6,5% mehr Lohn, aber mindestens 150 €
– 35-Stunden-Woche
– 6 Urlaubswochen für alle
– Besserstellung für KollegInnen mit geteilten Diensten (Arbeit am Morgen und am Abend, oft auch schon zu Mittag, dazwischen haben Beschäftigte „frei“).
Zur Untermauerung dieser Forderungen wurde am 9. November eine Betriebsratskonferenz einberufen. Zum Erstaunen der rund 300 erschienenen BetriebsrätInnen wurde auf dieser Versammlung von der Gewerkschaftsführung und dem kleinen Verhandlungsteam dieses Forderungspaket nicht präsentiert. Stattdessen wurde eine lahme Veranstaltung ohne konkreten Inhalt aufgeführt. Diese Scheindebatte überrumpelte auch den kritischen Sektor unter den BetriebsrätInnen, der seinerseits darauf verzichtete, die beschlossenen Forderungen des Großen Verhandlungsteams selbstständig einzubringen. Die Konferenz trat somit auseinander, ohne konkrete Forderungen formuliert zu haben.
Dies wurde den Gewerkschaften überlassen, die mit nur abgeschwächten und demokratisch nicht legitimierten Forderungen an die Öffentlichkeit tritt. Auch wird nichts getan, um die Beschäftigten auf einen harten Kampf vorzubereiten. Im Gegenteil, fernab des eigentlich vereinbarten Fahrplans, der die Eröffnung der Verhandlungen für 16. Jänner vorsieht, ist das Kleine Verhandlungsteam bereits Anfang Dezember in Erstgespräche mit dem Arbeitgeberverband getreten.
Beschäftigte brauchen Selbstkontrolle
Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten der Sozial und Gesundheitsberufe (egal ob im SWÖ-KV oder wo auch immer) werden ihre Arbeitsbedingungen nur halten und verbessern können, wenn es gelingt, die sozialpartnerschaftliche Orientierung des Gewerkschaftsapparates und der (Mehrheit der) BetriebsrätInnen zu überwinden. Ohne demokratische Kontrolle durch die Basis ist kein erfolgreicher Arbeitskampf denkbar. Es ist nicht einfach, zu gewinnen, wenn die oberste Führung dies gar nicht anstrebt, aber es ist wert, es zu versuchen. Denn ohne Widerstand wird die Arbeit in diesem Sektor zu einem Niedriglohnmartyrium, immer häufiger zur Krankheitsursache und zur Armutsfalle, besonders für Frauen. Es gilt dort anzusetzen, wo KollegInnen sich gegen konkrete Bedingungen wehren, und dies ist weit verbreitet. Die eigene Erfahrung muss Ausgangspunkt für unsere Forderungen werden. Bereiten wir unsere KollegInnen auf einen radikalen Arbeitskampf im Jänner/Februar vor. Die Gewerkschaft wird es für uns nicht richten. Setzen wir uns deshalb für die Selbstkontrolle über den Arbeitskampf ein, weil wir nur so unsere Interessen gemeinsam durchsetzen können.
(Erschienen im Funke Nr. 169/Dezember 2018)