Sozialdemokratie. Auf der Straße formierte sich in den letzten Wochen linker Widerstand gegen die Bundesregierung. Doch warum kann die SPÖ dieser keimenden Bewegung keinen politischen Ausdruck geben?
Am Tag nach der Großdemo gegen Schwarz-Blau ging Christian Kerns neuer Bundesgeschäftsführer Max Lercher an die Medien und kritisierte die FPÖ für ihren „Verrat am kleinen Mann“, weil sie zusätzliche ausländische Arbeitskräfte ins Land holen wolle und so das Lohndumping verstärke. Aus dem Burgenland kritisierte Hans-Peter Doskozil gleich darauf die Blauen für ihren „mangelhaften Einsatz bei Abschiebungen“. Auch mit der Kür von Michael Ludwig bei der Stichwahl um den Vorsitz der Wiener Landespartei wurde dieser Kurs deutlich gestärkt.
Was treibt diese Kräfte an? In erster Linie der Frust über den Machtverlust der SPÖ und der mit ihr eng verwobenen Gewerkschaftsbürokratie. Der politische Einfluss der SPÖ auf die Regierungsgeschäfte des bürgerlichen Staates fußte auf ihrer historischen Rolle als Partei der organisierten Arbeiterbewegung. Doch die kapitalistische Krisenverwaltung, die die SPÖ- und ÖGB-Spitzen willfährig betrieben, führte zu einer spürbaren Schwächung der Sozialdemokratie. Die Entwicklung der SPÖ-Wahlergebnisse seither spricht Bände. Wer einen genaueren Blick auf die Organisationsstrukturen der Sozialdemokratie wirft, wird schnell sehen, dass von der einstigen Stärke der großen Arbeiterpartei kaum noch etwas übrig ist.
Ludwig, Doskozil & Co. wollen aber mit allen Mitteln wieder in die Regierung und an die Schaltzentralen im bürgerlichen Staat. Sie wissen, dass sie dort aber nur dann wieder hinkommen, wenn es gelingt, gegen die Blauen den Kampf um den Gemeindebau und die Arbeiterbezirke zu gewinnen. Doch wie soll diese Schlacht geschlagen werden?
Heimat
Auf dem Weg zur staatstragenden Partei hat sich in der SPÖ und den Gewerkschaften ein rot-weiß-roter Patriotismus durchgesetzt. Die vom bürgerlichen Staat und den bürgerlichen Parteien geschaffene Spaltung der Arbeiterklasse nach Nation, Herkunft und Religion wurde von der SPÖ und dem ÖGB aktiv mitgetragen. Dieses Denken hat sich natürlich in den letzten Jahrzehnten auch im Bewusstsein großer Teile der österreichischen Arbeiterschaft festgesetzt. Ludwig, Doskozil & Co. hoffen, so den Blauen die Stammtische abspenstig machen zu können. Der liberale Flügel in der SPÖ, der bis jetzt von Michael Häupl und der Mehrheit seiner Stadträte verkörpert wurde, glaubt, diese Auseinandersetzung mit dem Betonen von liberalen Grundwerten (Humanismus, Menschenrechte) gewinnen zu können. Ihr Kandidat Andreas Schieder verkörperte diese Ausrichtung wie kein anderer. In der grundsätzlichen politischen Orientierung – der bedingungslosen Hinnahme der kapitalistischen Verhältnisse – besteht zwischen beiden Lagern allerdings nicht der geringste Unterschied.
Die einzige Alternative würde bedeuten, sich mit dem Kapital anzulegen, ein Ende der Vermögensungleichheit und der Sparlogik zu fordern. Doch die SPÖ-Führung ist von der Lebensrealität ihrer sozialen Basis völlig abgehoben und hat kein ökonomisches Programm, das sich von dem der Regierung groß unterscheiden würde. Bestenfalls wird sie argumentieren, dass man in Zeiten des Aufschwungs keine brutalen Einschnitte im Sozialsystem, wie die Streichung der Notstandshilfe benötigt. Was es jetzt aber bräuchte, ist eine Opposition, die eine Alternative zur kapitalistischen Profit- und Sparlogik aufzeigt.
Widerstand: Für Kern oder für die Menschen?
Die entstehende Widerstandsbewegung ist an der SPÖ-Bürokratie dennoch nicht spurlos vorbeigegangen. Die Bundes-SPÖ hütet sich davor, die Proteste offen zu unterstützten. Doch im Gegensatz zu den letzten Jahren in der Großen Koalition wird auf die Sozialistische Jugend, aber auch den VSStÖ kein Druck mehr ausgeübt, sich „zurückzuhalten“. Im Gegenteil: Es wird offensichtlich gutgeheißen, dass die roten Jugendorganisationen versuchen, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Auf dem ersten Blick entspricht das auch ganz der Stimmung der SJ-Basis, die jahrelang nur darauf gewartet hat, endlich in einen offenen Kampf gegen die bestehenden unsozialen Verhältnisse ziehen zu können, ohne Rücksicht darauf nehmen zu müssen, dass die eigene Partei die Regierung anführt, die diese Verhältnisse verwaltet. Kern und Co. treibt jedoch etwas anderes an: Der Versuch, den Widerstand in die kontrollierbaren Bahnen der eigenen Partei zu lenken, um letztendlich weiter machen zu können, wo sie unterbrochen wurden: Eine Wahl zu gewinnen, um als Partner einer bürgerlichen Partei den Kapitalismus mitverwalten zu dürfen. Doch die kapitalistischen Verhältnisse tragen Sparpolitik und Rassismus in sich wie die Wolke den Regen. Die AktivistInnen der SJ müssen sich früher oder später darüber klarwerden, ob sie sich damit zufriedengeben wollen, nur das Instrument zu sein, das die Kern-Clique zurück an die Macht bringt, oder ob sie diese Verhältnisse umwerfen wollen.
Wir vertreten die Position, dass linke AktivistInnen der Sozialdemokratie und ihrer Vorfeldorganisationen sich den Sturz der Regierung auf die Fahnen heften und diese Haltung sowohl in der Protestbewegung als auch innerparteilich offensiv durch Anträge und Kandidaturen vertreten müssen. In den letzten Jahren hat es die Linke der Sozialdemokratie versäumt, eine klare sozialistische Alternative, programmatisch wie personell, zur Parteispitze zu schaffen. Das hat entscheidend dazu beigetragen, dass auch innerhalb der Sozialdemokratie eine „Pest und Cholera“-Situation entstanden ist.
Schwarz-blau stürzen, Sozialismus erkämpfen!
Ansätze, die allein darauf zielen, „die Linken zu vernetzen“, wie sie periodisch immer wieder innerhalb („Kompass“) wie außerhalb („Aufbruch“) der Sozialdemokratie initiiert werden, reichen in dieser Situation nicht aus. Die Erfahrung beweist unmissverständlich, dass diese Versuche ohne programmatische Klarheit und völlige politische und materielle Unabhängigkeit vom jetzigen Partei- und Gewerkschaftsapparat zum Scheitern verurteilt sind. Um in der Arbeiterbewegung das Konzept eines konsequenten Widerstands gegen Sozialabbau mit den Mitteln des Klassenkampfs, eine klare antirassistische und internationalistische Haltung in der Asyl- und Migrationspolitik und die Perspektive eines Bruchs mit der Standort- und Profitlogik in allen Bereichen durchzusetzen zu können, müssen Linke innerhalb und außerhalb der Partei darauf orientieren, den Bürgerblock zu stürzen. Der praktische Kampf kombiniert mit einem Programm, das den Weg nach vorne aufzeigt, wird die Basis für eine Alternative zur derzeitigen Führung der Arbeiterbewegung und deren Kurs schaffen.