Zum Jahresende legt AdV eine eine autobiographische Schilderung der proletarischen Jugendbewegung aus dem Jahr 1929 vor.
Willi Münzenberg ist ein siebzehnjähriger Schuhfabrik-Arbeiter als er erstmals die Räumlichkeiten des Arbeiterbildungsvereines „Propaganda“ betritt. Für den jungen Erfurter beginnt damit das Leben. Durch die Aneignung von Kultur und Marxismus und in den gemeinsamen Freizeitaktivitäten erobert er das zurück, was er den „Betrug um Kindheit und Jugend“ nennt.
Münzenberg wird schnell in führende Positionen der sich herausbildenden Jugendbewegung gestoßen und entfaltet sein Wirken unter den Leitlinien „Selbstständigkeit der Jugendbewegung und Kampf gegen die Reformisten“, die damals bereits die sozialdemokratische Bewegung dominierten und jede selbstständige politische Artikulation der politisch viel radikaleren Jugend unterbinden will. Auf der Walz, die ihn nach Marseille führen sollte, bleibt Münzenberg 1910 in Zürich hängen und findet in der Schweizer Arbeiterbewegung für fast ein Jahrzehnt seine politische Heimat. 1919 wird er als „gefährlicher Ausländer“ nach Deutschland abgeschoben – gerade rechtzeitig zur Jänner-Aktion der deutschen Arbeiterklasse. 1919 wird er zum ersten Vorsitzenden der kommunistischen Jugendinternationale gewählt, am zweiten Kongress scheidet er bereits aus und beendet seine packend geschrieben Geschichte seines Wirkens in der proletarischen Jugendbewegung.
Münzenberg schreibt ohne Pathos, das Buch fesselt durch die Schilderung der Ereignisse. Besonders spannend ist die Ideenentwicklung der jugendlichen Arbeiterbewegung. Er beschreibt den Einfluss von schwärmerischen sozial-religiösen Ideen, die Auseinandersetzung mit dem Anarchismus und die Praxis der jungen Arbeiterbewegung im Spannungsfeld Individuum und Kollektiv. Der Propaganda unter Mädchen und jungen Frauen und ihrer Organisierung widmet er mehre Passagen.
Der Knackpunkt der politischen Reifung und der stürmischen organisatorischen Expansion ist jedoch der Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Der Autor schildert wie die in der Schweiz exilierten russischen RevolutionärInnen entscheidenden Einfluss auf die Erarbeitung der anti-militaristischen Programmatik des linken Flügels der Schweizer Arbeiterbewegung haben. Nachdem das Büro der Sozialistischen Jugendbewegung vom österreichischen Sekretär Danneberg „wegen Krieg geschlossen“ wurde, beruft die Gruppe um Münzenberg eigenmächtig die „Berner Konferenz sozialistischer Jugendorganisationen“ ein. Resultat dieser Konferenz vom April 1915 war die Herausgabe eines regelmäßig erscheinenden Bulletins, rund um welches zunehmend Anti-militaristische Aktionen organisiert wurden. Das wichtigste an diesem Bulletin war seine Klarheit in revolutionären Ideen, die so europaweit Verbreitung fanden.
Münzenberg schildert Lenins Wirken beinahe liebevoll. Es bleibt unklar, ob dies dem aufziehenden Personenkult in der Sowjetunion geschuldet ist, oder tatsächlich persönlich empfundener Dankbarkeit. Hervorzuheben ist, dass Münzenberg damals bereits politisch bekämpfte Revolutionäre wie Leo Trotzki und Radek nicht aus seiner Schilderung ausspart.
Die von der Schweizer Sektion der IMT wunderschön editierte Neuauflage dieses zu Unrecht vergessenen Werkes ist für HistorikerInnen, wie AktivistInnen der Jugendbewegung ein wahrer Schatz. Die Neuauflage folgt dem historischen Werk auch in seinem Anhang, der aus Dokumenten der Arbeiterjugendbewegung, sowie einer ausführlichen Bibliographie zum Thema besteht.
Willi Münzenberg, Die Dritte Front
AdV Verlag, 412 Seiten
ISBN 978-3-902988-02-6
15 Euro
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