In den Räumlichkeiten der besetzten Fabrik Cipla im brasilianischen Joinville fand am Wochenende die Lateinamerikanische Konferenz der besetzten Betriebe statt. Mehr als 1000 ArbeiterInnen nahmen an der Eröffnung teil. Im Rahmen dieser historischen Versammlung stimmten die Cipla-ArbeiterInnen für die Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Unser Korrespondent aus Brasiien berichtet hier vom ersten Konferenztag. (Update: 13.12.2006)
Die mit Menschen voll gepackte Halle war mit revolutionären und klassenkämpferischen Postern und Transparenten geschmückt. Die gesamte Belegschaft war zur Versammlung erschienen, um über die Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich zu entscheiden. Und das zu einer Zeit, wo die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Brasilien bei 44 Stunden liegt. Daran kann man erahnen, welch mutigen und revolutionären Schritt diese Maßnahme darstellt.
Neben den Cipla-ArbeiterInnen nahm eine große Anzahl an Delegierten aus ganz Brasilien und aus anderen lateinamerikanischen Ländern an der Konferenz teil. Insgesamt zählte die Konferenz 685 akkreditierte Delegierte und eine Vielzahl an Besuchern. Delegierte aus dem Nordosten Brasiliens hatten 70stündige Busreisen auf sich genommen, um nach Joinville zu kommen. Unter den TeilnehmerInnen waren ArbeiterInnen und revolutionäre AktivistInnen aus Argentinien, Bolivien (u.a. der Führer der Bergarbeiter), Paraguay, Uruguay, Venezuela, Spanien, Österreich, Großbritannien und Italien.
Die Eröffnungsrede hielt Serge Goulart, der bekannteste der SprecherInnen der Cipla-ArbeiterInnen und der besetzten Betriebe. (In Lateinamerika ziehen es die ArbeiterInnen vor von „wieder in Gang gesetzten Fabriken“ zu sprechen.) In einer leidenschaftlichen Rede rief Serge zur Einführung der 30-Stunden-Woche auf. Entsprechend den demokratischen Traditionen bei Cipla fragte er alle Anwesenden, ob sie Zweifel oder alternative Vorschläge haben.
Drei ArbeiterInnen meldeten sich zu Wort und brachten ihre Zweifel zum Ausdruck. Es wurden jedoch keine alternativen Anträge eingebracht. Genosse Serge beantwortete ihre Argumente Punkt für Punkt. Die Abstimmung brachte dann ein eindeutiges Ergebnis. Der Antrag auf Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wurde bei zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen. Das Abstimmungsergebnis wurde von den TeilnehmerInnen mit einem wahren Freudenausbruch begrüßt. Damit werden die Cipla-ArbeiterInnen ab jetzt bei einer 5-Tage-Woche 6 Stunden pro Tag arbeiten – und das ohne Lohneinbußen. Serge Goulart forderte alle Anwesenden auf, die Nachricht von dieser historischen Entscheidung zu verbreiten. Das war ein wahrlich inspirierender Beginn für die Konferenz.
Die Konferenz selbst wurde von Genossen Carlos Castro vom Rat der Cipla- und Interfibra-ArbeiterInnen eröffnet. Weitere Reden hielten Vertreter des Gewerkschaftsdachverbandes CUT. Dann wurden die internationalen Delegierten begrüßt, die die besetzten Betriebe in Paraguay, Uruguay, Argentinien und Venezuela vertraten. Neben einem Vertreter des palästinensischen Befreiungskampfes war auch ein junger Geistlicher geladen, der durch seine antikapitalistische Rede zu überraschen vermochte.
Roberto Chavez, der Generalsekretär der kämpferischen Bolivianischen Bergarbeitergewerkschaft (FSTMB) war der nächste Redner:
„Genossnen, ich überbringe euch die Grüße der Bergarbeiter und Lohnabhängigen von Bolivien. Diese Versammlung markiert einen historischen Wendepunkt für die Arbeiterklasse in Lateinamerika. Wir sind Zeugen der revolutionären Entscheidung der Arbeiter von Cipla, den Arbeitstag auf 6 Stunden zu verkürzen. Das muss in allen Fabriken und Dörfern im Interesse der Arbeiterklasse berichtet werden. Nicht nur in Brasilien sondern in ganz Lateinamerika.
„Wir, die bolivianischen Bergarbeiter, kämpfen dafür, dass die privatisierten Minen den Arbeitern wieder zurückgegeben werden. Es gibt bereits vier Minen in unserem Land, die sich wieder in den Händen der Arbeiter befinden. Dieser Kampf muss auf ganz Lateinamerika ausgedehnt werden. In Bolivien gab es seit 2003 große Massenbewegungen. Nun haben wir eine Regierung, das von der Mehrheit der Bevölkerung gewählt wurde, einschließlich unseren Genossen, den indigenen Bolivianern.
„Die Regierung ist einem strukturellen Wandel verpflichtet. Das bedeutet, dass das Erdgas und Erdöl des Landes sowie die privaten Bergwerke entschädigungslos verstaatlicht werden. Die Menschen unterstützen diese Forderungen, welche auf den erbitterten Widerstand der Großkonzerne und der Oligarchie stoßt. Die bolivianische Revolution hat 2003 begonnen und muss 2007 vollendet werden.
„Die Bergarbeiter wurden brutal angegriffen. In Huanuni wurden Bergarbeiter, die in Genossenschaften arbeiten, von den Kapitalisten so manipuliert, dass sie versuchten 2 Minen gewaltsam zu besetzen. Die Bergarbeiter verteidigten sich. Im Zuge des blutigen Konflikts wurden 5 Genossen ermordet. Doch wir denken, dass es dieses Opfer wert war um die Minen zu retten.
„Nach dem Konflikt forderten wir die Arbeiter aus den Genossenschaften auf mit uns gemeinsam die Mine zu führen. In der Mine arbeiten nun 5.000 Menschen. Wir müssen eine Lösung für dieses Problem finden. Der einzige Ausweg lautet Verstaatlichung der Bergwerke unter Arbeiterkontrolle. Nur so können die Arbeitsplätze verteidigt und die Sicherheit der Arbeiter garantiert werden.“
Der nächste Redner lieferte eine große Überraschung. Es war Pater Dulce, ein junger Priester, der in Bälde zum Bischof ernannt werden soll. Statt einer schwarzen Kutte trug er ein gelbes T-Shirt der Bewegung der besetzten Betriebe. Er hielt eine der kämpferischsten Reden an diesem Tag. „Welche Freude für mich, an diesem historischen Treffen teilnehmen zu können“, so der Priester. „Arbeitszeitverkürzung ist der einzige Weg, auf dem sich die Menschen voll entfalten und ihr kulturelles und Bildungsniveau heben können.“
Mit der Bibel in der Hand übte er dann scharfe Kritik an den Reichen. Im Grunde wünschte er allen, die sich weigern die 30-Stunden-Woche zu akzeptieren, nichts weniger als das Höllenfeuer.
„Wir alle haben eine große Verantwortung, um eine vollständige Veränderung des Arbeitssystems zu erreichen. Unser globalisiertes System hat alles verändert. Es ist die Ursache des Elends, obwohl die Bedingungen dafür existieren, dass alle in Wohlstand leben könnten. Möge die Kraft Gottes Euch alle mit der Entschlossenheit erfüllen, die es braucht, damit wir die Forderungen der Arbeiter durchsetzen können. AMEN!“
Das Publikum war angesichts dieses unüblichen Segens begeistert.
In der Folge sprachen Lluis Perernau, Aktivist der UGT aus Barcelona und Paolo Brini von der italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM. Dann war Alan Woods an der Reihe:
„Genossen und Freunde, ich überbringe Euch im Namen der Internationalen Marxistischen Strömung die Grüße von Arbeitern, Gewerkschaftern und revolutionären Jugendlichen aus mehr als 30 Ländern auf fünf Kontinenten.
Vor mir sehe ich das wahre Gesicht der Arbeiterklasse: das Gesicht freier Männer und Frauen, die für ihre Rechte kämpfen. Die Gesellschaft ist in zwei sich feindlich gegenüber stehende Klassen gespalten: jene, die alles besitzen und nichts produzieren und jene, die nichts haben und alles produzieren. (Applaus)
Lasst mich Euch eine Frage stellen. Wie viele Reiche gibt es in Brasilien? Wie viele Reiche gibt es in Bolivien? Ihr wisst nicht wie viele, ich auch nicht. Doch ich weiß, dass es eine kleine Minderheit ist. Wir sind viele und sie sind wenige! Darin liegt unsere Stärke! (Applaus)
Doch es gibt eine andere Frage. Wie ist es möglich, dass eine so kleine Minderheit eine so große Mehrheit beherrschen kann? Es geht nicht mittels Waffengewalt. Wir wissen, dass der Staat ein Unterdrückungsinstrument einer Klasse über eine andere. Doch offene Repression ist nur das letzte Mittel, sie wird nur selten angewandt. Die Herrschaftsmethode ist eine andere.
Über Generationen hat die herrschende Klasse den Arbeitern eingeredet, dass sie die Industrie und die Gesellschaft nicht führen können. Die meisten Arbeiter sind davon voll und ganz überzeugt. Sie sagen: ‚Wie können wir die Industrie oder die Gesellschaft führen, wenn uns das nötige Wissen fehlt?‘
Dieses Problem wird durch die Tatsache verschärft, dass jene, die angeblich die Führer der Arbeiterklasse sind, diese Idee ständig wiederholen: ‚Seid vorsichtig! Wir können das nicht!‘
GenossInnen, ich habe eine Botschaft für Euch: JA, WIR KÖNNEN ES! (Applaus)
Vor langer Zeit sagte ein französischer Revolutionär: ‚Sie erscheinen nur in unseren Augen so mächtig, weil wir vor ihnen knien. Erheben wir uns! (Applaus)
Lasst uns aufstehen! Die Bevölkerung von Venezuela hat sich erhoben. Die Arbeiter in Bolivien haben sich erhoben. Und die ArbeiterInnen hier bei Cipla ebenfalls. Das ist die Antwort auf all die Reformisten und Skeptiker. (Applaus)
Genossen und Freunde, ich habe schon viele Fabriken in einer ganzen Reihe von Ländern gesehen. Ich habe aber noch nie eine so gut geführte, so saubere, so disziplinierte Fabrik wie diese gesehen. (Applaus.) Die Arbeiter haben diese Fabrik gut geführt und sind damit erfolgreich. Das ist die Antwort an all jene, die meinen, die Arbeiter könnten die Industrie nicht führen! Und ich frage Euch eins: Wenn die Arbeiterklasse eine Fabrik verwalten kann, warum soll sie dann nicht auch die ganze Gesellschaft verwalten können? (Beifallsrufe und Applaus)
Eigentlich wollte ich heute aus der Bibel zitieren, aber der Genosse Priester ist mir zuvorgekommen. (Gelächter) Deshalb will ich aus einem noch älteren Buch zitieren. Ich werden den griechischen Philosophen Aristoteles zitieren, der einst sagte: ‚Der Mensch beginnt zu philosophieren, wenn seine grundlegenden Bedürfnisse befriedigt sind. Deshalb wurden die Mathematik und die Astronomie in Ägypten erfunden, weil die ägyptischen Priester nicht arbeiten mussten.‘
Da habt Ihr es: historischer Materialismus 2400 Jahre vor Marx! Wollt Ihr die Antwort auf die von mir zu Beginn gestellte Frage wissen? Wie kann es sein, dass eine kleine Minderheit die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft beherrschen kann? Es ist, weil sie das Monopol auf Kultur, auf Kunst, auf Wissenschaft und die Regierung haben. Das ist das wahre Geheimnis der Klassengesellschaft.
Deshalb ist auch die heute hier getroffene Entscheidung von solch revolutionärer Bedeutung. Nur durch die Verkürzung der Arbeitszeit ist es möglich, dass die Arbeiterklasse die nötige Zeit hat, um sich die kulturellen und wissenschaftlichen Fähigkeiten anzueignen, die sie zur Verwaltung der Gesellschaft benötigt.
Lasst mich noch eine Begebenheit von Lenin zitieren, die Ihr vielleicht nicht kennt. 1919 organisierten die ArbeiterInnen in Bayern einen Aufstand und errichteten eine Räterepublik, die jedoch nur kurze Zeit überleben sollte. Als Lenin davon erfuhr, sandte er umgehend ein Telegramm an die Bayrische Räterepublik. Was schrieb er in diesem Telegramm? Es beinhaltet keine revolutionäre Rhetorik, keinen blumigen Phrasen, nur ein einziger Satz: ‚Führt sofort die 40-Stunden-Woche ein, sonst seid Ihr verloren.‘
In der Verkürzung der Arbeitszeit liegt eine enorme Bedeutung. Deshalb ist die Entscheidung der Cipla-Arbeiter auch derart wichtig. Die ganze Geschichte zeigt, dass es nicht möglich ist, eine Insel des Sozialismus in einem Meer des Kapitalismus aufzubauen. Wenn Ihr erfolgreich sein wollt, dann müsst Ihr rausgehen zu den anderen Fabriken, Büros, Dörfern, Schulen und erklären was Ihr hier macht. Ihr müsst Unterstützung aufbauen – nicht nur in Joinville und Santa Caterina, sondern in ganz Brasilien und darüber hinaus.
Es stimmt, dass große Verantwortung auf Euren Schultern lastet. Diese Konferenz kann in der Tat ein historischer Wendepunkt sein, wenn sie in konkrete Aktionen mündet. Wir dürfen nach der Konferenz nicht einfach nur nach Hause gehen und so weitermachen wie bisher. Diese Konferenz muss der Ausgangspunkt für eine landesweite und internationale Kampagne zur Unterstützung der besetzten Betriebe, für die Arbeiterkontrolle, für die Verstaatlichung des Landes, der Banken und der Großindustrie sein. Das ist der einzige Weg zur Lösung der grundlegenden Probleme der Arbeiterklasse!“ (Enthusiastischer Applaus)
Am Ende der Sitzung überreichten Mitglieder der Menschenrechtsorganisation Maria da Graca Braz der Bewegung der besetzten Betriebe einen Preis, der von Serge Goulart angenommen wurde. Am Ende ihrer Rede rief die Menschenrechtsaktivistin: „Lang lebe der Kampf der ArbeiterInnen in der ganzen Welt!“ Und die Delegierten erhoben sich mit einem lauten „Viva!“.
Joinville, 8. Dezember 2006
Panamerikanische Konferenz in Verteidigung von Beschäftigung, Rechten, Agrarreform und Industrie – Bericht vom zweiten und dritten Tag
Der zweite Tag der Konferenz begann mit der Vorstellung einer Reihe von führenden AktivistInnen der brasilianischen Arbeiterbewegung, GewerkschaftsführerInnen, Delegierten der MST (die brasilianische Landlosenbewegung) sowie weiterer KollegInnen, die eine Rede halten sollten.
Der Delegierte der EisenbahnarbeiterInnen verurteilte die Privatisierung und betonte, dass diese zur Vernichtung von 55.000 Arbeitsplätzen in Brasilien geführt hat. “Die Arbeiter werden nicht belohnt, während die Nichtarbeiter die Profite bekommen.” Er begrüßte wärmstens die ArbeiterInnen von Cipla und anderer besetzter Fabriken. “Sie sind eine Inspiration für uns alle, die wir für die Enteignung der Eisenbahnen unter Arbeiterkontrolle kämpfen.”
Paula Vilela, eine junge Arbeiterin, sprach für die ArbeiterInnen der besetzten Fabrik “Plascalp Produtos Cirurgios” in der Provinz Bahia. Sie erwähnte die unglaublich schlechten Arbeitsbedingungen unter dem Privatmanagement – schlechte Gesundheits- und Hygienevorkehrungen, Arbeitsunfälle, die durch andauernde Belastungen verursacht wurden, die Arroganz des Managements, das monatelang weder Löhne noch Sozialbeiträge ausbezahlte. Schließlich riss den ArbeiterInnen die Geduld. Die Belegschaft (insgesamt 1.100 ArbeiterInnen, davon 80% Frauen) entschied sich zu handeln.
“Bei den meisten von uns sind die Familien auf unser Einkommen angewiesen. Unsere Familien mussten bereits hungern, weil die Eigentümer der Fabrik uns noch drei Millionen Real in unausbezahlten Löhnen schuldeten. Sie erkannten diese Schuld nicht an. Wir gingen erfolglos vor Gericht. Letztendlich beschlossen wir die Fabrik zu übernehmen”. (Applaus und begeisterte Rufe: “Einheit! Einheit! Die vereinten Arbeiter werden nie besiegt!”)
Antonio, ein Arbeiterführer der Schuhmacher in Sao Paolo erzählte eine ähnliche Geschichte: “Im September schloss die Fabrik ihre Türen. Sie bezahlten den Arbeitern nichts mehr. Wir wurden mit leeren Händen zurückgelassen. Das ist der Grund warum ich hier bin – um von der Erfahrung der Arbeiter zu lernen, die ihre Fabriken besetzt haben. Wir kämpfen bloß für Arbeit und ein würdiges und gerechtes Leben”.
Das war auch der Inhalt der Rede des Delegierten der Arbeitslosenbewegung MTD. Er meinte, dass man zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Fabriksschließungen die Besetzung aller Fabriken Brasiliens unterstützen müsse.
Eine sehr treffende Rede wurde von Joao Francisco Juruna, dem Führer der MetalarbeiterInnen der Region Campinas nahe Sao Paolo, gehalten:
“Wir Arbeiter verstehen, dass die Verkürzung der Arbeitszeit revolutionäre Maßnahmen erfordert. Unter dem Kapitalismus bedeuten technologische Verbesserungen, dass eine Maschine die Arbeit, die früher von zehn Arbeitern getan wurde, jetzt mit bloß zwei Arbeitern getan werden kann. Das bedeutet wachsende Arbeitslosigkeit. Der einzige Weg dieses Problem zu lösen besteht darin die Arbeitsstunden zu reduzieren.
Brasilien steht auch einem anderen großen Problem gegenüber: der Agrarreform. Viele Bauern wurden gezwungen in die Städte zu ziehen um ihr Brot zu verdienen. Doch das löst gar nichts. Wir müssen eine große Bewegung organisieren, an der alle Arbeiter der verschiedenen Branchen und Fabriken teilnehmen, um der Regierung Agrarreform und Arbeitszeitverkürzung abzuringen. Dafür brauchen wir die CUT, an die unsere Gewerkschaft angegliedert ist.
Die andere Frage ist die Besetzung von Fabriken. Wir müssen alles in unserer Macht stehende tun, um sie mit dem zu versorgen, was sie zur weiteren Produktion brauchen. Wir akzeptieren keinerlei Angriffe auf die Arbeiterklasse von Seiten der Regierung. Die Regierung muss tun was die Arbeiter verlangen. Wir müssen alle Gesetze ablehnen, die Arbeiterrechte beschneiden.
Es ist eine neue Erfahrung für mich hier zu sein. Es war sehr wichtig und ich habe vor die Nachricht dieser Konferenz zu den Arbeitern von Campina und Sao Paolo zu bringen, um die Fahne des Kampfes selbst aufzugreifen.“ (Applaus)
Einheit von BäuerInnen und ArbeiterInnen
Einen besonders herzlichen Empfang bereitete die Konferenz dem Genossen Ravanelo von der MST, der wiederum den ArbeiterInnen von Cipla zu ihrer Entscheidung für die 30 Stunden Woche gratulierte: “Ihr seit die Vorhut der brasilianischen Arbeiterklasse. In den letzten vier Jahren haben wir bereits einige überwältigende Erfahrungen im gemeinsamen Kampf mit der Bewegung rund um die besetzten Betriebe gemacht. Im letzten Jahr organisierten wir einen siebzehntägigen Marsch nach Brasilia. Die Genossen aus den besetzten Betrieben marschierten Seite an Seite mit uns.
Genossen, wir sind nicht hierher gekommen, um bloß Reden zu schwingen. Wir wollen uns wirklich zusammenschließen. Unser ganzer Kampf ums Land hat uns überzeugt, dass wir gegen die Latifundistas [Großgrundbesitzer, Anm.] nicht allein gewinnen werden können. Die Globalisierung des kapitalistischen Systems hat die gesamte Situation verändert. Die Klassen der Großgrundbesitzer und der Kapitalisten verschwimmen. Die Latifundistas sind die Feinde der Arbeiter, und die Banker und Kapitalisten sind die Feinde der Bauernschaft. Sie sind der gemeinsame Feind. Wir müssen den Kampf auf dem Land mit jenem in den Städten verbinden.
Gestern sagte Roberto Chavez von der bolivianischen Bergarbeitergewerkschaft, dass Evo Morales mit einem sozialistischen Mandat gewählt wurde, und dass die bolivianische Bergarbeitergewerkschaft und das Volk von der Regierung verlangen, die privaten Minen zu enteignen. Diesem Beispiel müssen wir folgen!“ (Applaus.)
“Obwohl wir vier Jahre lange Lula an der Macht hatten – und er kommt aus der Arbeiterschaft und hat sich an ihrem Kampf aktiv beteiligt – wurden die grundlegenden Probleme nicht gelöst. Es gibt einige Leute auf der Linken, die davor warnen, Druck auf den Präsidenten auszuüben. Aber die Bourgeoisie tut das die ganze Zeit! Die Arbeiterklasse und die Bauernschaft müssen Lula dazu zwingen, eine Agrarreform durchzuführen und die Fabriken zu verstaatlichen.“ (Beifallrufe und Applaus.)
“Letztlich hängt alles von uns selbst ab: von unserer Entschlossenheit und Solidarität. Wir müssen lernen, unsere kleinlichen Differenzen beiseite zu lassen und uns im Kampf gegen unsere gemeinsamen Gegner zusammenzutun: gegen das Kapital und den bürgerlichen Staat. Deshalb, Genossen, mit allem Nachdruck möchte ich euch auffordern: Schließen wir uns zusammen – in ganz Lateinamerika und weltweit. Wenn sich die Arbeiterschaft und die Bauernschaft einmal einig sind, kann uns nichts aufhalten. Der Sieg wird unser sein!“
Unter enthusiastischem Applaus präsentierte Genosse Ravanelo der Bewegung der besetzten Betriebe die Fahne der MST, die an der Vorderseite des Saals aufgehängt wurde.
Serge Goulart kündigte nun die Ankunft weiterer Delegationen aus Uruguay und Venezuela an. „Gestern sagte ein Genosse einer besetzten Fabrik zu mir: ‘Bevor ich hierher kam, hatte ich mich isoliert gefühlt. Jetzt weiß ich mich nicht allein – wir kämpfen gemeinsam mit der restlichen Arbeiterklasse!’ Diese Worte drücken das tiefe Gefühl der Einheit und der Stärke aus, die diese Konferenz vom ersten bis zum letzten Tag auszeichneten.“
Genosse Goulart zollte der heroischen bolivianischen Arbeiterklasse Tribut, indem er die Namen jener fünf Bergarbeiter verlas, die vor kurzem in Huanuni bei blutigen Zusammenstößen mit Konterrevolutionären getötet worden waren. Nach der Verlesung jedes einzelnen Namens rief die ganze Konferenz „Anwesend!“
Er ging weiters auf die innenpolitische Situation Brasiliens ein und verurteilte dabei scharf die Entscheidung Lulas, mit bürgerlichen PolitikerInnen eine Koalition einzugehen: “Die einzige Koalition, die Lula eingehen soll, ist jene mit den gesellschaftlichen Kräften, die in diesem Saal vereint sind: Mit der Arbeiterklasse, der Bauernschaft und dem Volk im Allgemeinen. (Applaus und Beifallrufe.) Aber anstatt dessen bildet er eine Koalition mit den Bürgerlichen – das ist nicht der Weg, die Interessen des Volks zu vertreten. Die Bourgeoisie denkt nur an ihre Profite: Für sie sind die Menschen nur statistisches Material.“
Die abschließende Sitzung
Die abschließende Sitzung wurde am vergangenen Sonntag, den 10. Dezember, mit der Verlesung einer Reihe von Grußbotschaften eröffnet. Es gab leider nicht genügend Zeit, alle Botschaften zu verlesen, so viel Interesse hatte die Konferenz geweckt. Die Konferenz nahm die Nachricht aus den USA besonders warm auf. Leider konnte die US-Delegation aufgrund von organisatorischen Schwierigkeiten in letzter Minute nicht teilnehmen. Aber ihr Brief betonte ihre große Unterstützung für die Konferenz und ihre Bereitschaft zu Solidaritätsaktionen. Leider konnte auch Mario Bustamente, der Führer des bolivianischen Gewerkschaftsbunds COB, aus organisatorischen Gründen nicht anreisen.
Weitere Botschaften kamen von so weit entfernten Orten wie etwa der Türkei (von BergarbeiterInnen, Angestellten im Gesundheitsbereich und von Studierenden). Es gab auch viele Grußbotschaften von Arbeiter- und Bauernorganisationen von ganz Brasilien, ebenso wie einen Brief von Sanitarios Maracay (Venezuela) und der Bolivianischen Bergarbeitergewerkschaft, die durch vier führende Mitglieder an der Konferenz teilnahmen.
Die Delegierten hörten nun die Berichte aus den Unterkommissionen des Vortags. Eine Abschlusserklärung wurde verlesen und einstimmig angenommen. Der Text liegt bisher nur auf Portugiesisch vor, soll aber in der kommenden Woche übersetzt und veröffentlicht werden.
Roberto Chavez, Generalsekretär der Bolivianischen Minengewerkschaft sprach ganz zum Schluss. Er betonte wiederholt die eiserne Entschlossenheit der bolivianischen Minenarbeiter, für die Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle zu kämpfen. Dann überreichte er Serge Goulart einen bolivianischen Minenarbeiterhelm, ein Akt von großem symbolischen Wert – etwas, was nicht oft vorkommt. Dies zeigt die enorme Wichtigkeit, die die Bewegung für die besetzten Betriebe für die bolivianischen MinenarbeiterInnen besitzt, und den Einfluss den diese Konferenz zweifellos auf sie hatte.
In seiner Schlussrede, die Serge Goulart mit aufgesetztem Minenarbeiterhelm hielt, fasste er die dreitägige Konferenz zusammen. Neben anderen Punkten betonte er die absolute Notwendigkeit der freien Diskussion und Demokratie in der Arbeiterbewegung: “Unsere Bewegung benötigt die freie Diskussion und die Demokratie wie der menschliche Körper Sauerstoff benötigt. Fast 700 Delegierte wohnten dieser Konferenz bei und jeder konnte etwas dazu beitragen. Wir können es nicht erlauben, dass die Diskussion erstickt oder unsere Positionen verzerrt werden. Die Arbeiterklasse muss frei entscheiden was sie will und ihre Entscheidungen müssen souverän sein. Bei dieser Konferenz sind wir zusammengekommen, um unsere Sichtweisen und Erfahrungen auszutauschen und unsere Orientierung im Kampf genauer zu diskutieren.“
“Große Kämpfe stehen uns bevor”, sagte er und warnte, dass diese nicht leicht zu gewinnen sein würden. ”Ich habe gerade eben von einer Versammlung der Arbeitgeber hier in Joinville gehört in der diese besprechen wie sie auf unsere Entscheidung vom Freitag, die Arbeitszeit auf 30 Stunden zu verkürzen, reagieren sollen. Wir müssen vorbereitet sein. Wir müssen eine Kampfstrategie ausarbeiten. Wir müssen ein internationales Aktionskomitee gründen und uns ernsthaft organisieren.
Wenn uns organisieren, können wir gewinnen. Wir müssen das verrottete Profitsystem ein für alle mal begraben. Aber wenn wir das erreichen wollen, müssen wir auf jeden kleinsten Konflikt bauen, einen kleinen Sieg nach dem anderen erringen. Die oberste Priorität hat der Kampf für die Verteidigung der Arbeitsplätze. Wenn die Kapitalisten die Fabriken schließen, dann machen wir sie wieder auf. Die Fabriken den Arbeitern! Das Land den Bauern! Lang lebe der Kampf der Arbeiterklasse! Lang lebe der proletarische Internationalismus! Lang lebe der Sozialismus!”
Diese inspirierende Rede von Serge Goulart wurde mit spontanen standing ovations begrüßt. Es herrschte eine großartige Stimmung im Raum – die feste Entschlossenheit, ihre Sache bis zum Ende durchzukämpfen, hatte die Anwesenden erfüllt.
Joinville, 10. Dezember 2006