von Ted Grant und Alan Woods
Der eine oder andere wird sich vielleicht fragen, welchen Sinn es machen kann, ein Buch, das vor über 150 Jahren geschrieben wurde, noch einmal aufzulegen. Wie kann man eine neue Ausgabe des Kommunistischen Manifests rechtfertigen? Das Manifest ist zweifelsohne das Modernste, das man sich vorstellen kann. Und diese Aussage können wir auch ganz leicht beweisen. Nehmen wir nur irgendein bürgerliches Buch her, das ebenfalls vor eineinhalb Jahrhunderten über die selben Themen geschrieben wurde, so wird uns schon sehr schnell klar werden, daß solch eine Arbeit von rein historischem Interesse sein wird, ohne daß es von irgendeiner Relevanz für praktische politische Arbeit Ende des 20. Jahrhunderts sein würde. Das Manifest gibt uns aber eine tiefgreifende Analyse, die auf nur wenigen Seiten eine brilliante Erklärung der grundlegensten Phänomene der Gegenwart – und zwar weltweit – anzubieten hat.
Das Kommunistische Manifest ist heute relevanter als zu seinem Erscheinungsdatum vor über 150 Jahren. Zur Zeit von Marx und Engels war die Welt der großen multinationalen Konzerne lediglich Musik einer fernen Zukunft. Trotzdem sahen sie, wie das „freie Unternehmertum, und der Wettbewerb zwangsläufig zur Konzentration des Kapitals und zur Monopolisierung der Produktivkräfte führen würden. Hierin liegt eine der hervorragendsten und unantastbarsten Prognosen, die Karl Marx je entworfen hat.
Während der 80er Jahre erlebte die Idee des „small is beautiful, eine wahre Hochkonjunktur. An dieser Stelle wollen wir nicht über die relative Ästethik von groß und klein sprechen, es ist aber unbestreitbar, daß der Prozeß der Kapitalkonzentration, der von Marx vorhergesehen wurde, tatsächlich Realität geworden ist, noch immer Realität ist und mittlerweile im Laufe der letzten 10 Jahre unvorstellbare Ausmaße angenommen hat.
In den USA, wo dieser Prozeß wahrscheinlich am deutlichsten sichtbar ist, stellten 1994 die 500 größten Monopole ganze 92 Prozent des gesamten Nationaleinkommens. Weltweit machen die 1000 größten Unternehmen ein Drittel der gesamten Profite. In den USA besitzen 0″5% der reichsten Familien die Hälfte aller von Privaten gehaltenen Finanztitel. Das reichste Prozent der US-Bevölkerung erhöhte seinen Anteil am Volkseinkommen von 17″6 Prozent im Jahre 1978 auf erstaunliche 36″3 Prozent im Jahre 1989.
Der Prozeß der Zentralisierung und Konzentration des Kapitals hat mittlerweile Ausmaße angenommen, von denen man bisher nicht einmal zu träumen wagte. Die Zahl der Firmenübernahmen hat in allen Industrieländern einen wahrhaft atemberaubenden Charakter angenommen. 1995 hat die Zahl dieser Takeovers alle bisherigen Rekorde gebrochen. Die Mitsubishi Bank und die Bank of Tokyo fusionierten zur weltweit größten Bank. Zwischen der Chase Manhattan und der Chemical Bank entstand die größte Bankengruppe der USA mit 297 Mrd. US-Dollar an gemeinsamen Reserven. Wir könnten hier Beispiele aus praktisch allen Wirtschaftsbereichen bringen. Überall, auch in Europa, entstehen riesige Konzerne, die den Markt beherrschen. In etlichen Fällen gehen diese Firmenübernahmen und Fusionen Hand in Hand mit allen nur vorstellbaren zweifelhaften Praktiken – Insidergeschäfte, Fälschung von Aktienpreisen und Betrug.
Diese Kapitalkonzentration bedeutet aber nicht, daß die Produktion wächst. Ganz im Gegenteil, in all diesen Fällen geht es nicht um eine Steigerung der Investition in neue Fabriken und Maschinen, sondern um die Schließung bestehender Anlagen und Verwaltungseinheiten und die Entlassung von großen Teilen der Belegschaften mit dem Ziel, die Profitraten ohne Produktionsausweitung zu erhöhen.
Die Geißel der Arbeitslosigkeit
Im Gegensatz zu den Illusionen der Arbeiterführer der Vergangenheit ist die Massenarbeitslosigkeit wieder Alltag und verbreitet sich wie ein Krebsgeschwür der modernen Gesellschaft über den gesamten Erdball. Den Vereinten Nationen zufolge liegt die Zahl der Arbeitslosen weltweit bei 120 Millionen. Wie alle offiziellen Arbeitslosenstatistiken unterschätzt auch diese Zahl das wahre Ausmaß der realen Situation noch um etliches. Wenn man das Phänomen der verschiedensten Arten an „marginalisierten Jobs, in Betracht zieht, kann man von 1 Milliarde Arbeitslosen und Unterbeschäftigten ausgehen.
Geht man nach den offiziellen Statistiken, haben wir in Westeuropa 18 Millionen Arbeitslose, das sind 10″6 Prozent der Erwerbsbevölkerung. In Spanien liegt die Arbeitslosenrate bei unvorstellbaren 20 Prozent. Selbst in Deutschland, dem „starken Mann in Europa“, hat die Arbeitslosigkeit erstmals seit den Tagen der Machtübernahme durch Hitler die 4″5 Millionen-Grenze durchstoßen. Auch in Japan steigt die Arbeitslosigkeit zum ersten Mal seit den 30ern. Das Image Japans als Vollbeschäftigungsparadies ist längst Vergangenheit. Nach offiziellen Angaben liegt die japanische Arbeitslosenrate bei nur 3 Prozent, was aber völlig an der Realität vorbeigeht. Würden die selben Kriterien verwendet, wie sie für die anderen Industriestaaten üblich sind, würde diese Rate bei 8-10 Prozent liegen.
Diese Arbeitslosigkeit ist alles andere als eine Art der zyklischen Arbeitslosigkeit, an die sich die Arbeiter in der Vergangenheit gewöhnt haben; und sie verschwindet auch nicht, wenn die Wirtschaft wieder einen Aufschwung durchlebt. Der gegenwärtige Boom in den USA dauert nun schon mehr als sechs Jahre, die weltweite Arbeitslosigkeit sinkt aber trotzdem kaum. Jeden Tag berichten die Zeitungen von neuen Fabriksschließungen und Entlassungen („downsizing“, wie das heute so schön genannt wird), was oft auch eine Begleiterscheinung der oben skizzierten Firmenübernahmen ist. Es handelt sich hier auch nicht um die von Marx als „industrielle Reservearmee, bezeichnete Form der Arbeitslosigkeit, die aus kapitalistischer Sicht durchaus eine positive Rolle spielt. Nein, hier haben wir es mit einem völlig neuen Phänomen zu tun – einer permanenten, strukturellen, organischen Arbeitslosigkeit, die selbst in Zeiten eines Wirtschaftsaufschwungs nicht abnimmt.
Außerdem betrifft diese Arbeitslosigkeit auch Teile der Gesellschaft, die davon in der Vergangenheit nie betroffen waren: Lehrer, Ärzte, Krankenschwestern, Bankangestellte, Wissenschafter und selbst Manager. Eine Stimmung der völligen Unsicherheit hat sich praktisch in der gesamten Gesellschaft breitgemacht. In jedem Land setzt die Bourgeoisie auf die selbe Politik: „Wir müssen die öffentlichen Ausgaben kürzen!, Das war das Motto der Konservativen, gehört mittlerweile aber genauso zum Standardrepertoire der Sozialdemokratie. Das ist kein Zufall. Jede Regierung in der kapitalistischen Welt, egal ob „links, oder „rechts“, betreibt in der Praxis diese Politik. Nicht etwa, weil einzelne Politiker so „böse“ oder so „dumm“ wären (auch wenn es daran absolut nicht mangelt!), sondern weil dies nichts anderes als ein deutlicher Ausdruck für die Sackgasse ist, in welcher sich das kapitalistische System befindet.
In der Periode des langen Wirtschaftsaufschwungs zwischen 1948 und 1973 konnte die Bourgeoisie – zumindest teilweise und für eine bestimmte Zeit – die beiden Grundwidersprüche des Kapitalismus überwinden, die beide wie kolossale Bremsen auf den gesellschaftlichen Fortschritt wirken: das Privateigentum an Produktionsmitteln und der Nationalstaat. Die durch den Kapitalismus ermöglichte enorme Weiterentwicklung der Produktionsmittel hat diese engen Grenzen längst schon durchstoßen. Das ist die wirkliche Erklärung für die derzeitige Krise. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte die Bourgeoisie durch die Anwendung keynesianistischer Politik einerseits und eine gewaltige Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung (und darin einhergehend einer bisher ungekannten Expansion des Welthandels) andererseits, dieses Problem zu lösen. Nun haben diese beiden Prozesse ihrerseits jedoch wiederum ihre Grenzen erreicht. Keynesianistische Politik, wie sie heute noch immer von den Linksreformisten gefordert wird, führte zu einer regelrechten Explosion der Inflation und untragbaren öffentlichen Haushaltsdefiziten – und zwar in allen Ländern. Marx erklärte bereits im Kapital, wie der Kapitalismus durch den Einsatz des Kredits seine Grenzen überschreiten kann. Diese Politik kann aber nicht unendlich fortgesetzt werden. Deshalb sind sie nun gezwungen, diesen Prozeß umzukehren und die öffentlichen Ausgaben radikal zu kürzen. In anderen Worten, sie kehren zurück zu einer Situation, die wir bereits in den 20ern und 30ern hatten. Das ist ein perfektes Rezept für neue Klassenkämpfe!
Indem sie aber die Staatsausgaben kürzen, verringern sie gleichzeitig auch die Nachfrage und beschneiden so den gesamten Markt – und zwar gerade zu einer Zeit, wo bürgerliche Ökonomen zugeben, daß wir weltweit ein ernsthaftes Problem namens Überproduktion („Überkapazitäten“) haben. Auf diese Art und Weise wird die Basis für eine tiefe Wirtschaftskrise in der kommenden Periode gelegt. Das ist Folge der Tatsache, daß das kapitalistische System in der Vergangenheit seine Grenzen zu überschreiten versuchte. Und wie Marx erklärte, kann die Bourgeoisie ihre Krisen nur lösen, indem „sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“
Sozialismus und Internationalismus
In den letzten Jahren haben die Ökonomen sehr viel über „Globalisierung, geschrieben, in der sie die Kraft sahen, die den Zyklus aus Boom und Slump für allemal beseitigen könnte. Diese Träume wurden durch den Börsencrash im Oktober 1997 und die Krise der sogenannten Tigerstaaten schwer erschüttert. Während ich diese Zeilen schreibe, wird gerade die Nachricht vom Zusammenbruch der wichtigen japanischen Finanzgesellschaft Yamaichi Securities Co. bekanntgegeben. Das hat tiefgreifende Auswirkungen auf den Rest der Welt, da ein Zusammenbruch des Finanzsystems in Japan auch die USA in eine Rezession stürzen könnte. Die Krise in Asien trifft Japan besonders schwer, da nicht weniger als 44 Prozent seiner Exporte in diese Region gehen. Durch den Börsencrash wurde die längst unter der Oberfläche schwelende Schwäche des japanischen Bankensystems deutlich sichtbar. Dies ist von umso größerer Bedeutung, wo doch Japan der weltweit größte Kreditgeber ist. Man schätzt, daß die fünf größten Banken Japans eigentlich zahlungsunfähig sind. Der wichtigsten japanischen Wirtschaftszeitung Nihon Keizai Shimbun zufolge machen die „faulen Kredite, japanischer Banken bereits unvorstellbare 1″5 Billionen Yen aus. Selbst hochrangige Mitarbeiter der japanischen Nationalbank haben bereits zugegeben, daß die Gefahr eines finanziellen Zusammenbruchs durchaus besteht. Falls solch eine Krise zu einem massiven Abzug japanischen Kapitals aus den USA führt, hätte das katastrophale Auswirkungen.
All das zeigt die Kehrseite der „Globalisierung“. In dem Ausmaß, in dem sich das kapitalistische System zu einer Weltwirtschaft weiterentwickelt, werden auch die Bedingungen für eine verheerende Weltwirtschaftskrise gelegt. Eine Krise in einem wichtigen Teil der Weltwirtschaft (in diesem Fall in Asien) weitet sich rasch auf andere Teile aus. Anstatt den Boom-Slump-Zyklus aufzuheben, gibt ihm die Globalisierung einen noch viel universelleren Charakter.
Jeder, der das Manifest liest, kann sehen, daß Marx und Engels diese Situation schon vor 150 Jahren vorhersahen. Sie erklärten schon damals, daß sich der Kapitalismus als weltweites System entwicklen müsse. Die gegenwärtigen Entwicklungen bestätigen diese Analyse völlig. Gegenwärtig kann niemand die absolute Herrschaft des Weltmarktes leugnen. Dies ist das entscheidenste Phänomen der Epoche, in der wir leben. Es ist die Epoche globaler Ökonomie, globaler Politik, globaler Kultur, globaler Diplomatie und nicht zu vergessen, der Weltkriege. Im Laufe des 20. Jahrhunderts mußten wir bereits zwei Weltkriege als Folge der kapitalistischen Krise erleben. Der Zweite Weltkrieg kostete circa 55 Millionen Menschen das Leben und führte beinahe zur totalen Zerstörung jeglicher menschlicher Zivilisation.
Der Sozialismus wird international sein oder er wird gar nicht sein. Aber der sozialistische Internationalismus ist nicht das Produkt irgendeiner Gefühlsduselei, er ist nicht einfach nur eine „nette Idee“. Er ist direktes Resultat der wissenschaftlichen Analyse von Marx und Engels, die erklärten, daß die Schaffung des Nationalstaats – eine der historisch betrachtet progressivsten Leistungen der Bourgeoisie – unvermeidlich zu einem System des Welthandels führen würde. Die unglaubliche Entwicklung der Produktionsmittel im Kapitalismus kann nicht in den engen Grenzen des Nationalstaats aufrechterhalten werden. Deshalb sind alle kapitalistischen Länder, mögen sie auch noch so groß sein, gezwungen, auf dem Weltmarkt mitzumachen.
Der Widerspruch zwischen dem enormen Potential der Produktivkräfte und der alles erstickenden Zwangsjacke des Nationalstaats wurde 1914 und 1939 auf dramatische Art und Weise offensichtlich. Diese blutigen Erschütterungen sind Beweis genug, daß das kapitalistische System seine fortschrittliche Rolle längst schon verloren hat. Es gibt aber nicht so etwas wie eine „Endkrise“ des Kapitalismus, in dem Sinne, daß es zu einem automatischen Zusammenbruch des Systems kommen würde. Um die Veränderung der Gesellschaft zu Ende zu führen, ist es nicht ausreichend, daß das alte System in der Krise steckt. So schwer die Krise auch sein mag, es gibt mächtige Interessen, die den Status quo mit allen Mitteln verteidigen werden, weil es um ihr Einkommen, ihre Privilegien und ihr Prestige geht. Aus genau diesen Gründen schrieben Marx und Engels das Manifest nicht als abstraktes Dokument, sondern als klaren Aufruf zur Aktion, nicht als Lehrbuch, sondern als ein Programm zum Aufbau einer revolutionären Partei.
Der Kapitalismus kann nur gestürzt werden, wenn sich die Arbeiterklasse als Klasse zur Verteidigung ihrer Interessen organisiert. Über Jahrzehnte haben die ArbeiterInnen aller Länder, vor allem in den entwickelten kapitalistischen Staaten, starke Organisationen aufgebaut – Arbeiterparteien und Gewerkschaften. Diese Organisationen existieren aber in keinem Vakuum. Sie sind permanent dem Druck der herrschenden Klasse ausgesetzt, was sich vor allem in ihren Führungsspitzen deutlich widerspiegelt.
Der Bankrott des Nationalismus im allgemeinen und dieser schrecklichen Verwirrung namens „Sozialismus in einem Land, im speziellen zeigte sich im Zusammenbruch des Stalinismus und schon zuvor in der Teilnahme der chinesischen und der russischen Bürokratie am Weltmarkt. All die Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, die ihre formale Unabhängigkeit erkämpfen konnten, sind nun wieder durch die Mechanismen des Welthandels an ihre alten Herren gekettet.
Jede halbwegs intelligente Person muß erkennen, daß die freie Entwicklung der Produktivkräfte eine Vereinigung aller nationalen Volkswirtschaften durch einen gemeinsamen Plan erfordert. Nur so wäre ein harmonischer Einsatz aller Ressourcen dieses Planeten im Interesse aller möglich. Das ist so offensichtlich, daß selbst bürgerliche Wissenschaftler und Experten zu diesem Schluß kommen, die zwar nichts mit dem Sozialismus auf dem Hut haben, aber über die katastrophalen und erniedrigenden Bedingungen, unter denen zwei Drittel der Menschheit leben müssen, und die Gefahren einer totalen Zerstörung unserer Umwelt völlig erschüttert sind.
Leider fallen ihre gutgemeinten Empfehlungen auf taube Ohren, da sie in klarem Widerspruch zu den Interessen der großen, den Weltmarkt beherrschenden multinationalen Konzerne stehen. Und deren Kalkulationen basieren sicher nicht auf der Bedürfnisbefriedigung der Menschheit oder der Sicherung der Zukunft dieses Planeten, sondern ausschließlich auf der Gier und der Suche nach noch mehr Profit.
Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts spitzen sich die nationalen Widersprüche, das ganze Gerede von Globalisierung hin oder her, immer mehr zu. Vor 10 Jahren exportierten die USA lediglich 6 Prozent ihres BIP. Heute liegt die Rate bei 13 Prozent, und Washington plant einen weiteren Anstieg auf bis zu 20 Prozent im Jahre 2000. Das ist eine klare Kriegserklärung an den Rest der Welt, allen voran Japan – kein militärischer, sondern ein Handelskrieg kündigt sich da an. In der Vergangenheit hätten die bereits bestehenden Spannungen zwischen den USA und Japan wahrscheinlich schon längst zu einem Krieg geführt. Durch die Existenz riesiger Atomwaffenbestände ist jedoch ein Krieg zwischen den großen kapitalistischen Mächten ausgeschlossen. Die gegenwärtige Krise kann daher nicht wie 1914 oder 1939 gelöst werden. Da ein militärischer Konflikt unter diesen Bedingungen nicht möglich ist, werden die internen Widersprüche innerhalb eines jeden kapitalistischen Landes immer stärker werden. Die herrschende Klasse hat keine andere Option, als das gesamte Gewicht der Krise auf die Schultern der Arbeiterklasse zu legen.
Mit unvorstellbarer Voraussicht nahmen die Autoren des Manifests die Bedingungen vorweg, unter denen heute die Arbeiterklasse aller Länder leben muss. Marx und Engels schrieben damals: „Die Arbeit der Proletarier hat durch die Ausdehnung der Maschinen und die Teilung der Arbeit allen selbständigen Charakter und damit allen Reiz für die Arbeiter verloren. Er wird ein bloßes Zubehör der Maschine, von dem nur der einfachste, eintönigste, am leichtesten erlernbare Handgriff verlangt wird. Die Kosten, die der Arbeiter verursacht, beschränken sich daher fast nur auf die Lebensmittel, die er zu seinem Unterhalt und zur Fortpflanzung seine Race bedarf. Der Preis einer Ware, also auch der Arbeit, ist aber gleich ihren Produktionskosten. In demselben Maße, in dem die Widerwärtigkeit der Arbeit wächst, nimmt daher der Lohn ab. Noch mehr, in demselben Maße nimmt auch die Masse der Arbeit zu, sei es durch Vermehrung der Arbeitsstunden, sei es durch Vermehrung der in einer gegebenen Zeit geforderten Arbeit, beschleunigten Lauf der Maschine usw., (S.22/23, Dietz Verlag Berlin 1969)
Heute nehmen die USA die gleiche Stellung ein, die Großbritannien zur Zeit von Karl Marx innehatte – die des am meisten entwickelten kapitalistischen Landes. Das heißt, dass die allgemeinen Tendenzen des Kapitalismus in diesem Land am deutlichsten zu Tage treten. In den letzten 20 Jahren sind die Reallöhne der US-Arbeiter um ganze 20 Prozent gesunken, und das gleichzeitig mit einer 10%igen Verlängerung des Arbeitstages. Der gegenwärtige Boom ging also voll auf Kosten der Arbeiterklasse. Ein durchschnittlicher amerikanischer Arbeiter arbeitet jährlich alleine 168 Überstunden – was fast einem ganzen Monat an zusätzlicher Arbeit entspricht. Das trifft vor allem auf die Automobilindustrie zu, wo ein 9-Stunden-Tag und eine 6-Tage-Woche zur Norm gehören. Einer Berechnung der US-Gewerkschaften zufolge könnten allein in dieser Branche durch eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 40 Stunden pro Woche ganze 59.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Ein Artikel aus dem Time-Magazin (24/10/94) führt dazu weiter aus: „Arbeiter beklagen sich, daß für sie die wirtschaftliche Expansion nur mehr Erschöpfung bedeutet. In der gesamten amerikanischen Industrie setzen die Unternehmen auf Überstunden, um das Maximum an Arbeit aus den Arbeitern der USA herauszupressen: die durchschnittliche Arbeitswoche erreicht nun den Rekordwert von 42 Stunden, einschließlich 4″6 Überstunden.,
Dieser Artikel zitiert auch den Fall von Joseph Kelterborn, einem Arbeiter bei Fibre Optics, der in Folge von Personalabbau durchschnittlich 4 Überstunden pro Tag machen muss und dann auch noch jedes dritte Wochenende arbeitet: „Wenn ich nach Hause komme“, beklagt er sich, „habe ich gerade einmal Zeit, mich zu duschen, zu essen und ein wenig zu schlafen; bald darauf muss ich wieder aufstehen, und alles beginnt wieder von vorne.“
Der schreckliche Druck durch die Überstundenarbeit, die fallenden Löhne, den gesteigerten Produktionsrhythmus usw. hat ernste Auswirkungen auf die Lebensqualität der Arbeiterfamilien. In den USA ist wie auch in anderen Ländern die Geburtenrate von 2″5 Kinder pro Familie Anfang der 60er Jahre auf 1″8 Kinder Ende der 80er Jahre gesunken. Die Zahl der Scheidungen hat sich von den 70ern bis heute verdoppelt. 60 Prozent aller Ehen werden heute geschieden. Selbst die Lebenserwartung, die bis 1980 immer gestiegen ist, stagniert nun.
Eine ähnliche Situation haben wir in Großbritannien, wo unter Thatcher 2″5 Millionen Arbeitsplätze in der Industrie zerstört wurden und trotzdem das gleiche Produktionsniveau gehalten wurde. Das wurde nicht durch den Einsatz neuer Maschinen, sondern rein durch die verstärkte Ausbeutung der britischen Arbeiter erreicht. Der Verlust einer sicheren Beschäftigung fürs ganze Leben hat eine regelrechte Epidemie an stressbedingten Krankheiten ausgelöst.
1994 gingen in Großbritannien 175 Millionen Arbeitstage durch Krankheit verloren – fast 8 Arbeitstage pro Arbeiter. Die Zahl der Rezeptverschreibungen ist in einem Jahr um 11″7 Millionen angestiegen (1995). „Stress, Verkehrsstaus und Umweltverschmutzung töten Berufsfahrer in Großbritannien“, so The Record, die Zeitung der Transportarbeitergewerkschaft TGWU. Eine Studie dieser Gewerkschaft zeigt, dass 30 Prozent aller Fahrer zugaben, am Steuer schon einmal kurz eingenickt zu sein und fast 45 Prozent davon hatten dadurch schon Unfälle. Ähnliche Beispiele könnten für jedes kapitalistische Land angeführt werden.
Die Marx’sche Methode
Die erstaunliche Genauigkeit, mit der Marx und Engels im Manifest Vorhersagen machten, sind aber kein Zufall, sondern Ergebnis der wissenschaftlichen Methode des Marxismus – des dialektischen Materialismus und seiner Anwendung auf die menschliche Geschichte, bekannte als historischer Materialismus. Die Grundlage der marxistischen Theorie wurde bereits in den Frühschriften, wie der Heiligen Familie und Die Deutsche Ideologie gelegt.
Wir müssen uns im klaren sein, dass Sozialismus oder Kommunismus nicht etwas ist, das mit Marx und Engels begann. Schon vor den beiden gab es große Denker, die die Idee einer klassenlosen Gesellschaft auf der Grundlage des Gemeineigentums vertraten: Robert Owen, Fourier, Saint-Simon und andere. Im 16. Jahrhundert schrieb Thomas Morus sein bekanntes Buch Utopia, das eine kommunistische Gesellschaft beschreibt. Schon zuvor organisierten sich die ersten Christen etwa in Gemeinschaften, in denen Privateigentum rigoros abgelehnt wurde.
Marx und Engels charakterisierten all diese Strömungen als Utopischen Sozialismus, dem sie den Wissenschaftlichen Sozialismus gegenüberstellten. Worin liegt nun der Unterschied? Für die utopischen Sozialisten war der Sozialismus ganz einfach eine „gute Idee“, etwas, das aus moralischer Sichtweise anzustreben sei. Die Menschen müssten davon nur noch überzeugt werden. Hätten sie recht, dann wäre es auch schon vor 2000 Jahren möglich gewesen, solch eine neue, klassenlose Gesellschaft aufzubauen. Das hätte der Menschheit zweifelsohne sehr viele Probleme erspart!
Marx und Engels erklärten, dass der Sozialismus eine materielle Basis hat, die vom Entwicklungsniveau der Produktivkräfte abhängt – Industrie, Landwirtschaft, Wissenschaft und Technik. Der historische Materialismus besagt, dass die historische Entwicklung in letzter Konsequenz durch die Entwicklung dieser Bereiche bestimmt wird. Der Marxismus wird kritisiert, dass er – angeblich – „alles auf die Ökonomie reduziert“. Die Autoren des Manifests beantworteten diesen absurden Vorwurf ganz klar, wie folgender Auszug aus einem Brief von Engels an Joseph Bloch deutlich macht:
„…Nach materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens. Mehr hat weder Marx noch ich je behauptet. Wenn nun jemand das dahin verdreht, das ökonomische Moment sei das einzig bestimmende, so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende, abstrakte, absurde Phrase. Die ökonomische Lage ist die Basis, aber die verschiedenen Momente des Überbau – politische Formen des Klassenkampfs und seine Resultate – Verfassungen, nach gewonnener Schlacht durch die siegende Klasse festgestellt usw. – Rechtsformen und nun gar die Reflexe aller dieser wirklichen Kämpfe im Gehirn der Beteiligten, politische, juristische, philosophische Theorien, religiöse Anschauungen und deren Weiterentwicklung zu Dogmensystemen üben auch ihre Einwirkung auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus und bestimmen in vielen Fällen vorwiegend deren Form., (MEW, Band 37, S. 463)
Selbstverständlich spielen Religion, Politik, Moral, Philosophie usw. eine wichtige Rolle im historischen Prozess. Nichtsdestotrotz ist der Erfolg eines gegebenen sozioökonomischen Systems abhängig von seiner Fähigkeit, die Grundbedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Männer und Frauen brauchen zuerst einmal Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf, dann erst kommen religiöse, politische oder philosophische Ideen. Von Anfang an mussten die Menschen kämpfen, um diese Bedürfnisse decken zu können, und das gilt auch heute noch für die übergroße Mehrheit der Menschheit.
Ab einem gewissen Zeitpunkt entsteht die Arbeitsteilung, die Hand in Hand geht mit der Teilung der Gesellschaft in Klassen. Das stellt einen großen Fortschritt vorwärts dar und erlaubt die Anhäufung eines Mehrprodukts, das von einer Klasse angeeignet wird. Diese Klasse ist nun von der Notwendigkeit, zu arbeiten, befreit. Sie wird zur herrschenden Klasse, die von der Arbeit anderer lebt: In der Antike waren diese „anderen, die Sklaven; später im Feudalismus die Leibeigenen; und schließlich im Kapitalismus die Proletarier.
Trotz all des Horrors, der Ungerechtigkeiten und Leiden, die man mit der Klassengesellschaft in Verbindung bringen kann und muss, spielte diese aus marxistischer Sicht, sprich aus wissenschaftlicher und nicht aus moralistischer Sicht, eine progressive Rolle, indem sie die Gesellschaft weiter brachte. Die wichtigsten wissenschaftlichen, künstlerischen und philosophischen Errungenschaften im antiken Griechenland und Rom basierten auf der Arbeit von SklavInnen, die von den Römern „instrumentum vocale, (also „Werkzeug mit Stimme“) genannt wurden – wobei diese Bezeichnung aus der Sichtweise der Kapitalisten auch auf viele moderne ArbeiterInnen anzuwenden wäre). Der von der Arbeit der ausgebeuteten Klassen produzierte Überschuss reichte aus, um eine Minderheit von Ausbeutern zu emanzipieren, nicht aber um die Befreiung der Mehrheit zu ermöglichen, deren Sklavenarbeit eine Grundbedingung für den Aufstieg der Zivilisation darstellte, was nur durch die Entwicklung der Produktionsmittel möglich wurde.
Marx und Engels entdeckten eines der wichtigsten Gesetze gesellschaftlicher Entwicklung, das allein imstande ist, die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zu erklären. Es erklärt, dass eine Gesellschaft nur solange überleben kann, solange sie die Produktivkräfte weiterentwickelt bzw. dass keine Gesellschaftsform verschwindet, bevor sie nicht das in ihr vorhandene Entwicklungspotential ausgeschöpft hat. In diesem Sinne könnte man ein sozioökonomisches System mit einem lebenden Organismus vergleichen. Es ist nichts statisches und für alle Zeiten fixes, wie uns die Verteidiger des Kapitalismus glauben machen wollen. Wie jedes andere gesellschaftliche System wurde der Kapitalismus geboren, er entwickelte sich, erlangte seine volle Reife, stieß in der Folge an seine Grenzen und befindet sich nun in einem tödlichen Niedergang.
Sobald wir uns auf einen wissenschaftlichen Standpunkt stellen, wird es erstmals möglich, die Geschichte nicht nur als sinnlose und unlogische Kette von Ereignissen zu verstehen, die ausschließlich durch den Zufall oder die Aktivitäten „großer Persönlichkeiten, (auch wenn der subjektive Faktor in der Geschichte natürlich unter bestimmten Umständen eine ganz entscheidende Rolle spielt) bestimmt wird. Wir können in der Geschichte plötzlich einen Prozess erkennen, der durch Gesetze regiert wird, ähnlich jedem anderen Bereich in der Natur.
Wie auch Charles Darwin erklärte, dass die Spezien nicht unveränderlich sind und dass sie eine Vergangenheit, eine Gegenwart und eine Zukunft haben, indem sie sich verändern und entwickeln, so erklärten Marx und Engels, dass ein gegebenes gesellschaftliches System nicht auf ewige Zeiten gleichbleibt. Genau darin liegt aber die größte Illusion einer jeden Epoche. Jedes gesellschaftliche System glaubt, dass es die einzig mögliche Form für die Existenz von Menschen darstellt, dass seine Institutionen, seine Religion, seine Moral das letzte gesprochene Wort seien. Das ist genau das, was uns die Bourgeoisie mit all ihren Propagandisten heute zu beweisen versucht, dass die „freie Marktwirtschaft, das einzig mögliche System sei.
Reform und Revolution
Heutzutage ist die Idee einer „evolutionären, Entwicklung allgemein anerkannt. Die Ideen Darwins, so revolutionär sie zu seiner Zeit auch waren, werden heute als Binsenweisheit akzeptiert. Evolution wird gleichgesetzt mit einem langsamen und allmählichen Prozess der ohne Unterbrechungen und gewaltsame Umwälzungen vor sich geht. In der Politik wird dieses Argument oft als Rechtfertigung für den Reformismus angewandt. Leider basiert dies auf einem nicht unwesentlichen Missverständnis, was gar so überraschend ist, weil Darwin es selbst nicht verstand. Erst im letzten Jahrzehnt, etwa mit den neuen Entdeckungen in der Paläontologie durch Stephen J. Gould, der die Theorie der unterbrochenen Gleichgewichte erarbeitete, konnte aufgezeigt werden, dass die Evolution kein geradliniger Prozess ist. Es gibt lange Perioden, in denen keine großen Veränderungen zu beobachten sind, aber ab einem gewissen Moment wird die Evolution durch eine Explosion, eine richtiggehende biologische Revolution, unterbrochen, die sich durch ein massenhaftes Aussterben einiger Spezies und dem rasanten Aufstieg anderer auszeichnet.
Die Analogie zwischen der Gesellschaft und der Natur hat natürlich ihre Grenzen. Selbst die oberflächlichste Beobachtung der Geschichte zeigt uns aber, dass eine gradualistische Interpretation jeglicher Grundlage entbehrt. Die Gesellschaft kennt, wie auch die Natur, lange Perioden langsamer und gradueller Veränderung, aber auch hier wird die Linie durch explosive Entwicklungen – Kriege und Revolutionen – unterbrochen, in denen der Veränderungsprozess enorm beschleunigt wird. In der Tat sind es diese Ereignisse, die als „Lokomotiven“ der geschichtlichen Entwicklung angesehen werden können.
Einer der am häufigsten zitierten Sätze im Manifest lautet wie folgt: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen., (S. 10) Was verstehen wir unter Klassenkampf? Nicht mehr und nicht weniger als den Kampf um die Verteilung des von der Arbeiterklasse produzierten Mehrwerts. Und dieser Kampf bleibt unvermeidlich, solange die Produktivkräfte nicht ein ausreichendes Entwicklungsniveau erreicht haben, um die Abschaffung der Armut und der Güterknappheit nicht nur für eine privilegierte Minderheit, sondern für die gesamte Menschheit möglich zu machen. Sozialismus ist daher nicht nur eine „nette Idee“, die in jeder x-beliebigen Situation realisiert werden kann, wenn die Menschen das auch wirklich wollen. Der Sozialismus hat eine materielle Basis, die sich auf den Stand der Entwicklung der Industrie, der Landwirtschaft, der Wissenschaft und der Technologie stützt.
Schon in der Deutschen Ideologie aus den Jahren 1845/46 erklärten Marx und Engels, dass „…eine große Steigerung der Produktivkraft, einen hohen Grad ihrer Entwicklung voraussetzt – und andrerseits ist diese Entwicklung der Produktivkräfte (womit zugleich schon die in weltgeschichtlichem, statt der in lokalem Dasein der Menschen vorhandene empirische Existenz gegeben ist) auch deswegen eine absolut notwendige praktische Voraussetzung, weil ohne sie nur der Mangel verallgemeinert, also mit der Notdurft auch der Streit um das Notwendige wieder beginnen und die ganze alte Scheiße sich herstellen müßte“… (MEW, Band 3, S. 34/35)
Unter „die ganze alte Scheiße, verstehen Marx und Engels Ungleichheit, Ausbeutung, Unterdrückung, Korruption, Bürokratie, den Staat und all das andere Böse in der Welt der Klassengesellschaft.
Heute, nach dem Ende des Stalinismus in Russland, unternehmen die Feinde des Sozialismus alles, um zu zeigen, dass die Ideen des Marxismus nicht in die Praxis umgesetzt werden können. Dabei übersehen sie sehr gerne das kleine Detail, dass Russland vor 1917 ein extrem rückständiges Land, vergleichbar mit Indien, war. Lenin und die Bolschewiki, die natürlich mit den Marx-Schriften allesamt sehr vertraut waren, waren sich sehr wohl bewusst, dass es in Russland noch keine materiellen Bedingungen für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft gab. Lenin und Trotzki hatten daher auch nie die Vorstellung einer nationalen Revolution oder von einem „Sozialismus in einem Land“, schon gar nicht in einem rückständigen Land wie Russland.
Die Bolschewiki eroberten 1917 die Macht mit der Perspektive der Weltrevolution. Die Oktoberrevolution löste in ganz Europa einen revolutionären Prozess aus, beginnend mit Deutschland, wo die Revolution nur durch den feigen Verrat der sozialdemokratischen Führer, die den Kapitalismus retteten, in einer Niederlage endete. Die Welt bezahlte für dieses Verbrechen mit den ökonomischen und sozialen Krisen der 20er und 30er Jahre, dem Triumph Hitlers in Deutschland, dem Bürgerkrieg in Spanien und letztlich dem Horror des Zweiten Weltkrieges einen schrecklichen Preis.
Wir haben hier nicht den Platz, um den gesamten Prozess nach 1945 genau zu analysieren. Nur so viel: Der Kapitalismus schaffte es eine Zeit lang, eine Situation relativer Stabilität aufrechtzuerhalten, zumindest in den entwickelten kapitalistischen Ländern Westeuropas, Japan und den USA. Selbst in dieser Periode aber verschwanden die grundlegenden Widersprüche nicht. Zwei Drittel der Menschheit lebte in Hunger und Elend, war konfrontiert mit Kriegen, Bürgerkriegen, Revolutionen und Konterrevolutionen. In den industrialisierten Ländern zumindest gab es aber Vollbeschäftigung, Sozialstaat und ein allgemeines Steigen des Lebensstandards.
Vor diesem Hintergrund konnte der Reformismus der Arbeiterführer (sowohl linker wie auch rechter) eine starke Vorherrschaft aufbauen. Der Kapitalismus schien seine Probleme gelöst zu haben, die Massenarbeitslosigkeit war besiegt, Klassenkampf und natürlich der Marxismus waren nun völlig veraltet. Aus heutiger Sicht klingen diese Ideen nicht einmal mehr lustig! Allein in den OECD-Staaten haben wir über 30 Millionen Arbeitslose, überall erleben wir einen wilden Angriff auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse, die Widersprüche zwischen den Klassen spitzen sich immer mehr zu. In ganz Europa – von Frankreich über Deutschland, von Spanien über Italien und Belgien – gibt es Streiks über Streiks. In den USA konnten die Arbeiter bei UPS nach einem großartigen Streik einen wichtigen Sieg erkämpfen. Das war ein erster Warnschuss dafür, dass die US-ArbeiterInnen nicht mehr bereit sind, niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen hinzunehmen, nur damit einige wenige fette Profite scheffeln.
In Großbritannien hat die Wahl der Labour Party nach 18 Jahren konservativer Regierung ebenfalls einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft angezeigt.
„Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein., In diesem Ausspruch liegt eine weitere Basis für den historischen Materialismus. Früher oder später werden gesellschaftliche Bedingungen zu einem veränderten Bewusstsein bei den Menschen führen. Die Beziehung zwischen den Prozessen, die in der Gesellschaft ablaufen, und der Art und Weise, wie sich dies dann in den Köpfen von Millionen Männern und Frauen widerspiegelt, ist alles andere als automatisch. Ansonsten würden wir schon längst im Sozialismus leben! In „normalen, Perioden ist der Mensch ein „Gewohnheitstier“. Er zieht es vor, an Ideen, Moralvorstellungen, Institutionen, Parteien und Führungspersönlichkeiten zu glauben, an die er sich im Laufe der Zeit gewöhnt hat.
Engels sagte einst, dass es in der Geschichte Perioden gibt, in denen 20 Jahre wie ein einziger Tag vergehen, es aber auch Perioden gibt, in denen die Geschichte von 20 Jahren in 24 Stunden zusammengefasst werden könnten. Für eine lange Zeit scheint sich nichts zu verändern. Nichtsdestotrotz häuft sich unter der scheinbar ruhigen Oberfläche ein gewaltiges Ausmaß an Unzufriedenheit, Empörung, Frustration und Wut an. Ab einem gewissen Punkt wird das soziale Explosionen auslösen. In Zeiten der Krise beginnen die Menschen, sich ihre eigenen Gedanken zu machen, um als freie Männer und Frauen handeln zu können, und zwar als Akteure und nicht als passive Opfer. Sie suchen organisierte Ausdrucksmittel, werden aktiv in ihren Gewerkschaften und Massenparteien, um die Gesellschaft zu verändern.
Im Manifest gibt es eine wichtige Stelle, die aber nur von den wenigsten auch wirklich verstanden wurde, die folgendermaßen lautet: „In welchem Verhältnis stehen die Kommunisten zu den Proletariern überhaupt? Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen.
Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, dass sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andererseits dadurch, dass sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten.
Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus., (S. 36)
Diese Zeilen sind deshalb so wichtig, weil sie sehr gut die Methode von Marx und Engels aufzeigen, welche immer von der realen Bewegung der Arbeiterklasse ausgeht – und zwar so wie sie wirklich ist und nicht so wie wir sie gerne haben würden. Diese Methode ist Lichtjahre entfernt vom sterilen Sektierertum all dieser „revolutionären, Sekten, die am Rande der Arbeiterbewegung ein Schattendasein fristen.
Für MarxistInnen ist die Partei in erster Linie Programm, Ideen, Methoden und Traditionen und erst dann eine Organisation, welche diese Ideen in die Arbeiterklasse hineinträgt. Im Laufe ihrer Geschichte hat die Arbeiterklasse Massenorganisationen zur Verteidigung ihrer Interessen und zur Veränderung der Gesellschaft geschaffen. Beginnend mit den Gewerkschaften, den Basisorganisationen der Klasse, verstehen die Arbeiter ab einem gewissen Zeitpunkt, dass der Kampf für ökonomische Teilforderungen für sich allein nicht ausreicht.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen kann man an dieser Schlussfolgerung einfach nicht herumkommen. Ohne den tagtäglichen Kampf für Reformen im Kapitalismus wäre eine sozialistische Revolution unmöglich. Durch die Erfahrung in Streiks und Demonstrationen lernt die Arbeiterklasse, und sie wird sich ihrer eigenen Macht bewusst. Aber selbst der am geschlossensten geführte und erfolgreichste Streik kann die grundlegenden Probleme nicht lösen, mit denen die Arbeiterklasse konfrontiert ist. Außerdem: auf jeden erfolgreichen Streik kommen in der Regel viel mehr Niederlagen. Selbst wenn der Kampf mit einem Sieg endet, werden die Lohnzuwächse durch eine steigende Inflation wieder aufgefressen. Was die Kapitalisten mit der linken Hand hergeben, nehmen sie uns wieder mit der rechten weg.
In der Periode kapitalistischen Niedergangs gibt es statt Reformen lediglich Konterreformen und den Abbau von Errungenschaften der Vergangenheit, wie wir zum Beispiel an der Labour-Regierung unter Tony Blair sehen können. Das hat auch eine eigene Logik. Wenn man das kapitalistische System akzeptiert, muss man auch die Gesetze des Kapitalismus akzeptieren. Arbeitslosigkeit, Privatisierungen, Kürzungen bei den Sozialausgaben sind alles Ausdruck der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Das ist eine politische Frage, die nicht nur durch Arbeitskämpfe allein gelöst werden kann – so wichtig diese auch sind. Es ist notwendig, über die Grenzen der gewerkschaftlichen Aktivität hinauszugehen und auf die Ebene des politischen Kampfes zu treten.
Die Gewerkschaften und Arbeiterparteien wurden von der Arbeiterklasse durch Generationen hindurch in Kämpfen und durch gewaltige Opfer aufgebaut. Die ganze Geschichte zeigt, dass die Arbeiter ihre Organisationen nicht so einfach verlassen, ohne sie nicht in der Praxis wieder und wieder getestet zu haben.Vor nahezu 100 Jahren haben die Gewerkschaften die Labour Party zur Vertretung der Arbeiterklasse im Parlament gegründet. Die Labour Party wurde also als politischer Ausdruck der Gewerkschaften gebildet. Die Massenorganisationen existieren aber in keinem Vakuum. Sie stehen unter dem ständigen Druck der herrschenden Klasse, die über machtvolle Mittel verfügt (Presse, TV, Kirche usw.), um die Vertreter der Arbeiterbewegung zu beeinflussen und zu korrumpieren. Offene Bestechungsskandale, wo Kapitalisten den Arbeiterparteien Millionen zustecken, sind dabei nur die Spitze eines Eisberges. Und Kapitalisten spenden solche Summen nicht, wenn sie sich dadurch nicht eine gewisse Gegenleistung erwarten können! Aber selbst ohne diese offene Korruption lastet ein gewaltiger Druck von Seiten des Großkapitals auf den Arbeiterführern. Die rechten Reformisten haben kein Problem damit, diesem Einfluss nachzugeben, da sie selbst das kapitalistische System mit ganzem Herzen unterstützen. Es ist wirklich eine Ironie der Geschichte, dass sie gerade in dem Moment Loblieder auf den „Markt, singen, da dieser beginnt, in eine tiefe Krise zu schlittern. Die rechten Arbeiterführer versuchen, sich auf einen Kapitalismus zu stützen, der in Wirklichkeit gar nicht mehr existiert. Sie repräsentieren die Vergangenheit und nicht die Zukunft. Auch wenn sie sich als große Realisten darstellen, in Wirklichkeit sind sie Utopisten der schlimmsten Sorte. Auf der Grundlage der kommenden Periode wird ihr Einfluss in den Arbeiterparteien schwer erschüttert werden.
Die Positionen der Linksreformisten ist aber nicht viel besser. Auch wenn sie die Politik der Konterreformen völlig zurecht ablehnen, können sie in der Praxis keine wirkliche Alternative anbieten. Sie akzeptieren ebenfalls das kapitalistische System, sie möchten nur, dass es etwas freundlicher funktioniert. Das ist aber, als möchte man aus einem Tiger einen Vegetarier machen. Wenn weltweit alle Regierungen die selbe Sozialabbaupolitik betreiben, ist das ein ganz klarer Ausdruck der tiefen Krise, in der sich der Kapitalismus befindet. Jeder Versuch, zur keynesianistischen Politik des Deficit-spending zurückzukehren, würde sofort eine Explosion der Inflation auslösen. Und für die Arbeiterklasse ist die Wahl zwischen Inflation und Deflation nichts anderes als eine Wahl zwischen Tod durch Erhängen oder Tod durch Erschießen. Wir haben natürlich an keinem der beiden ein besonderes Interesse, wie man sich denken kann. Die einzige Lösung ist die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft!
Als Marx und Engels das Manifest schrieben, waren sie mit 29 bzw. 27 Jahren zwei junge Männer. Sie schrieben dieses Werk in einer Periode dunkelster Reaktion. Die Arbeiterklasse war wie gelähmt. Das Manifest wurde in Brüssel verfasst, wohin Marx und Engels als politische Flüchtlinge ins Exil getrieben wurden. Als das Kommunistische Manifest aber im Februar 1848 das Tageslicht erblickte, brach auch schon auf den Straßen von Paris die Revolution aus, die sich in den folgenden Monaten wie ein Lauffeuer über ganz Europa ausbreitete.
Falls uns die Geschichte irgendetwas lehren kann, dann ist das folgendes: und zwar, dass nichts und niemand den unbewussten Willen der Arbeiterklasse, die Gesellschaft zu verändern, brechen kann. Es stimmt, dass es viele tragische Niederlagen gab, wie jene der Revolution von 1848, jene der Pariser Kommune und zuletzt die endgültige Liquidierung der noch verbliebenen Errungenschaften der Oktoberrevolution in Russland. Und doch haben sich die Arbeiter von den Auswirkungen all dieser Rückschläge immer wieder erholt und wieder gekämpft. Und zwar aus einem einzigen Grund: Sie haben keine andere Wahl. Zurückblickend kann man sagen, dass jede Niederlage nur eine weitere Episode im langen Kampf der Arbeiterklasse für ihre wirkliche Befreiung ist.
Die Geschichte lehrt uns aber auch etwas anderes. Um gewinnen zu können, ist Kampfeswille allein noch nicht genug. Der Kampf muss bewusst geführt werden und braucht ein wissenschaftliches Programm und eine klare Perspektive. Ohne diese Voraussetzungen kann es keinen Sieg geben. Diese Dinge fallen aber nicht vom Himmel. Es ist nicht möglich, ein Programm, Taktik und Strategie zu improvisieren, wenn die Massen erst einmal damit begonnen haben, die bestehende Ordnung herauszufordern. Diese Dinge müssen rechtzeitig vorbereitet werden.
Trotz aller Anstrengungen von seiten seiner Gegner behält der Marxismus auch heute noch seine volle Gültigkeit, sowohl als Analysemethode der Gesellschaft der Gegenwart wie auch als Programm für den Kampf um eine andere Gesellschaft. Das eine oder andere Detail mag sich geändert haben, aber die grundlegenden Ideen des Kommunistischen Manifests sind heute noch genauso aktuell wie vor 150 Jahren. Ja, in einigen Punkten stimmen sie heute mehr denn je. Die Revolution von 1848 erschütterte ganz Europa, hatte aber auf den anderen Kontinenten nur ein geringes Echo. Die große Welle an Revolutionen, ausgehend von der Oktoberrevolution im Jahre 1917, hat nicht nur Europa, sondern auch China, Indien, Persien und die Türkei ergriffen. Heute, wo der Weltkapitalismus den gesamten Globus zu einem einzigen Ganzen gemacht hat, gibt es die Voraussetzungen für noch viel dramatischere Entwicklungen. Die Integration hat solche Ausmaße angenommen, dass wir mit einigem Vertrauen vorhersagen können, dass der Sieg der Arbeiterklasse in irgendeinem bedeutenden Land sofort zum Sturz des Kapitalismus in einem Land nach dem anderen führen wird. Das würde die Basis legen für den Aufbau der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa und einer Sozialistischen Föderation der ganzen Welt.