Medizinstudium und Zwei-Klassen-Medizin

Arzt zu werden ist ein Privileg für wenige: Um Medizin zu studieren, gilt es zuerst gegen die rund 12.000 anderen Bewerber um einen der rund 1.850 Studienplätze zu kämpfen. Von Miriam Van den Nest & Ines Badic.
Der 2005 eingeführte Aufnahmetest (MedAT) hat eine ganze Industrie hervorgebracht: Der Test kostet 110€, Vorbereitungskurse bis zu 1.000€, oft bereiten sich Bewerber einige Jahre vor. Der soziale Filter ist deutlich: Der Anteil Studierender mit Eltern ohne Matura, die das Studium beginnen bzw. abschließen, ist seit Einführung des Tests von ca. 30% auf ca. 20% gesunken. Als Ausgleich dafür wird neuerdings ein erleichterter Studienzugang gegen eine 17-20-jährige (!) Arbeitsverpflichtung geboten dieses „Zuckerl“ schmeckt jedoch durch und durch bitter, denn wer vorzeitig aussteigt, muss bis zu 150.000€ zahlen.
Im Studium gilt unterdessen 100% Anwesenheitspflicht, dazu kommen unbezahlte Praktika über 12 Wochen in den Ferien. Ein Nebenjob ist kaum möglich. Im letzten Studienjahr leisten Studierende ein Jahr lang Vollzeitarbeit für 800–900€ brutto und übernehmen dabei ärztliche Tätigkeiten – um gesundheitliche Versorgung sicherzustellen, setzt man also auf Ausbeutung. Trotz all dieser Hürden warten viele dann nach dem Studium über ein Jahr auf einen Ausbildungs-(also Arbeits-)platz.
Die Folgen: 2023 waren im Wiener Gesundheitsverbund 535 Pflege- und 134 Ärzteposten unbesetzt, bis 2050 droht ein Pflegemangel von 200.000 Personen. Betten und Stationen werden gesperrt, Operationen verzögern sich teils um ein Jahr. Im niedergelassenen Bereich waren 2024 292 Kassenstellen unbesetzt, in Wien sank die Zahl der Kassenärzte seit 2011 um 11%, während die Bevölkerung um 16% wuchs. Wer rechtzeitig behandelt werden will, muss sich also einen Wahlarzt leisten können, oder, wie öffentlich berichtet wurde, in manchen Fällen Bestechungsgelder für den Chirurgen. Zusätzlich wurde im März 2024 das Budgetloch der ÖGK (über 900 Mio.€) öffentlich. Sanierungsvorschläge: höhere Beiträge für Pensionisten (300 Mio.€), Einsparungen bei Krankentransporten (500 Mio.€), weniger diagnostische Untersuchungen, keine Kassen-Zahnfüllungen (Amalgamverbot), Hautkrebsvorsorge wird in NÖ zur Privatleistung. Der Zugang zu leistbarer Versorgung wird weiter eingeschränkt, Zwei-Klassen-Medizin ist Realität.
Ursache für all das ist ein Gesundheitssystem, das Profitmaximierung und Effizienzsteigerung, die Bedürfnisse der herrschenden Klasse, über die der breiten Masse stellt. Auch die neue Regierung verharrt strikt in dieser Logik: Neben Verbesserungswünschen ohne konkreten Plan oder Finanzierung wird im Regierungsprogramm deutlich, dass sich vor allem neue, immer schlechter ausgebildete, Angehörige, ausländische Arbeitskräfte oder die Betroffenen sich gleich selbst um die medizinische Versorgung kümmern sollen. Die Probleme der Arbeiter löst das nicht, im Gegenteil, das Ziel scheint klar: Spitzenversorgung für die Elite, Ausbildung für wenige – während die Mehrheit im Wartezimmer bleibt und Millionen in Aufrüstung
fließen.