Überall in Europa bauen Automobilkonzerne und Zulieferer massiv Stellen ab und schließen Werke. Es stellt sich die Frage, mit welchen Strategien die Belegschaften in der Autoindustrie auf diese Situation reagieren sollen. Von Kurt Bührle.
In ganz Europa hängen Millionen Jobs an der Autoindustrie. Allein der VW-Konzern hat 360.000 Beschäftigte. Doch gerade der deutsche Autoriese steckt in einer tiefen Krise. Die Auslastung vieler Werke ist gering, in China steht man unter dem Druck der dortigen Produzenten, die Umstellung auf eine klimafreundlichere Produktion und der Bau von Elektroautos seien zu teuer.
All das hat die Konzernleitung veranlasst, zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte Werksschließungen in Deutschland in Betracht zu ziehen und die Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung aufzukündigen, die seit 1994 für beispiellose Stabilität im Konzern gesorgt hat. Das heißt niedrigere Bezahlung für Leiharbeiter, die Verpflichtung zur Einstellung von Lehrlingen fällt weg, und vor allem sollen damit betriebsbedingte Kündigungen möglich werden.
Die Notwendigkeit, wettbewerbsfähiger zu werden, scheint laut bürgerlichen Medien, Politik und auch Gewerkschaftsspitze außer Frage zu stehen. In Wirklichkeit ist Wettbewerbsfähigkeit aber nur ein anderes Wort für höhere Profitabilität.
Der Konzern will durch die angedrohten Maßnahmen wie Werksschließungen 5 Mrd. zusätzlich einsparen, zuletzt wurden 4,5 Mrd. an Dividenden ausgeschüttet. Laut letztem Quartalsbericht ist eine weitere Steigerung der Umsatzrendite das zentrale Ziel. Die Konzernspitze hat klargestellt, dass die Belegschaft für die Profite der Aktionäre bezahlen soll. In der vorgezogenen Tarifrunde (KV-Verhandlungen) haben die Bosse auch schon klargestellt, dass Lohnerhöhungen ausgeschlossen sind und die Beschäftigten „ihren Beitrag werden leisten müssen“.
„Erbitterter Widerstand“
Die Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, Daniela Cavallo, kündigte an, es werde mit ihr keine Werksschließungen geben. Betriebsrat und Gewerkschaft würden „mit aller Kraft, notfalls im harten Konflikt, für den Erhalt aller Standorte sowie der Jobs unserer Kolleginnen und Kollegen kämpfen“.
Den Worten müssten aber auch Taten folgen. Doch bislang ist außer Betriebsversammlungen, bei denen die Belegschaft Dampf ablassen durfte, nicht viel geschehen. Die Gewerkschaftsspitzen machen sich in erster Linie um das Modell der Sozialpartnerschaft Sorgen. Der Bezirksleiter der IG Metall Niedersachsen mahnt die Konzernleitung, „Probleme gemeinsam zu lösen, nicht gegeneinander“.
So wird die aktuelle Forderung nach 7% Lohnerhöhung nicht durchzusetzen sein. Denn der globale Absatz von Autos schrumpft (-2% weltweit/ -5% in Europa). Um höhere Gewinne zu erzielen, pressen alle Konzerne ihre Arbeiter aus und schwören sie auf den „Standort“ ein.
Falsche Hoffnungen
Die Krise der deutschen Autobauer trifft die Zulieferindustrie in Österreich (273.000 Beschäftigte) besonders hart. 86% der Produktion gehen in den Export, fast die Hälfte davon nach Deutschland. Schon vor dem beschleunigten Niedergang der europäischen Autoindustrie gingen jährlich 10.000 Jobs in der Automobilindustrie verloren.
Jetzt ist die Lage noch schlimmer. Die Energiekosten sind im EU-Vergleich extrem gestiegen. Die Bereitschaft, die Krise der Autoindustrie sozial abzufedern, schwindet, wie die Kürzung des Budgets für Kurzarbeit von 300 auf 20 Mio. deutlich macht. Diese neue Realität schmerzt den ÖGB, der auf die soziale Pufferfunktion des Staates hofft. Bei Liebherr in Osttirol, wo das AMS erstmals bei einem großen Industriebetrieb Kurzarbeit abgelehnt hat, hat sich die Geschäftsführung dann auch mit BR und Belegschaft auf ein internes Kurzarbeitsmodell geeinigt, das eine 10-prozentige Lohnkürzung vorsieht.
Werksschließungen, wie die von Opel in Wien-Aspern, wurden bislang von Betriebsräten und Gewerkschaft weitgehend kampflos akzeptiert, solange es die Aussicht auf einen Sozialplan gab. Massenentlassungen wie bei KTM werden hingenommen, um den Standort zu schützen, während die Eigentümer Rekordprofite machen und offen zeigen, wie sehr ihnen „der Standort“ am Herzen liegt, indem sie in Indien produzieren lassen.
Immer mehr Industriearbeiter sind genötigt, in Niedriglohnbranchen wie die Gastronomie zu wechseln. Dieser Trend – der Verlust gut bezahlter, gewerkschaftlich organisierter Industriejobs – wird sich beschleunigen, wenn sich die Gewerkschaftspolitik nicht grundlegend ändert.
Es geht auch anders
In Brüssel ist der VW-Konzern schon weiter als in Deutschland. Das Audi-Werk mit seinen 3.000 Beschäftigten soll dicht gemacht werden. Die Produktion soll nach Brasilien verlagert werden.
Gewerkschaft und Arbeiter wehren sich handfest: Die Belegschaft beschlagnahmte 200 Autoschlüssel für auslieferungsfertige Fahrzeuge im zweistelligen Millionenwert, um von der Geschäftsführung Klarheit über die Zukunft des Standortes zu bekommen. Nach dem Betriebsurlaub im Sommer wurde ein Protestcamp auf dem Betriebsgelände aufgebaut. Der vorläufige Höhepunkt des Kampfes war ein Solidaritätsstreik samt Demo in Brüssel, zu der Gewerkschaften branchenübergreifend aufgerufen haben.
Das kann ein Ansatzpunkt zur Verallgemeinerung des Kampfes sein. Sogar Umweltschutzorganisationen haben sich mit dem Kampf solidarisiert!
Das Beispiel von Audi Brüssel zeigt, welche Kampfstrategie die Betriebsräte und Gewerkschaften verfolgen sollten. Als Revolutionäre Kommunistische Partei unterstützen wir solche Kämpfe und vertreten dort folgendes Programm:
- Bei angedrohten Betriebsschließungen, Kapitalflucht oder Massenkündigungen müssen die Konzerne ihre Geschäftsbücher offenlegen und zeigen, in welcher „Not“ sie wirklich sind.
- Konzerne, die Massenentlassungen durchführen, müssen verstaatlicht und unter Kontrolle der Beschäftigten weitergeführt werden.
- Um Werksschließungen oder eine Verlagerung von Maschinen ins Ausland zu verhindern, müssen wenn nötig Betriebsbesetzungen organisiert werden.
- Der Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze, für eine funktionstüchtige und nachhaltige Produktion, muss gegen die Bosse geführt werden.
(Funke Nr. 227/07.10.2024)