Heiße Lohnrunden, Verteidigung des Metaller-KV, Stahl- und Autokrise – die Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) steht vor großen Herausforderungen. Wir führten ein Interview mit PRO-GE-Vorsitzenden Rainer Wimmer.
Funke: Der Chefverhandler der Arbeitgeberseite in der chemischen Industrie soll dem Verhandlungsteam der Gewerkschaften gesagt haben, sie mögen doch „scheissen gehen“. Bringt das die Haltung der Industriellen zum Kollektivvertragswesen auf den Punkt?
Wir müssen den Begriff Sozialpartnerschaft neu definieren. Unternehmer- und Arbeitnehmerseite sehen das heute ganz anders. Die Unternehmer reden zwar viel davon, aber leben keine Partnerschaft, ja sie setzen diese leichtfertig aufs Spiel. Sozialpartnerschaft ist bei ihnen zur Floskel verkommen. Die gemeinsame Augenhöhe bei Verhandlungen ist nicht mehr vom vorneherein gegeben.
Wir sehen europaweit, dass die Unternehmer die Verhandlungen auf immer kleinere Gruppen runterbrechen wollen. Je kleiner die Gruppe an Arbeitnehmern ist, die gemeinsam verhandelt, desto schwächer ist sie im Regelfall. Das ist klar.
In Österreich leben wir noch auf einer Insel der Seligen. Wir haben noch einen sehr hohen Deckungsgrad durch Kollektivverträge, d.h. 95% der Arbeitnehmer sind durch einen Kollektivvertrag geschützt. Selbst in Deutschland liegt dieser nur noch bei rund 50%. Aber auch bei uns tun die Unternehmer ganz arm und argumentieren gegen die Kollektivverträge. Wenn man sie so hört, möchte man am liebsten mit dem Hut für sie sammeln gehen. In Wirklichkeit geht es ihnen nur um die Steigerung ihrer Gagen und Unternehmensgewinne, die sich auf historischem Rekordniveau bewegen. Im Jahr 2009 war ein Knick, sonst ging es immer nach oben. Das Vorkrisenniveau wurde in Österreich schon längst überschritten. Wir warten auf die neuen Zahlen, aber die ersten Daten, die wir haben zeigen, dass im Jahr 2013 in der produzierenden Industrie wieder neue Rekordentnahmen erfolgt sind, wahrscheinlich werden es weit über 3 Mrd. € sein, die letztes Jahr von den Eigentümern aus den Betrieben geschöpft wurden. Detto die Vorstandsgagen.
Auf der oberösterreichischen Landeskonferenz der PRO-GE hast du gesagt, es liegt nicht an uns, ob alle sechs Fachverbände der Metallindustrie gemeinsam sich uns gegenüber setzen, und wir nur für das Verantwortung übernehmen können, was bei den Verhandlungen im Endeffekt rauskommt. Aber zeigt die Geschichte nicht auch, dass der Umfang der Verhandlungsgemeinschaft letztlich auch nur Ausdruck von Kräfteverhältnissen zwischen Kapital und Arbeit ist? Sollten wir uns nicht zum Ziel setzen, dass wir die Verhandlungsgemeinschaft wieder erzwingen?
Wir wollten das das letzte Jahr auch, haben aber gesehen, dass da nicht alle mitgehen und dafür kämpfen wollen. Einigen Kollegen ist dieses Thema zu abstrakt. Bei den Arbeitgebern sind die Fachverbände untereinander uneins. Generell sehen wir die Situation so: In einem Betrieb haben wir oft verschiedene Fachbereiche. Wenn die Kollektivverträge zwischen den Fachbereichen voneinander abweichen, dann schwächt das die Gesamtbelegschaft. Wir wollen ein gleiches Niveau in den Belegschaften, und dafür müssen wir unsere einzelnen Gruppen zusammenhalten.
Es gibt daher auch Themen, wie die Arbeitszeit, über die wir nur in Verhandlungen eintreten, wenn alle sechs Fachverbände sich gemeinsam mit uns an den Tisch setzen.
In Europa sehen wir derzeit zwei verschiedene Ansätze, wie man als Gewerkschaft auf drohende Standortschließungen reagieren soll. Einerseits sind nun in Arbeitskämpfen in Frankreich, Belgien und Italien Forderung nach der Verstaatlichung erhoben worden, andererseits plädiert die Sozialpartnerschaft auf EU-Ebene für Sozialpläne und Umschulungen, vor allem in der Stahl- und der Autoindustrie. Welchem Konzept fühlst du dich näher?
In Österreich sind wir davon noch nicht wirklich betroffen. Was ich aber klarmachen will, ist, dass wir mit Lohndumping keine Jobs retten werden. Stellenabbau basiert aufgrund ganz anderer Entscheidungen. Probleme haben wir dort, wo die Betriebe nur eine verlängerte Werkbank sind, wie in der Autozulieferindustrie. Da ist bestimmend, ob in München oder Rüsselsheim Aufträge vergeben werden oder nicht. Probleme haben wir also dort, wo es keine Forschung&Entwicklung gibt oder auch keine geeignete Marketingkonzeption. Die in der FMMI zusammengeschlossenen Betriebe sind in Bezug auf diese Frage sogar im Vorteil, weil sie umfassende Konzepte haben und sich dadurch auch international gut halten können.
Mit der Verstaatlichung von Krisenbetrieben können wir kurzfristig das Problem überbrücken, aber letztendlich muss auch ein verstaatlichter Betrieb Waren produzieren, die er auch verkaufen kann. In der Stahlindustrie kann ein staatliches Auffangnetz Sinn machen, aber dann braucht es Innovation. Gleichzeitig müssen wir aber auch sehen, dass Stiftungen zur Umschulung von Kollegen eine Errungenschaft der Gewerkschaft sind.
Die Umschulung vom Stahlfacharbeiter zum Würstlbudenbetreiber ist aber kein zivilisatorischer Fortschritt.
Der Judi in Bad Ischl, dem taugt sein neues Berufsleben (lacht). Aber ihr habt schon recht, man muss aufpassen, dass hier keine Automatik greift, sondern dass man bei jedem Arbeitsplatzabbau schaut, dass man alle Instrumentarien durch überlegt und nicht automatisch zum Mittel der Arbeitsstiftung greift. In der kommenden Koalition werden wir die Rolle der ÖIAG neu bestimmen müssen. Die ÖVP sieht die ÖIAG rein als Instrument zum Verscherbeln der Betriebe. In Wirklichkeit sollten wir dort, wo es wirtschaftlich Sinn macht, aus strategischen Überlegungen auch Anteile erhöhen, z.B. bei der OMV. Die ÖIAG muss auch neue Investitionen tätigen und Risikokapital bereitstellen.
Wie siehst du den Zusammenhang von Kampagnenfähigkeit und Gewerkschaftsdemokratie?
Kampagnenfähigkeit ist total wichtig, und ist eng mit meinem Vorsitz verbunden. Weil wenn du nur redest, dann wirst du erstens von den Unternehmern nicht mehr ernstgenommen, und zweitens verlierst bei den eigenen Mitgliedern an Identität. Wir haben gesehen, dass die Mitglieder sehr erfreut waren, dass sich wieder was bewegt, dass sie einbezogen werden. Da war ein Solidaritätseffekt wieder spürbar. Der Metallerstreik 2011 war ein erster Ansatz in die Richtung. Wir müssen das wieder lernen.
Urabstimmungen haben wir in Österreich nie praktiziert. Wichtig ist, dass es ein Verhandlungsmandat gibt. Ich komm aus einer basisdemokratischen Tradition, glaube aber, Urabstimmungen wären nur ein großer Aufwand und es würde dann erst eine Mehrheit für das Ergebnis sein. Man muss aber auch das Wesen eines Kollektivvertrages sehen. Ein guter Kollektivvertrag ist ein Mix und tut allen ein bisschen weh, bei den Unternehmern und bei uns. Anders ist es nicht vorstellbar bei der Menge an Interessen, die hier am Tisch sind.
Uns geht es weniger um ein abstraktes Demokratieprinzip. Wir glauben aber, dass man die Gewerkschaft stärkt, wenn man Verhandlungsergebnisse einer breiteren Abstimmung unterzieht, das muss keine Urabstimmung sein, kann auch bei einer bundesweiten Betriebsrätekonferenz erfolgen.
Ja, in Form einer Betriebsrätekonferenz kann ich mir das vorstellen. Aber auch hier ist es nicht so einfach. Ein alter Betriebsrat von der VOEST hat mich einst gelehrt: „Rainer, wenn du mit der Fahne vorangehst, dann dreh dich zuerst noch mal um und versichere dich, dass sie auch hinter dir mitgehen!“ Wenn man mal in einer Bude war, wo wir streiken, da ist eine ganz besondere Stimmung. Und ein Arbeitskampf kann nicht auf Knopfdruck runter- und hochgefahren werden. Da sind Prozesse am Werk, und eine positive Stimmung hebt man nicht ewig, da muss man aufpassen.
Kannst du dir aus diesem Grund auch vorstellen, dass während Verhandlungen der Kampf nicht ausgesetzt wird?
Es ist bei uns ein Grundprinzip: Wenn es Verhandlungen gibt, wird nicht gestreikt. Aber wenn es zu einer heftigen Zuspitzung kommt, möchte ich nicht ausschließen, dass wir das in Zukunft anders machen werden. Man muss verstehen, dass wichtig ist, dass wir mit Nachdruck zeigen, dass wir nicht nur reden, sondern auch handeln.
Danke für das Gespräch!