Am 20. Jänner findet die Volksbefragung über die Zukunft des Bundesheeres statt. Die BürgerInnen sollen sich zwischen der Einführung eines Berufsheers und der Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht entscheiden können. Viele Linke würden am liebsten für die Abschaffung des Bundesheeres stimmen. Eine marxistische Analyse.
„Es ist schwer, eine andere Frage zu finden, in der solche Schwankungen, solcher Meinungswirrwarr unter den westeuropäischen Sozialisten herrscht, wie in der Diskussion über die antimilitaristische Taktik.“ (Lenin)
Die Arbeiterbewegung widmete sich von Anfang sehr intensiv der Frage nach dem Charakter der Armee. Den Ausgangspunkt für diese Debatte bildete natürlich die Einschätzung der Rolle des Staates. Die Sozialdemokratie stützte sich anfangs auf eine marxistische Staatsanalyse, wonach der Staat in letzter Instanz als “besondere Formationen bewaffneter Menschen” und deren Anhängseln (“Gefängnissen und Zwangsanstalten aller Art”) zu sehen ist. Seine Hauptwerkzeuge der Gewaltausübung, die im Dienste der Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung und der Interessen der herrschenden Klasse stehen, sind demnach die Polizei und die Armee. Konkret setzen die kapitalistischen Staaten ihre militärische Macht zur Verteidigung ihrer ökonomischen und strategischen Interessen gegenüber anderen Staaten und zur Niederhaltung der Arbeiterbewegung und zur Bekämpfung sozialer Unruhen im Inneren ein.
Im 19. Jahrhundert hatten immer mehr Staaten nach dem Vorbild Frankreichs ihre Armeen auf eine allgemeine Wehrpflicht für Männer umgestellt. Die allgemeine Wehrpflicht sollte dem Militarismus die nötige Zahl an Menschenmaterial zuführen, mit denen im Ersten und im Zweiten Weltkrieg der Kampf um die Aufteilung der Welt unter die imperialistischen Mächte geführt werden konnte.
Volksbewaffnung
Warum sprachen sich Marx und Engels trotz ihres Verständnisses vom Charakter des bürgerlichen Staates ebenfalls für die allgemeine Wehrpflicht aus? So meinte Engels z.B., es sei „durchaus nicht gleichgültig, ob die allgemeine Wehrpflicht vollständig durchgeführt wird oder nicht. Je mehr Arbeiter in den Waffen geübt werden, desto besser. Die allgemeine Wehrpflicht ist die notwendige und natürliche Ergänzung des allgemeinen Stimmrechts; sie setzt die Stimmenden in den Stand, ihre Beschlüsse gegen alle Staatsstreichversuche mit den Waffen in der Hand durchzusetzen.“
Ihrem Konzept zufolge sollten die stehende Heere möglichst klein gehalten werden, wichtig sei, dass diese ergänzt werden durch den Dienst aller (männlicher) Bürger für eine kurze Zeit in der Armee, wo diese im Gebrauch von Waffen ausgebildet werden. Das Ziel der frühen Arbeiterbewegung war die allgemeine Volksbewaffnung, wie man sie auch im Hainfelder Programm nachlesen kann: „Die Ursache der beständigen Kriegsgefahr ist das stehende Heer, dessen stets wachsende Last das Volk seinen Kulturaufgaben entfremdet. Es ist daher für den Ersatz des stehenden Heeres durch die allgemeine Volksbewaffnung einzutreten.“ Im „Wiener Programm“ von 1901 wurde diese Position der SDAPÖ für ein Milizheer bekräftigt, nun auch unter Verwendung des Wortlauts „allgemeine Wehrpflicht“.
Die allgemeine Wehrpflicht wurde vor allem als Mechanismus zur Schwächung des Militarismus nach innen gesehen. Eine Armee, die sich großteils aus der Arbeiterklasse rekrutiert, ist viel schwieriger gegen die Arbeiterbewegung, gegen eine revolutionäre Bewegung einzusetzen, als ein Heer von Profisoldaten.
Gleichzeitig war sich die frühe Sozialdemokratie aber auch bewusst, welche Rolle die allgemeine Wehrpflicht für den Militarismus nach außen, im Dienste der imperialistischen Expansion einnahm. Die Losung lautete daher “Keinen Groschen und keinen Mann für dieses System!” Alle Gesetzesentwürfe der Regierung zu Fragen des Militärs wurden daher einfach abgelehnt. Man konzentrierte sich darauf, die “Auswüchse des Militarismus” (Soldatenmisshandlungen, “Paradedrill” u.ä.) öffentlich anzuklagen. Durch antimilitaristische Propaganda sollte die Armee funktionsunfähig gemacht werden.
Das änderte sich jedoch 1903, als die sehr kleine sozialdemokratische Parlamentsfraktion begann, sich für Reformen im Heereswesen einzusetzen. So stellte sie Dringlichkeitsanträge zur Verkürzung der Dienstzeit bei gleichzeitiger Erhöhung der Zahl der Rekruten. Immer deutlicher wurde nun auf eine pragmatische Politik auf parlamentarischer Ebene gesetzt. Auf dem Parteitag 1903 wurde dieser Schwenk heftig debattiert, wobei sich die Parteiführung gegen die Kritik von links (verkörpert durch Leopold Winarsky, den Führer der Jugendorganisation) zu verteidigen hatte. Victor Adler vertrat dabei eine sehr eigenwillige Position. Ihm ginge es mit der Forderung nach möglichst vielen Wehrpflichtigen nicht nur um eine Demokratisierung des Heeres, sondern sah darin auch “ein erzieherisches Bedürfnis des Volkes”. Adler argumentierte, “dass der Militarismus auch heute in seiner karikierten, niederträchtigen Form, wo er die Leute auf das äußerste drangsaliert, noch immer, weil die ganze außermilitärische Erziehung eine noch schlechtere, noch mangelhaftere, ja vielfach gar nicht vorhanden ist, also selbst in dieser niederträchtigen Form ein gewisses Surrogat bietet, das für uns nützlich ist.” Durch den Militärdienst würden die jungen Proletarier Disziplin und die Tugend der Pflichterfüllung lernen, die sie in den Reihen der Arbeiterbewegung brauchen. Diese These wurde von den Linken jedoch heftig kritisiert. Gleichzeitig hatte Adler die Perspektive, dass die Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht “aus der Armee ein volkstümliches Institut macht”, parallel zur Demokratisierung der gesamten Gesellschaft. Schrittweise soll die Armee in eine Volksmiliz umgewandelt werden. Hier war der sich breit machende Reformismus in der Sozialdemokratie erstmals deutlich zu erkennen, was damals jedoch noch auf offenen Widerstand stieß (z.B. von Ludwig Czech, der selbst wegen seiner sozialistischen Betätigung aus dem Offiziersstand ausgeschlossen worden war). In Deutschland war dieser Prozess damals schon viel weiter gegangen. Hier war der rechte (revisionistische) Flügel der SPD sogar bereit, für das Militärbudget und die Ausgaben für die Landesverteidigung zu stimmen, wenn es im Gegenzug Zugeständnisse für sozialdemokratische Reformvorhaben gibt. Hier war die Wende zum Patriotismus, der 1914 zur offiziellen Parteilinie wurde, schon vorgezeichnet. In Österreich wurde mit der Zeit diese Linie ebenfalls immer lauter.
Bis zum Ende der Habsburgermonarchie hatte die österreichische Sozialdemokratie jedoch keine Möglichkeiten, ihre Vorstellungen einer “positiven Militärpolitik” durchzusetzen. Die sozialistische Jugendbewegung unterschied sich in dieser Frage deutlich von der Parteiführung und setzte in diesen Jahren entsprechend der von Karl Liebknecht ausgearbeiteten Linie auf einen konsequenten Antimilitarismus. Durch gezielte sozialistische Agitation unter Jugendlichen und Soldaten soll der Einsatz der Armee unmöglich gemacht werden. Diese Arbeit erfolgte übrigens auch gegen den erklärten Willen der Parteiführung, wie Julius Deutsch schrieb. “Der Jugendliche Arbeiter”, die seit 1902 erscheinende Zeitung des VJA, vertrat voll und ganz eine marxistische Analyse der Armee und des Militarismus. Der VJA forderte jedoch nicht die Abschaffung der Armee, sondern ihre Demokratisierung. Weltfriede könne erst in einer sozialistischen Gesellschaft erwartet werden.
Volkswehr
1918 brach die Habsburgermonarchie zusammen. Diese Periode war gekennzeichnet durch einen absoluten Machtverfall der herrschenden Klasse. Die kaiserliche Armee fiel am Ende des Ersten Weltkriegs regelrecht auseinander. Otto Bauer schrieb damals, dass die Revolution von den Kasernen ausging. Und weiters: „Für einen Augenblick hatten wir überhaupt keine Wehrmacht.“ Mit Ausrufung der Republik schien also der Zeitpunkt gekommen, die Armee nach sozialdemokratischen Grundsätzen neu zu organisieren. Der provisorische Staatsrat, in dem auch die Sozialdemokratie schon vertreten war, wollte aber den Aufbau der neuen Armee „Fachleuten“, d.h. Offizieren der alten k.u.k.-Armee und Vertreter des verhassten Kriegsministeriums und Armeeoberkommandos, anvertrauen. Die Soldaten der Wiener Garnison wurden vom Staatsrat zu „Ordnung, Mannszucht und Gehorsam“ gegenüber den Vorgesetzten aufgefordert. Dieses Anliegen provozierte jedoch heftige Proteste der sich spontan bildenden Soldatenräte. Die Rätebewegung, die in der Revolution von 1918 nach russischem Beispiel in allen Industriestädten entstand, erhielt jetzt einen bewaffneten Arm.
Der neuen Regierung blieb nichts anderes übrig, als eine völlig neue Truppe aufzustellen. Schon am 5.11.1918 formierte sich die Volkswehr, ein Freiwilligenheer, in der die Sozialdemokraten politisch den Ton angaben, aber alles andere als ein Instrument in den Händen der Parteispitze war. Die Soldatenräte hatten in der Volkswehr das Sagen und spiegelten direkt die revolutionäre Stimmung an der Basis wider. Persönlich verkörpert dies der Kommandant der Wiener Volkswehr, Josef Frey, ehemaliger Redakteur der Arbeiter-Zeitung, der unter dem Einfluss der Rätebewegung zum Kommunisten wurde und später der Wortführer der Linken Opposition in Österreich werden sollte. In der Volkswehr erhielten alle denselben Sold, wobei die Soldaten radikale Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen forderten. Frey stellte sich an die Spitze des Kampfes, vertrat aber die Meinung, dass dies nicht ausreiche: „Die erste und alles andere überragende Aufgabe des Soldatenrates aber wird sein, aus der Volkswehr eine schlagfertige proletarische revolutionäre Armee zu machen. (…) Die Soldatenräte werden die obersten Wächter sein, dass diese schlagfertige Armee dann nie verwendet werden kann zu reaktionären, sondern nur zu revolutionären Zwecken.“ Die sozialdemokratische Parteispitze sah aber durch solche Aussagen die Koalition mit den Bürgerlichen gefährdet. Diese „Haufen bewaffneter Proletarier“ (Otto Bauer) mussten diszipliniert, ihre Tätigkeit auf das „Werkzeug des Stimmzettels“ beschränkt werden. Ein wichtiger Schritt dazu war die Auflösung des Volkswehrbatallions 41, das aus der „Roten Garde“ hervorging und von Kommunisten geführt wurde. Mit der Zeit wurden von der Regierung auch alte Offiziere in der Volkswehr aufgenommen. Diese mussten jedoch eine Probezeit absolvieren. Nur wenn sie danach ein positives Urteil des Soldatenrates erhielten, wurden sie als Offiziere bestätigt. Deutlich wurde der Einfluss der Linken in einem Disput um die Vereidigung der Wiener Volkswehr. Die Soldaten lehnten es ab, sich auf den „freien Staat Deutschösterreich“ vereidigen zu lassen, weil die Regierung großteils „aus Vertretern der Kapitalisten, Kriegshetzer und Kriegswucherer besteht.“ Die Soldatenräte wollten „nur dem arbeitenden Volke Treue geloben und in allen politischen und militärischen Fragen nach reiflicher Beratung nur Führern gehorchen, die wir selbst gewählt haben.“ Langsam aber sicher gelang es der Sozialdemokratie jedoch den Einfluss der revolutionären Kräfte in der Volkswehr zurückzudrängen.
1919 legte der Friedensvertrag von St.Germain fest, dass Österreich ein 30.000 Mann starkes neues Bundesheer, das sich aus Berufssoldaten zusammensetzt, aufbauen solle. Die Volkswehr sollte ausgelöst werden. Gegen die Forderungen der Soldatenräte vertrat die Sozialdemokratie, dass das Bundesheer ein „unpolitische Armee“ werden sollte, weil die Arbeiterklasse sich mit dem Bürgertum die Macht teilen müsse und keinen Alleinvertretungsanspruch auf die Armee erheben könne. Julius Deutsch beteuerte aber, dass das Bundesheer ein Instrument zum Schutz der Republik bleiben werde. Den Soldatenräten sprach er gleichzeitig das Recht auf Befehlsgewalt ab. Frey verstand, dass es den Bürgerlichen mit der Losung nach einer „unpolitischen Armee“, das Verbot für Soldaten sich politisch in der Armee zu betätigen, nur darum ging, die Soldatenräte abzuschaffen. In der Tat gingen die Bürgerlichen sofort daran, im Bundesheer wieder die alte Offiziersgewalt durchzusetzen. Die Stimmung in der Arbeiterschaft war, dass diese neue Söldnertruppe ein Instrument der Reaktion wird. Unter dem Eindruck des rechtsextremen Kapp-Putsches in Deutschland 1920 konnten die ursprünglichen Pläne der Bürgerlichen noch einmal abgewehrt werden, die Befehlsgewalt verloren die Soldatenräte jedoch. In der Folge ließen die Bürgerlichen aber gerade an der Frage der Rechte der Soldatenräte die Koalition mit der Sozialdemokratie platzen. Zu einem verlässlichen Ordnungsinstrument der kapitalistischen Klasse wurde das Bundesheer erst im Laufe der 1920er Jahre. Im Februar 1934 konnte dieses Berufsheer dann problemlos gegen den Aufstand der ArbeiterInnen eingesetzt werden.
Die Arbeiterbewegung zahlte 1934 einen hohen Preis für das politische Konzept der austromarxistisch dominierten Sozialdemokratie, die gerade in der wehrpolitischen Debatte offen ihre systemerhaltende Rolle zum Ausdruck brachte.
Bundesheer der Zweiten Republik
Nach der Niederlage von Hitler-Deutschland untersagten die Alliierten 1945 die Aufstellung einer neuen österreichischen Armee, deren Aufbau die Provisorische Regierung Renner durchaus befürwortete. 1955 wurde das Bundesheer im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag neu errichtet. Zuvor wurde bereits 1952 die so genannte „B-Gendarmerie“ mit 6000 Mann gegründet. Nun sollte die Armee jedoch nach dem Prinzip der Allgemeinen Wehrpflicht organisiert werden, was auch seit 1947 die Position der SPÖ darstellte: „Die Sozialistische Partei sieht in einer Armee des Volkes den besten Schutz der Republik. Diesem Ziel dient die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und der Aufbau eines neuen Heeres mit milizartigem Charakter.“ Auch im SPÖ-Programm von 1978 wurde diese Position verfestigt: „Die militärische Landesverteidigung soll auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht von einem milizartigen System getragen werden“.
Ähnlich wie heute gab es schon 1955 bei der Neuaufstellung des Bundesheeres keine breite innerparteiliche Debatte über Sinn, Zweck, Organisation und Struktur der Armee. Fragen wie der Charakter der Ausbildung der Grundwehrdiener, der demokratischen Kontrolle blieben unbeantwortet. Die bürgerliche Verteidigungsdoktrin des Heeres, das gegen den „Feind aus dem Osten“ ausgerichtet war, teilte die SPÖ. Das Sagen hatte von Anfang an die Heeresführung, die sich aus den Vorgängerarmeen rekrutierte. Dementsprechend wurde das Heer zum Instrument der ideologischen Beeinflussung der männlichen Jugend nach den reaktionären Vorstellungen der Bürgerlichen. Noch Kreisky thematisierte öffentlich die Gefahren die vom Heer ausgehen, indem er auf die reaktionäre Haltung des österreichischen Bürgertums hinwies. In der Praxis wurde dieses Element in der Wehrpflicht jedoch stillschweigend hingenommen.
1964 entwickelte SP-Staatssekretär Rösch seinen Plan zur Reform des Heeres. Er forderte die Verkürzung des Wehrdienstes auf 6 Monate, Verbesserungen für die Grundwehrdiener und die Bestellung der Heeresführung unter Mitwirkung des Parlaments im Sinne einer Demokratisierung und Kontrolle des Heeres. Dieser Plan wurde von der ÖVP jedoch nicht einmal behandelt. Unter dem Druck von unten setzte die SPÖ-Alleinregierung dann in den 1970ern auch die Verkürzung der Wehrpflicht und eine Novellierung des Militärstrafgesetzes um bzw. beschloss das Zivildienstgesetz, das den Zivildienst als Wehrersatzdienst ermöglichte. Für eine ernsthafte Lösung der Probleme von Grundwehrdienern (gegen den Drill, gegen Schikanen, gegen Einkommensverluste während des Wehrdienstes, für demokratische Rechte usw.) kämpfte die SPÖ jedoch nie. Politische Arbeit im Heer wurde ebenfalls weitgehend vernachlässigt und war selbst in den sozialistischen Jugendorganisationen ein absolutes Randthema.
Abschaffung des Bundesheeres
Die SJ und die anderen Jugendorganisationen waren wie auch große Teile der Parteilinken pazifistisch eingestellt. Die Einflüsse der 68er-Bewegung und der Friedensbewegung prägten die Praxis stärker als der marxistische Antimilitarismus von Liebknecht und Winarsky aus den Anfangsjahren der Organisation. War die SJ in den 1950ern vehement gegen die Einführung des Bundesheeres aufgetreten, so vertrat sie in späterer Folge vor allem die Abschaffung des Bundesheeres (bis dahin solle jedoch eine reformierte allgemeine Wehrpflicht gelten). Nicht wenige Linke lehnen auch jetzt die Volksbefragung ab, weil sie eigentlich für die Abschaffung des Heeres sind.
Die Debatte über diese Losung ist aber nicht neu. Dies dokumentiert ein Text von Lenin zur so genannten „Entwaffnungsdebatte“ in der internationalen sozialistischen Jugendbewegung aus dem Jahre 1916: „Das grundlegende Argument besteht darin, die Forderung der Entwaffnung sei der klarste, entschiedenste, konsequenteste Ausdruck des Kampfes gegen jeden Militarismus und gegen jeden Krieg. In diesem grundlegenden Argument besteht eben der Grundirrtum der Entwaffnungsanhänger. Die Sozialisten können nicht gegen jeden Krieg sein, ohne aufzuhören, Sozialisten zu sein.“ In besagtem Text erklärt er, dass revolutionäre SozialistInnen in antiimperialistischen Befreiungskriegen z.B. sehr wohl Position beziehen müssen auf der Seite der Unterdrückten. Und weiters: „Zweitens. Bürgerkriege sind auch Kriege. Wer den Klassenkampf anerkennt, der kann nicht umhin, auch Bürgerkriege anzuerkennen, die in jeder Klassengesellschaft eine natürliche, unter gewissen Umständen unvermeidliche Weiterführung, Entwicklung und Verschärfung des Klassenkampfes darstellen. Alle großen Revolutionen bestätigen das. Bürgerkriege zu verneinen oder zu vergessen, hieße in den äußersten Opportunismus verfallen und auf die sozialistische Revolution verzichten.“ In dem Artikel spricht er sich auch für die Ausbildung der jungen Proletarier im Waffengebrauch aus: „Eine unterdrückte Klasse, die nicht danach strebt, Waffenkenntnis zu gewinnen, in Waffen geübt zu werden, Waffen zu besitzen, eine solche unterdrückte Klasse ist nur wert, unterdrückt, mißhandelt und als Sklave behandelt zu werden. Wir dürfen, ohne uns zu bürgerlichen Pazifisten und Opportunisten zu degradieren, nicht vergessen, daß wir in einer Klassengesellschaft leben und daß außer dem Klassenkampfe keine Rettung daraus möglich und denkbar ist. (…)Nur nachdem das Proletariat die Bourgeoisie entwaffnet hat, kann es, ohne an seiner weltgeschichtlichen Aufgabe Verrat zu üben, die Waffen zum alten Eisen werfen, was es auch ganz sicher dann – aber nicht früher – tun wird.“ Lenin verknüpft die Frage also in erster Linie aus einer revolutionären Perspektive. Den Befürwortern der Abschaffungs-Losung hielt er entgegen: „Entwaffnung ist nämlich Flucht aus der schlechten Wirklichkeit, kein Kampf gegen sie.“
Auch damals argumentierten die Anhänger dieser Idee, die vor allem in Kleinstaaten wie Norwegen oder den Benelux-Staaten stark waren, damit, dass es für ihre Länder ohnedies kein „Bedrohungsszenario“ gibt. Lenin antwortete darauf: „Entwaffnung als soziale Idee, d.h. eine solche Idee, die von irgendeiner sozialen Umgebung geboren ist und auf eine soziale Umgebung wirken kann und nicht nur eine persönliche Schrulle bleibt, entspringt offenbar aus den kleinlichen und ausnahmsweise ‚ruhigen’ Verhältnissen einiger Kleinstaaten, die abseits der blutigen Weltstraße des Krieges liegen und weiter zu liegen hoffen. Man betrachte die Argumentation der norwegischen Entwaffnungsanhänger: Wir sind klein, unser Heer ist Mein, (…) wir wollen ruhig bleiben in unserem Winkel und Winkelpolitik treiben, wir fordern Entwaffnung, bindende Schiedsgerichte, ‚permanente’ (etwa wie für Belgien?) Neutralität usw. Kleinstaatliches Beiseite-sein-Wollen, kleinbürgerliches Streben, von großen Weltkämpfen fernzubleiben, seine etwaige Monopolstellung zum engherzigen Passivsein ausnützen – das ist die objektive gesellschaftliche Umgebung, die der Idee der Entwaffnung einen gewissen Erfolg und Verbreitung in einigen Kleinstaaten sichern kann. Natürlich ist solches Streben illusionär und reaktionär, der Imperialismus wird sowieso die Kleinstaaten in den Wirbel der Weltwirtschaft und der Weltpolitik einbeziehen. (…) Objektiv entspricht die Entwaffnung der opportunistischen, engnationalen, beschränkt kleinstaatlichen Linie der Arbeiterbewegung. Objektiv ist die Entwaffnung das nationalste, das spezifisch nationale Programm der Kleinstaaten, kein internationales Programm der internationalen revolutionären Sozialdemokratie.“
MarxistInnen wünschen sich keine blutige Revolution, sie argumentieren vielmehr, dass eine unblutige Umwälzung unter bestimmten Kräfteverhältnissen durchaus möglich ist, aber jede Revolution muss notfalls auf Waffen zurückgreifen können. Marx formulierte es folgendermaßen: „Wir müssen den Regierungen erklären: Wir wissen, dass ihr die bewaffnete Macht seid, die gegen die Proletarier gerichtet ist; wir werden auf friedlichem Wege gegen euch vorgehen, wo uns das möglich sein wird, und mit den Waffen, wenn es notwendig werden sollte.“
Karl Liebknecht brachte es auf den Punkt, was es mit der Losung nach Abschaffung der Armee auf sich hat: „Organisation und allgemeine revolutionäre Aufklärung der Arbeiterschaft sind die Vorbedingungen für einen erfolgreichen General- und Militärstreik im Falle eines Krieges. Die bloße antimilitaristische Propaganda dazu zu verwenden wäre Phantastik. Hier liegt es in der Tat für den Normalfall so: Wenn das Proletariat erst so weit ist, solche Aktionen durchführen zu können, ist es weit genug, sich die politische Macht zu erobern.“ Die marxistischen Klassiker lehnten die Losung nach Abschaffung der Armee unter kapitalistischen Verhältnissen als gefährliche Utopie ab.
Und die Realität zeugt von der Korrektheit dieser Position. Die wenigen (Klein-)Staaten, die keine Armee haben, haben ihre Landesverteidigung der NATO bzw. den USA übertragen und haben spezielle Polizeieinheiten eingerichtet, die militärische Aufgaben übernehmen können. Dies wäre in Österreich nicht anders.
Die aktuelle Debatte
Die heutige Sozialdemokratie hat natürlich schon vor Jahrzehnten die marxistische Staats- und Revolutionstheorie der frühen, revolutionären Sozialdemokratie, die auch Lenin verkörperte, entsorgt. Mit ihrer Befürwortung eines Berufsheeres hat die SPÖ aber ihre gesamten progressiven Ansätze in dieser Frage über Bord geworfen.
Dabei legt sie sich mit Leuten ins Bett, die aufgrund ihrer Klasseninteressen offen gegen die Arbeiterklasse eingestellt sind. Die Einführung eines Berufsheeres macht nur Sinn im Rahmen einer stärkeren Einbindung in internationale, imperialistische Militärbündnisse (EU oder NATO). Allein die Benennung angeblicher neuer Bedrohungsszenarien macht das deutlich. Es geht um die Sicherung von Rohstoffquellen, um die Proliferation von Massenvernichtungswaffen und den Kampf gegen den Terrorismus. Diesen Zweck kann ein österreichisches Berufsheer natürlich nur in Auslandseinsätzen erfüllen. Da Österreich einen nur sehr schwachen Militarismus darstellt, wird es diesen Aufgaben eben im Rahmen der Operationen von Militärbündnissen nachgehen müssen. Für die hier anfallenden, sehr spezifischen Aufgaben, braucht es in der Tat Profis. Namhafte Befürworter des Berufsheers (Androsch, Pelinka, die Industriellenvereinigung) nehmen sich dabei auch kein Blatt vor den Mund. Der Trend Richtung Berufsheer in der EU drückt ganz einfach aus, dass Europa zu einem militärischen Bündnis weiterentwickelt werden soll. Diesen Prozess trägt die Sozialdemokratie uneingeschränkt mit. Das ist auch nicht neu. Seit Jahren unterstützt die SPÖ-Spitze die Zusammenarbeit Österreichs mit der NATO über die „Partnerschaft für den Frieden“ und befürwortet die „Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Außenpolitik“. Die Neutralität ist heute längst nur noch geduldiges Papier und sonst gar nichts.
Die Industriellenvereinigung fasst die Bedrohungsszenarien sogar noch weiter. Ihr geht es auch darum, perspektivisch die Armee gegen „soziale Unruhen“ im Inneren einzusetzen. Die SPÖ-Spitze traut sich das nicht offen zu sagen. Aber indem sie ebenfalls vor der Gefahr des „Terrorismus“ warnt und die neuen, von der SPÖ-Führung mitbeschlossenen Strafgesetzbestimmungen zur Bekämpfung des Terrorismus jederzeit auch auf „soziale Unruhen“, Streiks usw. anwendbar sind, spielt sie selbst in dieser Frage den Bürgerlichen in die Hände. In Spanien und Italien kamen solche Anti-Terror-Paragraphen bereits gegen GewerkschafterInnen, die Streiks organisierten, zum Einsatz, auch wenn vorerst diese Aufgaben noch von Sondereinheiten der Polizei wahrgenommen werden.
Wir wollen nicht blauäugig sein. Die allgemeine Wehrpflicht ist kein Garant gegen den Einsatz der Armee im Inneren zur militärischen Aufstandsbekämpfung. Der bürgerliche Staat verfügt schon heute über genügend Berufssoldaten, die diese Aufgabe übernehmen können. Die allgemeine Wehrpflicht, die dazu führt, dass die einfachen Grundwehrdiener enge soziale Beziehungen zu ihren FreundInnen, KollegInnen und Angehörigen haben, stellt ein gewisses Korrektiv dar, dass den Einsatz der Armee erschwert.
Wir lehnen die Einführung eines Berufsheers ab, weil wir für die Arbeiterbewegung eine revolutionäre Perspektive notwendig erachten. Die allgemeine Wehrpflicht erleichtert in Zukunft die Aufgaben der Arbeiterklasse in einer Revolution. Gleichzeitig sagen wir aber, dass es eine völlig andere Form der Wehrpflicht und des Milizheeres braucht. Wir fordern daher gemäß den Traditionen der Volkswehr nach dem Ersten Weltkrieg: Wahl der Offiziere durch die Mannschaft, Abschaffung der Militärjustiz, Abschaffung der militärischen Geheimdienste, volle demokratische und politische Rechte für Soldaten, angemessene Entlohnung von Grundwehrdienern (und Zivildienstleistenden!), ordentliche Unterkunft und Verpflegung, Beschränkung des Grundwehrdienstes auf militärische und technische Ausbildung.
Getragen werden muss dies gemäß Karl Liebknecht durch eine bewusste politische Arbeit von jungen Sozialisten im Heer, die sich „in immer verstärktem Maße, systematisch der Soldaten und auch der Unteroffiziere annehmen, ihre materiellen und sozialen (dienstlichen) Interessen … energisch vertreten“. Die Initiative „Vereinigung Demokratischer Soldaten Österreichs“ sehen wir als ersten organisatorischen Ansatz für eine derartige Arbeit.
Bringt die Volksbefragung eine Mehrheit für Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht, dann ist das erst die Voraussetzung dafür, dass wir den politischen Kampf für eine Umwandlung der Wehrpflicht, wie wir sie oben skizziert haben, führen können. Die SJ und viele andere Linke haben es bisher leider verabsäumt diese Debatte in der Arbeiterbewegung offensiv zu führen, weil sie Angst haben, von den betroffenen Jugendlichen, von denen viele verständlicherweise kritisch sind gegenüber der Wehrpflicht, nicht verstanden zu werden. Sie haben daher das Feld der Kritik der konkreten Missstände beim Heer hauptsächlich den Berufsheer-Befürwortern überlassen und sich auf abstrakte Positionen („Bundesheer abschaffen“) zurückgezogen.
In dieser ganzen Frage war der Druck der SPÖ-Spitze auf die Organisationen der Arbeiterbewegung sehr groß. Nicht wenige haben dem nachgegeben und haben sich der neuen Linie gebeugt. Die Aufgabe von MarxistInnen war es in dieser Debatte nicht zuletzt in diesen Organisationen die besten Traditionen der Arbeiterbewegung und eine marxistische Analyse des Staates und der Armee zu verteidigen. Wo dies gelungen ist, wurden die ideologischen Waffen geschärft, die es in den künftigen Klassenauseinandersetzungen brauchen wird.