Österreich erscheint immer mehr als Skandalrepublik. Das sind mehr als die Verfehlungen einiger schwarzer Schafe, sondern deutliche Anzeichen einer tiefen Krise des politischen Systems. Ein Kommentar über den Korruptionssumpf von Emanuel Tomaselli.
Kein Grippevirus (sei es vom Geflügel oder Schwein) streift den Alpenhauptkamm, ohne dass ein fetter Adeliger ein paar überteuerte Schutzmasken zur Hand hätte. Keine Privatisierung wird abgewickelt, ohne dass ein paar Freunderl bedient werden. Keine Oma ist vor den Anlagegeschäften parlamentarisch verankerter rechtsextremer Cliquen sicher. Kein Umzug staatlicher Behörden, ohne dass befreundete Banken mitschneiden. Kein Ostgeschäft ohne Beraterhonorare für (Ex-)Abgeordnete. Kein Telefonanruf, ohne dass der Schmiergeldfonds der Telekom gespeist würde. Staatsbesuche in Zentralasien, die genützt werden, um die Produkte der eigenen Firma zu promoten, Spitzenabgeordnete in Brüssel, die sich offen dem Meistbieter anbieten (in Anwesenheit von Journalisten aller österreichischen Nachrichten-Blätter, die nach einer Nachdenkpause von 12 Monaten – und der Skandalmache durch britische Journalisten – daran etwas komisch finden).
Jagden sind Usus, Staatsbürgerschaftsverleihungen an Mafiois „part of the game“. Geldkoffer und Briefumschläge Teil der politischen Kultur, windige Werbefirmen im Umfeld einer jeden relevanten Partei. Firmen in Liechtenstein und auf Zypern Teil des Hausstandes. Fünfstellige Bareinzahlungen ministerieller Eltern auf der Raika erwecken keinen Verdacht. Geschäftsbeziehungen ehemaliger Minister mit Firmen, von denen man als öffentlicher Repräsentant groß einkaufte (Kampfflugzeuge etwa), sind sowohl legal als auch nicht anrüchig.
Prozesse und ergiebige Ermittlungen sind Mangelware. Politische Konsequenzen Fehlanzeige.
Untersuchungsausschüsse werden eröffnet, wenn es nicht mehr anders geht, abgedreht werden sie so schnell, wie es geht. Erkenntnisse gibt’s kaum, Abschlussberichte gar nicht. Nach der „Selbstauflösung“ des Parlaments im Jahr 1933 erleben wir nun zum ersten mal die „Selbstauflösung“ eines parlamentarischen Ausschusses. Die fehlende Aufklärung windiger Machenschaften sind das Faustpfand für gegenseitige Machtbalance und den Schutz des politisch-ökonomischen Systems an sich. Der Staatsbürger soll Korruption als Ausnahmeerscheinung gefallener Engel wahrnehmen, anstatt dieses Phänomen als systemimmanent zu begreifen. In der Euphorie der Bürgerblock-Regierungszeit, des gesellschaftlichen Aufstieges neoliberaler Bubis und der Krise der „Old Economy“, wurde der „ideelle Gesamtkapitalist“ Staat neu interpretiert: Öffentliche Ämter gelten von nun an pauschal als Selbstbedienungsladen für seinesgleichen.
Die Klassenunterschiede der Gesellschaft spiegeln sich sogar hier. Man wundert sich wie billig es Spitzen-SPÖler geben. Beispiel Hochegger-Honorare im Zuge der Bulgariengeschäfte des ehemaligen ÖVP-Obmannes Josef Taus: Ernst Strasser erhielt für Beratungstätigkeiten: 100.000 €, Peter Schieder (Vater des Staatsekretärs Schieders) laut Eigenangaben „ein paar Tausend Euro, deutlich weniger als 10.000“. Man könnte sagen: Bestochen wurde Ernst Strasser, und einem SPÖ-Abgeordneten wurde ein kleines Schweigegeld ausgehändigt. Ob Bundeskanzler Schüssel für sein Lobbying bei der bulgarischen Regierung (für das er mit dem Privatjet des Co-Investors Schlaff im März 2003 nach Sofia eingeflogen wurde) Gegenleistungen erhielt, ist bislang unbekannt. Der Umstand eines solchen Freundschaftsdienstes durch einen Bundeskanzler jedoch immerhin bemerkenswert. Doch wer hatte den großen Profit vom Mobilkom-Deal in Bulgarien?
Zur Ausgangssituation: Josef Taus und Martin Schlaff gründen im April 2004 eine Firma Namens „M-Tel Holding Gmbh“ mit einem Grundkapital von 60.000 €. Diese kleine Firma kauft dann die staatliche Bulgarische Mobilkom, die dann über die Zwischenstation einer weiteren dubiosen Firma (an der wiederum Taus gemeinsam mit weiteren ungenannten Investoren beteiligt ist) im Juni 2005 bei der Telekom Austria landet. Der Gewinn dieses Geschäftes liegt bei sagenhaften 890 Millionen €.
Eine kleine Nebenbemerkung: Dieses Geschäft war für den Ex-ÖVP-Obmann völlig risikolos, da es von der damals noch im Besitz des ÖBG befindlichen BAWAG finanziert wurde. Die BAWAG jedoch stieg aufgrund nicht abgesicherter Wechselkursrisiken mit einem Defizit von 200 Mio. aus diesem Geschäft aus. Weder partizipierte sie an Verkaufserlösen noch erzielte sie Zinserträge. Schöner kann man die Symbiose von Kapital-Poltik, Staat-Privat und die inferiore Rolle der Führung der Arbeiterbewegung dabei nicht darstellen.
Ein jüngeres Beispiel liefert Bundeskanzler Werner Faymann. Um seine Popularitätswerte zu boosten, gab er als junger Minister den Kundenanwalt für gestresste ÖBB-Kunden in der Kronenzeitung. Ob es sein Image nachhaltig verbessern konnte, sei dahingestellt. Wie man aber nachhaltig für gute Stimmung sorgt, dass machte einmal mehr KHG vor. Statt zu inserieren, verkaufte er! Nämlich das Dorotheum an ein Konsortium rund um den Krone-Herausgeber Dichand. Und dies recht billig, wie der Rechnungshof unlängst in einem Prüfbericht festhielt.
Kaum eine mediale Debatte gibt es über Erscheinungen wie etwa folgende bemerkenswerte Karriere: Ein Mann namens Michael Höllerer arbeitete bis 2008 in der Raiffeisen Zentralbank (RZB) als Vorstandssekretär. Dann holte ihn der damalige Finanzminister Josef Pröll (der wiederum selbst, nachdem ihm der Stress in der Politik zu viel wurde, in den Raiffeisen-Konzern wechselte) zu sich als Experten ins Finanzministerium. Just zu jener Zeit, als die Staatshilfe für den RZB-Konzern ausverhandelt wurde. Die neue Finanzministerin Fekter übernahm Höllerer. „Die Presse“ beschreibt seine Tätigkeit so: „Höllerer ist das Bindeglied zwischen Fekters Kabinett und den Finanzkonzernen. Über seinen Schreibtisch laufen alle entsprechenden Gesetzesinitiativen.“ Nun, in diesem Sommer wechselte Höllerer zurück in die RZB und wird durch einen 31-jährigen Tausendsassa namens Stefan Lienhart ersetzt. Dieser blickt bereits auf eine steile Karriere zurück (Bundesheer, WKÖ, ÖH, EUFOR-Bosnien, Raika, Erste Bank) und vertritt nun die Interessen der Republik Österreich gegenüber dem Bankensektor. Oder umgekehrt? Oder handelt es sich um eine Symbiose?
Aus marxistischer Sicht nimmt der Staat keine neutrale Rolle ein, sondern ist ein Vollzugsorgan der Reichen. Und wir wagen zu prognostizieren: Der Korruptionssumpf wird sich weiter ausweiten, die juristische Verfolgung wird weiter überschaubar bleiben. Wird der Zorn zu groß, werden einzelne besonders verhasste Repräsentanten hinter Gitter müssen.
Dies sind Symptome einer kränkelnden Gesellschaft. Das Kapital hat seine fortschrittliche historische Rolle ausgelebt. Die wirtschaftliche Krise ist Teil dieses Siechtums und wird die Begehrlichkeiten der Kapitaleigentümer auf Steuergelder, öffentliches Eigentum, günstige gesetzliche Rahmenbedingungen etc. weiter anheizen. Es obliegt der Arbeiterbewegung diesem kranken System ein Ende zu setzen und die wirtschaftliche und politische Grundlage für eine harmonische Entwicklung der Gesellschaft zu legen.
Siehe auch: „Unterm Jörgl hätt’s das nit gebn“ von unserer Korrespondentin aus Klagenfurt